Mittelamerika
Hobbitenango
Ein Foto in meinem Whatsapp weckt mich am Morgen. Es kommt von Tomas, meinem Tuctucfahrer von vorgestern.
Es wird ein wunderbarer Tag werden, willst du einen Ausflug machen? . Ich hatte ihn gebeten, sich zu melden, wenn das Wetter gut ist. Dann könnte man noch einmal eine Fahrt in die Höhe machen.
Gib mir 30 Minuten, schreibe ich zurück und tatsächlich kurz darauf treffen wir uns an der Ecke, bis wohin er mit seinem Tuctuc fahren darf. Rund um den Park sind die kleinen Taxis nicht erlaubt. Zu sehr würden sie wohl alle miteinander dauernd um den Park fahren, auf der Suche nach Passagieren.
Tatsächlich ist es ein Traumtag, der schönste bisher. Der Agua präsentiert sich komplett ohne Wolken und die Sicht vom Cerro del Cruz ist fantastisch.
Doch heute wollen wir weiter hinauf, heute lohnt sich der Ausflug. Die Strasse steigt steil an, ich bin überrascht, dass das Tuctuc diese Steigung überhaupt schafft. Nicht alle Auto schaffen das, lacht Tomas, aber mein Tuctuc ist stark, ich fahre fast jeden Tag da hinauf.
Wir fahren durch grüne Wälder. Alles Avocados, erklärt mir Tomas. Es ist die Sorte Hass. Kennst du sie?
Ja, wir kennen Hass auch in der Schweiz, es sind die etwas kleineren schwarzen Avocados.
Weisst du woher der Name kommt? Hass ist ein Familienname. Es war die Familie Hass aus Californien, die diese Sorte entdeckt und angebaut hat. Hier am Hang wird fast nur diese Sorte angebaut.
Ich erkläre ihm, was das Wort Hass in Deutsch bedeutet. Das erstaunt ihn, davon hat er noch nie gehört.
Ausserdem erinnere ich mich an den grossen Wasserverbrauch, den der Anbau von Avocados braucht und frage nach Bewässerungen.
Nein, beruhigt mich Tomas. Hier am Hang ist die Erde feucht, es braucht kein zusätzliches Wasser, das Klima und die Erde sind perfekt für Avocados.
Avocados gehören nebst Kaffee zu den wichtigsten Agrarproduktion von Antigua. Unten in der Ebene ist es wohl eher eine grüne Sorte, die angebaut wird. Weil in Antigua viel Avocados gegessen werden, gibt es den Nickname Panza verde für die Einwohner von Antigua. Auch die Fussballmannschaft wird so genannt: Panza verde - grüner Bauch.
Kurz darauf begegnen uns drei Frauen mit schweren grossen Bündeln und Plastikeimern auf dem Kopf. Sie gehen auf den nahen Markt mit frisch geernteten Avocados.
Wir halten an, ich will fotografieren und frage, wie die Frauen heissen. Irma heisst die erste. Ich stelle mich vor und erkläre, das ich eine Freundin habe, die Irma heisse. Sie lacht: und ich habe eine Freundin, die Beatriz heisst. Kleine Welt. Und immer wieder Gemeinsamkeiten und seien sie auch noch so klein.
Bald darauf erreichen wir das Ziel, wir sind jetzt auf 2250 m und die Vulkane liegen vor uns, fast wolkenfrei. Nur hinter ihnen zieht sich ein weisses Wolkenban dahin.
Kannst du für mich den Eintritt bezahlen, du kannst es am Schluss abrechnen? fragt Tomas treuherzig. Wenn ich mit grösseren Gruppen komme, darf ich jeweils gratis in den Park, aber wenn ich nur einen Passagier bringe, dann muss ich ebenfalls bezahlen.
Ich finde das etwas kleinlich von der Parkverwaltung, sehe aber kurz darauf ein, warum das so gehandhabt wird. Wir sind nämlich noch gar nicht am Ziel. Wir sind nur beim Parkplatz, ab hier geht es mit dem Pickup weiter. Wir steigen auf die Ladefläche und sind die ersten. Kurz darauf kommen noch drei Amerikaner dazu und die Fahrt kann losgehen. Es geht noch einmal richtig steil hinauf. Auf ganz schmalen Wegen, am steilen Abhang. Hoffentlich weiss der Fahrer was er tut. Er weiss es, er fährt da jeden Tag mehrmals hinauf. Endlich sind wir am richtigen Ziel. Am Eingang zum Vergnügungspark Hobbitenango.
Wir sind noch einmal gut 100 Meter höher gefahren. Hier oben hat jemand eine ganz neue Welt erschaffen. Im Stil von 'Herr der Ringe' wurden kleine Häuser mit runden Toren gebaut. Es sind Bungalows, man kann hier auch übernachten. Und es gibt verschiedene Aussichtspunkte, von denen man die Vulkane in ihrer ganzen Pracht sehen kann.
Siehst du da rechts, der Fuego hat soeben wieder eine Rauchwolke ausgespuckt. Tomas ist ganz begeistert und nimmt ihn gleich in den Fokus. Fängt an zu fotografieren. Es muss alles festgehalten werden. Uns, sich, den Vulkan, die Aussicht. Er schiesst Selfie um Selfie. Inzwischen weiss ich, was er damit macht. Er stellt die Selfies mit seinen Passagieren täglich in seinen Whatsapp-Status. Bleibt dadurch mit seinen neuen Freunden in Kontakt und verbreitet eine gute Stimmung.
