Mittelamerika
Santa Catarina
Ich bin also gestern über den See nach Panajachel gefahren. Den grossen Koffer habe ich in meiner Unterkunft gelassen. Bin nur mit Rucksack unterwegs, es sind ja nur ein paar Tage.
Da ich noch nicht weiss, wann die Shuttle nach Chichi fahren, suche ich zuerst die Agentur auf, die ich bei meinem ersten Aufenthalt in Pana entdeckt habe. Es ist übrigens absolut üblich, die relativ langen Namen verkürzt auszusprechen. So wird Panajachel zu Pana, Guatemala City zu Guate, Chichicastenango zu Chichi.
Bei Mario in der Agentur erfahre ich, dass die Shuttle-Busse zur Zeit nur an Markttagen fahren. Morgens hin, am Abend zurück. Was willst du denn fünf Tage in Chichi? werde ich nicht zum ersten Mal gefragt. Nun, ich habe genügend Zeit und möchte Chichi auch mal ausserhalb der Markttage erleben. Bisher waren wir mit der Gruppe, bis auf einmal immer nur ein paar Stunden in Chichi, haben den Markt besucht und sind weiter gefahren. Diesmal will ich ganz bewusst ein paar Tage dort bleiben.
In diesem Fall bleibt mir nur eine Privatfahrt. Mario macht mir einen fairen Preis, immerhin muss er ja auch jedesmal wieder zurück fahren. Abfahrt morgen Mittag, er wird mich im Hotel abholen.
Mit dem Tuctuc fahre ich zum Hotel, das im kleinen Dorf Santa Catarina liegt. Ein schönes neueres Hotel, mit Blick zum See von den Zimmern, mit einem grossen Pool und einem Restaurant. Hier war ich vor ein paar Jahren mit der Gruppe.
Das Zimmer ist noch nicht bereit, also sehe ich mich im Garten ein wenig um, suche Blumen, staune wieder einmal, wieviel Wirkung eine einzelne Blüte in einem steinernen Becken haben kann. Es sind allerdings wunderschön riesige Hibiskusblüten, die hier schwimmen.
Im Restaurant mit den blauen Gläsern - es ist nicht lange her, da habe ich noch blaues Glas gesammelt. In allen Formen. Die Flaschen und Gläser sind inzwischen weggegeben, aber ich reagiere innerlich nocht immer auf die blaue Glasfarbe - bestelle ich ein Mittagessen.
Eigentlich sind blaue Weingläser scheusslich, aber blaues Glas an sich finde ich immer wieder wunderschön.
Pasta mit Pilzen und ein feines Glas chilenischer Rotwein dazu. Das macht mich so schläfrig, dass ich mich im Zimmer, das kurz danach bereit ist, erst einmal hinlege.
Ich habe das Zimmer direkt über dem Pool mit bester Aussicht auf die Vulkane. Wenn diese nicht grad wieder mit Wolken verhangen wären. Kurz darauf setzt der Regen ein. Es schüttet wie aus Kübeln. Zum Glück hat mein kleiner Balkon ein Vordach, so dass ich die Türe offen lassen kann.
Ich muss unmittelbar eingeschlafen sein, es ist schon längst dunkel, als ich wieder aufwache. Der Regen hat nachgelassen, es ist jetzt ruhig und frisch.
Bis ich wieder einschlafe, hole ich mein Buch heraus, zu dem ich viel zu wenig komme. Will jetzt endlich wissen, wer den Brand gelegt, wie die Beziehungen der Hauptpersonen zueinander sind und was es mit dem Schachspiel auf sich hat. In Gedanken bin ich zurück in der Schweiz, in Bern, schlendere durch die Quartiere und fühle mich wunderbar. Manchmal hat ein Buch aus der Heimat in exotischer Umgebung einen doppelten Reiz. Und endlich lege ich die letzte Seite um, kann jetzt beruhigt schlafen. Alles ist gut. Das Buch werde ich gelegentlich irgendwo liegen lassen. So kann es jemand anders auch noch lesen und ich bin wieder etwas Balast los.
Das Buch hatte ich eigentlich für den langen Flug mitgenommen. Und dann hab ich es versehentlich mit dem Handgepäck aufgegeben. Seither hat es im Rucksack auf seinen Einsatz gewartet.
Der Morgen weckt mich mit einer wunderbaren Stimmung. Die Vulkane sind sichtbar, der Himmel hell. Ich geniesse es, dass ich nur ein Stockwerk tiefer zum Restaurant gehen kann und nicht schon einen längeren Spaziergang machen muss. Ich bestelle das typische Früstück. Das sich dann allerdings als sehr exotische Frühstückskreation präsentiert.
Die Frühstücksvarianten in Guatemala sind tatsächlich immer wieder überraschend.
Bis zum Mittag, wenn mich Mario abholt, ist noch genügend Zeit für einen Spaziergang.
Ein fantasievolles Frühstück. Desayuno Catarineco:
Fruchtsaft oder frische Früchte, Eieromelette mit Schinken und Käse eingerollt in Mangoldblätter, Frischkäse, Frijoles, Tomatensosse, Konfitüre und Butter mit Tortillas oder Brot.
Unten beim Schiffsteg machen sich die Ausflugsboote bereit. Die Händlerinnen, trudeln ein, um am Wegrand ihre Verkaufsstände aufzubauen. Mit ihren typischen blauen Tüchern und Kleidern. In Santa Catarina hat man das Blau des Sees, kombiniert mit dem Blau des Himmels für die Textilien übernommen. Blaue Huipiles, rote Samttücher um den Kopf. Leider wendet sich jede ab, wenn ich meine Kamera zücke. Ich lasse es bleiben. Wenig später wird es eh schwierig werden, hier durchzugehen, ohne von beiden Seiten angehauen zu werden. Nur einen Tischläufer, ein typisches Stück handgewebten Stoff. Sie sind wunderbar, zugegeben, aber manchmal habe ich das endlose Verneinen und No, gracias-Sagen einfach satt. Mag überhaupt gar nicht mehr hinsehen, und daher gibt es davon dann auch keine Fotos.
Ich gehe in die andere Richtung, komme am blau bemalten Schulhaus vorbei, wo die Kinder langsam eintrudeln. Beim Dorfplatz, wo es ein paar Galerien und Boutiquen gibt, steht die grosse Kirche. Bis auf eine einzelne Frau, die vorne beim Altar kniet, ist sie leer.
Und wieder der Quetzal. Er ist eine Art Kuckuck, ist schillernd smaragdgrün kombiniert mit blau und rot. Seine extrem langen Schwanzfedern, waren nur den Königen der Mayas vorenthalten. In der Natur sieht man ihn sehr selten, da er sehr scheu ist.
Vor ein paar Jahren hat man in Santa Catarina angefangen, die Mauern und Häuser blau zu bemalen. Mit den typischen Muster, die sie in ihren gewobenen Arbeiten verwenden. Stilisierte Blumen, grafische Muster und immer wieder der Quetzsal. Der verehrte Vogel von Guatemala, der sogar dem Geld den Namen gegeben hat. Er taucht überall in den Mustern auf.
Ich steige hinauf, durch schmale Gassen, über lange Treppen, immer höher. Und weil ich immer mal wieder stehen bleiben muss, um tief durchzuatmen, komme ich da und dort in ein Gespräch. Staune, dass man hier am Hang lebt, wo man alles, was man eingekauft hat, hinauf schleppen muss. Die Frauen, denen ich begegne, sind freundlich, manchmal schüchtern, manchmal gesprächig, aber fotografiert werden wollen sie nicht. Da stecke ich meine Kamera mit einem bedauernden Lächeln wieder ein.
In einem kleinen Hof aber treffe ich Maria, sie mag ein wenig plaudern. Lebt hier mit ihrer Familie bei der Schwiegermutter. Die kleine Tochter bleibt im Hintergrund, auch die Schwiegermutter wirft nur einen kurzen Blick auf die Fremde, aber ich darf eintreten.
Maria sitzt am typischen Körperwebstuh. Ein breiter Gürtel hat sie um ihre Hüfte geschlungen, sie arbeitet an einem neuen Huipil. Ein Huipil für sich. Mit kompliziertem Muster, das sie Faden für Faden einwebt. Wie es aussehen muss, hat sie im Kopf. Es sind lauter kleine Bilder, die die Vorderseite ihrer neuen Bluse zieren werden.
Ich will wissen, wielange sie daran anrbeitet. Nun, es wird wohl 4-6 Wochen dauern, bis ich damit fertig bin. Ich kann im Tag maximal 4 Stunden daran arbeiten. Nein, der Huipil wird nicht verkauft werden, das wird ihr eigenen sein.
Ich mache ein paar Fotos und wir tauschen WhatsApp-Nummern, damit ich ihr die Bilder übermitteln kann. Im Moment hat sie kein Internet, aber in den nächsten Tagen wird sie sich irgendwo einloggen, dann kann sie die Fotos ansehen.
Später hat mich eine Freundin per FB gefragt, was so ein Huipil kosten würde, da er doch sehr viel Arbeit bedeute. Weil Maria grad kurz davor online war, hab ich sie gefragt. Wenn du ihn möchtest, würde ich ihn dir für 200 Dollars verkaufen, meinte sie, aber eigentlich mache ich ihn für mich. Nein, hab ich sie beruhigt, es war nur eine Frage..
Ja Huipiles sind sehr teuer. Sie sind tatsächlich Handarbeit und wenn man sie nicht selber machen kann, sind sie auch für die einheimischen Frauen eine grosse Anschaffung.
Etwas weiter oben treffe ich noch einmal auf eine Frau mit einem Körperwebstuhl. Sie macht einen breiten Gürtel, mit dem die um den Körper geschlungenen Tücher als Jupes festgebunden werden. Woher sie das Muster hat, will ich wissen und sie zeigt mit ihre Vorlage. Ein anderer Gürtel, bei dem sie immer wieder die Fäden abzählt. Ihre Arbeiten werden unten an den Marktständen verkauft werden. Überall sind wohl Frauen in den Häusern am Arbeiten. Weben ihre aufwändigen Textilien oder färben und spinnen die Baumwolle.
Ich gehe weiter, es geht noch immer steil hinauf. Eigentlich suche ich den Aussichtspunkt bei der Kirche weiter oben, aber irgendwie muss ich wohl den richtigen Einstieg verpasst haben. Jedenfalls erreiche ich die Kirche nie, komme dafür zu anderen Aussichtspunkten. Ausserdem ist die Aussicht über die Blechdächer auch ganz interessant.
Es geht gegen Mittag, es ist Zeit, zurück zu kehren. An einem Kiosk kaufe ich noch eine Flasche Wasser, dann gehe ich zurück ins Hotel. Packe meine Siebensachen und warte auf Mario. Er kommt pünktlich und schon bald sind wir unterwegs. Die Fahrt soll eine gute Stunde dauern, die Strassen sind viel besser, als ich sie in Erinnerung habe.
Den einzigen Stau gibt es bei der steilen Strasse, die aus Panajachel hinauf an den Kraterrand führt. Vorbei am Wasserfall, der zum Bach gehört, den ich vor ein paar Tagen vor dem im Naturpark in Panajachel gesehen habe, der mit all den Hängebrücken.
Nein, anhalten muss Mario nicht, ich komme aus einem Land mit sehr vielen Wasserfällen...
Nach knapp 2 Stunden Fahrt erreichen wir Chichicastenango. Ich habe im Mayan Inn ein Zimmer reserviert. Das ist eines der kolonialen Hotels. Es liegt ganz in der Nähe der Kirche und bisher habe ich jedesmal wenn ich in Chichi war, einen Blick in den Hof geworfen. Hab die Papageien begrüsst und mir gewünscht, irgendwann einmal hier übernachten zu können.
Jetzt bin ich hier. Mein Zimmer ist bereit. Ein grosses Zimmer mit schweren Möbeln. Ein riesiges Bett, Lampen auf den Nachttischen, ein kleiner Tisch, ein Stuhl und ein Fenster ins Grüne.
Es gibt sogar einen Feuerplatz und der Angestellte meint, es gäbe da einen Timber, den ich drücken müsse, wenn ich möchte, dass das Feuer entzündet werde. Er würde dann kommen und es entfachen. Es könne am Abend recht kühl werden. Vielleicht werde ich das benutzen, bis jetzt finde ich die Temperaturen angenehm.
Nachdem ich es mir kurz gemütlich gemacht habe, mache ich noch einen kurzen Spaziergang zur Kirche. Hier wo an Markttagen alles mit Marktständen überstellt ist, stehen jetzt ein paar Bretterverschläge. Die Treppe vor der Kirche wird gesäubert. Hier werden wohl auch morgen wieder Blumen verkauft. Die Treppe ist in der Regel für Touristen tabu. Für sie gibt es neben dem Hauptportal einen Seiteneingang, durch den man in die Kirche gelangt.
Als die ersten Regentropfen fallen, gehe ich zurück zum Hotel, setze mich in die Bibliothek, die mit schweren dunklen Möbeln eingerichtet ist und lasse mir eine Margaritha servieren. Die erste Margaritha seit langer Zeit.
Dieser sauersüsse Drink gehört für mich zu Guatemala einfach dazu, auch wenn ich zugeben muss, dass er mir heute zu sauer ist. Werde meinen Geschmack überprüfen müssen.
Vom Hof des Hotels hat man einen guten Blick hinüber zum farbigen Friedhof des Ortes. Werde ihm bestimmt in den nächsten Tagen ein Besuch abstatten.
Für den Moment lasse ich mir im mit schweren Tischen und Stühlen überstellten Speisesaal, der für grösseren Andrang eingestellt ist, ein einsames Nachtessen servieren. Es ist eben ein koloniales Hotel mir Original-Interieur und altem Mobiliar. Die Kellner sind allerdings jung und sehr zuvorkommend.
Nach Einbruch der Dunkelheit mache ich noch einmal einen kurzen Rundgang zur Kirche. Vor der Calvaria-Kapelle brennt ein Feuer. Es schaut gespenstisch aus. Ein paar Menschen knien davor und murmeln Gebete. Sie rutschen langsam auf dem steinernen Boden vorwärts bis sie bei der verschlossenen Pforte angekommen sind.
Dann stehen sie auf, gehen zurück zum Anfang des Platzes und fangen noch einmal von vorne an. Ich setze mich eine Weile auf die oberste Stufe, schaue zu, drücke diskret ein paarmal ab.
Auf der anderen Seite des Platzes, der mit leeren Marktständen überstellt ist, steht die Santa-Tomas-Kirche. Die Kirche, die auf Überresten eines Maya-Kultortes gebaut wurde. Die Spanier haben bewusst, die alten Orte der Mayas benutzt, um ihre eigenen Kirchen aufzubauen. Noch immer werden hier aber, genau wie vor der Kapelle, Maya-Riten abgehalten. Es ist wohl eine Kombination von Katholizismus mit den alten indigenen Kulten. Die Treppe stammt aus der Mayazeit, darum ist sie nur für Einheimische erlaubt
Auch dieses Tor ist verschlossen, aber davor schwenken ein paar Männer ihre Kübel mit Weihrauch. Alles ist in geheimnisvollen Nebel gehüllt. Es gibt ein paar kleine Feuer, goldener Feuerschein.
Ich bleibe unten an der Treppe, beobachte, werde nicht angesprochen, bin unsichtbar. Es ist eine gespenstische, aber friedliche Atmosphäre.
Ich gehe zurück ins Hotel. Morgen ist Markttag in Chichi, da wird sich der Ort wieder anders präsentieren.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko