Mittelamerika
Spaziergang
Ich bin auch heute wieder unterwegs in die City. Diesmal ist zwar nicht der Zocola mein Ziel, sondern das Museum Bellas Artes, das am Ende der Fussgängerpassage vom Zocala her ist. Ich nehme also eine etwas andere Strasse und lerne wieder neue Häuserfronten kennen. Dies ist eine geschäftigere Hauptstrasse, als die, die ich normalerweise gegangen bin. Es gibt wenig Restaurants, aber viele Läden. Das Angebot ist vielfältig und reicht von Schuhen über Möbel und Elektro-Haushaltgeräten bis zu Brillen und Süssigkeiten.
Irgendwann treffe ich auf eine Frau mit einer Drehorgel. Sie steht da mit ihrer Khaki-Uniform und dreht die Kurbel worauf aus dem Instrument eine Melodie ertönt, bei der ich das Gefühl habe, dass sich jeder Ton vor dem erklingen überlegt, ob er wirklich dahin gehören würde. Eine andere Frau geht derweil mit ihrem Uniformhut auf die Passanten zu um ein paar Münzen zu erbetteln.
Diese Drehorgelspieler sind mir bei den ersten Spaziergängen schon aufgefallen, sie scheinen vor allem in der Umgebung des Zentrum zu stehen, darum weiss ich, dass es nicht mehr weit bis zum Bellas Artes sein kann.
Natürlich habe ich die Drehorgeln gegoogelt und tatsächlich kommen die Drehorgeln unsprünglich aus Deutschland. Sie scheinen so beliebt geworden zu sein, dass man sie in Mexiko selber herstellte und sie gehören inzwischen zum Stadtbild. Warum die Musiker immer eine braune Khaki-Uniform mit Offiziershut tragen, habe ich dabei nicht herausgefunden aber ich finde es immer wieder spannend, dass ich Dinge, die mir auffallen später bestätigt finde als Teil der Stadt.
Man kommt auf so einem Spaziergang nicht umhin, Kirchen zu besuchen, denn es gibt unendlich viele davon. Sie stehen an Strassenkreuzungen, zwischen Strassenzügen, hinter grossen schönen Toren. Kirchen gehören zum Stadtbild und sie sind immer sehr pompös. Grosse goldene Altare, Heilige an den Wänden, verschiedene Stile, sowohl aussen, wo die südamerikanisch aufwändigen Strukturen rund um das grosse schwere Eingangstor überwiegen, wie auch innen mit hohen Kuppeln, Säulen und riesigen Gemälden.
Eigentlich bin ich ja auf der Suche nach einem späten Frühstück und finde tatsächlich ein elegantes Restaurant in einem aussergewöhnlichen Haus. Die Fassade ist fast ausschliesslich mit blauen Kacheln bedeckt und innen glaube ich, in einer anderen Welt zu sein.
Das fängt schon damit an, dass die Tische mit Stoffservietten und Tischsets bedeckt sind. Dazu gehören blaue Keramiktassen und richtiges schweres Besteck.
Sofort kommt eine der Servierdamen, um mir die Serviette über den Schoss zu legen und die Speisekarte zu geben. Ja, die Servierdamen. Sie sind eine eigene Erscheinung. Die Haare sind akkurat unter einem schwarzen Haarnetz, sie tragen lange steife Faltenröcke, die keine extremen Bewegungen erlauben, damit die Plissier-Falten nicht verrutschen können. Die Taille ist mit einem breiten Gurt im gleichen Stoff wie der Jupe eng geschnürt, darüber tragen sie eine weite weisse Bluse mit Puffärmeln, die aber durch einen steifen gelben Kragen in Dreiecksform weitgehend verdeckt wird. Wobei das Material des Kragens aussieht, als ob er aus Papier wäre. Der Kragen ist vorne und hinten mit einer Sicherheitsnadel an der Bluse angepinnt. Jedenfalls eine sehr steife Angelegenheit und man muss bestimmt etwas üben, um diese Kleider zum Arbeiten tragen zu können.
Während ich auf meine Bestellung warte, sehe ich mich um. Irgendwie habe ich das Gefühl, in einem Wiener Kaffeehaus zu sitzen, aber eben in einem mexikanischen.
Die Wände sind reich geschmückt mit Ornamenten und Stukaturen. Ausserdem mit Kacheln und riesigen Wandmalereien. Der Innenhof ist mit einem Glasdach überdeckt, was viel Licht einlässt. Die Möbel sind schwer und dunkel. Und irgendwo sitzt ein Mann neben einem Flügel an einer elektronischen Orgel und spielt Musik. Dazu singt er ganz dezent und manchmal bekommt er Applaus.
Das Haus ist eine Sehenswürdigkeit, das habe ich bald bemerkt. Und auch wenn ich völlig unerwartet da hinein geraten bin, überrascht mich das eigentlich nicht. Immer wieder finde ich völlig zufällig solche speziellen Orte.
Zur Zeit der Spanier war es der Palast eines Fürsten. Wikipedia meint, es wäre eines der schönsten Juwelen der zivilen Architektur des Neuspanien-Barocks. Es hatte verschiedene Besitzer, war eine Zeitlang Hauptsitz des Jockey Clubs von Mexiko und gehört jetzt einer Restaurant- und Kaufhauskette. Sanburns, ich hatte schon in Veracruz in einem dieser Restaurants gegessen, doch das war ein eher normales Haus. Dieses hier gehöre zu den wichtigsten Touristenpunkte der Hauptstadt. Dann hab ich ja wieder einmal ungemein Glück gehabt, dass ich ausgerechnet hier eingetreten bin.
Bevor ich wieder hinaus auf die Strasse trete, frage ich meine nette Servicefrau, die sich als Elsa vorgestellt hat, ob ich sie fotografieren darf. Aber selbstverständlich, meint sie und nimmt gleich noch ihre Kollegin dazu. Und du darfst auch gern wiederkommen, wenn dir das Lokal so gut gefällt. Betrachte es als dein zuhause.
Ich bin völlig verzaubert, als ich wieder auf die Strasse trete, irgendwie ist ein Besuch in diesem Lokal ein Besuch in einer anderen Welt.
Ich brauche mich nur ein paarmal zu drehen, schon stehe ich vor dem Torre Latinamericana, dem Turm, auf den ich in den nächsten Tagen noch gehen möchte. Im Moment ist aber nicht der Zeitpunkt dazu. Ich schaue nur kurz, ob es eine Warteschlange vor dem Eingang hat, kann aber nichts erkennen. Könnte also sein, dass es kein Problem ist, spontan herzukommen.
Ich bin jetzt auf dem grossen Platz vor dem Museum Bellas Artes, das ebenfalls auf meiner To-Do-Liste steht. Heute ist allerdings nicht der Tag dazu, für Museums brauche ich eine spezielle Motivation. Viel lieber wende ich mich dem grossen Park zu. Eine grosse Grünanlage mit vielen Springbrunnen und schattigen Bäumen.
Gleich zu Beginn des Parks begegne ich Ludwig van Beethoven. Warum der da auf der Säule mit einem Engel kämpft, weiss ich nicht. Jedenfalls handelt es sich um ein Geschenk der deutschen Comune an die Stadt CDMX.
Unter den Bäumen ist es angenehm zu gehen, die vielen Wasserspiele kühlen den heissen Tag etwas und ich setze mich irgendwo auf eine schattige Bank, beobachte das Leben, Die Leute, die durch den Park spazieren, der jungen Frau, die ein eigenartiges Tier an einer Leine ausführt, folge ich einen Moment, ich will wissen, was das für ein Tier ist. Ich bin nicht die einzige, von der sie angesprochen wird, auch andere interessieren sich für das Tier. Es ist ein Huron. Natürlich muss ich das nachschlagen, ein Frettchen. Ob das dem Tier entspricht, an der Leine durch den Park zu laufen?
Bald gesellt sich ein älterer Mann zu mir, fängt ein Gespräch an. Will wissen, ob ich öfters hier sei, er komme fast jeden Tag hierher, würde sich freuen, mich wieder einmal zu treffen. Dass ich keine Mexikanerin bin, kann er erst fast nicht fassen, dann aber will er wissen, wo denn diese Schweiz sei, Wieviele Stunden ich geflogen sei, wielange ich hier bleibe. Vielleicht würde ich ja gern hier leben. Er lebt allein, seit seine Frau gestorben ist und fast vermute ich, dass er versucht seiner Einsamkeit ein Ende zu setzen. Ich muss ihn entäuchen, ich bin nur gerade heute hier, wir werden uns kaum mehr wieder treffen.
Als wir uns verabschieden gibt er die Hoffnung doch noch nicht ganz auf. Er würde auf jeden Fall Morgen Nachmittag wieder hier sein. Que se vaya bien - auf dass es dir gut gehe. Gracias, hasta luego.
Der Park ist extrem sauber, kein Papierfetzen, kein Plastik, keine Flaschen, überhaupt kein Abfall. Und dabei kann ich kaum einen Abfallkübel sehen. Dafür entdecke ich beim genauer hinsehen ganze Brigaden von Gemeindearbeitern in ihren grünen Overalls. Sie sind im Rasen, schneiden Sträucher, wischen welke Blätter zusammen. Sie sind auf den Plätzen und wischen den Boden. Doch da ist kein Papier dabei, was sie zusammenwischen und in ihren grossen Küben versorgen, sind nur Blätter und Strassenstaub. Es ist mir schon früher aufgefallen, wie sauber die Stadt oder sogar das Land ist. Überall sind Gemeindearbeiter unterwegs, auch in den Strassen der Stadt, zu jeder Tageszeit wischen sie sorgfältig alles zusammen, was nicht auf den Boden gehört, gehen jedem Papierfetzen nach.
Irgendwie ist das ein Geheimnis, wie man eine Stadt so sauber hält.
Nachdem ich den ganzen Park abgelaufen bin, kehre ich auf der Hauptstrasse neben dem Park zurück zum Museum Bellas Artes. Dabei passiere ich jede Menge imposanter und wichtiger Gebäude.
Am Ende der Strasse fällt mir der gewaltige Bau des Postpalastes auf. Es gibt ein grosses Tor und eine Galerie durch die ich gehen kann. Hinter bronzenen Gittern sind die Postschalter, wobei ich mir nicht sicher bin, ob die überhaupt noch in Funktion sind, denn es sind fast alle geschlossen. An einigen stehen ein paar Leute an. Ob sie Briefe aufgeben?
Die Halle ist eindrücklich. Marmorboden, dicke elegante Säulen, Stukaturen an den Decken.
Nachdem ich durch die ganze Halle gegangen bin und ein paar Fotos gemacht habe, weist mich ein Uniformierter darauf hin, dass fotografieren verboten sei. Das habe ich tatsächlich nicht gesehen - und auch nicht erwartet. Ich murmle eine Entschuldigung und gehe zurück auf die Strasse. Dass das nicht der Ausgang sei, habe ich dabei nur noch mit einem Ohr mitbekommen.
Auf dem Rückweg zum Hotel gucke ich noch in das eine oder andere Restaurant, es gibt eine schiere Auswahl der verschiedensten Arten. Auffällig ist der Piratenburger, wo in allen Fenstern Piraten stehen, oder das elegante Cafe Opera.
Auch in den Innenhof mit den vielen roten Lampen werfe ich einen Blick, merke aber, dass ich keinen Hunger habe und auch keine Lust, mich irgendwo hinzusetzen, um etwas zu trinken. Die meisten Restaurants sind eh für Essen eingerichtet.
Also schlendere ich zurück zu meinem Hotel wo ich schon bald in der vertrauen Passage bei der Regina-Kirche bin.
Hier setze ich mich noch kurz in eines der Strassencafe, trinke einen Cappuccino und überdenke den Tag.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko