Mittelamerika
Schreibtag
Auf der Frühstücks-Karte vom Los Olivos, die ich mir am Morgen beim Aufstehen herunter geladen habe, steht ein Avocado-Toast. Der hat es mir angetan, darum mache ich mich wieder einmal auf den Weg zum Hotel.
Er sieht gut aus, mein Toast mit den verlorenen Eiern, aber wo sind die Avocados? Unter den Eiern, meint der Kellner, als ich ihn darauf aufmerksam mache. Doch da ist nichts. Also gehe ich in die Küche, die Köchin Nila habe ich vor ein paar Tagen kennen gelernt. Oh, meint sie entschuldigend, ich habe tatsächlich keine Avocados mehr und habe es verpasst, dem Kellner zu erklären.
Die Toast sind trotzdem fein und nachdem der Kellner den Teller abgeräumt hat, bringt er mir noch einen French Toast. Ein Gruss von Nila, Als Entschuldigung.
Entschuldigung angenommen, hat sehr gut geschmeckt.
An der Strasse vor meinem Hotel liegt ein grosser Pneu. Da sitzen immer wieder mal Leute. Meistens sind es Einheimische, die unten in den Pflanzungen am See gearbeitet haben und hier auf einen Transport warten.
Wenn ich an ihnen vorbei komme, grüssen sie mich immer freundlich. Buenos dias, oder buenos tardes, je nach Tageszeit. Überhaupt ist man sehr freundlich in Guatemala. Man grüsst, man wünscht sich einen schönen Tag und man verabschiedet sich oft mit den Worten Que te vaya bien. Das ist so eine Floskel, die ich eigentlich nur hier gehört habe, laut Übersetzung bedeutet es Viel Glück. Wenn ich sie in Peru mal angewendet habe, hat man darauf immer sehr überrascht und erfreut reagiert, hier ist sie allgegenwärtig.
Heute spreche ich die beiden Frauen an, die sich einen Moment auf dem Pneu ausruhen. Sie haben unten auf ihrem Stück Land gearbeitet. Ihre beiden Körbe sind voller Tomaten. Morgen werden sie damit auf den Markt gehen.
Ich soll unbedingt mal zu ihnen kommen. Übermorgen vielleicht, wenn sie wieder auf ihrem Land arbeiten. Ich hatte mich bisher nicht getraut, den schmalen Weg zu gehen, da ich annahm, dass es Privatterrain ist. Das ist es auch, aber es steht kein Schild, also nehme ich mir das für einen der nächsten Tage vor.
Am Nachmittag habe ich noch einmal eine spezielle Begegnung am gleichen Ort, als ich auf ein Tuctuc warte. Ein Mann nähert sich mit einem grossen Paket, das er sich mit einem Band um den Kopf gehängt hat. So werden vor allem ganz schwere Lasten getragen.
Schwer und gross ist sein Paket und er stellt es einen Moment auf dem Pneu ab, um sich auszuruhen.
Was er denn geladen habe, frage ich und vermute etwas Pflanzliches.
Bleche, ist die Antwort und ich bin zuerst gar nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden habe. Bleche? Ich fasse das Paket an und spüre tatsächlich Metall durch die dicke Plane. Metall? Ein ganzer Sack voll? Ich wage gar nicht, nach dem Gewicht zu fragen, bin im Moment einfach nur baff.
Aqui vamos, meint der Mann, der inzwischen etwas ausgeruht hat, nimmt seinen Stoffgurt wieder, legt ihn um seine Stirn und schenkt mir ein breites Lächeln, als ich frage ob ich ihn fotografieren darf.
Mit langsamen Schritten geht er die Strasse hinauf, während ich später ein Tuctuc finde.
Ich will heute mit David seine Mutter besuchen. Getroffen hatte ich sie ja bereits an einem meiner ersten Tage hier, bei der Graduation von Miguel. Sie ist seine Mutter, aber für David war sie immer nur Nicolasa.
Seit ich sie zum ersten Mal getroffen habe, hat sich ihr Leben sehr verbessert. Damas lebte sie mit ihrem Mann Andres und dessen Tochter, sowie einem gemeinsamen Kind in einem Zimmer mit Bett. Auf dem Tisch stand die Nähmschine, damit ich mich setzen konnte, mussten sie einen Plastikstuhl von einem Nachbarn ausleihen. Schon damals hat Andres Huipiles bestickt. Er ist ein Künstler mit der Nähmaschine. Malt Vögel und Blumen.
Vor Jahren hat er sich mal ein Buch mit Vögeln gewünscht. Ich hatte ihm eines besorgt und noch heute holt er sich gelegentlich darin Inspirationen.
Heute leben die beiden im eigenen Haus und ihr Leben ist bedeutend besser geworden. Allerdings wurde es während der Pandemie schwierig, weil niemand mehr Huipiles kaufen wollte oder konnte. In dieser Zeit haben sie eine Mühle gekauft, die heute für einen kleinen Zusatzverdienst sorgt. Es ist eine Maismühle, die Leute bringen ihre frischen Maiskörner, um die täglichen Tortillas zu backen.
Ja, lacht Andres, ich stehe jeden Morgen um vier Uhr auf, denn die Frauen backen dann die frischen Tortillas, die sie mitnehmen, wenn sie aufs Feld gehen. Sie bringen eine Schüssel oder eine Tasse voller Körner, die ich dann mahle. Das bringt immer ein paar Quetzales. Dieses kleine Geschäft hat ihnen über die schwierigste Zeit der letzten Jahre geholfen.
Inzwischen ist aber das Geschäft mit den Handarbeiten wieder angelaufen. Seine Kundschaft ist vor allem in den USA. Es gibt Händler, die Handarbeiten hier in Guatemala einkaufen und dann in die USA verkaufen. Auch Davids Armbänder finden so ihre Käufer. Andres macht wunderschöne Huipiles, er zeigt mir, woran er im Moment arbeitet und vor allem hat er in seinem Handy ein paar fertige Arbeiten abgespeichert. Für einen Huipil mit seinen aufwändigen Stickereien braucht er eine gute Woche. Nebst Huipiles bestickt er aber auch die sehr typischen Hosen der Männer, die man fast nur hier in Santiago Atitlan sieht.
Nicolasa stellt Schmuck her. Aus winzigen Perlen. Halsketten, Ohrhänger und Kolibris. Ich habs verpasst, ihre Arbeiten zu fotografieren, hab ihr aber eine Halskette abgekauft, die bestimmt auf einem meiner nächsten Fotos mal auftaucht.
Nach dem Besuch bei Nicolasa und Andres hole ich meinen Laptop und gehe noch einmal in die Stadt. Ich habe vor ein paar Tagen eine neue Cafeteria entdeckt. Sie gehört Diego und er ist ein richtiger Kaffee-Kenner. Das heisst, er legt alle seine Liebe und sein ganzes Wissen in die richtige Zubereitung von Kaffee.
Vier Jahre hat er in einer Kaffeeplantage und -Produktion gearbeitet und weiss daher alles über die Prozesse der Kaffeeherstellung. Alles über den Anbau, die Ernte, die Fermentation, die Röstung und wie man Kaffee richtig zelebriert.
Und genau das macht er heute in seiner eigenen Cafeteria. Magst du meinen Kaffee probieren, darf ich dir einen aufbrühen? hat er mich vor ein paar Tagen gefragt.
Er hat Wasser aufgesetzt, hat eine kleine Portion Bohnen abgewogen und gemahlen, dann hat er den Filter sorgfältig eingesetzt und das Wasser, dessen Temperatur er zuerst überprüft hat, über das Pulver gegossen. Langsam und am Rand des Filters, so dass es richtig durch das Kaffeepulver fliesst.
Die Bohnen sortiert er übrigens vorher von Hand. Die einen sind besser geeignet für Filterkaffee, andere lässt er durch die grössere Mühle laufen, da wo er das Pulver für die Kaffeemaschine nimmt. Auch dieses wird genau abgemessen. 30 gr braucht er für eine Tasse. Er hat verschiedene kleine Digitalwaagen auf seinem Tresen, zelebriert jede Tasse, putzt danach das Sieb sorgfältig mit einem dicken Pinsel.
Er hat gut geschmeckt, sein Filterkaffee, aber ich bleibe trotzdem beim Cappuccino, den er liebevoll mit dem Milchschaum dekoriet. Ein Meister seines Fachs und bestimmt ein Freak. Aber er scheint mit seinem neuen Konzept Erfolg zu haben.
Seine Tische an den Wänden haben alle eine Steckdose daneben und sogar einen USB-Anschluss, so dass ich mein Handy direkt aufladen kann.
Das ist der Grund, warum ich heute noch einmal hierher gekommen bin. Die Tische sind bequem und es stört niemand. Niemand will mit mir reden, wenn ich an einem der kleinen Tische sitze.
Heute läuft es auch tatsächlich mit dem Schreiben, ich vergesse komplett die Zeit. Erst als ich merke, dass ausser mir niemand mehr da ist, sehe ich auf die Uhr. Fast 22.00 Uhr. Ab dieser Zeit seien die Tuctucs knapp, hatte mir David gesagt, also packe ich rasch zusammen, zahle und gehe hinaus auf die Hauptstrasse.
Ich habe Glück. Schon das zweite Tuctuc hält an. Also doch gar nicht so schlimm. Es sitzen bereits zwei Frauen darin, aber das stört mich nicht, Sammeltuctucs gibt es immer mehr. Die Fahrer profitieren von einem besseren Preis, denn der Preis wird nicht aufgeteilt, sondern jeder Passagier zahlt seine eigene Fahrt.
Cafe orange - Orangenjus, ein paar Eiswürfel und das ganze mit einem Espresso übergossen. Einfach fein.
Beim Hotel Marcelo angekommen, sehe ich, dass das Tor geschlossen ist. Das war es schon letzten Sonntag, tagsüber, das schreckt mich noch nicht. Ich bezahle meine Fahrt und das Tuctuc ist weg.
Doch das Tor lässt sich nicht öffnen. Der Riegel, der am letzten Sonntag einfach angehoben werden konnte, ist mit einem Vorhängeschloss gesichert. Echt jetzt?
Ich versuche daran zu riegeln, versuche irgendwie Lärm zu machen, doch der wird nicht gehört. Von wem auch? Diego der Wächter wohnt etwas versetzt. Also gehe ich am Zaun entlang dahin, wo sein Haus steht, und rufe: Diego! Lauter D I E G O.
Da rührt sich nichts. Es ist nach 22.00 Uhr, ein paar Lampen brennen, aber die Strasse ist leer, da ist niemand mehr unterwegs. Ausser einem Tuctuc, das jetzt vor dem Tor hält und mit den Lichtern blinkt. Ich will aber nicht wegfahren, ich will hinein.
Tatsächlich ist es mein Tuctuc-Fahrer, der zurück gekommen ist. Er hat wohl sofort erkannt, dass ich Probleme bekommen könnte, als er das verschlosse Tor gesehen hat. Jetzt versucht er mit seiner Hupe Lärm zu machen. Hupt ununterbrochen. Doch auch das zeitigt keine Wirkung.
Ich glaube, ich muss über den Zaun steigen, sage ich zu ihm, aber ich hab sowas noch nie getan.
Mein Entschluss reift langsam, aber es scheint keine andere Lösung zu geben. Ich habe im Moment, wie so oft, keinen Internetzugang, kann also niemanden kontaktieren.
Soll ich tatsächlich über den Zaun steigen? Ich kralle mich in den Drahtzaun, ziehe mich hinauf, stehe jetzt tatsächlich auf der Mauer. Jetzt noch den Maschendrahtzaun. Ich versuche mich daran hinauf zu hangeln, ziehe die Flipflops aus, mit den Zehen kann ich mich besser festhalten. (bin ich denn ein Affe?)
Endlich sitze ich rittlings oben, halte mich am steinernen Pfosten fest und will das zweite Bein über den Zaun bringen. Doch ich hänge fest. Ausgerechnet im Schritt meiner Leggins hat sich ein Draht eingehängt. Espera, sage ich zum Tuctuc-Fahrer, der mich motivieren will, weiter zu machen, ich muss da erst etwas lösen.
Während ich mich weiterhin an der Säule festklammere, kann ich mich mit etwas vor und rückwärts bewegen, vom Draht lösen und ganz langsam und vorsichtig ziehe ich das zweite Bein auch über den Zaun. Jetzt nur noch ein Sprung von der Mauer, ich bin drin.
Der Tuctuc-Fahrer wirft mir meine Flipflops rüber, die Tasche mit dem Laptop hatte ich schon vorher vorsichtig auf der anderen Seite heruntergelassen.
Ich habs tatsächlich geschafft, bedanke mich beim jungen Mann für seine moralische Unterstützung und gehe zu meiner Unterkunft. Mit schlotternden Knien.
Wie war das nochmal? Abenteuer gesucht, Abenteuer gefunden.
Möchte ja nicht hören, wie er die Geschichte von der alten Lady, die nachts rittlings auf dem Zaun hockt und sich an die Säule klammert, seinen Kollegen erzählt...
Ich weiss, bei Tag sieht das nicht so gefährlich aus, der Zaun ist insgesamt vielleicht 2 Meter hoch und eigentlich müsste man das mit einem Klacks schaffen. Dass ich aber in meinem hohen Alter zum ersten Mal über einen Zaun klettern und auf einem Grundstück einbrechen muss, hätte ich nicht erwartet.
Aber wie immer, alles gut, nichts passiert.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko