2023 Mit einem Geländewagen durch Albanien und Nordmazedonien
In den Bergen im Süden: Korça
im Café auf der Veranda über dem Markt
Da steigen wir nun die Stufen zu der Veranda hinauf, auf der ein Pappschild hinweist, dass dort oben ein Café sei. Drei ältere Männer sitzen an dem einen der Tische. Ein räudige Katze liegt unter dem zweiten Tisch. Sie muss weichen, als wir uns die Stühle zurecht rücken.
Der Wirt dieses Cafés, einer der dort sitzenden Männer, bestätigt, dass es bei ihm einen Espresso gäbe. Also legen wir unsere Sachen ab.
Dann sagt er etwas von "Raki", doch wir lehnen ab.
"No, no", zu dieser Tageszeit bitte noch keinen Raki.
Bald darauf bekommen wir zwei Espressotassen, zwei Gläser mit Wasser und ein weiteres Glas, halbvoll mit einer durchsichtigen Flüssigkeit auf den Tisch gestellt.
"Raki ?", fragen wir und versuchen, ihm klar zu machen, dass wir jetzt auf keinen Fall Alkohol zu uns nehmen werden. Er lacht, nimmt sein Glas an den Mund und nimmt einen guten Schluck.
Auch die anderen beiden am Nachbartisch werden kein Wasser in den Gläsern haben, an denen sie von Zeit zu Zeit nippen.
Eine Konversation ist für uns in diesem Land nur selten möglich. Wir können ihm nur erzählen, dass wir aus Gjermanj kommen, und zwar aus Hamburg. Ja, das war den dreien ein Begriff.
Sie sprachen über uns, wir beobachteten sie. Und immer wieder kam die Aufforderung, den Raki zu probieren.
Was wir auch noch verstanden hatten, war die Zeichensprache des Wirtes. Er zeigte auf seine und unsere Augen und auf sein Herz, was soviel bedeuten sollte wie:
"Wir verstehen uns auch ohne Worte. Wir sprechen mit den Augen und unserem Herzen." Und so war es auch. Es war angenehm, bei diesen wildfremden Männern zu sitzen und das Drumherum zu beobachen. Wir fühlten uns wohl dabei.
Um seinen selbstgebrannten Raki nicht vollends zu verschmähen, träufelte ich mir die edlen Flüssigkeit in den Espressolöffel und probierte sie. Der Raki war eigenartig mild und fruchtig. Gar nicht scharf im Rachen, mit einem lieblichen Aroma, als er die Zunge benetzte. Schade auch, das wir mit dem Alkohol zur Mittagszeit so unsere Prinzipien haben. Und dann hatte ich eine Idee.
Ich wollte ihm eine ganze Flasche abkaufen. So etwas Gutes bekommt man nicht im Laden zu kaufen.
Ich bedeute dem Kaffeehauswirt, dass ich ihm in seinem Laden etwas zeigen möchte. "Raki" versteht er. Ich zeige auf eine Flasche, und er versteht, dass ich seinen Raki in einer Flasche mitnehmen möchte. Flugs hat er irgendwo eine alte Plastikflache mit einem Restinhalt hervorzezogen, schüttet den Inhalt in den Abfluss der Spüle und möchte mir meinen Wunsch erfüllen.
"No, no, no", unterbreche ich ihn in seinem Tun und zeige auf eine Glasflasche, denn ich denke immer noch, dass dieser Raki in Glasflaschen gehandelt wird.
Der Alte versteht, überlegt, ob er auch eine saubere Flasche hat, greift in den Kühlschrank, holt eine neue Wasserflasche heraus und gießt den Inhalt in den Abfluss.
"Gut so?" fragt er offensichtlich in seiner Sprache
"Ja, so ist es gut"
Dann füllt er aus einer uralten großen Glasflasche mit einem aufgesetzten Flaschenausgißer die durchsichtige Flüssigkeit in die frisch geleerte Plastikflasche. Nur ein bisschen, eben nur soviel, wie auch in ein Schnapsglas gefüllt werden würde. Ich nicke heftig und zeige, dass es ruhig ein bisschen mehr sein dürfe. Er füllt noch eine kleine Menge nach. Dann zeige ich, dass er die Flache gerne zu dreiviertel voll machen dürfe. Ich würde es ihm auch bezahlen.
Ein Strahlen geht über sein Gesicht. Er nimmt den Flaschenausgießer ab und füllt die Plastikflasche so hoch voll, wie ich es ihm gezeigt hatte. Mein Daumen geht nach oben.
Er verschließt sorgfältig meine Plastikflasche. Er überreicht sie mir feierlich, und wir gehen beide wieder nach draußen auf den Balkon.
Ich deute ihm an, dass ich jetzt die beiden Espressi und den Schnaps bezahlen möchte.
"Ja, was kann er wohl kosten, der Sebstgebrannte?"
Ich gebe ihm 1000 Lekë. Vertrauen gegen Vertrauen.
Er soll mir das Restgeld wieder herausgeben. Nachdem er aus seinem Laden wieder auftaucht gibt er mir 500 Lekë zurück. Das war bestimmt kein schlechter Handel für mich, wenn man bedenkt, dass die beiden Kaffeegetränke auch 100 Lekë kosten. Außerdem hat er auch noch eine Wasserflasche für mich geopfert.
Wir packen unsere Sachen zusammen und verabschieden uns von den anderen Gästen auf der Veranda. Der Wirt lässt es sich nicht nehmen, vor uns die Treppe herunterzusteigen, und uns unten mit einem festen, freundschaftlichen Handschlag zu verabschieden. Wir schlagen gerne ein. Seine linke Hand führt er dabei auf sein Herz. Seine Augen leuchten. Welch' eine Geste, und welch ein emotionales Erlebnis für uns. An diesem Ort haben wir Spuren in den Köpfen der Fremden hinterlassen.
die neu errichtete Kathedrale von Korça
Heute lassen wir uns bei schönstem Sonnenschein durch die Stadt treiben, kommen an der großen orthodoxen Kirche von 1992 vorbei, die an eine Zuckertorte erinnert. Viele der Kirchen und Moscheen wurden in der kommunistischen Zeit dem Erdboden gleich gemacht, und einige von ihnen wurden in den neunziger Jahren wieder aufgebaut. Innen sind makellos bemalte Wände und Kuppeln zu sehen. Riesige mit Schnitzereien verzierte Kronleuchter aus Holz schweben an der Decke. Es ist alles so neu, von der Witterung noch nicht angegriffen, wie wir es in noch keiner Kirche gesehen haben.
Wir schlendern weiter durch die Stadt, lassen uns von unseren Eindrücken treiben und erleben eine lebendige, facettenreiche Stadt.
Der früher einmal lebendige Bazar, in dem die Händler aus der ganzen Gegend Ihre Waren verkauften wurde im Rahmen von "Verbesserungsmaßnahmen" vollständig saniert.
der alte Markt wurde "kaputtsaniert" und für die Touristen in eine Fressmeile mit Andenkenläden sterilisiert
Den Markt in seiner alten Form gibt es heute nicht mehr
Die Mieten sind so hoch, dass die gewöhnlichen Händler sie nicht mehr bezahlen konnten. Sie haben sich heute in ein anderes Stadtviertel zurückgezogen und verkaufen ihre Waren in ehemaligen Lagerhallen. Die bunte Vielfalt hat sich auf Restaurants und Andenkenläden reduziert.
ein Besuch bei der Korça-Brauerei
Aufbruch: | 15.05.2023 |
Dauer: | 12 Wochen |
Heimkehr: | 06.08.2023 |