Du bist mindestens so verrückt wie ich, du kommst jeden Tag hierher und fotografierst, als ob du zum ersten mal hier wärst.
Good vibes ist wichtig, lacht er und knipst weiter.
Wir gehen etwas weiter und kommen zu einer Hand Gottes. Diese Plattformen scheinen in Lateinamerika so richtig in Mode zu kommen. Im Norden von Peru bin ich zum ersten Mal einer begegnet und seither treffe ich immer wieder einmal auf so eine Konstrution. Sie sind aus Stahl, mit Holz oder Lehm verkleidet und bieten gute Bilder. Für unsere Sozial-Media-Generation.
Natürlich muss ich mich auch darauf stellen. Es steht übrigens ein Wärter dabei und achtet darauf, dass sich nicht zu viele Leute darauf stellen und dass auf dem Steg ohne Geländer kein Unfug getrieben wird. Denn darunter gibt es keine zweite Mano de dios, die einen allfälligen Sturz auffangen könnte. Der Wärter stellt sich selbstverständlich auch gleich als Fotograf zur Verfügung. falls man einen braucht.
Weiter oben erwartet uns jemand, den man kennen sollte. Jedenfalls wenn man die Filme 'Der Hobbit' oder 'Herr der Ringe' gesehen hat.
Gandalf, der Magier persönlich steht da. Mit seiner weissen Mähne, mit dem grossen Stock und der Pfeife. Wenn man auf der Terrasse etwas konsumiert, darf man sich mit ihm fotografieren lassen. Wenn nicht, zieht er sich diskret zurück. Selbstverständlich trinken wir etwas, immerhin hatte ich ja noch gar kein Frühstück, was mir jetzt erst bewusst wird. Eine heisse Schokolade und für Tomas einen Kaffee, und wir dürfen fotografieren, soviel wir wollen.
Wir bleiben eine ganze Weile da sitzen, geniessen die Aussicht und ich versuche, eine Eruption des Fuego festzuhalten, aber da warte ich vergeblich. Es entweicht keine Wolke mehr dem Krater.
Beim Weitergehen kommen wir noch zu den Schaukeln. Es gibt kleine harmlose, auf die wir uns setzen und es gibt eine grosse, auf der man angeschnallt werden muss. Doch für mich reicht es, ich strebe dem Ausgang zu. Irgendwann habe ich dann jeweils genug von künstlichen Attraktionen. Es hat sich aber trotzdem gelohnt und es ist spannend, was da in den letzten Jahren entstanden ist. Besitzer des ganzen Geländes soll übrigens ein Guatemalteke sein.
Wir fahren mit dem Pickup zurück zum Parkplatz und von da hinunter in die Stadt. Ich weiss, Tomas würde mir gern noch einen weiteren Aussichtspunkt zeigen, einen weiteren Vergnügungspark. Aber wir sind bereits wieder gut drei Stunden unterwegs. Er hat jetzt Zeit, am Nachmittag weitere Passagiere zu finden. Bestimmt fährt er später noch einmal hier hinauf.
Beim Hinunterfahren kommt uns eine Gruppe Quads entgegen und in den steilen Kurven merke ich erst so richtig, was es bedeutet, mit diesem einfachen Gefährt unterwegs zu sein.
Bist du sicher, dass deine Bremsen halten? will ich wissen.
Selbstverständlich, meint er ernsthaft. Ich überprüfe sie jeden Monat, überhole das ganze Tuctuc, den Motor, wechsle das Oel, kontrolliere alles ganz genau.
Das beruhigt mich und bald darauf sind wir zurück in der Stadt. Der Ausflug hat sich tatsächlich gelohnt, falls ich wieder einmal in der Stadt bin, werde ich den nächsten Aussichtspunkt auch noch besuchen. Dort soll es Riesen-Figuren haben. Und Ziplines, Fahrradfahen auf dem Seil und andere Touristenattraktionen.
Ich kehre im Cafe El Portal am Park ein und beobachte die Menschen, was zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Plötzlich fällt mir auf, dass direkt vor dem Lokal ein kleines Mädchen in den Armen eines Mannes liegt. Es scheint ein Problem zu haben. Atmet es noch? Es entsteht ziemlich viel Aufregung, jemand ruft die Ambulanz an, jetzt kümmert sich eine Polizistin um das Kind. Was ist passiert?
Vielleicht ein epileptischer Anfall, meint die Bedienung, man weiss es nicht genau. Ich bin auch nicht sicher, ob die Mutter der Kleinen dabei ist, oder ob sie alleine auf der Strasse war. Es dauert eine ganze Weile, bis die Ambulanz kommt. Das Mädchen wir auf eine Bahre gehoben, eingeladen. Das Auto fährt weg, die Leute verstreuen sich wieder. Doch mich hat der Zwischenfall an Luis Arturo erinnert. Den Schuputzer vor der Merced. Werde mich noch um ihn kümmern müssen.
Beim Arco, wo schon wieder ganz viele Menschen am posieren sind, erinnert mich eine kleine Pfütze zwischen den groben Steinen an einen Fototrick, den ich vor kurzem zum ersten mal ausprobiert habe. Und es funktioniert tatsächlich. Wenn ich die Kamera ganz tief und gerade halte, ergibt sich eine wunderbare Spiegelung.
Den Rest des Nachmittags verbringe ich im Park und später im Zimmer, wo ich mich gern etwas zurückziehe um auszuruhen oder zu lesen.
Am Abend kehre ich in einem schönen Lokal in der Nähe des Arco ein. Eine feine Lasagne mit einem guten Glas Wein. Was will man mehr.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko