Mittelamerika
Semuc Champey
Ich hatte gestern an der Rezeption gefragt, ob man mir eine Fahrt nach Semuc Champey organisieren könnte. Immerhin ist dies die Hauptattraktion der Gegend. Zwar dauert die Fahrt knapp 2 Stunden, auch wenn es nur gut 60 km sind, aber ich fand, das lohne sich trotzdem. Sei um 7 Uhr vor dem Hotel, du wirst abgeholt, meinte Leo von der Rezeption noch, das war meine ganze Information.
Es ist zu spät, wenn mir jetzt, nachdem wir bereits die ersten Kilometer gefahren sind, in den Sinn kommt, dass ich meine Badehose hätte einpacken sollen. Immerhin war ich vor knapp 20 Jahre schon einmal da. Nun, jetzt werde ich mich eben mit dem Betrachten und Geniessen des Ortes begnügen müssen.
Mit mir fährt noch ein junges Paar aus Barcelona. Sie sind vor vier Tagen in Guatemala angekommen und noch voller Fragen. So haben sie sich zum Beispiel gewundert, dass es in Antigua soviele Spanisch-Schulen gibt. Ob die Leute in Guatemala Spanisch lernen? Als Spanier ist es ihnen natürlich nicht so geläufig, dass man aus der ganzen Welt hierher kommt, um Spanisch zu lernen. Zwar sprechen viele Einheimische, vor allem ältere Menschen kein Spanisch, aber für die sind diese Schulen nicht gedacht. Natürlich kommen wir dadurch schnell wieder einmal auf das Schulsystem zu sprechen und der Chauffeur erzählt, dass es damit eben nicht zum Besten bestellt ist. Überhaupt erzählt er ein wenig vom Leben in Guatemala, von der Landwirtschaft des Landes. Er ist in der Kaffeekooperative in Coban aufgewachsen. Die beiden Spanier haben diese gestern besucht und sind noch immer begeistert von den vielen Informationen, die sie dort bekommen haben.
Auch heute fahren wir wieder durch eine satt-grüne Gegend. Das ist wegen der Regenzeit, erklärt Lucas, der Chauffeur. In der Trockenzeit wirkt das alles manchmal recht braun.
Heute aber fahren wir durch Wälder und vorbei an hoch stehendem Mais. Es wird ein heisser Tag, über den Bäumen in der Entfernung kann man manchmal mystische Nebel sehen. Nebelwälder. Regenwälder. Die recht gut ausgebaute Strasse steigt bis auf fast 2000 m hoch, doch dann geht es kontinierlich tiefer.. Wieder ist es eine kurvenreiche Strasse, natürlich mit zusätzlichen Bremsern ausgestattet. Man muss sie kennen, die vielen Bodenwellen, über die man sich hier immer wieder kämpfen muss. Dörfer gibt es hier in der Gegend kaum mehr, nur noch ein paar vereinzelte Häuser, manchmal ein paar Hunde auf der Strasse, von denen man nicht weiss, wo sie herkommen.
Bald erreichen wir Lanquin, wo wir den bequemen Bus verlassen und in einen Pickup umsteigen sollen. Zum Glück sind die Spanier und ich die ersten, so dass wir im Inneren des Wagens Platz finden. Vorne sitzen der Chauffeur und ein Daniel, der Guia, während hinten eine Gruppe von jungen Touristen Platz findet. Respektive steht. Denn zum Sitzen gibt es keine Gelegenheit, man steht auf der Ladefläche des Pickups und hält sich an den Stangen fest, die aufgeklappt werden. Hoffentlich dauert die Fahrt nicht allzu lange.
Es geht zum Teil über eine recht holperige Piste, die auf einigen Kilometer noch immer im Bau scheint. Jedenfalls begegnen wir grossen Baumaschinen, die nur kurz Pause machen, wenn wir vorbei fahren. Es muss hinten auf der Brücke ziemlich rütteln, die Fahrt dauert und es scheint, dass der Fahrer ganz vergessen hat, dass da hinten nicht ganz pickupgewohnte Passagiere mitreisen.
Für Einheimische sind diese Fahrten auf den Pickups ganz normal. Es ist wie ein zusätzliches ÖV-System für kurze Strecken und kleine Budgets.
Nach einer guten halben Stunde haben wir unser vorläufiges Ziel erreicht. Allerdings kann ich dieses noch nirgends entdecken und mein Navi zeigt mir, dass wir noch immer nicht ganz da sind.
Trotzdem heisst es bei der Brücke aussteigen, es geht zu Fuss weiter.
Daniel erklärt jetzt das Programm und ich glaube mich verhört zu haben. Von einer Schaukel spricht er, vom Sprung über den Wasserfall, Riverrafting, Schwimmen in der Höhle. Wo bin ich denn da hingeraten?
Etwas verdattert gestehe ich, dass ich kein Badekleid dabei habe, worauf Daniel meint, ich könne auch gern in den Kleidern... Jedenfalls soll ich jetzt trotzdem mal mitkommen. Von seinen ganzen Aufzählungen könnte ich mir höchstens noch die Schaukel über dem Fluss vorstellen, aber als ich sie sehe, winke ich auch da ab. Lieber sehe ich zu, als dass ich hier in den reissenden Fluss springe. Nein, so mutig bin ich nicht, war ich noch nie. Während die anderen sich ausziehen, überlege ich, dass mir der Umstand, dass ich mein Badekleid nicht mitgenommen habe, jetzt einige Ausflüchte erspart.
Es ist eine lange Schaukel, die da am Ufer in den Bäuen hängt und Daniel macht es vor. Aufsitzen, hinaus schaukeln und gleich loslassen. Nicht zögern, direkt ins Wasser springen. Und dann gleich ans Ufer zurück schwimmen. Immerhin erkundigt er sich noch, ob auch wirklich alle schwimmen können.
Es beruhigt mich, dass auch die jungen Leute nicht einfach so ins Wasser springen, es braucht doch einen Moment der Überwindung, bis einer der jungen Männer den ersten Sprung wagt. Neben mir bemerke ich zwei junge deutsche Frauen. Eine erklärt der anderen gerade, warum sie sowas nie machen würde, denn bei solchen Abenteuern passiert doch immer mal wieder etwas. Worauf es die andere wagt und am Schluss haben beide den Sprung gemacht. Es sind aber dann nur knapp die Hälfte, die die Mutprobe bestanden haben, einige gehen gar zweimal.
Unser nächstes Ziel versteckt sich hinter einer Biegung, wir stehen vor dem Wasserfall. Hier könne man von verschiedenen Höhen ins Wasser springen, hatte Daniel erst gerade erklärt, aber jetzt nimmt er seine Aussagen zurück. Heute ist nur fotografieren angesagt. Das Wasser ist zu wild, die Strudel unberechenbar. Also bitte nur fotografieren, nicht hinein springen.
Der Wasserfall ergiesst sich über die ganze Breite des Flusses, über verschiedene grosse Felsen, über bemoste und bewachsene Flächen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wo man hier ins Wasser springen könnte. Es scheint mir nicht nur an den Strudeln zu liegen, es sind auch viel zu viele Steine da. Und ausserdem müsste man wohl zuerst ziemlich viel klettern, bis man an einem Punkt angelangt ist, von wo man ins Wasser springen könnte. Aber eben, nur fotografieren und zurück gehen, dahin wo man vorhin die grossen Gummiringe gelassen hat.
Willst du wirklich nicht mitfahren? Daniel macht noch einen Versuch. Du kannst auch ohne weiteres mit den Kleidern in den Schlauch sitzen.
Nein, ich sehe euch zu, mache ein paar Fotos, das ist mir lieber.
Hat er jetzt verständnislos leicht den Kopf geschüttelt oder ist er froh, dass er das Risiko mit der alten Frau nicht eingehen muss? Er ist jung, er ist unbeschwert und zeigt jetzt, wie man sich im Schauch verhält.
Ihr müsst mit beiden Händen paddeln. So, und nicht nur ein wenig die Hände im Wasser schwenken. Los, steigt auf, wir starten. Er hilft jedem, den richtigen Sitz zu finden, dann paddelt er los. Hinaus in den Fluss von dem er noch vorhin beim Wasserfall meinte, dass er sehr viel Wasser hätte. Doch der Fluss ist nicht der Wasserfall, also ist alles in Ordnung.
Es machen alle mit. Die Leute sind alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, Einzig Paul aus Deutschland meint, dass er sich mit seinen gut 35 Jahren wie eine Generation älter fühlt. Was soll ich dann dazu sagen...
Bald schon schaukelt die Gruppe auf dem Fluss dahin, das Wasser scheint die Richtung zu geben, auch später, als es um den grossen Stein herum geht, der in der Mitte des Flusses bei der Brücke steht.
Ich schlendere derweil gemütlich zurück zur Sammelstelle der Ringe.
Noch ist der Abenteuertrip nicht zu Ende. Als alle zurück sind, die Schäuche wieder deponiert, steigen wir hinauf, es geht zum Eingang einer Höhle. Da kannst du gut mitkommen, meint Daniel noch einmal, aber als ich sehe, dass das trübe Wasser schon beim Eingang mehr als knöcheltief steht, verzichte ich grosszügig, während die Gruppe brennende Kerzen fasst, denn im Innern sei es stockfinster.
Also warte ich noch einmal unten beim Fluss und bald gesellt sich eine junge Isrealin dazu. Als es komplett dunkel wurde, war für sie Schluss. Klaustrophobie. Nichts mehr sehen und nicht wissen, wohin man tritt, das war zu viel. Kann ich gut verstehen.
