2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
Tunis
Gedanken an die Hauptstadt Tunesiens
„Tunis, Du bestichst aus der Ferne durch Deine unendliche Flut blendend weißer Häuser, die sich, ohne sich zu sehr in die Höhe erhebend, über sanfte Hügel hinter der riesigen türkisblauen Meeresbucht ergießt.
Keine Wolkenkratzeransammlungen geben Dir ein Profil, nur wenige höhere Gebäude ragen wie Zähne über Deine geschwungene Kontur heraus. Deine Silhouette ist nicht markant wie die anderer prosperierenden Großstädte der Erde.
Du hast keine gewaltige Stadtmauer mehr, wie Deine kleineren Schwestern hier im Land, keine grünen Parks, keine von Orangenbäumen überwachsenen Plätze laden in der Medina zum Verweilen ein. Du bist Geschäft, Handel, Kunst und Lehre.
In Deinen gehobenen Vierteln sind die kopfsteingepflasterten Straßen breit, gereinigt, gepflegt, gesäumt von renovierten Häuserzeilen mit prunkvollen, reich dekorierten Gebäuden großer Familien, die an Geschichten aus “Tausendundeiner Nacht“ erinnern. Die Abfälle werden regelmäßig weggeräumt. Wir schreiten über Bürgersteige ohne Fallen, ohne Löcher, ohne fehlende Steine. Hier ist alles geordnet, und hier finden wir auch Schatten von dicht belaubten Bäumen, in denen wir der Hitze der Sonne wenigstens zeitweise ausweichen können.
In Deinen Wohnvierteln vor der Altstadt sind die Straßen endlos, verwinkelt, kaputt und dreckig. Hier müssen wir gut aufpassen, dass wir unsere Füße nicht auf einen kaputten Gullydeckel setzten, dass wir nicht in einen Dreckhaufen treten, dass wir die Nasen geschlossen halten, wenn die Ausdünstungen der überfüllten Kanalisation um die Ecken streichen.
Dennoch pulsiert hier das Leben, hier wohnen die vielen Menschen, hier arbeiten sie, hier bekommen sie alles für ihren täglichen Bedarf in kleinen Ladenzeilen. Für große Supermärkte und Einkaufszentren hast Du hier keinen Platz.“
unser Toyota steht sicher in einem kleinen, mit der örtlichen Bahn zu erreichenden Vorort auf einem privaten Campingplatz
In den Souks
Wir streifen durch die Souks der tunesischen Hauptstadt und finden uns, dadurch dass die Medina, also die Altstadt, auf einem Hang liegt, relativ schnell zurecht. In der Mitte der Medina von Tunis steht die große Moschee, um die herum sich Kaffeehäuser mit Dachterrassen angesiedelt haben.
Egal wie wir uns in den engen, überdachten Gassen treiben lassen, stoßen wir immer wieder auf diese Moschee und können uns so relativ schnell ganz gut orientieren.
Die Souks hier sind voll gestopft mit Waren aus dem ganzen Land. Die Dekorationen sind prächtig, die Fülle ist überwältigend, doch wir finden hier nicht irgendetwas, was wir nicht schon woanders im Land gesehen haben. Nur die Menge der hier ausgestellten Waren, die in bunter Vielfalt oder gold- und silberdurchwirkt ausgestellt werden, betört. Die Händler hier verwenden dieselben Wendungen wie auch in den anderen Städten, um uns in ihre Geschäfte zu bewegen, fragen die Passanten nach ihrer Herkunft und fangen dann sofort in der entsprechenden Landessprache an - komischerweise treffen wir viele Händler, die mit einer Frau aus Paderborn verheiratet sind - weitere Fragen zu stellen, um die potentiellen Kunden “bei der Stange“ zu halten.
Trickreich sind einige, geben uns Informationen über besondere Ausstellungen, zeigen uns ungezwungen den Weg dorthin und verabschieden sich dann, ohne aufdringlich gewirkt zu haben. Man braucht sich gar nicht zu wunderen, wenn eben diese hilfreichen, freundlichen Personen unvermutet an einer anderen Straßenecke wieder in das Blickfeld kommen. Mit freudigem Handschlag werden wir erneut begrüßt, um nicht wenig später - „Ihr braucht auch gar nichts zu kaufen“ - in deren Läden zu stehen und uns in einer Parfumduftprobe oder bei einem Gespräch über das Teppichweben wiederzufinden. Auch hier kann man sicher sein, dass man die Ware, im Preis inklusive, bis vor die Haustür ins Heimatland geliefert bekommt.
Aber Achtung! Hier muss man auf sein Hab und Gut aufpassen. Zweimal sind wir angesprochen worden, dass wir den Tagesrucksack besser auf der Brust, anstatt auf dem Rücken tragen sollten, dass man die Kamera fest in den Händen halten sollte, damit sie einem nicht unversehens aus der Hand gerissen wird. Hilfreiche, unverhohlene Informationen, die es besser zu beachten gilt.
Die Taschendiebe sind hier eben allgegenwärtig und geschickt wie aber in anderen größeren Städten auch. Wir bemerken verstohlene Blicke, erkennen das Wort „Alemania“ in den arabischen Sprachfetzen, und sind uns sicher, dass über uns gesprochen wird. Es ist, als wenn über ein geheimes Informationssystem die Ankunft von uns zwei Deutschen in den Souks längst weitergegeben wurde, bevor wir überhaupt ins Blickfeld gerieten.
In den Werkstätten
Im Viertel der Handwerker stehen uns die Tore offen. Hier wird gepängert, geklopft und gesägt. Töpfe, Pfannen, Tische und Schränke werden für den Weltmarkt hergestellt. Düfte von Farben mischen sich mit denen der Schweißarbeiten und denen der Zweitaktmotoren der Mopeds, die sich durch jede noch so enge Gasse winden.
Freundlich werden wir von den Handwerkern aufgefordert, in ihre Werkstätten zu treten. Natürlich dürfen wir Fotos machen. Bereitwillig bekommen wir Auskunft darüber, wie und in welchen Arbeitsschritten die Gegenstände entstehen. Hier geht es nicht nur ums Verkaufen. Hier wird in Kleingruppen gearbeitet und Kommunikation getrieben.
Nur froh sind wir über unseren Schachzug, nicht mit dem Auto ins Zentrum von Tunis gefahren zu sein. Unser Toyota steht sicher in einem kleinen, mit der örtlichen Bahn zu erreichenden Vorort auf einem privaten Campingplatz.
So fahren wir jeden Tag für insgesamt 3,40 Dinare (2 Personen/ hin- und zurück) bis zum zentral gelegenen Hauptbahnhof, laufen von dort bis zur Altstadt und können uns dann frei bewegen, lassen uns treiben, haben kein Ziel und brauchen keinen Parkplatz. Da es auch in Tunis keine detaillierten Stadtpläne der Medina in den Touristenbüros gibt, mit denen wir uns orientieren könnten, laufen wir so lange durch die Straßen, bis wir wieder an der großen Moschee landen. Von dort wissen wir den Weg zum Hauptbahnhof.
Wasserfluten
Gerade kommen wir von der Besichtigung einer Koranschule, emsiges Vogelgezwitscher liegt über uns in den Bäumen, als ich von einem dicken Klacks auf der Schulter getroffen werde.
„Lieber Gott, lass es Wasser sein!“
Glück gehabt, es ist kein Vogelschiss, dieses Mal ist es auch nicht das Kondenswasser einer Klimaanlage. Es ist ein dicker Regentropfen aus einer schweren, pechschwarzen Gewitterwolke, und jetzt donnert es laut über dem Souk. Der Himmel ist durch die vielen Plastikplanen und Palmenmatten, die über den Straßen aufgehängt sind, nur ganz kurz mal zu sehen. So haben wir die Wolkenwand, die da über die Stadt fegt, gar nicht herankommen sehen.
„Hast Du einen Schirm mitgenommen?“
Natürlich nicht. An so etwas denkt man doch bei dem andauernd blauen Himmel nicht. Wir stehen in den Gassen des Souk. Der Regen prasselt herunter. Die Sichtweite hat sich auf etwa 20 Meter reduziert. Es rauscht durch die Plastikplanen hindurch. Schwere Wassersäcke haben sich schon über unseren Köpfen gebildet. Wir wollen zurück, irgendwie zu festen Gebäuden, irgendwo an einen Ort, wo wir trockene Füße behalten werden. Wir drängen uns an die Hauswände unter schmale Vordächer. In der Mitte der Gasse hat sich schon ein kleiner Fluss gebildet, der schnell anschwillt und nicht nur Wasser, sondern auch sehr viel Müll mit sich führt. Sauber ist etwas anderes.
Wir springen von Treppchen zu Treppchen, von Geschäft zu Geschäft. Und jetzt kommt eine Kreuzung zwischen zwei Gassen. Von links, den Hügel herunter, strömt ein zweiter Bach heran. Es ist wie in einem Wassergarten, spannend zu beobachten, welche Wege das Wasser nimmt, das immer wieder umgeleitet wird, weil mitgerissener Unrat kleine Dämme bildet, die dann wieder auseinandergerissen werden. Dann kommt die Flut in geballter Kraft und mit doppelter Wassermasse daher. Nasse Katzen springen uns zwischen die Füße. Die Händler versuchen mit Besen, das Wasser aus ihren Geschäften zu wischen. Und irgendwann ist das Spielchen des Hüpfen über trockene Flecken vorbei. Zu groß ist die Pfütze geworden, zu tief für den Freibord der Sandalen, kein Ausweg, also hindurch. Einmal abtauchen, ein großer Sprung zum nächsten trockenen Flecken, bloß jetzt nicht ausrutschen!
Wir kommen zum Ende der Gasse und stehen, es hat aufgehört zu regnen, vor dem alten Stadttor, das Tunis noch erhalten geblieben ist. Das große steinerne Tor leuchtet im rötlichen Licht der flachen Sonne. Über dem Tor steht, vielleicht als Trost für uns, ein komplett durchgehender Regenbogen, getoppt von einem zweiten, etwas schwächeren Bogen darüber.
Der Frieden ist wieder eingekehrt und wir patschen in unseren nassen Schuhen zum Bahnhof.
Im Fährhafen
Es geht zurück, zurück in den Hafen, in dem wir vor Wochen hier angekommen sind. Drei Stunden vor der Abfahrt sollen wir am Hafenbüro sein, das lediglich durch ein kleines Pappschild ausgewiesen ist. Ein Zufall, wenn man dieses eine Schild nicht übersieht. Bei unserer Ankunft auf dem Parkplatz werden wir sofort von einem beflissenen jungen Mann eingewiesen. Er hätte gerne unsere Reisepässe, würde sich für uns in die Schlange vor das Büro stellen und alle Formalitäten für uns erledigen.
„Sorry, guter Mann. Dafür sind wir schon zu lange in Tunesien. Die Pässe bleiben bei uns, und die Formulare können wir auch selbst ausfüllen.“
Lachend, und gute Laune verbreitend, suchen wir uns einen anderen Parkplatz für unseren Geländewagen.
Nach einer halben Stunde in der Warteschlange bekommen auch wir unsere Fährdokumente. Wir sortieren noch die Papiere, als unser “Freund“ von vorhin als guter Bekannter unvermittelt wieder vor uns steht. Ob wir nicht noch ein kleines Geschenk für ihn und seine vielen Kinder hätten?
„Tut mir leid, da wir keine Devisen ausführen dürfen, haben wir unsere Dinare vollständig ausgegeben, beziehungsweise verteilt. Jetzt, direkt vor der Grenze haben wir kein tunesisches Geld mehr.“
Das Argument zieht. Der Fremde winkt freundlich und wendet sich dem nächsten auf dem Parkplatz ankommenden Wagen zu.
Während der Fahrt durch die einzelnen Stationen im Hafengebäude läuft ein ähnliches Spiel ab, wie bei der Einreise. Viermal insgesamt mussten wir die Hecktüren öffnen. Jedes Mal hatten wir Glück, und wir mussten nicht, wie andere auf den nebenan liegenden Fahrstreifen, unser gesamtes Hab und Gut auf die Straße packen.
Die Zöllner, Grenzbeamten und Polizisten sind zufrieden, als sie in unser gut aufgeräumtes, allerdings mit vielen Schränken bestücktes Fahrzeug sehen.
Zunächst wundert es uns, dass mehrfach unsere Fahrzeugunterseite geprüft wird, und dass einer der Beamten auch auf das Dach blickt, auf dem, außer den beiden Solarpanelen, wirklich nichts zu finden ist. Später geht uns auf, dass man hier verschärft nach Flüchtlingen sucht, die sich, unbemerkt von den Fahrzeughaltern, an die Autos hängen oder sich in von außen zugänglichen Fächern verstecken. Wir haben da nichts zu bieten und zum Glück auch keinen blinden Passagier an Bord.
Das Einweisen für die Fahrt auf das Schiff ist dann wieder in italienischer Hand. Und da spüren wir sofort den Unterschied zu den sanften Anweisungen der Tunesier und dem wilden, hektischen und unabgestimmten Fuchteln der Italiener, die einen immer zu größter Eile anzutreiben versuchen und Schimpfkanonaden loslassen, wenn man ihrer Meinung nach nicht schnell genug reagiert. Doch die Handzeichen der italienischen Crew sind vieldeutig. Die Anweisungen widersprechen oft denen anderer Crewmitglieder, die weiter vorne im Schiff andere Vorstellungen vom Ladevorgang der Fahrzeuge zu haben scheinen. Beinahe wären wir, hätte ich mich auf die italienischen Handzeichen verlassen, rückwärts voll in einen hinter mir vorbeischießenden, noch mit Folie beklebten Neuwagen hineingefahren. Ein kurzer Schatten im Rückspiegel hatte mich gerade noch gewarnt.
„Bella Italia!“
„Wir sind wieder zurück.“
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |