Mittelamerika
Grenzübertritt Mexiko
Fünf Uhr morgens ist es in den Strassen von Panajachel noch stockdunkel. Auch im Hotel habe ich niemanden angetroffen, obwohl die Rezeption 24 Stunden besetzt ist. Doch ich hab auch niemanden gebraucht, die Türe liess sich von innen öffnen, ich zog meinen Koffer durch die Gasse zur Hauptstrasse und dort zur Agentur. Ob der Bus wohl zur Zeit kommt? Es liegt eine sehr lange Fahrt vor mir. Auch wenn ich es nicht ganz verstehe, warum man für diese gut 400 km 10 bis 15 Stunden benötigen sollte. Auch wenn die Strecke natürlich wieder sehr viele Kurven aufweist.
Doch es gibt einen Grenzübertritt. Auf der halben Strecke werden wir in Mexiko ankommen.
Gestern war ich noch einmal in der Agentur und habe nachgefragt. Was muss ich für die Grenze dabei haben? Schon Mario hatte mir bestätigt: Dein Pass reicht. Auch seine junge Angestellte gestern meinte: nur deinen Pass, mehr brauchst du nicht. Also war ich beruhigt und liess meine leise Stimme, die noch immer zweifelte, ob alles gut geht, verstummen.
Es ist Viertel nach fünf, als der Bus eintrifft. Ich bin die erste, nehme hinter dem Chauffeur Platz. Der Platz neben ihm scheint schon besetzt zu sein, jedenfalls will er da niemanden haben. Egal, ich richte mich ein. Habe meinen Reader mitgebracht.
Nach und nach holen wir noch ein paar weitere Gäste in verschiedenen Hotels ab und um kurz vor sechs, die Sonne schickt soeben ihre ersten Strahlen über die Ebene, werfen wir den letzten Blick hinunter zum Atitlan-See, der noch im Schatten liegt.
Pünktlich um acht Uhr gibts den ersten Halt. Nur kurz, weist uns der Chauffeur an, wir müssen uns beeilen, damit wir am Mittag an der Grenze sind. Es wird keine Pause mehr geben mit dahin.
Also besorge ich mir einen Kaffee und ein Brownie. Als Proviant packe ich einen Schokoladenriegel ein. Die vielen Chips und andere Süssigkeiten, die die anderen einkaufen, mag ich nicht. Die geben nur Durst und ausserdem mag ich es nicht, mich mit Snacks zu verköstigen. Wasser habe ich gestern schon besorgt.
Eine Viertelstunde später sind wir wieder unterwegs. Neben dem Chauffeur sitzt eine junge Frau, scheint eine Freundin zu sein, die mitfahren darf. Entsprechend sind die beiden am Plaudern, oder der Chauffeur plaudert am Telefon. Mir soll nie mehr jemand von Männern erzählen, die nicht reden. Unser Chauffeur redet wie ein Wasserfall. Mit der einen Hand gestikuliert er, die andere ist am Steuer. Hoffe ich jedenfalls, sehen kann ich sie nicht, denn ich sitze direkt hinter ihm. Die Telefonstöpsel stecken in den Ohren. Dazu lenkt er den Bus. Den hat er allerdings bestens im Griff.
Die Strasse ist weitgehend gut ausgebaut, teilweise sogar zweispurig in beide Richtungen. Aber wie gewohnt, überall gibt es diese Bodenwellen, bei denen man fast auf Stillstand abbremsen muss, Wir fahren durch eine grüne Gegend Richtung Westen. Und obwohl ich finde, dass wir recht rassig unterwegs sind, nähert sich die Grenze überhaupt nicht. Zwischendurch gibt es aber auch wieder Schotterpisten.
Fotografieren ist nicht angesagt, die abgedunkelten Scheiben laden dazu nicht ein. Also lesen. Hab grad ein Buch über Indien angefangen. Durch eine exotische Gegend fahren und geistig in eine andere exotische Geschichte eintauchen. Das lenkt am allerbesten vom Warten ab. Denn es sind lange Stunden, dieses Sitzen und Warten in einem Shuttle.
Doch dann sind wir tatsächlich da. Sogar eine halbe Stunde früher als angesagt. Es ist halb zwölf. Wir fahren auf einen Parkplatz.
Holt Euer Gepäck raus, wir wechseln hier den Bus. Das ist die ganze Information. Zusätzlich zeigt er uns noch, wo es Toiletten gibt, stellt uns den mexikanischen Chauffeur vor, der uns weiterfahren wird, dann hilft er, die Koffer und Rucksäcke aus dem Auto zu holen und führt uns zur guatemaltekischen Grenzkontrolle. Hier werden die Pässe kontrolliert und es gibt einen Ausreisestempel. Alles bestens. Genau zwei Monate nach meiner Einreise am 9. Juni, verlasse ich am 9. August Guatemala.
Beim Ausgang des Passbüros wartet der Mexikaner, ein junger ziemlich gestresser Mann auf uns.
Alle mir nach, wir gehen zum Bus, meint er und läuft voraus. Ich bemühe mich, mit dem Koffer hinterher zu kommen, versuche, die anderen nicht zu verlieren und erreiche den Bus, wo das Gepäck in den Passagierraum geladen wird.
Allerdings haben wir unterdessen eine junge Frau verloren, die alleine reist und einen riesigen Rucksack auf dem Rücken und eine Gitarre in einer aufgeplatzten Hülle dabei hatte. Schon will der Chauffeur das Auto starten, als ich noch einmal einwende, dass die Frau fehlt.
Wir sind in Eile, können nicht auf jeden einzelnen warten, meint der Chauffeur, muss dann aber trotzdem warten, denn einer der jungen Männer steigt noch einmal aus. Ich gehe sie jetzt suchen, sagt er noch. Und kommt tatsächlich fünf Minuten später mit ihr zurück. Wir sind vollzählig, wir können losfahren.
Weit fahren wir allerdings nicht. Schon bald stehen wir vor dem Immigrationsgebäude auf der mexikanischen Grenze. Da stehen bereits ein paar Leute.
Einreihen, sofort, Gepäck braucht ihr nicht, aber haltet eure Papiere bereit. Papiere?
Ich scheine nicht die einzige zu sein, die nicht weiss, was er damit meint.
Passkopie, Buchungsbestätigung des Hotels, ausgedruckt. Ebenfalls eine Bestätigung des Fluges, respektive der Ausreise. Auf Papier. Und eine Bankauskunft oder ein Ausdruck des Kreditkartenabrechnungen.
Damit ist die Unruhe perfekt. Die junge Frau, die schon wieder verschwunden ist, scheint davon gewusst zu haben, sie kommt gerade zurück vom Shop auf der anderen Strassenseite. Hat sich dort ihren Pass kopieren lassen.
Pass kopieren lassen. Das scheint die kleinste Übung zu sein. Aber wie bekomme ich die Booking-Bestätigung auf Papier? Und vor allem habe ich den Flug für die Ausreise noch nicht gebucht. Hatte vor ein paar Tagen schon mal ein wenig gesucht, wollte mich aber noch nicht entscheiden, hab ja noch genügend Zeit. Hatte ich gemeint. Bis heute.
Jetzt habe ich gar keine Zeit mehr. Jetzt muss es gleich sein. Alle stehen jetzt im Laden auf der anderen Strassenseite. Die Email-Adresse steht an der Kasse. Zum Glück habe ich noch etwas Internet-Guthaben von der Swisscom, denn das guatemaltekische Internet funktioniert nicht mehr. Mexikanische Pesos habe ich auch noch nicht. Nur noch ein paar guatemaltekische Quetzales.
Stress pur. Das mit der Hotelbestätigung funktioniert. Auch ein Auszug aus meinem teporären Bankkonto funktioniert, aber das mit dem Flug bekomme ich auf die Schnelle nicht hin. Also zurück zum Schalter, wo die Warteschlange etwas länger geworden ist und sich unser Chauffeur mit einer grösseren Familie streitet, wer zuerst bedient werden soll. Die beiden Frauen, die das Reden für ihre Eltern und Kinder übernommen haben, weigern sich konstant, andere Reisende vorzulassen. Wir standen schon da, als ihr gekommen seid, wir lassen uns auf gar keinen Fall vertreiben, protestiert die eine, als auch die Beamten uns den Vorzug geben wollen. Sie macht einen Riesenradau, verlangt den Chef und einen Moment befürchte ich schon, dass es eine Schlägerei gibt.
Tatsächlich kommt ein höherer Beamte und entscheidet, dass die Familie vorgezogen werden soll. Auch in unserer Gruppe herrscht Kopfnicken. Unterdessen habe ich mitbekommen, wer meine Mitreisenden sind. Zwei Briten, die auf einer langen Reise sind und anscheinend das mit der Ausreisebestätigung wussten, zwei Wienerinnen, die sich alles ausdrucken lassen mussten, aber dann alle erforderlichen Papiere haben. Ausser der finanziellen Bestätigung. Nein, das werde ich auf keinen Fall tun, meint die eine mit Vehemenz. Ausserdem sind ein paar Mexikaner dabei, doch die brauchen diese Einreisebestimmungen nicht, bei ihnen reicht der Pass.
Ich werde wohl hierbleiben müssen, erkläre ich, denn meine Ausreise kriege ich nicht so schnell hin, jedenfalls nicht unter diesem Druck. Das wird schon klappen, du wirst kaum die einzige sein, meint eine junge Frau, doch ich bin da nicht mehr so sicher.
Und es kommt wie es muss, ich werde abgewiesen. Freundlich und bestimmt. Ich brauche eine klare Bestätigung, wann und wie ich das Land wieder verlassen werde. Ich könne mir auch nicht einfach jetzt rasch ein Busticket besorgen. Mein Ausreisedatum werde im Pass vermerkt werden.
Die Briten raten mir, einen Fake-Flug zu buchen. Das kann man für 25 Dollar machen und ihn gleich wieder stornieren. Doch ich brauche keinen Fake-Flug, ich weiss genau, wann und wohin ich ausreisen werde, habs nur dummerweise noch nicht gebucht. Ausserdem braucht auch ein Fake-Flug Zeit um ihn zu besorgen. Was, wenn es am Schluss nicht funktioniert?
Ich hole mein Gepäck aus dem Bus, verabschiede mich von den anderen und gehe auf die andere Strassenseite. Dort gibt es nicht nur den Shop sondern auch ein Restaurant. Ich muss mich erst sammeln, brauche Zeit, brauche Ruhe, dieser Zeitdruck, den der Chauffeur vom ersten Moment verströmt hat, habe ich nicht ertragen. Noch einmal kommt einer der Briten und fragt, ob er helfen könne.
Nein, alles gut, ich brauche jetzt einen Moment Ruhe, dann schaffe ich das.
Der Bus fährt los. Ich trauere ihm nicht nach. Alles in allem hat der Halt fast zwei Stunden gedauert.
Genau in diesem Moment kommt eine WhatsApp-Mitteilung meines Bruders. Wir haben nicht viel Kontakt, aber jetzt grad brauche ich ihn dringend. Zum Reden, um die Sache in meinen Worten, meiner Sprache zu schildern. Um wieder auf den Boden zu kommen. Fünf Minuten und alles ist wieder in Ordnung.
Erst einmal in Ruhe einen Cola trinken, dann besorge ich mir im Shop eine mexikanische Sim-Karte, hab jetzt also wieder unlimitiertes Internet. Ausserdem kann ich gegen Kreditkarte ein paar Pesos an der Kasse beziehen, denn einen Bankautomaten scheint es nicht zu geben. Step by step löse ich meine Probleme.
Ich packe meinen Laptop aus, zapfe das Wifi des Restaurants an und habe innert zehn Minuten meinen Flug gebucht. Jetzt noch im Shop ausdrucken. Ich hab meine Papiere beisammen und kann zurück zum Passbüro wo jetzt kein Mensch mehr ansteht.
Bist du noch immer hier? staunt der Grenzbeamte hinter dem Schalter und ich verstehe nicht genau, was er damit meint. Jetzt kann ich ihm erklären, dass ich von Anfang an wusste, wann ich ausreisen werde und dass ich längere Zeit in Mexiko bleiben werde. Er studiert alle Papiere - den Bankausdruck habe ich inzwischen zerrissen - und es scheint alles in Ordnung zu sein. Er berechnet die Anzahl Tage bis zu meinem Flug und schreibt die Tage auf das Formular, das ich noch ausfüllen muss. Pack dein Geld ein, da gibt es überall Kameras, sagt er, als er sieht, dass ich die Pesos bereit halte, die man für den Stempel bezahlen muss. Er schickt mich zum Bank-Schalter ein Gebäude weiter. Dort kann ich einzahlen und mit der Quittung zurück kommen.
Auch das schaffe ich noch, bekomme einen Einreisestempel auf dem die Anzahl Tage vermerkt sind, die ich in Mexiko sein werde und bin jetzt offiziell in Mexiko eingereist.
Jetzt muss ich nur noch sehen, wie ich nach San Cristobal de las casas komme.
Comitan sagt die Serviererin, die ich frage und zeigt auf ein Gebäude etwas weiter weg. Das gleiche sagen auch die Taxifahrer, die vor dem Migrationsbüro stehen. Cimitan. Es schient, als ob niemand im Stande wäre, einen ganzen Satz zu sagen. Irgendwie merke ich, als ich zum Gebäude komme, wo Busse und Taxis stehen, dass Comitan eine Ortschaft ist. Dahin werde ich also zuerst fahren und von da weiter nach San Cristobal.
Das erklärt mir ein Franzose, der wie ich auch im Restaurant etwas organisiert hatte. Sein Problem ist anders, genau habe ich es nicht verstanden, aber er scheint schon zu lange in Mexiko zu sein, musste kurz an der Grenze ein paar Dinge organisieren und ist jetzt auf der Rückfahrt nach San Cristobal. Die Stadt ist wunderschön schwärmt er noch, bevor wir losfahren.
Und noch einmal gilt es warten. Die Fahrt dauert fast zwei Stunden. Unterwegs halten wir noch zweimal an. Müssen noch einmal unsere Pässe zeigen und werden fotografiert. In Comitan angekommen, finde ich sofort einen Shuttle, der weiterfährt und zu meinem grossen Verwunderung reichen meine paar Pesos noch immer. Habe allerdings die Kontrolle darüber verloren.
Jetzt nur noch ein Taxi anhalten, das mich zu meinem Hotel bringt. Noch nie war ich so froh, dass ich hier in San Cristobal ein gutes Hotel gebucht habe. Für eine ganze Woche. Ich werde wohl etwas Zeit brauchen, mich von diesem Einreise-Stress zu erholen.
Es ist 20.00 Uhr, als ich mich erst einmal auf dem Bett ausstrecke. Dann checke ich das Bad, es gibt Heisswasser, ohne dass das Wasser fünf Minuten laufen muss. Und im Hotel gibt es ein Restaurant. Dass ich Hunger habe, habe ich erst jetzt gemerkt.
Was ich gegessen habe, ist mir komplett entfallen.
Kurz darauf muss ich eingeschlafen sein. Mexiko, ich bin angekommen.
Inzwischen sind ein paar Tage vergangen, ich habe wieder genügend Abstand und weiss natürlich, dass sowas einfach zum Reisen gehört. Natürlich hätte ich mich noch anderswo orientieren können. Das kann man immer. Sich auf jede sich ergebende Situation vorbereiten. Doch rückwirkend betrachtet ist ja weiter nichts passiert. Ich bin angekommen, es war etwas stressig, ich war extrem müde und habe eine neue Erfahrung gemacht. So what?
Und jetzt lasse ich mir alle Zeit, Mexiko kennen zu lernen.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko