2023 Mit einem Geländewagen durch Albanien und Nordmazedonien
Nordmazedonien: Tetovo
"Das wird so richtig heiß sein im Auto, wenn wir heute Abend wiederkommen", sage ich zu Gabi.
Der Wagen steht voll in der Sonne, hier mit all seinen vier Rädern auf dem Bürgersteig neben der Mauer am Flüsschen 'Pena', das in einem Bett aus Stein durch Tetovo geleitet wird. Viele Wagen parken auf diesem Gehweg, der für seinen eigentlichen Zweck sowieso nicht zu benutzen ist. Also haben wir uns herausgenommen, auch unser Gefährt dort abzustellen.
Ein Pferd im Fluss
Mit Wasserflasche und Kamera bepackt wandern wir los, um uns diese Stadt im Westen Nordmazedoniens anzusehen. Nachdem wir das alte, aber sehr gut renovierte Badehaus passiert haben, heute wird darin nicht mehr gebadet, eine Galerie ist eingezogen und öffentlich zugänglich, sehen wir im Flüsschen neben uns ein Pferd stehen. "Ein Pferd !" Drei Meter unter uns zwischen den hohen Steinwänden steht es mit den Hufen im Wasser. Es ist vor einen Wagen mit großen Gummirädern gespannt. Zwei Männer laufen barfuß im kalten Wasser herum und scheinen etwas zu suchen. Schließlich bückt sich der eine von ihnen. Er zieht ein langes Rohr unter den losen Steinen hervor. Jetzt fällt mir auch das eiserne Werkzeug in der Hand des anderen Mannes auf.
Die beiden suchen Metallteile, um diese dann auf einem Schrottplatz verkaufen zu können. Den Pferdewagen haben sie mitgenommen, damit sie die Beute abtransportieren können. Warum der allerdings durch das grobsteinige Flussbett gezogen werden muss, ist uns ein Rätsel.
Einer der beiden Männer springt jetzt auf den Wagen und gibt dem Pferd das Kommando, vorwärts zu gehen. Vorsichtig setzt es seine Hufe auf die glitschigen Steine, während hinter ihm der Wagen mit seinem "Kommandanten" darauf in großen Sprünge über die Findlinge hoppelt. Welch ein mühsames Beschaffen von Werten müssen die beiden da unten im kalten Wasser ausüben, um ihre Familien zu ernähren. Doch scheint ja regelmäßig genügend Material im Fluss zu landen, von dem es sich lohnt, es wieder herauszuholen.
Es sind nur wenige aber eindrucksvolle Minuten für die sich uns dieses seltene Schauspiel bietet. Dann sind sie hinter der nächsten Biegung verschwunden.
Wir biegen ab in die Stadt, um uns das Derwisch-Kloster des Bektashi-Ordens anzusehen. Eigentlich handelt es sich hier nicht um ein Kloster, sondern um eine Tekke, dem Zentrum einer Sufi-Bruderschaft. Das Wort "Kloster" wird nur in Anlehnung an die christliche Vorstellung eines religiösen Rückzugsortes in unserem Sprachgebrauch verwendet.
Gegenüber dem Eingang der Arabati-Baba-Tekke soll es ein kleines, aber feines Restaurant geben, in dem "von Muttern" leckere Speisen gekocht werden. Das motiviert uns, unseren aufkommenden Hunger noch etwas zu unterdrücken, bis wir dort sind.
Wir kommen durch einen kleinen lebendigen Stadtteil. Auf einem Plakat sehe ich einen übergroßen Schuh, der vorne mit einer Kordel zusammengebunden ist, das Werbeplakat eines Schuhmachers.
"Hey, hier könnten wir Deine Schuhe zur Reparatur abgeben, wenn er nicht schon geschlossen hätte", sage ich zu Gabi. Einer ihrer Sandalen hatte gestern seinen Riemen ausgerissen.
"Wenn wir morgen wieder hier in der Stadt sind sollten wir daran denken."
echter oder unechter Deutscher
Auf unserem Weg zur Tekke wundern wir uns über die vielen deutschen Kfz.-Kennzeichen, die hier in Tetovo überall zu sehen sind. Wir wussten bisher gar nicht, dass Nordmazedonien bei den deutschen Urlaubern so beliebt ist. Etwa jeder zehnte Wagen kommt aus Deutschland.
Als uns eine Familie, die aus einem dieser Wagen aussteigt, in fließendem Deutsch anspricht, fällt es uns wie Schuppen von den Augen. Der slawische Akzent ist nicht zu überhören.
All die Autos sind zwar in Deutschland angemeldet, die Familien darin sind aber Mazedonier, die in Deutschland leben und hier Heimaturlaub machen.
Vor ein paar Tagen haben in Nordrhein-Westfahlen die großen Ferien angefangen. Jetzt fahren überall in der Stadt schicke Autos mit deutschen Kennzeichen und uns fällt auf, wie viele Menschen aus Nordmazedonien in Deutschland arbeiten, dort ihr Leben eingerichtet haben und ihre Kinder zur Schule gehen lassen.
Na klar, vor Jahrzehnten kamen ja viele aus dem ehemaligen Jugoslawen als Gastarbeiter nach Deutschland, deren nachfolgende Generationen jetzt immer noch bei uns leben.
Wir fragen vor den Cafés auf dem Bürgersteig sitzende Männer nach dem Weg zur Tekke. Unser vorsichtiges "do you speak english" wird meistens auf Deutsch beantwortet. Häufig wird uns gleich erklärt, wie lange man in Deutschland gearbeitet hat und in welcher Stadt noch ein Bruder oder ein Onkel lebt. Oft ist für uns bei diesen kurzen Gesprächen auch ein kölner, münchner oder norddeutscher Zungenschlag zu erkennen.
Uns hat man nach unserer vorsichtigen Kontaktaufnahme sofort als Deutsche eingestuft, will wissen, wo wir herkommen, wo wir schon überall gewesen sind und wie uns Nordmazedonien gefällt. Natürlich versuchen wir, unsere positiven Erlebnisse in den Vordergrund zu stellen, wir erwähnen die Freundlichkeit der Menschen, deren Hilfsbereitschaft und die wunderbare Natur. Im Gegenzug freuen wir uns darüber, dass wir nur Gutes über unser Heimatland zu hören bekommen. Unsere Nation ist trotz allem, was sie in der Welt angerichtet hat, im Allgemeinen sehr positiv angesehen. Und auch Hamburg, die Stadt in der wir leben, hat einen hohen Stellenwert. Einmal hatte mich ein Mazedonier gefragt:
"Bist Du ein echter oder ein unechter Deutscher?" Damals war ich etwas perplex, so etwas gefragt zu werden. Ich wusste mit dieser Kategorisierung nichts anzufangen. Jetzt geht mir im Nachhinein ein Licht auf.
Die Arabati-Baba-Tekke
Nach vielen Schritten durch die heiß brennende Sonne finden wir schließlich die Arabati-Baba-Tekke. Der Eintritt ist für jeden frei. Wir dürfen unbehelligt durch den gepflegten Garten flanieren, uns vor der Moschee unter schattenspendenden Bäumen ausruhen, an den vielen sprudelnden Brunnen erfrischen und uns unseren Gedanken hingeben. Der Ort ist von einer angenehmen Ruhe. Einige der Gebäude sind bereits renoviert, andere in stark marodem Zustand. Wir haben gelesen, dass dieses Gelände vom türkischen Staat aufgekauft worden ist, der aber nicht genug finanzielle Mittel zum Überleben bereit stellt. Die Bektashi sind Anhänger einer gemäßigten Form des Islam, die die Verschleierung der Frauen ablehnen und sogar einen bestimmten Alkoholkonsum zulassen. Ihre Derwische nehmen bei ihren Tänzen spirituellen Kontakt zu höheren Mächten auf. Diese freieren Regeln und Praktiken werden nicht von allen Muslimen gut geheißen. Wir vermuten, dass deshalb die finanzielle Unterstützung geringer ausfällt, als es erforderlich wäre.
Jetzt sitzen wir im Café "Arabati", außerhalb der Mauern der Tekke. Auch in diesem Café werden wir von einem älteren Herren, der 30 Jahre lang in Deutschland gearbeitet hat, fließend in unserer Sprache angesprochen. Leider ist dieses Restaurant heute nur noch ein Café, nachdem "Muttern" das Zeitliche gesegnet hat. Wir bestellen also einen 'Griechischen Kaffee', und bekommen große, fragende Augen als Antwort zu sehen.
"Oh Verzeihung, nein, wir möchten einen 'Türkischen Kaffee'.
Das ist zwar im Prinzip dasselbe, nämlich in einem Henkeltöpfchen mit etwas Zucker frisch aufgebrühtes, fein gemahlenes Kaffeepulver, jedoch kommt es hier in Mazedonien nicht so gut an, wenn man von einem 'Griechischen Kaffee' spricht. Hier sollte man lieber einen 'Türkischen Kaffee' verlangen.
Wir bekommen mit, wie ein Gast und der Wirt uns beobachten. Schließlich kommen wir ins Gespräch, sprechen über das Übliche "woher-wohin", hören von den Erfahrungen der Ex-Jugoslawen, die in Westberlin arbeiten und in Ostberlin billig wohnen konnten und erfahren von den öffentlich zugänglichen Mineralquellen ein paar Kilometer oberhalb im Fluss.
"Ein guter Ort, um auf dem Parkplatz dort die Nacht dort zu verbringen", denken wir dabei.
"Dann könnten wir direkt morgen noch einmal hierher kommen und beim Schuster die Sandalen reparieren lassen".
Wir wollen unsere Getränke bezahlen, doch winkt der Wirt nur ab. "Nein, nein, Ihr seid meine Gäste. Das geht auf Kosten des Hauses".
Ehrlich gesagt ist uns das jetzt direkt etwas peinlich, doch er besteht darauf, uns bewirten zu dürfen. "Faleminderit", erwidern wir freundlich - in diesem Gebiet wird albanisch gesprochen. Der Wirt freut sich, dass wir uns in seiner Sprache bedanken können.
Bei den Mineralquellen
Es sprudelt um unsere Waden aus dem Boden heraus. Wir stehen mit beiden Beinen im kalten Wasser des Flusses und lassen uns das heilende Wasser um die Beine streichen. Oberhalb der Mauer, mit der dieser Fluss hier eingefasst ist, gibt es zwei Becken, eines für Männer, eines für Frauen, in die man über gemauerte Treppen leicht in die Mineralfluten gelangen kann. Doch auch im Fluss selbst sprudelt es an einigen Stellen wie in einem Whirlpool. Einige von ihnen sind von lose aufgeschichteten Steinen eingefasst und mit Brettern zum Sitzen versehen.
Da wir hier auf dem großen Parkplatz übernachtet hatten, sind wir heute früh genug dran, um auch eines dieser Sprudelbecken nutzen zu können. Frisch ist das Wasser, leicht salzig, und so kalt, dass wir nicht länger als eine viertel Stunde darin verbringen mögen.
Wieder kommen hier Familien mit Fahrzeugen aus Remscheid, Duisburg, Hannover und Bremen an. Wieder werden wir auf Deutsch angesprochen. Wenn man hier in der Urlaubszeit deutscher Bundesländer ist, kann man wirklich nicht verloren gehen.
einige der Quellen sind von lose aufgeschichteten Steinen eingefasst und mit Brettern zum Sitzen versehen
Der Schuhmacher
Die Schuhe, die wir um vier Uhr abgegeben haben, sollen wir um sechs wieder abholen. So haben wir nun zwei Stunden, um uns die Zeit im Städtchen zu vertreiben. Auffällig sind die vielen Schaufenster mit Hochzeitskleidern und glitzernden Stoffen, die bis hoch unter die Decken aufgestapelt sind. Auch goldene Schmuckgehänge gibt es hier an jeder zweiten Ecke.
Offensichtlich ist Tetovo der Ort, in dem man sich für die Hochzeit ausstattet. So viele Ausstattungsgeschäfte sind uns bisher in noch keiner anderen nordmazedonischer Stadt aufgefallen.
Mütter stehen mit Ihren sehr jungen Töchtern in den Läden. Eltern aus Düsseldorf stellen sich uns vor und präsentieren ihre heiratswilligen Kinder. Hände werden geschüttelt, "Alles Gute" und "Glück für die Zukunft" wird gewünscht. Die Menschen scheinen freudig überrascht zu sein, hier unter den vielen 'unechten Deutschen' auch mal zwei 'echte Deutsche' zu treffen.
Mit einer Eiswaffel in der Hand, die wir übrigens auch geschenkt bekommen haben - "nein, das ist ein Geschenk, punktum" - machen wir uns wieder zu unserem Schuster auf den Weg.
Es ist Schlag sechs, als wir vor seinem geschlossenen Laden ankommen. Eine Telefonnummer steht an seiner Ladentür. Doch wir brauchen nicht anzurufen. Ein anderer Kunde hat schon sein Telefon am Ohr.
Mit einer Entschuldigung, dass er nach seinem Mittagsschlaf noch essen musste, bittet der Schuhmacher uns in seinen Laden. Nein, wir brauchen uns nicht hinzusetzen, wir wollen doch nur die fertigen Schuhe abholen. Dennoch werden wir auf zwei Schemel gebeten. Der Ladenbesitzer von gegenüber kommt mit zwei Händen gerösteter Mandeln vorbei und drückt sie uns in die Hand. "Kommt hinterher in meinen Laden. Da könnt Ihr Kaffee, Chips und Nüsse kaufen."
Jetzt, wir trauen unseren Augen kaum, holt der Schuster Gabis Sandalen aus einem Fach hervor.
Von wegen: "um sechs könnt ihr sie abholen". Er hat noch keinen Handschlag getan und fängt jetzt an, sich die abgerissene Stelle genau anzusehen.
"Na, das kann ja jetzt dauern." Wir fügen uns in unser Schicksal, essen keine der geschenkten Nüsse, denn da mangelte es uns an einer gewissen Hygiene, und sehen zu, wie der Schuster die Sandalen in die Klammern setzt, nachdem er Sekundenkleber auf die Schuhe getropft hat.
Nach einer Viertelstunde Wartezeit sind die Schuhe repariert. Wir bedanken uns, zahlen die gewünscht 300 Denare und gehen wieder zum Auto zurück.
Die bunte Moschee . . .
. . . ist eines der Wahrzeichen von Tetovo. Das Gebäude selbst steht etwas unscheinbar an einer Straßenecke, eingefriedet von einer Mauer in einem gepflegten Garten. Es fehlt die für eine Moschee so typische gewaltige Kuppel, die uns sonst muslimische Gotteshäuser erkennen lassen. Das vierflächige Walmdach besteht aus einfachen roten Tonziegeln, mit denen auch viele andere Häuser in dieser Gegend gedeckt sind. Nur die Außenwände springen uns sofort ins Auge. Vollkommen mit farbigen Mustern (Arabesken) bemalt, geben sie uns den Hinweis darauf, dass es sich hier um ein aufwändig gepflegtes und in liebevoller Kleinarbeit gestaltetes Gebäude handelt.
Und das beste für uns ist: man darf sie auch als Nichtmuslim besichtigen. Als wir am Nachmittag hier vorbei kamen, rief der Muezzin gerade zum Gebet, und viele Gläubige eilten herbei. Jetzt gerade wird die Moschee nicht für das Gebet genutzt, und sie kann von uns gegen eine freiwillige Spende besichtigt werden. Gabi hat vorsichtshalber ihr großes Seidentuch zum Bedecken von Schultern und Haaren mitgenommen, so dass wir jetzt die Möglichkeit haben, die korrekte Kleidung überzuziehen.
Wir stehen unter der riesigen Kuppel, die sich über den roten Teppich spannt. In unzähligen feinsten Details ist das gesamte Halbrund über uns ausgemalt, und auch die Wände der Moschee sind bis ins Äußerste aufwändig farbig dekoriert. Es ist überwältigend. Wir stehen ehrfurchtsvoll und staunend in dem stillen Raum. Keine Personen, keine Gesichter sind hier abgebildet, nur Arabesken, Blumen und Ornamente in klaren Farben mit klaren Konturen.
Zu meinem Bedauern ist das Fotografieren im Innenraum mit einer Kamera nicht erlaubt, wie wir von der Aufsicht erfahren, die auch auf das Einhalten der korrekten Bekleidung achtet.
Mit einem Handy dürfen wir aber Bilder machen, obwohl draußen vor der Moschee ein Schild hängt, dass Handys nicht mit hineingenommen werden dürfen. Wir haben uns an die widersprüchliche Anweisung gehalten und nicht weiter diskutiert.
Aufbruch: | 15.05.2023 |
Dauer: | 12 Wochen |
Heimkehr: | 06.08.2023 |