Mittelamerika

Reisezeit: Juni 2023 - Januar 2024  |  von Beatrice Feldbauer

Roberto Barrios

Sak hat etwas Verspätung, sein Collectivo war nicht wie vorgeschrieben losgefahren. Aber er schreibt mir eine Message und so kann ich gemütlich noch kurz in meine Lieblingschokolateria gehen und eine heisse Schokolade geniessen. Jede Tasse wird separat im irdenen Topf aufgekocht, ein paar Löffel Schokoladepulver hinein, wenig Zucker, umrühren, versuchen und servieren.

Als er kommt, laufen wir in die Stadt. Dahin wo ich bisher noch nicht gewesen war. Zwar hatte ich am ersten Tag einen kurzen Abstecher in diese Richtung gemacht, war dann aber trotzdem zu bequem, mich weiter in die Stadt vorzuwagen.

Jetzt lüftet sich auch das Geheimnis, womit wir fahren werden. Mit dem Collectivo, mit einem Pickup. Das ist das Fahrzeug, mit dem vorwiegend die Einheimischen unterwegs sind. Mit dem Pickup werden Waren transportiert, Menschen gefahren. Man fragt den Fahrer, wohin er fährt, und steigt dann ein, fährt eine kurze Strecke mit.

Der Fahrer fährt los, wenn die Ladefläche voll ist. Nach und nach trudeln die Menschen ein. Eine Frau mit ihrem kleinen Buben, ein Arbeiter mit einem Sack Mais, ein anderer bringt Gemüse mit, die Frau hat ein paar Sachen eingekauft. Verstaut wird alles am Boden oder oben in dem Käfig über der Führerkabine. Langsam füllt sich die Sitzbank hinten, auch in der Führerkabine haben zwei Leute Platz genommen.

Ob er der Fahrer sei, frage ich den Mann, bei dem Sak den Fahrpreis bezahlt hat. Nein, nur der Kassierer, lacht er. Es gibt also tatsächlich auch einen Kassierer in diesem Tranportmittel. Darum wohl setzt er sich nicht, sondern bleibt auch während der Fahrt aussen auf dem Trittbrett stehen. Jeder Sitzplatz bringt Geld. Wir fahren los. Aus der Stadt hinaus, vorbei an kleinen einfachen Behausungen, durch grüne Felder, auf holperigen Strassen.

Natürlich falle ich auf, man will wissen, woher ich komme. Wie weit weg. Wieder einmal bemühen wir die Flugstunden, um zu erklären, wie weit Europa von Mexiko entfernt ist. Was man da vor allem esse, will mein Sitznachbar wissen. Gibt es da auch Mais? Frijoles?

Wir haben viele Kühe, erkläre ich, um einen Unterschied festzumachen, aber im gleichen Moment fahren wir an einem Feld vorbei, auf dem etliche Kühe stehen. Gibt es hier also auch. Aber bei uns gibt es mehr Kartoffeln, weniger Mais. Und zu der Milch brauchen wir die Schokolade von Euch, um unsere berühmte Schokolade herzustellen.

Die Fragen, die Empfehlugen, was ich unbedingt essen und probieren müsste, gehen hin und her. Wir kommen zu Preisen. Zu Löhnen. Was verdient ein Landarbeiter in deinem Land im Tag? Da hab ich tatsächlich keine Ahnung, obwohl ich die Frage nicht zum ersten Mal höre. Ich behelfe mich mit der Information, dass viele landwirtschaftliche Betriebe Familienbetriebe seien, was natürlich nicht ganz der Wahrheit entspricht, aber hier am besten verstanden wird.

Ich weiss nicht, wie lange die Fahrt dauerte, ein paarmal haben wir angehalten. Der Mann mit den lebenden Hühnern ist ausgestiegen, dafür ist jemand mit einem Korb voller Eier zugestiegen und schon bald sind wir am Ziel. Ob ich lieber in die Führerkabine umsteigen möchte, da sei es bequemer, hat mich Sak einmal gefragt und auf meine angewinkelten Füsse gezeigt, die in all den Waren ihren Platz suchten. Auf gar keinen Fall, hab ich gelacht, genau so gefällt es mir.

Roberto Barrios ist ein kleines Dorf, es besteht aus ein paar Häusern, einer grossen Kirche und ein paar Verkaufsständen für Souvenirs und Imbisse. Die Einwohner des Dorfes verlangen einen Eintritt, damit die vielen Fremden hier ihren Fluss besuchen dürfen.

Wir besuchen kurz die grosse Dorfkirche mit dem Glockenturm und den schönen Mauern mit Natursteinen, dann folgen wir dem Weg, hinunter zum Fluss. Überall stehen da die Verkaufsstände. Man könnte alle möglichen Plastikschwimmhilfen kaufen, Kleider, T-shirts und natürlich Esswaren, Getränke.

Schon bald sind wir am ersten Wasserfall und ich bin auf Anhieb begeistert. Ein paar Meter breit ergiesst sich das Wasser in ein grosses grünes Becken. Doch das ist erst der Anfang. Wir kommen über eine Brücke, folgen dem Wasser, kommen zu immer neuen Becken, anderen Wasserfällen. An vielen Orten sitzen Leute am Ufer oder im Wasser. Wir gehen weiter. Sak weiss genau, wohin er will und es wird immer schöner

Irgendwo, bei einem grossen Becken legen wir unsere Sachen ab, gehen in den Badkleidern ins Wasser, das sich genauso anfühlt, wie es aussieht. Weich, warm, perfekt für ein paar Schwimmzüge. Ich, die eher Mühe habe, barfuss über Steine zu steigen, brauche beim Einsteigen ins Wasser etwas Hilfe, aber Sak gibt mir seine Hand, und bald sitzen wir irgendwo auf den Steinen, umspühlt von grünschimmerndem Wasser. Und da bleiben wir, Reden, plaudern, schwimmen manchmal ein paar Züge und vergessen die Zeit. Unbeschreiblich. Wir sind fast allein hier, nur manchmal schwimmt jemand zum Wasserfall, lässt sich vom Wasser überspülen, schwimmt wieder zurück. Verschwindet wieder.

Wir reden über Träume und Wünsche. Über Gefühle und über die LIebe und wie man sie erkennen kann. Sak hat eine Freundin in den Staaten. Er hätte gern ein Visum für die USA, würde gern dort arbeiten, sähe dort bessere Chancen. Ist es jetzt Liebe zu einer Frau, die einem neue Möglichkeiten eröffnen könnte oder doch einfach die Möglichkeiten, die sich dadurch bieten könnten. Daneben ist er jung, möchte noch vieles erleben, vieles sehen. Gefühle und Wünsche eines jungen Mannes und Gefühle. Ein offenes, völlig unerwartetes Gespräch an einem unvergesslichen Ort.

Bis ich meine Finger ansehe, deren Haut sich langsam kräuselt und fast schon glaube ich, dazwischen Schwimmhäute zu erkennen, die langsam anfangen zu wachsen. Vielleicht sollten wir doch wieder einmal aus dem Wasser steigen.

Lass uns einen Spaziergang machen, schlägt Sak vor, als wir am Ufer stehen.

Ja, aber dazu brauche ich meine Schuhe, die sind dort am anderen Ufer, kann ich sie holen?

Du kommst von hier nicht zu den Sachen oder du musst schwimmen. Aber mach dir keine Sorgen, da ist noch nie etwas weggekommen.

Aber ich kann ja wohl kaum barfuss durch den Dschungel laufen? Zweifelnd sehe ich ihn an.

Das ist alles getrocknete Erde, du siehst worauf du trittst.

Ich glaube es kaum, aber kurz darauf sind wir barfuss unterwegs. Tatsächlich ist der Boden festgestampft, manchmal hat es ein paar Steine, über die wir klettern müssen, dann reicht mir Sak kurz die Hand und hilft über die schwierige Stelle. Irgendwo setzen wir uns auf einen umgekippten Baum bei einem anderen Wasserbecken und führen unser Gespräch fort. Sak ist stolz, lizenzierter Guide in Palenque zu sein, aber der Verdienst ist sehr schwierig und vor allem unregelmässig. Wie soll er damit je eine Familie ernähren können. Schon jetzt arbeitet er viele Abende zusätzlich als Maurer auf einer Baustelle und sucht am Morgen Touristen, denen er eine Tour durch die Ruinen verkaufen kann. Noch sind nicht viele Touristen hier, es ist auch noch nicht Saison. So sind die Möglichkeiten sehr beschränkt. Vielleicht wird er sich irgendwo in einer anderen Stadt eine Arbeit suchen. Auch wenn er dann seine Heimat, seine Mayawurzeln vermissen wird.

Irgendwann finde ich es Zeit, etwas zu essen, wir gehen zurück, schwimmen noch einmal durch das Wasserbacken, holen unsere Sachen, die unangetastet unter dem grossen Baum liegen. Ich hab jetzt auch mein Handy wieder, es ist schon bald drei Uhr. Kein Wunder habe ich inzwischen etwas Hunger, wir haben gute drei Stunden verplaudert.

Auf dem Rückweg mache ich noch ein paar Bilder, wir kommen bei Familien vorbei die ihre Stühle und Tische aufgestellt haben und grosse Picknickgelage machen.

Am Ufer, nach der letzten Brücke gibt es ein kleines Restaurant, das einfache Speisen anbietet. Ein paar Tamales, einen feinen Ananassaft und über uns in den Bäumen die Brüllaffen, so endet dieser Nachmittag in Roberto Barrios. Die Affen hätte ich fast nicht bemerkt, sie hocken nämlich völlig ruhig auf den Ästen und halten ihr eigenes Picknick ab. Schwarze Flecken im grünen Blattdickicht.

Zurück geht es mit dem Shuttlebus, von denen einige auf Passagiere warten.

Es war ein traumhafter Tag, unvergesslich. Was für ein Glück, dass ich Sak gestern getroffen habe - oder er mich.

Den Abend verbringe ich in einem der Hotelrestaurants mit einem leichten Nachtessen, das fast schon italienisch sein könnte. Leichtes Gemüse mit viel Oliven und Rosmarin, mit einem Hühnerschnitzel und einem Löffel Reis.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Am Start einer neuen Reise ist meist noch alles ganz klar. Nur das erste Ziel: Guatemala und später im Jahr eine Hochzeit in Mexika. Es wird also einmal mehr eine sehr lange Reise mit vielen Überraschungen. Ich freue mich über virtuelle Mitreisende und werde wie gewohnt über meine Erlebnisse berichten.
Details:
Aufbruch: 09.06.2023
Dauer: 7 Monate
Heimkehr: Januar 2024
Reiseziele: Guatemala
Mexiko
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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