Gut bist du nicht mitgekommen, meint Paul später, als endlich alle zurück sind. Am Schluss musste man irgendwo ins Dunkel springen und durch die Höhle schwimmen...
Woher alle die schwarzen Striemen auf der Haut hatten, habe ich nicht weiter gefragt, vielleicht haben sie mit den schwarzen Kerzendochten die Hände angestrichen und sich gegenseitig markiert. Auch wie es wirklich in der Höhle war, frage ich nicht. Was in der Höhle passiert ist, soll dort bleiben.
Jetzt gibt es jedenfalls Mittagessen. In der Hütte bei der Brücke ist ein kleines Buffet aufgebaut. Es gibt Hühnchen, Reis Pasta und Salat. Dazu verschiedene Sossen und es schmeckt richtig gut. Und ausserdem ist es im Preis inbegriffen. Ich bin ja noch immer am Staunen, was da alles dabei ist, wo ich doch nur glaubte, die Fahrt zu buchen und keine Ahnung vom Abenteuertrip hatte.
Nach dem Essen scheinen wir endlich zum Ziel zu gelangen. Mit dem Pickup geht es über die Brücke und nach einem knappen Kilometer erreichen wir den Eingang zum eigentlichen Nationalpark, oder wenigstens zu den Bassins. Im Nationalpark sind wir möglicherweise schon die ganze Zeit.
Bei der Informationstafel erklärt Daniel noch einmal das Gelände. Wer will kann zum Aussichtspunkt hinauf steigen. Es gibt da oben keine Attraktion, keine Fotopunkte, nur die Aussicht hinunter zu den Wasserbecken. Wer nicht hinauf gehen will, kann direkt zu den Bassins gehen.
Jetzt bedaure ich total, dass ich nicht ins Wasser steigen kann, denn es ist inzwischen richtig heiss geworden und das klare Wasser lädt tatsächlich zum Abkühlen ein.
Semuc Champey, das sind flache kristallklare Wasserbecken mitten im Dschungel. Sie erstrecken sich über verschiedene Stufen und es gibt sogar Orte, wo heisses Wasser aus den Ritzen aufsteigt.
Ich bin überrascht zu sehen, dass sich seit meinem letzten Besuch im Jahr 2004 nichts verändert hat. Sogar die kleine Holzbank ist noch am gleichen Ort wie damals. Am Ufer gibt es ein paar einfache Wege und zum Teil Holzstege, aber es ist alles ganz natürlich geblieben. Nicht einmal ein Verkaufsstand für Getränke und Süssigkeiten gibt es hier, wo die doch an allen Orten auftauchen.
Der Ort steht unter ganz besonderem Schutz. Es sind nur wenige Menschen hier, der Zustrom hält sich in Grenzen, man kommt hier auch nicht ganz so einfach hin. Individuelle Fahrten mit dem PW sind durch die spezielle Zufahrtsstrasse kaum möglich. Es ist ruhig, das heisst, wenn man von den lauten Brüllaffen absieht, die irgendwo in den Bäumen ihr Organ erschallen lassen. Sie mögen weit weg sein, man hört sie trotzdem durch den ganzen Dschungel brüllen. Brüllaffen sollen das lauteste Organ in der Tierwelt haben. Man kann sich das kaum vorstellen, wenn man einmal einen ausgewachsenen Affen gesehen hat. Sie sind gar nicht so gross, aber sie können ihren runden Mund wie einen Trichter öffnen und tönen entsprechend. Wobei ich immer einen metallischen Ton daraus zu erkennen glaube.
Ich bleibe also auf der Holzbank sitzen, höre den Vogelstimmen und den Affen zu und geniesse die Ruhe. Es ist alles gut und soviel Zeit bleibt nicht mehr. Jedenfalls nicht genügend, als dass ich in der Unterwäsche ins Wasser steigen möchte. Nachher die Kleider darüber anzuziehen und die zweistündige Rückreise antreten. Nein, eher nicht.
Um drei sollen wir zurück sein, hatte Daniel gesagt, allerspätestens um 1.5.15, denn danach würde die Strecke zeitweise gesperrt.
Die Strasse nach Laquin wird ausgebaut und für die Fahrten gibt es nur kurze Zeitfenster. Wenn man die verpasst, muss man sich auf Wartezeiten von bis zu zwei Stunden einstellen. Das will niemand, denn es wird mit Dynamit gesprengt, also heisst es äusserste Vorsicht.
Die Abfahrt verzögert sich dann doch noch, obwohl alle zur Zeit zurück sind. Dafür verhindert ein Wolkenbruch die Fahrt mit den offenen Pickups. Also wartet man, bis die letzten Tropfen vom Himmel gefallen sind, bevor die Rückreise anfängt.
Zurück nach Lanquin wo uns Lucas mit dem bequemen Bus erwartet und dann geht es zurück über die grüne Strecke nach Coban, wo wir bei Einbruch der Dunkelheit ankommen.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko