2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
an der Ostküste: El Jem
Das Amphitheater
Schon aus großer Entfernung sehen wir das Amphitheater sich wie ein Sandsteingebirge über der Stadt erheben, um das sich die weißen Häuser von El Jem ducken. Dieser sandsteinfarbene „Berg“ erinnert uns an die Städte der Berber in den Bergen, die durch die vielen in den Fels gehauenen Öffnungen und höhlenartigen Vertiefungen als von Menschen bearbeitete Bauwerke zu erkennen waren. In diesem Fall ist der “Berg“ selbst von Menschenhand geschaffen worden, aus tausenden zig-tonnenschweren Steinblöcken, die über Kilometer hierher transportiert worden sind; und zwar zu einer Zeit, als die technischen Möglichkeiten auf Flaschenzüge, Keile, Rollen und Muskelkraft begrenzt waren.
Wir erfahren, dass in diesem Amphitheater 30.000 Menschen Platz hatten um den grausigen Wettkämpfen zwischen Gladiatoren und wilden Tieren zuzusehen. Aber auch öffentliche Hinrichtungen wurden in dieser Arena zur Schau gestellt. Auf Mosaiken aus der Römerzeit haben wir Darstellungen von gefesselten Delinquenten gesehen, die von ausgehungerten Raubtieren attackiert werden.
Zwei Stunden vor dem Schließen der Tore kommen wir in die Arena, so dass wir in der späten Nachmittagssonne durch das Steingebirge mit den mächtigen Säulen und Bögen wandern können. Neben dem jetzt angenehmen rötlichen Licht und dem nicht mehr zu sehr drückenden Klima im Inneren hat es noch einen weitern Vorteil, erst jetzt gekommen zu sein: die Touristenbusse sind abgefahren. Die tagsüber hier anwesenden Heerscharen von bunt gemusterten oder stylisch angezogenen Menschengruppen bevölkern nicht mehr diese Stätte. So ist es leichter für uns, uns die Zeit vorzustellen, in der genau an diesem Ort die Feste, Kämpfe oder Hinrichtungen stattfanden und tausende von Stimmen das Oval beben ließen. Auf Marmorblöcken sitzende, in Tuniken gekleidete römische Bürger, die nach Ansehen sortiert, weiter vorne oder in größerer Entfernung, den Darbietungen folgen durften.
Jetzt schreiten wir in die “Unterwelt“ hinunter, also dem Backstage in den Kellergewölben unter der Arena, in denen wir durch Gänge laufen, durch die damals auch die Gladiatoren in voller Erwartung auf die Kämpfe geschritten sind, beziehungsweise die Reste der unterlegenen Kämpfer abtransportiert wurden. Wir sehen die Verließe, in denen Gefangene, schuldig oder nur denunziert, in Vorbereitung auf das Gemetzel festgehalten wurden und wir kommen durch die Räume, in denen die wilden Tiere ausgehungert wurden. Und da sind auch die Öffnungen, in denen Aufzüge eingebaut waren, um die Tiere in ihren Käfigen in die Arena zu liften. Man wollte ja nichts riskieren.
Die Schatten werden länger. Wie die Zeiger einer überdimensionalen Sonnenuhr wandern sie über den Grund des Amphitheaters. Das Licht färbt sich rötlich. Es ist Zeit für uns, diesen Ort, der unsere Phantasien beflügelt hat, zu verlassen. Fassungslos über die Größe der Steinblöcke, die in derart große Höhen gehieft wurden, die passgenau von Hand bearbeitet und in die für sie bestimmten Formen gebracht wurden, sodass sie auch jetzt nach fast 2000 Jahren an ihren vorbestimmten Postionen sitzen. Welche architektonische Vorstellungskraft, welche Fähigkeiten des Managements, welche logistischen Herausforderungen mussten bewältigt werden, um ein solches Bauwerk zu erschaffen.
Aus der Literatur erfahren wir, dass diese Arena von den Bürgern der Stadt “Thysdrus“, durch die Olivenölproduktion zu großem Reichtum gekommen, innerhalb von acht Jahren errichtet wurde. Das Bauwerk sollte ein Zeichen ihres Wohlstands sein. Doch es konnte jedoch nicht vollendet werden.
Die gesamte Stadt wurde noch vor Vollendung des Amphitheaters wegen schwerer Verfehlungen gegenüber den Machthabern von der römischen Zentralmacht zerstört.
Von diesen Strafmaßnahmen hat sich die El Jem nie mehr erholen können. Immerhin können die Einwohner des heutigen kleinen Städtchens das übergroße Amphitheater jetzt 2000 Jahre später noch dazu nutzen, ihre Stadtkassen aufzubessern und etwas Tourismus hierher zu bringen.
Wir waren gerade in der drittgrößten Arena des römischen Reiches.
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |