2023 Mit einem Geländewagen durch Albanien und Nordmazedonien

Reisezeit: Mai - August 2023  |  von Michael Bünte

Der Kosovo: Priština

Das Pärchen aus Dänemark mit ihrem in Botswana angemeldeten Land Rover hatte damals in Berat davon erzählt, dass Priština eine besonders hübsche Stadt sein solle. Sie ist die Hauptstadt des 1999 gegründeten Landes, die für uns, da wir jetzt durch den Kosovo fahren, auf jeden Fall auf unserem Programm steht.
Mit dem Auto durch diese Stadt fahren wollten wir allerdings nicht. Die wenigen öffentlichen Parkplätze kosten eine nicht unerhebliche Gebühr, wenn man an falscher Stelle parkt, wird gerne mal die Kralle eingesetzt, und der Verkehr soll dermaßen chaotisch sein, dass man mehr steht, als vorwärts kommt.
So haben wir also gestern nachmittag das Hotel "Gračanica" in dem Ort Gračanica angesteuert, auf dessen Wiese wir hinter dem Haus für 15 Euro pro Nacht stehen können. Hier sind wir etwa 8 km von Priština, der Hauptstadt des Kosovo entfernt, von dem aus wir mit einem Bus in die Stadt fahren können. Familiär und herzlich werden wir empfangen. Ein weißer Vito mit Aufstelldach steht bereits auf der Campingwiese, in dem sich allerdings nichts regt. Wir richten uns ein und genießen den Luxus eines Pausentages und einer warmen Dusche.

Campingwiese hinter dem Hotel "Gračanica"

Campingwiese hinter dem Hotel "Gračanica"

Vici und Ralf aus Rostock

Vici und Ralf kommen aus Rostock. Da sie ihre Kühlbox über Nacht an der Steckdose des Hotels angeschlossen hatten, kamen wir heute morgen beim Frühstück unweigerlich miteinander ins Gespräch.
"Könnt Ihr eine halbe Melone gebrauchen?", werden wir von ihnen gefragt. "Wir haben sie gestern gekauft. Sie passt nicht mit den anderen Sachen zusammen in die Kühlbox."

Jetzt sitzen wir zu viert im Schatten unseres Autos und tauschen unsere Erfahrungen aus. Die beiden wollen noch nach Mazedonien und Albanien. Da haben wir einiges in unserem Nähkästchen, was wir auspacken können. Wir lassen uns erzählen, wie wir mit dem Bus in die Stadt kommen können. Eigentlich komfortabel und einfach, nur dass es keinen Busfahrplan gibt und die beiden um 1 Uhr in der Nacht, als keine Busse mehr fuhren, für 15 Euro mit einem Taxi zurückfahren mussten.

warten auf den Bus

Wir stehen, mit Kleingeld bewaffnet, denn den Fahrpreis von 70 Cent bezahlt man im Bus, wie wir vorhin erfahren haben, in einem kleinen Schattenfleck vor dem Touristeninformationsbüro. Die Temperatur an der Apothekenanzeige beträgt 39 Grad. In der Sonne ist es erheblich heißer. Kein Bus weit und breit.
Wir warten - 5 Minuten, 8 Minuten. "Wie lange warten wir noch, bis wir unser Auto nehmen, um in die Stadt zu kommen?", fragt Gabi langsam ungeduldig.
Ein weißer Kastenwagen hält. Wir werden auf Deutsch angesprochen. Ich hoffte schon, dass er uns in seinem Wagen mit in die Stadt nehmen wollte.
"Die Busse fahren hier sehr unregelmäßig, meint der Fahrer. "Nehmt besser ein Taxi in die Stadt." Es kann sein, dass Ihr hier 2 Stunden in der Hitze stehen müsst."
Der Fahrer des Kastenwagens textet uns zu. Ohne Unterbrechung redet er auf uns ein und will uns erklären, dass der öffentliche Nahverkehr hier sehr unzuverlässig ist und auch an manchen Tagen ganz ausfällt, da sehe ich einen Reisebus um die Straßenecke biegen.
"Da kommt einer", rufe ich Gabi zu. "Er hat die richtige Nummer im Fenster stehen."
War also völlig umsonst, das ganze Gesabbel. Und beinahe hätten wir diesen Bus auch noch verpasst. Glück gehabt. Wir sind auf dem Weg in die Stadt.

in der Hauptstadt des Kosovo

Wir laufen in der Stadt den "Bill Clinton Boulevard" entlang, einer Ehre an den amerikanischen Präsidenten wegen seines Engagements, den Kosovo als eigenständigen Staat auf die Füße zu stellen. Ein riesiges Konterfei von Bill Clinton schmückt die Fassade eines vielleicht 10 Stockwerke hohen Hauses. Unten an der Straßenkreuzung steht er dann lebensgroß in Messing gegossen. Das Café an derselben Straßenecke heißt, wie kann es anders sein: "Hillary".
Zwei Kilometer sind es von dort, wo uns der Bus raus gelassen hat, bis zur Fußgängerzone. Wir tappen geduldig in der Hitze die vierspurige, stark befahrene Straße entlang, immer darauf bedacht, den kleinsten Schattenfleck mitzunehmen, der sich uns in den Weg wirft.
Einige hohe Wohn- und Bürotürme mit spiegelnder Fassade sind bereits fertiggestellt. Doch viele solcher Gebäude werden gerade errichtet. Kräne schweben in großer Höhe über uns hinweg.

ein riesiges Konterfei von Bill Clinton schmückt die Fassade eines Wohnhauses

ein riesiges Konterfei von Bill Clinton schmückt die Fassade eines Wohnhauses

unten an der Straßenkreuzung winkt Bill Clinton den Kosovaren zu

unten an der Straßenkreuzung winkt Bill Clinton den Kosovaren zu

namhafte Marken sind in den Einkaufszentren vertreten

namhafte Marken sind in den Einkaufszentren vertreten

heftige Bauaktivitäten in den Randgebieten von Priština

heftige Bauaktivitäten in den Randgebieten von Priština

Wir kommen an einem außergewöhnlichem Gebäude vorbei, dessen Fassade aussieht, als würden riesige gläserne Würfel von einem Metallnetz zusammengehalten werden. Die transparente Haut scheint aus dem Netz heraus zu quellen. Eine gewagte Architektur, hübsch ist für unsere Vorstellungen etwas anderes. Einige Schreiber bezeichnen sie als das hässlichste Gebäude der Welt. Es ist die Nationalbibliothek des Kosovo.

die Architektur der Nationalbibliothek des Kosovo ist gewöhnungsbedürftig

die Architektur der Nationalbibliothek des Kosovo ist gewöhnungsbedürftig

. . . und auch dichter dran wird es nicht besser

. . . und auch dichter dran wird es nicht besser

die Kathedrale

Schließlich gelangen wir an die Mutter-Teresa-Kathedrale, die von 2007 bis 2010 errichtet wurde. Uns scheint es, dass die Arbeiten auch heute noch nicht vollständig abgeschlossen sind, denn es liegen noch viele Steinsegmente von Säulen und andere Ornamente neben der Kirche. Ein zweiter Kirchturm im Baugerüst wird nicht saniert, sondern er wird neu errichtet. Eine Stadt im Aufbruch.

die noch nicht ganz fertiggestellte Kathedrale der Mutter Teresa

die noch nicht ganz fertiggestellte Kathedrale der Mutter Teresa

Kirchenfenster der Kathedrale. Mutter Teresa wurde 1910 in Skopje geboren

Kirchenfenster der Kathedrale. Mutter Teresa wurde 1910 in Skopje geboren

Und wieder kommen wir ein einer lebensgroßen Messingfigur vorbei. Die Tafel davor zeigt uns, dass hier ein "Xhorxh Bush" geehrt wird. "Na klar, George W. Bush", nur etwas anders geschrieben, als wir es gewohnt sind. Hier trifft Bill Clinton auf George W. Bush, denn auch die zweite Hauptachse von Priština ist nach einem amerikanischen Präsidenten benannt.

In der Fußgängerzone

Die Fußgängerzone von Priština ist überbreit, von zur Zeit noch kleinen Bäumen gesäumt, flankiert von modernen Cafés und Restaurants. Alles ist geleckt und modern. Uns reizt es nicht sonderlich, uns in dieser sterilen Kunstwelt gemütlich niederzulassen. Also wandern wir weiter, immer auf der Suche nach kleinen Gassen, hübschen Häusern, vielleicht den letzten Resten einer Altstadt.

die Fußgängerzone von Priština ist überbreit, von zur Zeit noch kleinen Bäumen gesäumt, nicht der Ort, der zum Verweilen einlädt

die Fußgängerzone von Priština ist überbreit, von zur Zeit noch kleinen Bäumen gesäumt, nicht der Ort, der zum Verweilen einlädt

Dunkelhäutige Kinder mit schwarzen Haaren sitzen auf Pappkartons am Rand der Fußgängerzone oder laufen herum. Auch wir werden angesprochen, Kinderhände strecken sich uns entgegen. Traurige, bittende Blicke sehen uns an. Doch es bleibt nicht berührungslos.
Plötzlich greift jemand von hinten in die Ellenbeuge. Die Kinder wissen genau, dass man dort sehr sensibel ist. Leider müssen wir jetzt energisch werden, denn das geht uns jetzt zu weit.
"Angucken, ja, Mitlaufen auch, Anfassen ist nicht erlaubt!"

dunkelhäutige Kinder mit schwarzen Haaren laufen mit den Passanten mit und gucken sie mit traurigen Augen an, um etwas Geld zu bekommen

dunkelhäutige Kinder mit schwarzen Haaren laufen mit den Passanten mit und gucken sie mit traurigen Augen an, um etwas Geld zu bekommen

in den alten Stadtteilen

Eine Altstadt von Priština, durch die man gemütlich an Geschäften vorbeischlendern, sich in Cafés unter alten Bäumen niederlassen kann, haben wir auf unserem Weg nicht gefunden. Durch das Viertel, in dem noch viele alte Gebäude stehen, wie der Uhrenturm oder die alte Moschee wälzt sich ein nicht endender Strom von Autos. Die Fußgänger müssen auf ihren schmalen Gehwegen aufpassen, dass sie nicht in Löcher fallen und sie müssen zusehen, wie sie sich durch die parkenden und fahrenden Autos hindurch schlängeln. Beim Überqueren der Zebrastreifen, oft von den vielen Reifen so abgefahren, dass sie kaum noch zu erkennen sind, halten die Autos erst, wenn man energisch und bestimmt auf die Straße tritt. In diesem Viertel ist der sonst überall sichtbare Aufbruch der Stadt noch nicht angekommen.

der Uhrenturm am Rande der Altstadt von Priština

der Uhrenturm am Rande der Altstadt von Priština

die alte Moschee

die alte Moschee

im Basar

Gekauft und gehandelt wird auf einem etwas heruntergekommenen Markt, dessen Verkaufsstände allerdings nur aus alten Blechen und und Plastik zusammengehalten werden. Es ist eng und stickig unter den Schatten spendenden Folien, die zwischen den Marktständen aufgehängt sind. Es riecht nach altem Fett und Abwasser. Die Händler sind nicht aufdringlich. Oft sprechen sie ein paar Brocken Deutsch besser als Englisch. Das Angebot geht von Billigware aus China über handgestrickte Kleidungsstücke aus echter Wolle bis hin zu Gemüse, Obst, Fleisch und Teigwaren.

gekauft und gehandelt wird auf dem Markt

gekauft und gehandelt wird auf dem Markt

hier spielt sich das Leben unter schattenspendenden Schirmen ab

hier spielt sich das Leben unter schattenspendenden Schirmen ab

Zigaretten lassen sich hier gut verkaufen

Zigaretten lassen sich hier gut verkaufen

auch Eier sind eine begehrte Ware

auch Eier sind eine begehrte Ware

Eis geht immer

Eis geht immer

Reinigung der Softeismaschine

Reinigung der Softeismaschine

Feierabend

Feierabend

die Folgen eines Feuers

In einem der Läden war vor einer Woche ein Feuer ausgebrochen. Die Nachtwache hatte es entdeckt und die Feuerwehr gerufen. Kaputte Scheiben, herunterhängende Dekorationsreste, von Ruß geschwärzte Fenster sehen uns an. Eine Puppe hat das Inferno überlebt und guckt mit traurigen Augen durch eine der glaslosen Fensteröffnungen. Ein Bild des Jammers, ergreifend.

plötzlich sehen wir von hinten in einen völlig zerstörten Laden hinein

plötzlich sehen wir von hinten in einen völlig zerstörten Laden hinein

in wenigen Minuten war der Besitz einer Familie zerstört

in wenigen Minuten war der Besitz einer Familie zerstört

jemand hat die einzige Puppe, die das Inferno "überlebt" hat, an die Tür gestellt

jemand hat die einzige Puppe, die das Inferno "überlebt" hat, an die Tür gestellt

zurück zum Auto nach Gračanica

Rechtzeitig sind wir wieder an der Bushaltestelle, um den letzten Bus hinaus nach Gračanica zu bekommen. Bei unserer Ankunft hier in Priština hatten wir uns schon informiert, wo und wann der letzte Bus zurückfahren würde. Tatsächlich haben wir Glück. Der Bus bringt uns zur angegebenen Zeit zurück zu unserem Auto.

© Michael Bünte, 2023
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wir starten in Hamburg und reisen mit einem Toyota HZJ78 über Italien, Kroatien, Montenegro nach Albanien. Dieses ist der Bericht unserer zwölfwöchigen Reise.
Details:
Aufbruch: 15.05.2023
Dauer: 12 Wochen
Heimkehr: 06.08.2023
Reiseziele: Albanien
Der Autor
 
Michael Bünte berichtet seit 26 Monaten auf umdiewelt.
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