Mittelamerika
Corpus Christi
Leider stehen die Verkäufer immer im Schatten. .Kann es verstehen, denn die Sonne brennt am Morgen heiss, aber die Bilder werden dadurch etwas dunkel.
Jetzt bin ich bereits eine gute Woche hier in Antigua. Eigentlich habe ich das Gefühl, ich hätte kaum etwas getan, hätte mehr verpennt und die Zeit überhaupt nicht richtig genutzt. Wie ich jetzt aber versucht habe, die letzten Tage im Blog aufzuarbeiten, merkte ich, dass da doch einiges gewesen ist. Klar, wenn ich das erste Mal in dieser Stadt wäre, wäre ich noch mehr unterwegs gewesen, hätte konsequenter verschiedene Orte besucht, noch mehr Bilder eingesammelt. Und bestimmt auch das eine oder andere eingekauft. Da ich aber schon mindestens zehn Mal hier war, war die Spannung und das Entdeckerfieber nicht mehr so hoch. Ich habe mehr die Orte besucht, die ich schon kannte. Habe versucht herauszufinden, was sich verändert hat, ob ich mich noch auskenne.
Gestern war ich in der Kathedrale. In der Ruine der Kathedrale. Die fasziniert mich jedesmal wieder. Ursprünglich war die Kathedrale riesig, doch beim letzten grossen Erdbeben von 1773, als das grosse Kirchenschiff einstürzte, die grossen Kuppeln auf dem Boden aufschlugen und nur noch runde Löcher in der Decke hinterliessen, hat man den Wiederaufbau nicht mehr in Angriff genommen. Tatsächlich ist der Teil, der noch immer als Kirchenraum genutzt wird, nur eines der Seitenschiffe der ursprünglichen Kirche.
Ich gehe fast jedes Mal in die Ruine, setze mich irgendwohin, starre hinauf zu den hohen Bogen, den Löchern, die den Blick in den Himmel frei geben. Versuche mir vorzustellen, wie es hier damals ausgesehen hatte, als die Kuppeln noch auf dem Dach thronten, die Fenster noch farbige Gläser hatten.
Wie es sich angefühlt hat, als die Mauern wankten, die grossen Säulen einstürzten, möchte ich mir lieber nicht vorstellen. Die Gewalt eines Erdbebens muss ungeheuer sein.
Ich war gegen Mittag auch noch einmal bei der Merced. Luis Arturo sass auf seinem gewohnten Platz, wartete auf Kundschaft. Als er mich sah, strahlte er. Dabei wusste er noch gar nicht, dass ich seine Medizin für zwei Monate bei mir hatte. Zwei Monate ist er jetzt wieder sicher, zwei Monate ohne Angst zu haben und nicht zu wissen, ob er irgendwann von der Feuerwehr oder der Ambulanz aufgelesen wird. Und irgendwo wieder aufwacht.
Dass Luis auch ohne mich überleben würde, ist mir schon klar. Er schafft das ja seit Jahren. Irgendwie. Aber er ist immer auf Menschen angewiesen, die ihn kennen, die sich an ihn erinnern, ihn irgendwie unterstützen.
Als ich herkam, hatte ich mich gar nicht so sehr um die Kirche gekümmert, es hat hier immer einen kleinen Markt mit Verpflegungständen, so hatte ich zuerst gar nicht gemerkt, dass heute etwas besonderes los ist.
Als ich mich zu Luis auf die Mauer gesetzt hatte, um ein wenig zu plaudern, fiel mir aber auf, dass ganz besonders viele Menschen bei der Kirche waren, es schien dass etwas Grosses im Gange sei.
Luis erzählte mir, dass gleich eine Prozession anfangen würde. Corpus Christi, Fronleichnam. Vorgestern war bei der Kathedrale eine Prozession, aber ich hatte sie verpasst, hatte nur gesehen, dass beim Cafe El Portal ein Blumenaltar aufgebaut wurde und später am Abend hatte ich gehört, dass es draussen knallte. So stark, dass ich es bis in mein ruhiges Zimmer hörte. Aber ich war zu müde um nachzusehen.
Ich verabschiedete mich also von Luis und ging zur Kirchentüre. Hier war wirklich etwas los. Vor der Türe lagen Blumen und PIniennadeln auf dem Boden. Über dem Portal Girlanden. Kinder in weissen Kleider, Buben und Mädchen standen in zwei Reihen neben dem Blumenteppich, manche trugen sogar kleine Flügel, sie sollten wohl Engel darstellen. Menschen drängten sich vor dem Eingang, eine Blaskapelle stand bereit.
Auch von drinnen erklang Musik. Ich drängte mich hinein, die Kirche war voll, beim Altar fand eine Messe stand, die mit einer Kamera auf grosse Bildschirme übertragen wurde. Trotzdem war alles rundum in Bewegung. Die Kirchentüren waren offen, immer wieder kam jemand heraus, drängten sich andere hinein. Also wieder hinaus und in Position, falls nächstens was passieren würde.
Und dann schlugen tatsächlich die Kirchenglocken an. Sie läuteten die Prozession ein. Darauf ging die Musik in Stellung. Mit Pauken und Trompeten, mit viel Blechinstrumenten setzten sie sich in Bewegung. Ganz vorne aber kam jetzt zuerst die Prozession aus der Kirche. Ein Baldachin, darunter der Pfarrer mit der Monstranz und seinen Helfern und Ministranten. Dahinter die Musikanten. Am Rand und dahinter die Zuschauer und die weiss gekleideten Kinder.
Ich war grad dabei, alles mit der Videokamera aufzunehmen, als ich merkte, dass es hinter meinem Rücken knallte. Da schien ein ganzes Feuerwerk abzubrennen. Tatsächlich entzündete sich einer Zündschnur gleich eine ganze Batterie von Knallern, die Kabel mit denen sie verbunden waren, wanden sich nur so auf dem Boden. Der Lärm war ohrenbetäubend. Und erst der Rauch. Da wo ich eben noch gestanden hatte, war das Ende des ganzen Raketenknäuels.
Ich weiss nicht, ob mich jemand weggezogen hätte, wäre ich dort stehen geblieben. Aber eigentlich hätte ich gar nicht stehen bleiben können. Der ganze Platz war jetzt in Rauch gehüllt, die Musikanten hatten ihre Musik eingestellt, die Kirchenglocken waren ruhig. Und dann ging die Prozession einfach weiter, bog in die Strasse ein. Die Kinder tauchten wieder aus dem Nebel aus, die Musikanten hoben ihre Instrumente, auf der Mauer konnte ich Luis entdecken, der dort sitzen geblieben war. Es war wohl einfach eine Prozession mehr, er kannte den Ablauf. Ich aber blieb schockiert stehen. Soviel Lärm, soviel Gestank und Rauch. Das hätte Tote aufgeweckt, oder Lebende töten können.
Nach all dem Lärm besuchte ich das Kolonialmuseum beim Hauptplatz. Es sind weniger die Bilder und alten Artefakte, die mich da interessieren. Vielmehr fasziniert mich die Architektur. Diese dicken Mauern, die grossen flachen Gebäude mit den riesigen Innenhöfen. Oft mit einem Brunnen in der Mitte. Antigua wurde von den Spaniern gegründet, es ist die typisch koloniale Architektur, die Häuser der reichen Eroberer, die sich hinter dicken Mauern schützten und in den Höfen wunderschöne Gärten anlegten. Hier ist es eher ein grosser freier Platz, bei den Hotels sieht man oft farbige Blumen, Palmen, schattige Bäume.
Die Stadt galt schon immer als eine der schönsten und reichsten. Sie war ja nicht nur die Hauptstadt des späteren Guatemala, sondern von Anfang an die Hauptstadt und das Zentrum der damals eroberten Welt. Mittelamerika.
Die alte Pferdekutsche - aber da fehlt doch was... Pferde sind nicht mehr erlaubt, das Gefährt ist elektirisch
Heute Vormittag vertreibe ich mir die Zeit noch ein wenig mit einem letzten Besuch bei Ruth. Sie hat mir inzwischen auch noch eine andere Tasche geflickt. Die praktische Ledertasche, die ich in Kaschmir geschenkt bekommen hatte und deren Henkel nur noch an einem Faden hing. Jetzt ist sie wieder robust und strapazierfähig.
Ausserdem plaudere ich mit einer Verkäuferin. Sie lebt in San Adres, das ist da wo Rebeca in der Nähe wohnt. Sie kommt zwei Tage in der Woche nach Antigua um ihre Sachen zu verkaufen. Ihre beiden Kinder gehen in die Schule, aber die grössere Tochter würde gern studieren. Sie will alles tun, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.
Auch der kleine Schuhputzer erklärt mir, dass er heute schon am Vormittag hier ist, weil Ferien sind. Sonst geht er in die Schule.
Ich habe gestern noch eine Fahrt mit einem Shuttle-Bus reserviert. Es geht an den Atitlan-See nach Panajachel. Pünktlich um ein Uhr fährt der Bus vor dem Hotel vor. Wir sind fünf Frauen, es hat genug Platz auf den 10 Sitzen. Ein richtiges Gespräch kommt nicht in Gange, aber immerhin ist bald klar, dass die vier Amerikanerinnen sind. Junge Mädchen, die von Partys und Stränden plaudern. Sie sind individuell unterwegs. Die beiden New Yorkerinnen interessieren sich vor allem fürs Party machen, die etwas ältere geht in ein Sozialprojekt nach San Pedro und die vierte hat eigentlich nur verlauten lassen, woher sie ist, danach vergräbt sie sich wieder in ihr Buch.
Auch ich brauche heute keine Konversation. Wir fahren zum Teil über neue Strassen und ich bin überrascht, wie schnell wir vorwärts kommen. Nach knapp zwei Stunden sind wir da, in Panajachel, dem Ort am See, der früher als Hippieort bekannt war. Hier traf man viele Aussteiger aus der ganzen Welt, die sich hier eine Zeit niederliessen. Hier treffen auch alle Busse ein, hier ist der Ausgangspunkt für Ausflüge über den See, in die kleinen Ortschaften rund um den See, in denen verschiedene indigene Sprachen gesprochen werden und die Menschen andere Farben tragen. Jedes Dorf hat seinen eigenen Stil. Mal sehen, wie sich das heute präsentiert.
Mit einem Tuctuc fahre ich in mein Hotel. Ich werde mich später mit David treffen.
David kommt pünktlich. Er kommt von der anderen Seeseite, von Santiago Atitlan, dem Hauptort am See. Als Kind kam er jeden Tag über den See, um den Touristen seine Handarbeiten zu verkaufen. Später gründete er eine Familie und weil seine beiden Buben in Panajachel in die Schule gingen, wohnte er hier in einer gemieteten Wohnung. In sehr einfachen Verhältnissen. Seit der Pandemie, als sowieso Home-Schooling - auch hier in Guatemala - angesagt war, zog er zurück in sein Dorf. Dort hat er inzwischen ein kleines Restaurant eröffnet. Morgen will es es mir zeigen.
Heute aber lädt er mich ins Steakhaus ein. Das ist ganz in der Nähe von der Pizzeria, in der wir uns vor 18 Jahren kennen gelernt hat.
Was in Antigua undenkbar wäre, in Panajachel findet man es: Street Art. Faszinierende Bilder an den Hausmauern.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko