Mittelamerika
Mondänes Acapulco
Nach dem Frühstück sehe ich mir mal die Hall of Fame des Hotels etwas genauer an. Natürlich waren alle, die je in Acapulco waren, auch hier in der Quebrada, hier wo die Klippenspringer seit bald 90 Jahren in die wilden Wellen springen.
Ein paar Namen kann ich entziffern, andere erkenne ich von den Fotos. So war natürlich BB mit Gunther Sachs hier, Julio Iglesias, Sänger, Hollywood-Stars, Sportler, alles ist hier vertreten. Allerdings sind die Fotos alle schon ziemlich alt, der Glanz Acapulcos ist am Verblassen.
Der Schweizer Jazzmusiker Teddy Stauffer lebte jahrelang in Acapulco, ich erinnere mich, dass ich vor langer Zeit eine Reportage über ihn gelesen hatte. Er war ein Mittelpunkt und Bindeglied. Brachte in seinem Club, wo er jahrelang spielte, die Prominenz zusammen, war an vielen Projekten, Hotels und Clubs beteiligt. Er starb 1991 und damit erlosch auch langsam der Ruhm des Ortes. Acapulco ist kein exklusiver Ort mehr, gehört wieder den Mexikanern, die vor allem an den Wochenenden von der Hauptstadt her kommen. Ab Donnerstag ist die Stadt voll, hat mir schon der Taxifahrer erklärt, der mich von der Busstation ins Hotel gefahren hatte. Am Anfang der Woche ist es hier sehr ruhig.
Es ist im Moment auch gar nicht Saison, denn noch immer gilt Regenzeit, auch wenn während meines Aufenthalts bisher noch kein Tropfen Regen vom Himmel gefallen ist. Aber die Wolken bei Sonnenuntergang weisen darauf hin, im Sommer wären die Sonnenuntergänge phänomenal, keine Wolke am Horizont, versichert mir einer der Kellner im Restaurant.
Ich habe ein wenig recherchiert und gesehen, dass mein Flug zur nächsten Destination am Montag bedeutend günstiger ist, als am Sonntag. Das hat bestimmt auch mit dem Wochenende-Run zu tun. Ich werde jedenfalls fliegen müssen, für den Bus ist meine nächste Destination zu weit weg.
Also frage ich an der Rezeption, ob ich einen Tag länger bleiben könne, zu den gleichen Bedingungen, wie ich sie bei Booking hatte.
Nein, erklärt man mir, das sei nicht möglich, bei Direktbuchungen sei der Preis höher, ich soll doch die zusätzliche Nacht über Booking buchen. Ich werde mir das also noch einmal überlegen, finde das irgendwie blöd. Ich werde mich morgen definitiv mit meiner Weiterreise befassen müssen. Flug und Hotel. Heute werden keine Entscheidungen getroffen. Es hat sich bewährt, dass ich die definitiven Entscheide meiner Reise jeweils noch einmal überdenke, nachdem ich die Möglichkeiten abgeklärt habe. Ich sehe mir das nächste Hotel auch immer ein paar Tage vorher an, entscheide dann spontan, meist am Tag vor meiner Ankunft. Auch bei den Bussen verfahre ich genau gleich, meistens bekomme ich auch kurzfristig immer noch den vordersten Platz - ausser als ich nach CDMX kam, da war tatsächlich nur noch der hinterste Platz frei.
Heute will ich am Mittag wieder einmal die Klippenspringer sehen. Hatte sie erst einmal von der Zuschauerterrasse her bei Tag gesehen. Allerdings ist das Fotografieren sehr schwierig, denn irgendwann ist der Zoom meines Handys erschöpft. Draussen im Meer dümpelt eine Jacht und der erste Clavadista schwimmt nach seinem Sprung auch tatsächlich hinaus zu ihr, um seine Propina abzuholen. Hab mich schon lange gewundert, wie das geregelt ist. Wer auf der Zuschauerterrasse steht, zahlt einen Eintritt und nach der Show eventuell noch ein kleines Trinkgeld. Von den Booten oder dem Restaurant scheint es gratis zu sein.
Als ich nach dem letzten Sprung das Restaurant verlasse, stehe ich allerdings zwei Tauchern gegenüber. Sie kommen also auch ins Restaurant, um sich ihre verdiente Propina abzuholen. Finde ich völlig in Ordnung, denn viele verbinden ein Essen mit der Show. Ich hatte sie nur noch nie bemerkt, weil ich in der Regel am Tisch sitzen bleibe und noch eine Weile verharre. Sie kommen nicht an die Tische, bleiben nur in der Nähe des Ausgangs stehen, um sich den Gästen zu zeigen.
Das gibt mir die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch. Aktuell gibt es 25 aktive Springer. Sie springen jeweils in Gruppen von 6 Leuten, die individuell zusammen gestellt sind. In der Gruppe gibt es 23 Erwachsene und 2 Junioren. Die fünf Shows des Tages werden vom gleichen Team gesprungen, so dass die restlichen Tage frei sind. Das Trinkgeld des Tages wird in der Gruppe verteilt, dazu bekommen sie aber noch ein Gehalt, das aus den Eintrittsgeldern finanziert wird.
Ob es Mut braucht, wann sie angefangen haben zu springen, wieviel Konzentration es braucht und was die Wellen mit den Sprüngen zu tun haben... Es gäbe noch viele Fragen, aber sie scheinen mir zu privat, oder zu banal. Was diese Männer machen, ist so spektakulär, dass mir diese Fragen schlicht im Hals stecken bleiben.
Am späteren Nachmittag, wenn die Sonne nicht mehr gar so heiss vom Himmel brennt, habe ich mit Daniel abgemacht. Der Taxifahrer, der mir schon die Bonanza-Party empfohlen hat, will mir die Stadt zeigen. Eine kleine Tour durch das Original Acapulco.
Er hat seine Klimaanlage hoch geschalten und bringt mir sogar eine Flasche eisgekühltes Wasser mit. Sehr zuvorkommend.
Mein Hotel, erzählt er, gehöre zu den ältesten hier in Acapulco. Wahrscheinlich ist es erbaut worden, als die Clavadistas anfingen von der Klippe da unten zu springen, meint er.
Hast du die Autogramme an den Wänden im Restaurant gesehen?
Ja, zufällig habe ich sie heute morgen etwas genauer angesehen.
Dann weisst du ja jetzt Bescheid. Es gab eine Zeit, da war halb Hollywood hier, ich werde dir ein paar Häuser zeigen.
Wir fahren los und zuerst fahren wir hinunter an den Zocala. Das ist das Zentrum der Stadt, erklärt er. Hier ist das Herz. Rundum sind die alten Häuser, in denen die Einheimischen der Stadt leben. Und hier ist die Kathedrale.
Die Kathedrale macht einen sehr modernen Eindruck, auch wenn Daniel versichert, dass sie schon fast 500 Jahre da steht. Zugegeben, vor gut 100 Jahren hat ein Erdbeben grosse Teile der Kathedrale zerstört. Sie wurde am gleichen Ort wieder aufgebaut.
Die Kathedrale hat eine hohe Kuppel mit Engeln und ist auch innen rund. Sehr ungewöhnlich und eigenwillig. Himmelsbetont mit seinen blauen Gewölben
Daniel wartet auf mich draussen auf dem Platz. Schau dich um. Das hier ist der wichtigste Ort für die Einwohner. Auf dem Zocalo trifft man sich, die Kinder können spielen, man geniesst den Aufenthalt en el aire libre - an der frischen Luft.
Es gibt ein paar Restaurants, Läden und Verkaufsstände, Eisverkäufer und andere fliegenden Händler.
Unter einem riesigen Ficus entdecke ich einen Tisch. Eine Frau und ein Mann bieten etwas an. ich gehe näher, will mir das ansehen.
Man kann hier sein Schulwissen testen. Es gibt zwei Bücher mit vielen Fragen, die man beantworten kann. Je nachdem für die Primaria oder die Sekundarstufe. Das Angebot wendet sich an Erwachsene, die den Schulabschluss verpasst haben. Aufgrund des Testes erhalten sie ein Angebot, um sich fehlendes Wissen anzueignen. Der Test ist aufwändig und gratis. Ich blättere ein wenig in den beiden Büchern, bei Algebra muss ich passen.
Es gibt viele Kinder, die nicht in die Schule gehen. Weil die Eltern zum Beispiel die Wichtigkeit nicht erkennen oder weil das Geld fehlt. Geld braucht es zum Kauf von Schulmaterial, für Bücher und für die Schuluniform. Oder auch für den Weg zur Schule. So gibt es viele Erwachsene, die in der Kindheit etwas verpasst haben. Für sie ist dieses Angebot. Natürlich hat die Ausbildung dann auch ihren Preis, lächelt die Frau hinter dem Tisch. Für Kinder ist die offizielle Schule an sich gratis und es besteht auch eine Schulpflicht. Aber es gibt immer Gründe, warum Schulwissen verpasst wurde.
Wir fahren weiter, jetzt wieder hinauf auf den Hügel. Vorbei an vielen alten Hotels. Vor ein paar Jahren waren das die exklusiven Unterkünfte von Acapulco. Mit den schönsten Aussichtspunkten. Heute sind es abgetakelte verwahrloste Hotels. In der Regel sehr günstig, wenn sie überhaupt noch in Betrieb sind.
Wir fahren in den Hof eines solchen Hotels. Es muss zu den sehr exklusiven gehört haben, heute kann man überall sehen, dass das Geld für eine richtige Intandstellung fehlt. Aber es hat den Charme aus der Zeit, wo noch ganz anders gebaut wurde. Und es bietet eine absolut fantastische Aussicht.
Acapulco liegt vor uns. Eine grosse Stadt und die ganze Bucht davor, wo am langen Sandstrand der Costera all die hohen neuen Hotels liegen. Es gibt da einige 5-Stern-Hotels und sogar ein Hotel mit 7 Sternen gibt es in Acapulco, erklärt Daniel.
Die Sterne dieses etwas heruntergekommenen Hauses stehen wohl eher am Himmel. Seine Zimmer mit Balkonen bieten exklusive Ausblicke, aber die Infrastuktur ist irgendwo in den 80-er Jahren stecken geblieben.
Wir fahren weiter. Hier in der Nähe hatte auch Diego Ribera ein Haus. Die Schlange, die sich entlang der Mauer als Mosaik räkelt, hat Diego selber gemacht. Das Haus wurde inzwischen von einer Künstlerin gekauft, die es sorgfältig behandel und man hofft, dass es irgendwann als Museum öffentlich zugänglich sein wird, denn es gibt innen verschiedene Wandmalereien, die noch Original erhalten sind. Von aussen können wir eine Deckenmalerei im Eingangshof sehen. Ich könnte mir vorstellen, dass das Innere sehr interessant ist.
Hierher kam Diego manchmal mit Frida für ein Wochenende, für eine Woche Ferien oder so. Viele der Häuser hier gehörten berühmten Leuten, oder sehr reichen Ausländern. Wir fahren weiter und Daniel zeigt mir das Haus von John Wayne, an bester Lage. Etwas weiter weg das Haus von Frank Sinatra, das am Ende einer gesperrten Zugangsstrasse liegt.
Wem gehören die Häuser heute? will ich wissen.
Den Bediensteten vielleicht. Sie leben in den aufgegebenen Häusern, nachdem sich die Besitzer über Jahrzehnte nicht mehr gemeldet haben.
Wahnsinn, die Lage scheint nicht mehr interessant zu sein, der Aufwand für eine Sanierung nicht zu zahlen und gegen einen Neubau scheinen die Gesetze zu sprechen. Jedenfalls verstecken sich hier am Hang jede Menge fantastischer Häuser an unglaublich schönen Lagen mit Blick aufs Meer. Niemand kümmerts.
Aus dem nächsten Haus wurde ein Hotel gemacht. Das Flamingos liegt ebenfalls an einem unglaublich schönen Ort. Es gehörte Johnny Weissmüller, den ich schon in der Hall of Fame als Pappfigur gesehen habe. Er lebte 20 Jahre hier, brachte all seine Freunde von Hollywood hierher und in dem grossen Haus mit all seinen Nebengebäuden, in denen jetzt die Hotelzimmer untergebracht sind, wurden wilde Partys gefeiert. Es gab die versteckte Hollywood-Gang. Hier an diesem Ort, der von der Öffentlichkeit komplett abgeschirmt war und wo die Paparazzis keinen Zugang hatten, wurden Partys gefeiert mit Alkohol, Drogen, Sex, von denen wohl nur die Eingeweihten wussten, was passiert ist.
Fast habe ich das Gefühl, Daniel war dabei, doch dafür ist er viel zu jung. Aber er liebt wie ich Geschichten, das habe ich schnell bemerkt.
Wir spazieren durch den Garten, kommen zum Pool und zum privaten Wohnhaus des Stars. Es ist wie alle Gebäude der Anlage ganz in rosa gestrichen. Früher flogen regelmässig Flamingos über den Hügel und machten hier gelegentlich Rast. Darum heisst die ganze Gegend hier Flamingos und auch das Hotel hat den Namen angenommen.
das private Wohnhaus von Tarzan ist rund und wurde einem afrikanischen Kral nachempfunden. Weil in einem runden Haus können keine bösen Geister einkehren
Ich bin begeistert vom Haus, von der Aussicht, der Geschichte und der Atmosphäre des Hauses. Es gibt auch ein Restaurant, mit Blick auf das Meer. Ich erkundige mich jedenfalls nach den Preisen. Sie sind moderat, wenn auch etwas höher, als was ich im Moment bezahle.
Wir fahren weiter zu einer kleinen Arena, die direkt in die Felsen am Meer gebaut wurde. In der Saison gibt es hier manchmal Theater- oder Musikaufführungen.
An der Strasse stehen ein paar Informationstafeln, so wie wie überall an der Galerie stehen. Da erfahre ich, dass auch Elvis Presley hier war. Er drehte 1963 den Film Fun in Acapulco. Als es daran ging, dass er einen Sprung von den Klippen machen sollte, liess er sich von einem professionellen Taucher doublen. Genauso wie Johnny Weissmüller, der glaubte, dass er als ehemaliger internationaler Wassersportler den Sprung schaffen würde, sich aber ebenfalls im letzten Moment doubeln liess. Ich kann es den beiden nachfühlen. Es muss ein unglaubliches Gefühl sein, da oben zu stehen und tief unter sich die Wellen zu sehen.
Tarzan hat übrigens sein Double später nach Amerika eingeladen. Er hat seine Sprünge an vielen Orten gezeigt und wurde in den USA richtig berühmt.
Auch dass John F. Kennedy seine Flitterwochen mit Jacqueline hier verbrachte, hätte ich hier erfahren, wenn es mir Daniel nicht schon vorher erzählt hatte. Auch Marylin war hier und Elizabeth Taylor heiratete in Acapulco.
Ein Blick zum Horizont zeigt mir, dass die Sonne bald untergehen wird, bereits färben sich die Wolken am Himmel.
Vielleicht weiss Daniel einen schönen Platz für den Sonnenuntergang. Eigentlich war meine Idee, am Ende des Tages am grossen Strand in der Bucht zu sein, doch da sieht man nichts vom Sonnenuntergang. Nein, auf der anderen Seite des Hügels gibt es einen Strand, dort ist der Sonnenuntergang grandios.
Du wirst sehen, das wird dir gefallen, verspricht Daniel.
Und wie recht er hat. Wir kommen eben rechtzeitig, um den roten Feuerball zu sehen, der sich dem Meer zuneigt.
Es gibt ein paar wenige Tische und Stühle und der Kellner des nahen Restaurants bringt uns die Karte.
Es wird ein unglaublich schöner, wenn auch kurzer Abend, denn nachdem die Sonne weg ist, wird es ganz schnell dunkel.
Wir geniessen ein Ceviche, hören den Wellen zu und sehen die Sonne, wie sie ihre letzten Strahlen verschickt, bevor sie auch heute hinter einer dicken Wolke verschwindet.
Danach fährt mich Daniel zurück ins Hotel. Dieser Ausflug in die Vergangenheit von Acapulco hat sich tatsächlich gelohnt.
Der Glanz und der Zauber von Acapulco ist längst verflossen. Die Reichen und Schönen der Welt haben den Ort verlassen, er gehört wieder den Mexikanern. Auch die grossen Hotels können den vergangenen Zauber nicht wett machen.
Heute gibt es andere Orte, die diesen Ruf des exklusiven und mondänen haben, und die Karawane zieht weiter - immer weiter.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko