Mittelamerika
Graduation
Es verspricht ein warmer Tag zu werden, die Sonne scheint schon richtig warm, aber ein paar dicke Wolken versuchen sie daran zu hindern. Ich werde heute das Hotel verlassen, denn ich hatte hier nur für zwei Nächte gebucht. Ich checke aus, lasse mein Gepäck aber noch an der Rezeption, denn ich werde erst gegen Abend nach Santiago übersetzen.
Am Mittag habe ich mit David und seiner Familie in einem Hotel am See abgemacht. Es wird ein grosser Tag für Miguel werden. Abschluss des 6. Schuljahres, die Graduation wird gefeiert.
Da ich nicht sicher bin, ob es später ein Mittagessen gibt, bestelle ich nur ein kontinentales Frühstück und bin überrascht, dass auch das mit viel Toastbrot relativ aufwändig ist. Danach bummle ich dem See entlang zum Hotel, das ganz am anderen Ende von Panajachel liegt.
Ich war noch nie an einer Graduation, weiss aber, dass das für die Kinder ein grosser Tag ist. Ich war zwar bei Davids Graduationen eingeladen, aber es ergab sich nicht, dass ich dannzumal nach Guatemala reisen konnte. Aber ich habe beide Male Fotos erhalten. Es gab zwei, einmal für den Schulabschluss und später für den Abschluss seiner kaufmännischen Ausbildung. Heute bin ich gespannt, wie so ein Anlass durchgeführt wird. Im Jardines del Lago, einem grossen Hotel direkt am See ist ein offener Raum dafür reseriert.
Wir treffen uns vorgängig zu einem Kaffee. Eingeladen sind die Eltern von Raquel und Nicolassa, die Mutter von David. Die leibliche Mutter, betont er, denn er nennt sie beim Vornamen. Er ist bei seinen Grosseltern aufgewachsen. Dolores, seine Oma, ist leider nicht mehr so gut auf den Beinen, sie kann heute nicht dabei sein. Für David war sie die Mutter seiner Kindheit. Bei meinen Besuchen am Atitlan-See habe ich immer beide Frauen besucht und Lebensmittel vom Markt mitgebracht. Nicolassa war sehr früh mit David schwanger und konnte ihm keine Mutter sein. So wuchs er wie ein Geschwister von ihr auf und wusste lange nicht, dass sie eigentlich seine Mutter ist. Später hat sie geheiratet und hat zwei weitere Kinder. Die Tochter, Davids kleine Schwester, ist heute ebenfalls dabei.
Es sind 15 Schüler, die heute das 6. Schuljahr abgeschlossen haben. 12 Buben und 3 Mädchen. Das Zeugnis hat David gestern in der Schule abgeholt. Bei einem persönlichen Gespräch mit den beiden Hauptlehrer seiner Söhne. Später zu Hause hat er es mit den beiden besprochen. Miguel, der in der internationalen Schule, an der ausschliesslich englisch gesprochen wird, Mike genannt wird, ist ein fleissiger aufmerksamer Schüler. Er liest viel, lernt gern und hat sehr gute Noten. Alex, der jüngere braucht etwas mehr Aufmerksamkeit. Er ist ständig voller Energie, kann sich schlecht lange auf etwas konzentrieren. Wir werden vermehrt miteinander arbeiten müssen, hat ihm David gestern erklärt, als er mit den beiden die Zeugnisse besprochen hatte. Die Ausbildung seiner beiden Buben ist David ein grosses Anliegen. Er weiss, wie wichtig seine eigene Schulung war. Und er ist sich auch der Verantwortung bewusst, die mit der Unterstützung seiner Söhne besteht.
Wahrschenlich haben mehrere der Schüler ein Stipendium einer Organisation oder von Privatpersonen. Doch das weiss die Klasse nicht. Das ist für den Schulbetrieb nicht wichtig. Für David aber schon, darum hängen die Fotos seiner Unterstützer in seinem Restaurant beim Eingang zur Küche. Alle Menschen, die in meinem Leben wichtig sind, sind hier versammelt, hat er mir gestern erzählt. Und als ich erstaunt, auf das kleine Bild mit seinem Vater zeigte, von dem ich weiss, dass es eine sehr emotionale und nicht schöne Auseinandersetzung gab, als er ihn einmal getroffen hatte, meinte er. Auch er gehört daher. Er ist immerhin mein Vater. Man darf nie vergessen, woher man kommt,. Tatsächlich erstaunt mich David immer wieder mit seiner Einstellung.
In dem grossen offenen Raum sind 15 grosse runde Tische aufgestellt. Für die Familien und Angehörigen der Schüler. Es gibt eine grosse Bühne mit goldenen Luftballons und den Fahnen von Guatemala und der Life School. Zwei Lehrerinnen übernehmen die Moderation. Zu meiner Überraschung wird Spanisch gesprochen, obwohl die Schulsprache Englisch ist. Ich nehme an, dass man sicher sein will, dass alle Angehörigen der Vorstellung folgen können. Die Kinder haben sich in einer Reihe draussen aufgestellt und werden jetzt einer nach dem anderen aufgerufen. Jeder bekommt seinen eigenen Applaus. Darauf kommen die Lehrer zu Wort.
Die Englisch-Lehrerin bedankt sich bei der Klasse und bei der Schule für diese wunderbare Erfahrung mit den Kindern. Jedes von Ihnen sei ihr ans Herz gewachsen, so dass sie unbedingt für jedes ein persönliches Wort aufgeschrieben habe. Ein Gedicht ist es, was sie vorträgt und dabei kommt sie auf jedes der Kinder, erwähnt ihre Stärken, ihre Fähigkeiten, sich für die anderen einzusetzen, schwierige Situationen zu entschärfen. Mich rührt diese persönliche Rede, aber es ist erst der Anfang. Auch der nächste Lehrer rühmt jedes der Kinder, erzählt, wie toll die Arbeit in diesem Jahr war, wieviel er und die Schüler gelernt hätten.
Die letzte Rede ist noch viel emotionaler. Der Leher, der für Naturwissenschaften zuständig ist, meint, es wäre nicht immer einfach, Schüler zu sein. Oder Lehrer. Nicht jeden Tag sei man genau gleich motieviert, hätte die gleiche Einstellung zum Beruf, zur Arbeit, zum Lernen. Aber diese Klasse habe ihn jeden Tag aufgebaut. Es war eine Herausforderung, Euch zu unterrichten. Euer Lernwille, Euer Mitmachen, Eure Präsenz hat mich jeden Tag motiviert, das Beste zu geben. Es war eine echte Freude, mit Euch zu arbeiten. Ich freue mich darauf, Euch alle nach den Ferien im September wieder zu sehen.
Inzwischen wünscht er allen Schülern eine tolle Ferienzeit, und viel Erfolg für ihre Zukunft. Mit dieser Motivation, die ihr in den letzten Jahren gezeigt habe, habt ihr alles Potential für eine gute Karriere, meint er und man spürt, er spricht aus dem Herzen.
Nachdem die Nationalhymne abgespielt wurde, bei der alle Anwesenden aufstehen und die rechte Hand auf das Herz halten, werden die Bestätigungen verteilt. Dabei kommt es immer wieder zu spontanen Umarmungen zwischen Lehrern und Schülern. Händeschütteln, genügt oft nicht. Ich habe noch nie soviel Respekt und Dank zwischen Lehrern und Schülern gesehen. Ob das einfach amerikansich ist, ich weiss es nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass es bei anderen Schulen auch hilfreich wäre, wenn man sich eine bessere Unterrichtskultur angewöhnen würde.
Am Schluss spricht noch der Schulleiter. Er ist ein junger Amerikaner, der wohl hier sein erstes Jahr als Direktor hinter sich hat. Auch von ihm kommt viel Dank an die Schüler. Er erzählt auch von dem Projekt, das die Klasse im letzten Schulmonat gemacht hat. Weil der Teamgeist in der Schule gross ist, hat man einen Versuch gemacht, den man noch nie gemacht hatte.
Die ganze Klasse ging auf eine Wanderung rund um den See. Man übernachtete wo möglich bei den Familien der Kinder oder verteilte sie auf verschiedene Familien in den kleinen Dörfern. Es war wunderbar, wie die Schüler zusammengearbeitet haben, wie sie einander geholfen haben, wenn es irgendwo schwierig war. Es war eine ungemein spannende und intensive Woche, schwärmt Bryan.
David hatte mir davon erzählt. Auch, dass die ganze Klasse in seinem Restaurant gegessen hatte, als sie in Santiago waren. Man muss dazu noch wissen, dass Wandern für Guatemalteken keine grosse Bedeutung hat. Dass man rund um den See gewandert ist, war tatsächlich eine grosse Sache.
Im weiteren erzählt Bryan von den vielen verschiedenen Lehrern, die die Kinder während diesem Jahr unterrichtet hatten. Er erzählt, dass die Lehrer aus der ganzen Welt hierherkamen. Man hat mit Menschen aus Kanada, Europa, Asien und den USA zusammen gearbeitet. Es war eine grosse Bereicherung für die Schule und für die Schüler, mit so vielen Kulturen und Temperamenten in Kontakt zu kommen. Wir sind eine internationale Schule und das soll auch in Zukunft so bleiben.
Jetzt gibt es noch genügend Zeit für persönliche Fotos. Es gibt einen offiziellen Fotografen der Schule, aber auch all die privaten Fotografen wollen jetzt ihre Söhne und Töchter mit den Eltern ablichten. Mit den Lehrern, mit ihrem Dokument, das den Abschluss bestätigt. Es ist sehr organisiert, aber sehr sympatisch und die Aufmerksamkeit bleibt für jeden Schüler die selbe, bis auch der letzte, und fast kleinste, Miguel seinen Parcour abgeschlossen hat.
Inzwischen ist es Mittag geworden. Es wird ein kleiner Snack serviert. Eine Horchata, ein Croissant und ein süsses Gebäck. Jetzt bin ich doch froh, dass ich gefrühstückt habe.
Danach werden die Schüler noch einmal für einen Fototermin aufgeboten. Es gilt, die Freude und Erleichterung im Bild zu zeigen. Dazu werden die Hüte in die Luft geworfen. Three - two - one - go!
Jetzt bleibt noch Zeit für ein paar Gespräche. Zwischen Schülern und Lehrern, mit Eltern und Schulleiter. Er nimmt sich viel Zeit, ist schon vorher von Tisch zu Tisch gegangen und hat sich in den Familien nach dem Befinden erkundigt.
Dann ist es Zeit für den Abschied, der Anlass ist zu Ende. David möchte dem Tag noch etwas hinzufügen. Möchte seinen Jungs noch was bieten und auch Nicolassa und ihre Tochter dürfen mitkommen, wir gehen in den Naturpark, der in Panajachel ist und von dem ich erst gehört habe.
Es ist ein kleiner Park, fast ein Dschungel. Affen werden beim Eingang auf Fotos gezeigt und darum sind es die Affen, die die Kinder faszinieren. Vor allem Alex kann es kaum erwarten, einen Affen zu sehen. Er ist dann allerdings so laut, stürmt voraus, so dass ich bezweifle, ob die Affen daran Gefallen haben werden.
Der Weg steigt an und wir kommen zu einer kleinen Hängebrücke über den Bach, den wir weiter oben als Wasserfall hören. Ich bin überrascht, wie locker Raquel über die Brücke geht - die Kinder sind längst voraus - obwohl sie noch nie auf so einem schwankenden Steg war.
Wir steigen weiter hinauf, kommen zur nächsten Brücke und noch einer. Ich merke, dass ich selber die erste noch ohne Überlegen überschritten habe, je höher wir aber steigen, je länger die Brücken werden, je mehr überlege ich, ob sie wohl halten wird. Warte bis niemand mehr darauf ist, bis ich den ersten Schritt mache. Ob das das Alter ist. Dass man überlegter an die Sachen herangeht.
Einen Affen oder andere Tiere haben wir bisher keine angetroffen. Obwohl wir fast alleine unterwegs sind. Doch die Kinder sind weit voraus und meistens kann ich sie trotzdem noch hören, denn Alex muss seine Freude über den Ausflug allen mitteilen.
Und dann wird es trotzdem plötzlich ganz still und als ich aufgeholt habe, turnt da tatsächlich ein Affe vor uns. Er hängt im Baum, hält sich mit Schwanz und Beinen an den Ästen fest und hangelt sich an den nächsten Baum. Das war es, was die Kinder sehen wollten.
Es bleibt der einzige Affe, dem wir begegnen. Ich glaube, er hatte heute Dienst, war bestimmt, für die Touristen eine Show abzuziehen, damit die anderen ihre Ruhe hatten
Es gibt auch einen Schmetterlingspavillion und dahin gehen wir als nächstes. Hier bin ich ganz froh, dass die Kinder schon bald wieder weiter ziehen. Es gibt nämlich auch einen Spielplatz mit ein paar Geärten, vor allem einer kleine Zipline an die man sich hängen kann. Eine grosse Zipline sowie Fahrräder auf den Seilen gibt es über dem ganzen Park, aber die haben wir nicht weiter besichtigt. Nur einmal beim Affen haben wir über unseren Köpfen jemanden schreien - oder war es Jubeln? - hören.
Ich lasse mir Zeit, versuche ein paar Schmetterlinge mit der Kamera einzufangen und suche dann die anderen, die sich beim Spielplatz vergnügen.
Zum Abschluss des Tages lädt David zum späten MIttaessen ein. Wir gehen ins Steakhaus, aber ich merke, dass ich kaum Hunger habe, lasse den halben Hamburger stehen, aber er findet seinen Abnehmer. Überhaupt fühle ich mich ziemlich müde, mein Akku ist wieder einmal leer, daher bin ich froh, dass wir bald darauf meinen Koffer im Hotel holen und aufs Boot gehen.
Jetzt nur noch über den wieder stürmisch gewordenen See, zurück nach Santiago und dann ziehe ich in meine neue Unterkunft. Ich brauche nur noch etwas Wasser, mein Bett und kurz darauf bin ich weg.
Es war ein eindrücklicher Tag voller Emotionen.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko