Mittelamerika
Abschied
Viel gibt es nicht zu erzählen von meinen letzten Tagen in Santiago Atitlan. Ich habe versucht, meinen Blog aufzuarbeiten, ging zum Frühstück ins Los Olivos, weil ich dort ungestört arbeiten konnte. Niemand, der sich zu mir setzte und wissen wollte, wie es mir so geht und ob mir irgend etwas fehle.
Manchmal lag ich am Nachmittag in der Hängematte mit meinem Reader. Lesen und nichts tun - absolute Lieblingsbeschäftigungen.
Diego, der Halbbruder von David kocht in einem kleinen Restaurant in Santiago und seine Eltern Nicolasa und Andres sind natürlich sehr stolz auf ihren Sohn. Ich fand das eine gute Gelegenheit, die ganze Familie zu einem feinen Nachtessen einzuladen. Als Nachtrag für meinen Geburtstag sozusagen. Wir bestellten sogar eine Flasche Wein, was hier eher unüblich ist. Jedenfalls hatten wir einen sehr vergnügten und fröhlichen Abend.
An Andres durfte ich im Namen einer Freundin einen speziellen Auftrag erteilen. Statt eines Huipiles möchte sie ein Tischtuch mit gestickten Vögeln. Sowas hat er noch nie gemacht und darum versuchten wir das Ganze aufzuzeichnen. Ich bin sehr gespannt, wie er die Aufgabe löst. Jedenfalls freut er sich über den Auftrag und verspricht, gleich morgen den richtigen Stoff zu besorgen und mit den Zeichnungen anzufangen.
Fast zu gross für den kleinen Alex, aber er gibt sich alle Mühe. Ausserdem hat er einen Riesenhunger, wie er mir versichert hat.
Inzwischen ist mehr als eine Woche vergangen, Andres hat mir ein Bild der fertigen Tischdecke geschickt. Ist sie nicht wunderbar geworden? Andres ist selber stolz darauf und freut sich, dass das fertige Werk auch bei mir und meiner Freundin auf Begeisterung gestossen ist. Er ist einfach ein Künstler mit Nadel und Faden.
An einem der Abende ging ich ins neueste und höchste Hotel von Santiago Atitlan. Ins Palmera Dorada. Mit seinen 5 Stockwerken ragt es weit über den Ort hinaus und die Sicht vom Restauant im obersten Stockwerk ist fantastich über den Ort und hinaus auf See und Vulkan.
Allerdings bin ich komplett allein in dem mit viel Gold ausgestatteten Restaurant. Es gibt eine sehr umfangreiche Speisekarte mit intrenationalen Gerichten. Ich bestelle ein Pfeffersteak und dazu ein Glas Wein. Dieses wurde mir vom aufmerksamen Kellner stilgerecht serviert. Er gab mir aus der 2-Dl-Flasche mit dem Schraubverschluss einen Schluck zu versuchen. Natürlich hatte er keine Ahnung, warum man dies so tut. Aber er löste seine Aufgaben bravourös mit der linken Hand auf dem Rücken.
Manchmal überlege ich mir schon, was die Einheimischen von uns Fremden denken, für die solche Etikette so wichtig zu sein scheint.
Jedenfalls war das Essen fein und schön serviert. Als Abschluss gabs noch ein Tirmisu. Auch daran war nichts auszusetzen.
Als Abschluss des Essens gabs dann noch ein kleines Feuerwerk, denn noch immer ist Feria in Santiago Atitlan. Noch immer knallen Raketen in den Himmel. Seit dem frühen Morgen kann man sie überall hören. Auch am Nachmittag, schon die ganzen Tage. Jetzt am Abend bekam das ganze einen Sinn, denn es knallte nicht nur, es flogen auch ein paar farbige Lichter in den dunklen Nachthimmel.
Und vor der Kirche kreiste noch immer das Riesenrad.
Natürlich behielt ich die Uhr im Auge, damit ich nicht wieder in die präkere Situation mit dem verschlossenen Tor kam. Doch was hätte ich spät in der Nacht noch auf den Strassen machen sollen.
An einem dieser letzten Nachmittage besuchte ich mit David seine Oma. Mama Dolores. Bei ihr und mit ihren 10 Kindern ist er aufgewachsen. Darum ist sie noch immer seine Mama. Er besucht sie regelmässig, unterstützt sie gelegentlich mit Geld. Das Haus, in dem sie lebt ist noch immer das gleiche, auch wenn es sich inzwischen etwas verändert hat. Es sind neue Zimmer dazu gekommen, die Wände sind weiss gestrichen, alles erscheint etwas heller. In meiner Erinnerung habe ich ein schwarzes Loch, ein dunkles Zimmer, in das kaum Tageslicht kam. Hier hauste David als Kind mit zwei seiner Onkel, die er als seine jüngeren Brüder wahrgenommen hat.
Jetzt gehört das Haus einem der älteren Söhne, der hier mit seiner Familie lebt. Mama Dolores lebt in einem Zimmer, das sie seit einem kürzlichen Schlaganfall, der ihre linke Seite gelähmt hat, kaum mehr verlassen kann. Zwar hätte sie einen Rollstuhl und einen Rollator, aber das nutzt nichts, da der Zugang zum Haus über eine lange Treppe geht. Also sitzt sie tagaus/tagein auf ihrem Bett und wartet. Wartet auf Besuch, auf ihre Kinder oder Enkel, die sie gelegentlich besuchen. Sie hat so viel für uns gemacht, meint Jeremias, der heute auch hier ist.
Er arbeitet vor dem Flughafen von Guatemala City, verkauft dort Handarbeiten aus seinem Heimatdorf und kommt jedes Wochenende zu Besuch.
Mama Dolores hat kürzlich ihren 70. Geburtstag gefeiert. Das gab ein grosses Fest, fast alle ihre Kinder kamen vorbei und natürlich gab es eine grosse Geburtstagstorte und Musik. Es wurde getanzt. David zeigt mir ein paar Fotos.
Geistig ist sie noch sehr präsent, nur leider spricht sie kein Spanisch. Nur Tsutujil so wie die meisten älteren Einheimischen in Santiago Atitlan. So ist eine direkte Verständigung schwierig. Immerhin freut sie sich über meinen Besuch. Früher, als David noch in die Schule ging, brachte ich immer Lebensmittel vom Markt mit. Heute scheint es der Familie besser zu gehen.
Ebenfalls im Haus wohnt ihr Mann, Abuelo Francisco. Auch er kommt kurz herein, will wissen, wie es mir geht. Er hat zeitlebens als Handlanger gearbeitet. Auf Kaffeeplantagen, hat am Vulkan Holz gesammelt. Er hat mir viel vom Leben gezeigt, meint David voller Respekt, auch wenn er immer Probleme mit dem Alkohol hatte und das bisschen Verdienst wahrscheinlich oft gleich flüssig gemacht hat. David hat schon als kleiner Junge geholfen, Holz zu sammeln, das man brauchte, um zu Kochen.
Er ist intelligent, sagt David, er spricht spanisch und kann lesen und schreiben.
Wer weiss, welche Umstände es verhindert haben, dass er seine Intelligenz nicht besser einsetzen konnte. Die Familie lebte lange Zeit in tiefster Armut.
Dieser Besuch hinterliess bei mir einen zweispältigen Eindruck. Es freut mich, dass es allen offensichtlich viel besser geht, als früher, aber trotzdem ist es schwierig zu sehen, in welche Lebensumständen die alten Leute hier leben.
Natürlich bezieht sich das nicht nur auf sie. Viele Menschen hier leben in noch viel schwierigeren Verhältnissen, kämpfen noch immer um das tägliche Überleben. Was Mama Dolores angeht, ist David am Überlegen wie er sie an einen anderen Ort bringen könnte. Irgendwohin, wo sie ihr Zimmer wenigstens gelegentlich selber verlassen könnte. Noch sind es erst Ideen, die er hat, aber so wie ich ihn kenne, wird er eine Lösung für seine Mama finden.
Manchmal gehe ich auf einem Cappuccino zu Rafa, oder ich mache Spaziergänge durch den Ort. Entdecke versteckte Kirchen. Es sind verschiedene evangelische Gruppen, die grossen Zulauf haben. Es sind meist sehr schöne Fassaden und oft kann man viele Leute sehen, die sich hier versammeln.
Die Leute, die allerdings in einer Gasse vor einer offenen Haustüre sassen und in Gruppen plauderten und warteten, kamen nicht, um einem Gottesdienst beizuwohnen. Ein Blick in die offene Türe zeigte mir einen aufgebahrten Sarg. Hier muss kürzich jemand gestorben sein und die Leute kommen, um Abschied zu nehmen.
Nach den Begegnungen mit den Beerdigungen in Chichigastenango habe ich David gefragt, was passiert, wenn jemand gestorben ist.
Dann bereiten die Angehörigen den Verstorbenen vor. Sie waschen ihn und kleiden ihn in schöne Kleider, legen ihn zuhause in den Sarg. Ausserdem stellen sie genügend Getränke und Esswaren auf, denn jetzt kommen die Familienangehörigen und Freunde und nehmen Abschied. Man weint, man betet, man plaudert, isst und trinkt und nimmt Abschied. Eine ganze Nacht lang. Am nächsten Tag bringt man den Leichnam in die Kirche und darauf zum Friedhof, wo er entweder in der Erde vergraben oder in eines der kleinen Grabhäuser geschoben wird. Die Musik, die ich in Chichi gehört hatte, seien übrigens religiöse Melodien gewesen. Auch wenn sie laut und fröhlich getönt hatten.
Von Maria habe ich ein paar kleine Kolibris aus Perlen gekauft. Immer wenn ich an ihrem Laden vorbei gehe, grüsst sie mich und manchmal plaudern wir kurz.
Eine mobile Eismaschine. Der Eisblock wird gehobelt, das Eis in Becher gefüllt und mit verschiedenen Sirups übergossen
Am letzten Nachmittag ging ich noch einmal ins 3B zum späten Mittagessen. Raquel macht eine sehr feine Pouletbrust mit exotischer Sosse aus Rahm und Ananas. Dazu gedämpftes Gemüse und Reis. Etwas vom Besten was ich hier gegessen habe.
Das Rezept habe sie von einem Chefkoch eines der Hotels bekommen, meinte sie lachend.
Raquel kenne ich natürlich ebenfalls schon lange. Am Anfang ihrer Beziehung mit David, als junge Mutter, war sie noch sehr scheu, konnte kaum spanisch, zum mindesten sprach sie nicht mit mir. Heute ist sie eine junge Frau, die weiss was sie will, sie führt das Restaurant. Zwar noch immer mit Hilfe von David, denn Zahlen sind nicht so ihr Ding. Aber sie kann gut kochen, kommt mit den Gästen aus, hat immer mehr eigene Kontakte und ist eine wunderbare Mutter. Wo David streng ist, und viele Prinzipien an seine Söhne weitergeben will, ist sie nachsichtig und nicht allzuschnell besorgt.
Meine grösste Herausforderung war unser Umzug nach Panajachel, als die Kinder dort in die Schule gingen, erzählt sie. Es war nur ein Umzug über den See, aber er hat ihr die Augen geöffnet. Frauen, die Hosen trugen, die in lockeren Kleidern durch die Strassen spazierten, oder gar Motorrad fuhren. Undenkbar in Santiago, wo alle Frauen ausschliesslich die traditionellen Kleider trugen.
Heute ist die Familie zurück, die Kinder fahren selbständig mit dem Boot über den See, Raquel führt mit ihren drei Angestellten das Restaurant. Die Sonntage gehören der Familie. Zum Arbeiten trägt sie ihre traditionellen Kleider, in der Freizeit trägt sie aber gern auch mal Jeans und Shirt. Vor ein paar Tagen hat sie sich allerdings einen neuen Jupe und einen bestickten Huipil gekauft und heute trägt sie ihn voller Stolz. Sie ist eine Frau mit tief verwurzelten Traditionen, die ihren Weg in der modernen Welt findet. Wenn sie an freien Tagen mit der Familie unterwegs ist, leuchten ihre Augen voller Stolz.
Am Samstag nehme ich am Mittag das Publico und fahre über den See nach Panajachel wo ich noch einmal eine Nacht verbringe, um mit Mario, von der Reiseagentur meine Fahrt nach Coban zu organisieren, denn am Sonntag-Morgen geht es früh los.
Am Abend gehe ich in eines der kleinen Restaurants an der Hauptstrasse, der Av. Santander, zum Nachtessen. Und muss dabei eine Aussage von vor ein paar Tagen korrigieren. Ja, es gibt sie noch, die Kinder, die in den Restaurants kleine Dinge verkaufen oder gar betteln. Es gibt sie noch, aber sie sind viel weniger geworden, als noch vor Jahren
Als ich nach Einbruch der Dunkelheit ins Hotel zurück schlendern will, fällt ein Sturzregen vom Himmel. Es regnet Bäche und alles ist innert Minuten komplett nass. Wer kann, flüchtet sich in einen Laden. So wie ich , die endlich doch noch einen Plastikregenschutz kauft.
Brauche ihn zwar dann doch nicht, denn so wie es angefangen hat, hört es nach einer halben Stunde auch wieder auf und ich kann mich halbtrocken ins Hotel flüchten. Die ledernen Flipflops allerdings sehen sehr mitgenommen aus und ich bin noch nicht sicher, ob die wieder trocken werden.
Werde sie mal in Plastik einpacken und mitnehmen, denn morgen bin ich nur mit kleinem Gepäck unterwegs, der grosse Koffer bleibt hier, ich komme in einer Woche noch einmal, zum letzten Mal zurück an den See.
Morgen geht es nach Coban in Alta Verapaz.
Den Schirm habe ich bei einem Schirmverkäufer in San Juan gesehen. Er hatte ihn aufgespannt und ich sah von weitem, dass der zu meiner Bluse und Schal passen würde. Nachdem ich dem Verkäufer meine Schirmsammlung gezeigt habe, wollte er mir sogar mehrere Schirme zum Fotografieren öffnen, ich wollte aber nur den einen, den Blauen.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko