2023 Mit einem Geländewagen durch Albanien und Nordmazedonien
In den Bergen im Süden: Gjirokastra
Im Zekate-Haus
Um mich herum ist alles in rötliches Licht getaucht. Ich liege weich, liege in einem großen, mit altem Holz getäfelten Raum und höre meine Begleitung flüstern:
"Da kommt jetzt jemand." "Wir müssen uns wieder hinsetzen."
Sofort bin ich hellwach. Es schwindelt mich. Doch ich finde mich wieder zurecht.
Wir befinden uns in dem Festsaal des Zekate-Hauses. Eines der vielen etwa 200 Jahre alten Häuser in der albanischen Stadt Gjirokastra. Dieses Haus ist von den Besitzern im alten Stil wieder aufgebaut und eingerichtet worden, um es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich liege auf einem Diwan vor dem großen Kamin mit einem weichen Kissen unter dem Kopf, bin wohl kurz mal richtig runtergefahren und habe Energie getankt. Jetzt hören wir die schweren Schritte auf den knarzenden Holzdielen. Andere Besucher sind auch bis in diese oberen Räume vorgedrungen und werden wohl bald die Köpfe durch die vertäfelten Türen stecken.
eine katastrophale Nacht
Die letzte Nacht, die wir auf einem familiären Campingplatz hier in der Nähe verbracht hatten, war die reine Katastrophe. Der Platz selbst war nett hergerichtet, doch wir schliefen im Zeltdach unseres Geländewagens direkt neben einer auch in der Nacht stark befahrenen Straße. Durch jedes Fahrzeug, das an uns vorbei rauschte, schreckten wir aus dem Schlaf. Doch das Schlimmste waren die Hunde auf der anderen Seite des Zaunes, die wie panisch in angstvollem Gekläffe durchgehend unterwegs waren, als wollen sie permanent ein Wolfsrudel davon abhalten, an die Schafe zu gehen.
Bei diesem schrillen, nach Luft schnappenden, in Wellen herausgestoßenen Kläfflauten versagten die Ohrenstopfen vollkommen. Und die Hoffnung, dass die Hunde irgendwann mal heiser werden müssten, hatten wir auch bald aufgegeben. Erst bei Sonnenaufgang, als die ersten Traktoren wieder auf der Landstraße an uns vorbei röhrten, beruhigten die Hunde sich langsam.
Mit einem "schönen guten Morgen" wurde ich von unseren Nachbarn auf dem Platz begrüßt.
Na, das kann ja heiter werden. Mit vor Müdigkeit heraustretenden Augen schleppte ich mich am Morgen unter die Dusche und erwartete sehnlichst den ersten Schluck Kaffee, der meine Sinne wieder ordnen sollte.
Unsere Ankunft in der Stadt
Unser Navi soll uns zu dem kleinen Parkplatz unterhalb der Burgmauern leiten. Jetzt lernen wir das echte Wesen der Stadt kennen. Im spitzen Winkel führt die Straße von der Hauptstraße ab und strebt steil bergan auf eine kleine Häusergruppe zu.
Zwischen den Häusern geht es in Schleifen hindurch, über Kreuzungen hinüber und immer wieder in eine der Lücken hinein, hinter der sich eine Fortführung der Straße findet, die sich jetzt in Serpentinen den Berg weiter hinaufwindet. Die Straßen sind jetzt nicht mehr geteert. Der Belag besteht aus großen, gehauenen Steinen, so glatt, dass die Reifen in jeder Kurve quietschende Geräusche von sich geben.
Die Passagen zwischen den hervorspringenden Häusern werden enger und enger. Für Serpentinen ist jetzt klein Platz mehr. Neben den Spiegeln ist auf beiden Seiten nicht mehr als 10 cm Raum frei. Über uns schieben sich die hervortretenden Dächer und Balkone in den Weg.
"Bin ich froh, dass unser Wagen nicht breiter und auch nicht höher ist".
Unweigerlich halte ich das Lenkrad fester, als die Kühlerhaube nur noch steil gen Himmel strebt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr gibt. Mir bleibt der Atem weg. Der Motor darf jetzt nicht schlapp machen. Immer nur vorwärts. Wir müssen hier durch. Und dann: ein erlösender Platz, auf dem Fahrzeuge stehen. Keiner von denen ist uns auf diesem Ritt entgegengekommen !
Aber es ist noch nicht zu Ende. Wieder gibt es auf dem Platz eine kleine Lücke, in die wir laut Navi hineinschlüpfen sollen. Noch einmal geht es für 100m bergan, zwischen eng beieinander stehenden Häusern hindurch. "Es muss doch mal ein Ende haben", und dann haben wir den Zenit erreicht. Wir folgen dem Steinpflaster über einen Buckel, nach dem es genau so eng und genau so steil wieder bergab geht. Aber nicht lange, und rechts neben uns tut sich eine tiefe Schlucht auf, in die wir nun hineinblicken können. Hinter dem kleinen Mäuerchen neben uns geht es wohl 100m in die Tiefe. Jetzt sehen wir den Parkplatz auf der anderen Seite. "Wir haben das Ziel erreicht."
Jetzt befinden wir uns bereits auf der Höhe der Burg. Auf dem Parkplatz sind noch zwei Plätze frei. Wir sind also nicht umsonst hier herauf gekommen.
Es steht dort auch ein Streifenwagen der Polizei.
"Sollen wir nicht besser gleich die nächste Übernachtung klar machen?"
Wir sprechen die Polizisten auf englisch an. Einer von ihnen wird vorgeschoben. Er kann uns offensichtlich besser verstehen, als die anderen.
"You want to stay here during the night in your car?" Wir nicken eifrig.
"That is no problem at all. Enyoy it"
Das ist ja jetzt klasse. Wir haben die Erlaubnis der Polizei, heute nacht auf diesem Parkplatz zu stehen. Dann scheint es mit der Sicherheit auf diesem Platz auch kein Problem zu geben.
Unser Auto steht jetzt etwa einen Kilometer vom osmanischen Zentrum der Stadt entfernt. Als Fußgänger haben wir aber nur einen Fußweg von etwa 200 m zurückzulegen.
Das Geheimnis dafür ist ein Fußgängertunnel, der unter der Burg hindurch direkt in die Stadt führt.
Glatte, unregelmäßige runde Steine bilden das Pflaster in diesem Tunnel. Es zieht hier ein kalter Luftstrom hindurch. Beleuchtet wird der Weg durch wenige Glühbirnen, die die glattgelaufenen Steine glänzen lassen, als wären sie nass. Die Wände links und rechts bestehen aus grobem Beton.
"Wieso wurde hier solch ein aufwändiger Tunnel durch den Berg gebaut?"
"Doch bestimmt nicht für die paar Touristen, die auf dem Parkplatz stehen."
Wir vermuten, dass dieser Berg für verschiedene Zwecke völlig durchbohrt ist. Es gibt hier ja auch den atomsicheren Rückzugsbunker, der vom kommunistischen Regime gebaut wurde und schon zu Ali Pashas Zeiten wird man den Fels für Fluchtwege oder geheime Zugänge der darüber liegenden Burg genutzt haben.
An mindestens zwei Stellen in dem Fußgängertunnel können wir verschlossene Quergänge in den Betonwänden seitlich erkennen. Wahrscheinlich ist dieser Tunnel ein Teil eines ganzen Tunnelsystems im Berg, der heute praktischerweise als Abkürzung von Fußgängern genutzt werden darf.
In Gjirokastra (oder auch Gjirokastër)
Wir sind in Gjirokastra angekommen, der Stadt in den Bergen, die von dem kommunistischen System nicht in eine "moderne" gesichtslosen Wohn- und Arbeiterstadt verändert wurde, wie die meisten Städte und Orte in diesem Land. Enver Hoxha hatte seine Geburtsstadt Gjirokastra 1961 zur Museumsstadt seines Regimes erklärt. So durfte sie ihr Gesicht behalten und ist heute Teil des Weltkulturerbes. Das Problem liegt heute nur in den vielen heruntergekommenen Gebäuden, die dringend saniert werden müssten, wofür allerdings in den wenigsten Fällen die finanziellen Mittel vorhanden sind, so dass viele Häuser mehr und mehr zusammenfallen.
viele Häuser sind dem Zerfall ausgeliefert, weil die Gelde für die denkmalgerechte Renovierungen fehlen
Die Burg von Ali Pasha
Über der Stadt liegt die gewaltige Burg, die "Ali Pasha von Tepelena" dort errichten ließ und die von allen Invasoren der Stadt immer weiter ausgebaut und zuletzt bis in die sechziger Jahre als Internierungsfestung verwendet wurde.
die Oberstadt aus osmanischer Zeit
Die Stadt selbst ist in ihrem oberen, dem osmanischen Teil, weitgehend renoviert, ist für Touristen hergerichtet, bietet jede Menge an Restaurants, Andenkenläden und Guest Houses und wird von Menschen aus aller Welt besucht - quirlige Geschäftigkeit. Häufig werden wir gebeten, in die Läden zu kommen und uns die Waren anzusehen. Doch sind die Albaner sehr viel zurückhaltender, als die Nordafrikaner, die wir im letzten Jahr kennengelernt haben.
Ein freundlicher Blick, ein "nein, danke schön" und man wird in Ruhe gelassen und nicht weiter bedrängt.
Schnurgerade, steile Straßen führen in die tiefer gelegenen Stadtteile. Die Straßen sind auch hier geradezu irrwitzig, mit engsten Haarnadelkurven, die Hänge hinabgeführt und ausnahmslos mit grob behauenen schwarzen und rosa Specksteinen ausgelegt. Es ist ein hübsches Bild, denn die Steine sind alle in schwarzen und rosa Streifen angeordnet, mit einem schwarzen Längsband in der Mitte.
Doch wir sind als Fußgänger hier nicht alleine auf diesen Wegen. Durch all' diese Straßen fahren Autos zu ihren Garagen, klettern mit qualmenden Abgasen den Hang empor, ändern mit quietschenden Reifen die Fahrtrichtung, setzen in den steilen Kurven mehrfach vor und zurück, um um die Haarnadeln herumzukommen und schrabben auch nicht selten über die hohen Kanten, die durch die Enge der Kurven auf den Straßen notwendigerweise bestehen. Ein ständiges Aufpassen und hoffen, dass diesen Mal die Kurve ohne Aufsetzer geschafft wird.
das Zentrum in der Unterstadt
Im unteren, ebenen Teil der Stadt lebt die einheimische Bevölkerung. Hier gibt es kleine Märkte, Wohnhäuser in Plattenbauweise, Schulen und zum Beispiel auch das Fußballstadion, umgeben von hohen Wohngebäuden. Es ist schon grotesk, bei all dieser Enge der Wohnungen und der Straßen diese große, grüne, ebene Fläche mitten in der unteren Stadt zu erblicken.
Hier im unteren Teil lassen wir es uns abseits der Andenkenläden bei Kaffee und Gebäck gut gehen, wohl wissend, dass wir den Aufstieg in den oberen Teil der Stadt noch vor uns haben.
Abends in der Oberstadt
Da wir unseren Wagen so zentral haben abstellen können, laufen wir am späten Abend noch einmal in den touristischen Teil der Stadt, um uns ein Bier oder einen Cocktail zu gönnen.
So beleuchtet sieht die Stadt hier oben wieder ganz anders aus. Aus vielen Restaurant, die jetzt alle geöffnet haben, klingt Musik. Überall sitzen die Menschen auf den schrägen Bürgersteigen bei Pizza und gegrilltem Fleisch. Tausend Düfte steigen in unsere Nasen. Doch wir können uns nicht entscheiden, uns dazuzusetzen, bis wir schließlich eine kleine Bar finden, in der viele ältere Männer beim Raki hocken.
Hier finden wir ein wackeliges Tischchen auf dem Steinpflaster und nehmen uns eine Dose "Elbar"-Bier aus dem Kühlschrank. Ich bekomme das Bier mit einem eiskalt benebelten Glas serviert. Wir sitzen hier unter den Einheimischen und beobachten die Ladenbesitzer, die hier bis spät in der Nacht ihre Waren anbieten.
Gegenüber entdeckt Gabi einen Popcorn-Verkäufer. Ich renne schnell über die Straße und hole für 100 LEK eine Papiertüte gesalzenes Popcorn, das wir uns als Beilage für das Bier schmecken lassen.
Aber auch wir werden von den Einheimischen um uns herum beobachtet. Als uns beim zweiten Bier das Popcorn ausgegangen ist, sehen wir den Ladenbesitzer mit einer Chipstüte aus dem kleinen Supermarkt an der Ecke kommen, und zwei Minuten später bekommen wir, ohne dass wir gefragt hätten, ein Tellerchen mit Kartoffelchips auf das wackelige Tischchen gestellt. Viele lachende Gesichter um uns herum freuen sich mit uns. Wir tauschen ein paar englische Brocken mit den anderen aus und fühlen uns sehr angenommen. Nein, Unsicherheit gegenüber dem Fremden oder irgendeine Gefahr spüren wir hier in keinster Weise.
Aufbruch: | 15.05.2023 |
Dauer: | 12 Wochen |
Heimkehr: | 06.08.2023 |