2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien

Reisezeit: April - Juni 2022  |  von Michael Bünte

im Norden: Zaghouan

Eingangstor von Zaghouan aus römischer Zeit

Eingangstor von Zaghouan aus römischer Zeit

die Moschee von Zaghouan

die Moschee von Zaghouan

Nicht auf der Flucht

Zaghouan ist eine kleine Stadt im Süden des Jebel Zaghouan Massivs.
Ein Triumphbogen über einer schnurgerade verlaufenden Straße zeugt davon, dass auch die Römer schon hier ansässig waren. Sie haben etwas außerhalb der Stadt am Fuß der Berge einen Wassertempel „Temple des Eaux“ errichtet, aus dem sie über eine 120 km lange Wasserleitung ihre Bäder in Karthago versorgt haben. Die Reste der römischen Aquädukte queren häufig unseren Weg. Von dem Wassertempel ist allerdings das Schönste nicht mehr vorhanden. Leere Nischen sind im Rund angeordnet, in denen Statuen von Neptun und seinen Wassernymphen aufgestellt waren. Ehemals quirlige Becken sind heute nur leere Gruben. Wir können nur erahnen, wie präzise die Römer hier gearbeitet haben und welchen Aufwand sie betrieben haben, das kostbare Nass in Ihre Metropole zu leiten.

Im Ort zeugen viele ständig Wasser speiende, mit Mosaiken gekachelte Brunnen, aus denen getrunken wird oder mitgebrachte Behälter gefüllt werden, von der guten Qualität des Wassers, das hier aus den Mauern sprudelt. Wir sitzen im Schatten feinblättriger Akazien bei einem “Café au lait“, lauschen französischen Chansons aus den Sechzigern und beobachten die Männer am Tisch neben uns beim Dominospiel. Die Hände der älteren Herren bewegen sich wie die von Magiern, Dominosteine fliegen über den Tisch. Es knallt mächtig, wenn einer von ihnen wieder einen Coup gelandet hat. Der Schatten der Bäume tut gut. Wir sitzen hier einfach, beobachten, müssen mal runterkommen und etwas langsamer treten. Schließlich sind wir auf der Reise und nicht auf der Flucht.

frisches Wasser aus den Bergen

frisches Wasser aus den Bergen

der Löwenbrunnen

der Löwenbrunnen

Dominospieler vorm Café

Dominospieler vorm Café

hier gibt es frisch gegrilltes Fleisch vom Schaf

hier gibt es frisch gegrilltes Fleisch vom Schaf

eine Delikatesse hier im Land

eine Delikatesse hier im Land

Reste der römischen Wasserleitung nach Kathargo

Reste der römischen Wasserleitung nach Kathargo

römischer Triumphbogen

römischer Triumphbogen

im Nymphentempel

im Nymphentempel

Helaâ

Kaâk Warna heißen die süßen weißen Gebäckkringel, die hier im Ort überall in den Läden angeboten werden und als die Spezialität von Zaghouan gelten. Wir versuchen gerade mit einer freundlichen Frau in ihrem Laden ins Geschäft zu kommen, als wir von einer Passantin, etwa 30 Jahre alt, mit einem kleinen Mädchen an der Hand angesprochen werden, ob sie uns helfen könne. Wir erfahren von ihr, dass dieses marzipanartige Gebäck mit einer Essenz aus den Nesri-Blüten hergestellt wird. Diese Blüten sollen eine heilende Wirkung bei verschiedenen Gebrechen zeigen, und deshalb wird mit der Essenz dieser Blüten hier auch Kaffee, Tee oder Gebäck angereichert.
Die Spezialität Kaâk Warna ist einzigartig in Zahouan, wird häufig kopiert, ist aber in ganz Tunesien nirgendwo in gleicher Qualität zu haben.

Und dann erzählt uns Helaâ ihre Geschichte. Sie kommt aus Bizerte, einer am Meer gelegenen Stadt nördlich von Tunis. Sie wurde zwangsweise hierher verheiratet und verbringt ihre Zeit nun mit ihren drei Kindern.
Sie ist gebildet, darf aber nicht arbeiten. Sie liebt es, unter Menschen zu sein, bekommt aber ihre einzigen Kontakte außerhalb des Hauses an Markttagen beim Einkaufen. Sie sehnt sich nach dem Meer und ihren Freundinnen, ist aber seit ihrer Hochzeit hier in den Bergen festgehalten und sieht keine Chance auf eine Veränderung, bis an ihr Lebensende. Sie macht einen verbitterten Eindruck auf uns und auch ihr Kind scheint nicht gerade fröhlich in seinem Leben zu sein.
Ein Schicksal, das wohl viele der hier lebenden Frauen ereilt, die von ihren Familien zwangsweise verheiratet werden, damit sie versorgt sind.
Zum Abschied, und vielleicht auch zum Dank für’s Zuhören, bekommen wir von ihr jeder noch einen Kaâk Warna zugesteckt. Dann ist sie fort, ohne noch einmal zurückzusehen, mit ihrem Kind an der Hand.

Kaâk Warna

Kaâk Warna

Nachts in den Bergen

Stille, absolute Stille. Vielleicht ist es das, was mir schon so lange gefehlt hat, seitdem wir in der Sahara waren. Es bellen die Hunde, Motorräder knattern, Esel geben ihre Klagelaute ab, Fischer schreien ihre Neuigkeiten über den Hafen oder es schallt von den Minaretten. Hier in den Bergen stehe ich in mondloser, tiefdunkler Nacht auf einem Plateau oberhalb der Stadt Zaghouan. Über mir ein Meer von Sternen, die für uns in nicht wahrnehmbarer Geschwindigkeit um den Polarstern kreisen. Kein Lüftchen bewegt ein Blättchen, kein Rascheln in den Kiefern, keine von Menschen gemachte Lichter, die den Tag in die Nacht tragen. Nichts als Natur, soweit das Auge über die tiefer gelegenen Ebenen reicht. Ebenen, die sich mit leicht geschwungenen Erhebungen und Hügeln bis zu einer weiteren Bergkette am Horizont erstrecken. Und ich bin mitten drin, in Gottes Schöpfung.

Jetzt ist es halb sechs. Der Tag ist angebrochen. Über mir thronen hohe Felsen vor dem Himmelsblau, kahle Bergzinnen aus Kalkgestein, die sich aus dem immer spärlicher werdendem Grün der Vegetation erheben. Die Sonne ist schon hinter den Bergen hervorgekommen, hat aber noch nicht die brennende Kraft, die sie am Tage entwickelt. Jetzt lässt ein leichter Wind ein paar Blätter in den Bäumen rascheln. Doch es ist immer noch friedlich um uns herum. Kein Auto fährt in hörbarer Entfernung. Ein paar Vögel zwitschern, und immer mal wieder kommt ein dicker Käfer mit lautem Brummen an mir vorbeigeschossen und surrt seinem nur ihm bekannten Ziel entgegen.

in den Bergen

in den Bergen

Oleanderdüfte

Oleanderdüfte

der Blick über die Ebene nach Karthago

der Blick über die Ebene nach Karthago

Das Problem mit dem Müll

Was ich jetzt bei Tageslicht an diesem friedlichen Ort entdecken muss, macht mich richtig nachdenklich. Wir stehen hier in vollendeter Natur auf einem Plateau hoch über den Ebenen. Alles scheint aufgeräumt und sauber zu sein, ein frischer Tag hat gerade begonnen, und jetzt sind sie sichtbar, die in der Sonne funkelnden Glassplitter überall da, wo der aufgeschüttete Platz in den Wald übergeht. Bei genauem Hinsehen erkenne ich, dass die gesamten Ränder dieses Plateaus mit Müll bedeckt sind. Da liegen nicht nur Glasflaschenscherben, da gibt es auch Plastiktüten, Dosen, gefüllte Windeln und alles, was der moderne Mensch gerne loswerden möchte. Und das hier, mitten im Naturschutzgebiet in einer Umgebung die eigentlich schöner nicht sein könnte. Wo ist der Respekt für die Natur? Ich bin fassungslos.

Dazu gehen mir jetzt Bilder und Szenen der letzten Tage durch den Kopf, die wir verständnislos mit ansehen mussten. Eine Frau steht mit ihrem Auto auf einem Parkplatz am Strand, das Fenster öffnet sich und die gesamte Verpackung des Cheese Burgers, den sie gerade gegessen hatte, landet draußen auf dem Sand. Ein Abfalleimer stand nur zwei Meter neben ihrem Auto. Ein fragender Blick von uns, sie schüttelt mit dem Kopf, und die Sache ist für sie erledigt.
Gestern auf dem Parkplatz vor dem Hammam wurden ganze Kartons mit gemischtem Abfall aus einem Kofferraum gehoben und über die Mauer geworfen - in einen Fluss. Und nur fünf Meter entfernt standen zwei öffentliche Abfallcontainer.
Chipstüten landen einen Meter vor einem Abfalleimer auf der Straße . . . eine ganze Nation scheint es nicht für wichtig zu befinden, den öffentlichen Raum genauso sauber zu halten, wie ihre Wohnungen. Und obwohl wir in unseren Gesprächen mit Einheimischen oft Klagen darüber mitbekommen haben, dass die Regierung es nicht schaffe, den überall herumliegenden Müll zu beseitigen, dass also das Bewusstsein über eine schönere Umgebung ohne allgegenwärtige Müllbegleitung vorhanden sein muss, wird den Kindern von ihren jungen Eltern auch heute noch vorgeführt, wie schnell man sich einer Eisverpackung oder einer Getränketüte entledigen kann.
Das mitzubekommen ist für uns richtig schwer zu ertragen.

Aber es gibt sie, diese Gitterbehälter, in denen PET-Flaschen gesammelt werden können. Es gibt Müllsammler, die Plastikflaschen zusammensuchen und in großen Säcken auf dem Rücken schleppen.
Und es gibt LKW, die tonnenweise gepresste Ballen von PET-Flaschen transportieren. Ein kleiner Hoffnungsschimmer am Horizont?
Doch der Weg dorthin ist noch weit.

das Problem mit dem Müll

das Problem mit dem Müll

wir sind hier in einem Naturschutzgebiet

wir sind hier in einem Naturschutzgebiet

© Michael Bünte, 2022
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wir starten in Hamburg und reisen mit einem Toyota HZJ78 über Neapel nach Tunesien. Dieses ist der Bericht unserer zehnwöchigen Reise.
Details:
Aufbruch: 06.04.2022
Dauer: 10 Wochen
Heimkehr: 17.06.2022
Reiseziele: Tunesien
Der Autor
 
Michael Bünte berichtet seit 26 Monaten auf umdiewelt.
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