Mittelamerika
Mexico-City
Die Fahrt in die Hauptstadt ist eigentlich nichts besonderes. Der Bus fährt zur Zeit los und kommt gut vier Stunden später in der Mexico-City an. Aber ich hatte etwas spät gebucht und bekam den allerhintersten Platz. Auch das ist nicht weiter schlimm, ich habe mein neues Buch dabei. Aber ich kann in der Busstation kein Wasser mehr kaufen. Es gibt keinen Kiosk und auch keinen Verkaufsstand, wie sie sonst überall stehen und Proviant und Wasser verkaufen. Also verlasse ich mich darauf, dass irgendwann bei einem Halt ein Verkäufer zusteigen und Wasser verkaufen wird. Doch es gibt keinen Halt, wir fahren durch. Was an sich natürlich sehr angenehm ist, in diesem Fall aber eine lange vierstündige Tortur.
In Mexico-City angekommen kaufe ich also erst einmal eine Flasche Wasser und brauche darauf natürlich gleich noch eine Toilette. Nun gibt es auch hier inzwischen die Clean-Toiletten, bei denen man am Eingang ein paar Münzen einwirft, damit man durch das Gitter gehen kann. Durch ein Drehkreuz, das von oben bis unten mit Stangen bestückt ist. Und was macht man mit dem Koffer? Kann den ja kaum einfach vor dem Drehkreuz stehen lassen, in der Hoffnung, dass ihn niemand mitnimmt. Jedenfalls quetsche ich mich durch die Schranke, bin aber einen kurzen Moment in Panik, dass mich die Feuerwehr zwischen den Stangen befreien muss.
Aber alles gut, hab auch das geschafft und stehe bald darauf vor dem Busbahnhof und warte auf ein Uber. Die gibt es tatsächlich hier in Mexiko. Nicht an allen Orten, aber hier in der Hauptstadt sind sie unterwegs. So bin ich innert kürzester Zeit in meinem Hotel.
Auch da gab es vorher noch eine kurzes Problem. Eben als ich in Papantla auscheckte, kam die Meldung, dass meine Kreditkarte nicht in Ordnung sei und mein Hotel daher meine Buchung canceln würde, wenn ich nicht eine andere Karte hinterlegen würde. Die Zeit reichte nur noch für eine Rückmeldung, dass sie die Reservierung bitte aufrecht halten sollten, ich würde am Abend ankommen.
Eine Stunde bevor wir in CDMX - so wird Mexico-City überall genannt - ankommen, erhalte ich die Meldung, dass meine Reservation jetzt definitv storniert sei. Also noch einmal eine Meldung zurück, dass ich gleich ankommen würde und dass man meine Reservation doch bitte aufrecht halten soll.
Das hat dann auch geklappt, die Frau an der Rezeption meint, das gäbe es öfters, dass Kreditkarten nicht funktionierten. Meine Meldungen hat sie anscheinend nicht gelesen, aber mein Zimmer ist noch frei. Ich bin fix und fertig, als ich endlich im Bett liege..
Am Morgen fühle ich mich noch nicht viel besser, ich habe die ganze Nacht gehustet. Ein penetranter keuchender Husten, bei dem mich der ganze Brustkorb schmerzt. Trotzdem versuche ich, kurz meine Umgebung zu erkunden. Vor allem habe ich Hunger, denn auf der Fahrt hatte ich nichts gegessen und auch das Nachtessen war völlig ausgefallen.
Dummerweise gibt es im Hotel kein Restaurant, beim Buchen war ich der Meinung, dass das in der Stadt kein grosses Problem sei. Heute aber sehe ich das ganz anders. Doch es hilft nichts, ich gehe auf die Suche nach einem Imbiss oder Restaurant.
Auf der Karte sehe ich, dass der Zocola, der Hauptplatz nur ein paar Häuserblocks entfernt ist. Also mache ich mich auf den Weg. Doch die paar Häuserblocks kommen mir endlos vor. Ich schleiche durch die Strassen, fühle mich müde und kämpfe bei jedem Schritt darum, gleich wieder umzukehren, nehme jede Sitzgelegenheit wahr. Ruhe mich auf Ruhebänken in einem kleinen Park aus, setze mich auf Treppenstufen bei grösseren Gebäuden und endlich auch in ein Café, wo ich einen Cappuccino bekomme. Was ist nur mit mir los?
In ein paar Tagen ist der Nationalfeiertag von Mexiko, überall stehen Verkaufsstände mit Fahnen und Kleidern in den Nationalfarben. Rot - weiss - grün. Irgendwie erinnert mich das an Weihnachten. Muss mich immer wieder daran erinnern, dass noch nicht Dezember ist. Doch für längere Überlegungen fehlt mir heute die Kraft und irgendwie erreiche ich irgendwann den Zocola.
Den riesigen Platz vor der Kathedrale. Er ist abgesperrt und völlig leer. An der Seite beim Nationalpalast werden Tribünen aufgebaut, doch ich bin eh zu müde, dahin zu gehen. Ich setze mich auf eine der Treppenstufen im Schatten gegenüber der Kathedrale, so wie viele andere auch und erhole mich erst einmal von meinem Spaziergang, der wenn ich das richtig sehe, nur einen Kilometer ausmachte. Vielleicht nehme ich für den Rückweg ein Taxi...
Nachdem ich wieder etwas bei Kräften bin, schleiche ich zurück. Zurück ins Bett und hole den Fiebermesser. Kein Wunder, erhöhte Temperatur. Das erklärt meine Müdigkeit.
Die nächsten Tage mache ich gar nichts, ausser dass ich gegen Mittag das Hotel verlasse, und eine Strasse weiter zum Toks gehe. Das ist ein grosses Restaurant, in dem es eine riesige Menuauswahl gibt. Ich bleibe meistens beim Frühstück mit Eiern. Manchmal Früchte, Orangenjus und Kaffee. Und dann geht es zurück ins Bett. Ich mag nichts sehen, mich mit nichts befassen. Einzig Martha an der Rezeption, bei der ich meine tägliche Ration Wasser kaufe, fragt mich jedesmal besorgt, wie es mir gehe. Das tut mir gut und langsam geht es mir besser.
Etwas Gutes hat das Ganze ja doch auch, ich lerne meine unmittelbare Umgebung kennen. Eigentlich bin ich ja kein Stadtmensch, mag lieber die kleinen Geschichten im Dorf oder eben in der Umgebung. So erkundige ich mich eines Tages was es mit den endlosen Warteschlangen auf sich hat, die in der Nähe des Hotels warten. So viele Menschen. Jeden Tag. Sie stehen da mit Sonnenschirmen, denn die Sonne brennt am Mittag recht heiss vom Himmel. Sie stehen über zwei Häuserblocks und es werden einfach nicht weniger.
Der Mann, der die Leute zuteilt, wenn sie in das Gebäude eintreten dürfen, erklärt mir, es wären ehemalige Staatsangestellte, sie sich für einen späteren Pensionsanspruch registrieren müssten. Sie müssten sich melden, damit man weiss, wo sie sind.
"Einmalig?" frage ich nach. "Nein, alle sechs Monate."
Ich kanns nicht fassen, das darf doch nicht wahr sein. Es sind alle Altersstufen dabei, Männer und Frauen. Und die sollen sich jetzt alle Halbjahre wieder melden, damit sie im Alter ihre Rente bekommen werden? Ich bin zu müde, hab irgendwie das Gefühl, dass ich etwas falsch verstanden habe, obwohl ich bei dem Mann noch einmal rückgefragt habe. Aber ich habe es verpasst, noch jemand anderen zu fragen, was ich bei Unsicherheiten oft mache. Ich bin einfach noch nicht auf dem Damm, zu müde, für längere Unterhaltungen in der Mittagshitze.
Ich bleibe bei meinen kurzen Spaziergängen in der Umgebung, finde ein paar interessante Murales. Eigentlich müsste man hier in CDMX die grossartigen Wandmalereien von Diego Ribero, dem bekannten mexikanischen Maler ansehen, die im Nationalpalast sind, aber mir steht, der Sinn nicht nach offiziellen Besichtigungen. Finde auch diese Bilder äusserst spannend. Interessant ist, dass sie auf den Fotos viel prägnanter wirken. Da verschwinden die abgefallenen Farben, die bröckelnden Mauern. Was bleibt sind die eindrücklichen Sujets, die intensiven Farben.
Gegen Ende der Woche schaffe ich es, in die Papeterie gegenüber des Hotels zu gehen. Ich habe per Mail ein paar Dokumente bekommen, die ich unterschrieben zurück in die Schweiz schicken soll. Eigentlich keine grosse Sache, ich hatte es am letzten Tag in Papantla versucht, doch da hat es mit dem Übermitteln der Daten schon nicht geklappt.
Jetzt bei Micaela klappt es. Ich bin eine ganze Weile in ihrem Geschäft, während sie die Dokumente ausdruckt. Natürlich gibt es zuerst ein paar Probleme zu lösen, um die Dokumente vom Mail ins WhatsApp zu bringen. Und dann klappt es mit der Internet-Verbindung nicht auf Anhieb. Aber am Schluss kann ich meine Sachen unterschreiben und sie scannt alles wieder ein und schickt es an mich zurück. Wieder etwas erledigt.
Während der Zeit, in der ich warte, kommt manchmal jemand ins Geschäft und kauft eine Zigarette. Micaela holt dann eine Auswahl an angefangenen Zigarettenpackungen unter der Theke und der Kunde wählt die gewünschte Marke aus, streckt ihr ein paar Pesos entgegen und geht mit einer einzelnen Zigarette zufrieden hinaus. Ja das sei absolut üblich, erklärt mir Micaela. Kennt ihr das nicht? Für ein ganzes Paket Zigaretten reicht den meisten Kunden eben das Geld nicht, für eine einzelne manchmal schon. Das müssen Genusszigaretten sein.
Am Samstag schaffe ich es zur kurzen Fussgängerpassage bei der Regina-Kirche, die nur einen Häuserblock von meinem Hotel entfernt ist. Vor der Kirche liegt ein Obdachloser. Auf der Bank scheint eher ein Tourist eingeschlafen zu sein. So genau kann ich das nicht einschätzen, ich merke nur, dass ich mich langsam wieder für meine Umgebung interessiere. Es ist ja so, dass man sofort bemerkt, wenn es einem nicht gut geht, geht es aber besser, beachtet man das kaum mehr. Mein Fieber ist jedenfalls weg, der Husten ist geblieben und ich brauche noch immer viel Ruhe. Will noch nicht allzuweit gehen.
Es ist eine ganze Woche vergangen, seit ich am Sonntag-Abend im CDMX angekommen bin und eigentlich habe ich ausser dem Zocala noch gar nichts gesehen von der Hauptstadt. Nur ein paar kleine Eindrücke aus meinem Quartier, aber eigentlich ist das ja auch ein Teil der Stadt. Eine Freundin hat mir erzählt, dass CDMX eigentlich eine Ansammlung ehemals kleiner Dörfer sei. Ich habe jetzt eines dieser kleinen Dörfer etwas näher kennen gelernt.
Ich finde die kleine Wäscherei von Eric und kann meine getragenen und verschwitzten Kleider bringen. Einen Tag später bekomme ich alles sauber zurück. 3,5 kg für 60 Pesos. Wenn ich in den Hotels waschen lasse, kostet es in der Regel mehr, in Veracruz war es sogar viel mehr, aber da bekam ich meine Kleider frisch gebügelt auf Kleiderbügeln zurück. In Hotels wird in der Regel nach Anzahl abgerechnet, in den Waschsalons in der Stadt eher nach Kilogramm. Die Wäsche ist dann nicht gebügelt, aber immerhin zusammengefaltet, so dass ich sie in meinen Pakettaschen im Koffer gut verstauen kann.
Auf meinem täglichen Weg ins Taks, wo ich meistens frühstücke, weil es ganz nahe des Hotels ist, sind mir diese Lastwagen aufgefallen. Meistens steht einer hier und wird entladen. Das heisst, die Pakete werden auf Handwagen umgeladen und Männer verteilen sie in der Stadt. Überall sehe ich sie mit ihren grossen Lasten, von denen ich natürlich nicht weiss, ob sie schwer oder leicht sind. Überall fahren sie über Zebrastreifen, in Fussgängerzonen oder sie fädeln sich in den fahrenden Verkehr ein und benutzen die Fahrbahnen der Autos. So funktioniert also die Feinverteilung der Waren in der grossen Stadt.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko