Mittelamerika
Maximon
Ich wollte kurz in den Ort, um ein paar Sachen zu kaufen. Und um im Cafe Rafa einen Cappuccino zu trinken. Das Rafa hat mir David vor ein paar Jahren vorgestellt und wir kamen jedesmal mit der Gruppe hierher, weil Juan, der Besitzer so wunderschöne Verzierungen auf die Cappuccino zauberte. Heute ist er leider nicht hier und so wird der Cappuccino zwar fein wie immer, aber die Verzierung ist eher etwas bescheiden. Dafür sind die Kekse, die ich dazu bestelle sehr fein. Genau richtig für ein kleines Frühstück, nachdem ich die letzten beiden Tage kaum etwas gegessen hatte.
Nach dem Tag mit der Graduation war ich so müde und danach lag ich direkt flach. Verbrachte die Nacht auf der Toilette oder im Bett und wusste manchmal gar nicht, wo ich länger verweilen sollte.
Danach versuchte ich, den Tag zu verschlafen. David brachte mir Wasser und er hätte mir auch zu Essen gebracht, aber ich mochte nichts sehen. Nur eine Gemüsesuppe erbat ich mir am Abend und die verhalf mir dann auch tatsächlich wieder zu Kräften. Aber ich blieb auch gestern bis auf einen kurzen Schwatz im Garten mit David, während dem er seine Armbänder machte, fast nur im Bett.
David ist zwar nicht mehr auf den Verkauf seiner Handarbeiten angewiesen, aber er hat seine Kunden in den USA behalten und lässt inzwischen ein paar Freunde und Nachbarn für ihn arbeiten. Damit ermöglicht er diesen einen kleinen Verdienst, den sie sonst nicht hätten. Und weil im Moment eine ganz grosse Bestellung hereingekommen ist, arbeitet er selber daran. Denn noch immer ist er wahrscheinlich einer der schnellsten beim Erstellen seiner speziellen Technik mit den eingewebten Namen auf Armbändern und Kugelschreibern. Fotos habe ich keine gemacht, ich war froh, dass ich meinen Kaffee schlürfen konnte, den er mir gebracht hatte, zusammen mit einem frischen Brötchen, das er extra für mich in der Bäckerei geholt hatte.
Damit war ich bereits zufrieden und auch bald wieder im Bett. Am Abend ging dann ein gewaltiger Gewitterregen über das Land. Wir sind hier in der Regenzeit. Aber in Santiago hat man dringend auf Regen gewartet, denn auf der anderen Seeseite hatte es zwar geregnet, aber hier fiel in den letzten Tagen kein Tropfen. Der Regen brachte für mich eine angenehme Abkühlung. Später habe ich dann noch etwas Schokolade vertilgt, die ich mitgebracht habe, damit war mein Kalorienbedarf gedeckt. Und mein Magen kam langsam wieder zur Ruhe.
Heute kamen meine Lebensgeister zurück und ich machte mich zuerst zu Fuss auf den Weg in den Ort. Dabei kam ich an einer kleinen Milpa vorbei. Mipla wird ein Maisfeld genannt. Zusammen mit dem Mais werden auch Bohnen gepflanzt. Wenn der schnell wachsende Mais abgeerntet ist, wachsen am leeren Stengel die Bohnen, die später geerntet werden. Milpas sieht man im ganzen Land überall. Grosse und ganz kleine, wie die, die gleich neben meinem Hotelgarten liegt. Hier in der Gegend wachsen auch überall Kaffeesträucher. Natürlich gibt es die eigentlichen Kaffeeplantagen, aber einzelne Büsche findet man überall.
Ich mag allerdings nicht allzuweit laufen, bald halte ich ein Tuctuc an, das mich innert ein paar Minuten ins Zentrum bringt.
Nachdem ich mich mit dem Kaffee gestärkt habe, schlendere ich durch die Hauptstrasse und komme bald zur grossen katholischen Kirche. Santiago Atitlan ist zur Hälfte katholisch und zur Hälfte evangelisch. Wobei es mehr evangelische Kirchen gibt. Nur sind diese nicht so klar als Kirchen erkennbar. Ich habe bei dem auffälligen Gebäude an der Hauptstrasse nicht auf eine Kirche getippt, eher auf ein modernes Hotel. Die katholische Kirche aber steht unübersehbar auf dem grossen Kirchenplatz mit dem Steinkreuz, Vor dem Eingang steht eine alte Steintreppe. Ich könnte mir vorstellen, dass hier früher ein Maya-Kult-Ort war. Jedenfalls ist die Treppe ein typisches Indiz. So wie die Spanier bei ihrer Eroberung ihre Kirchen an vielen Orten auf den alten Kultorten aufgebaut hatten.
Hinter der Kirche gibt es einen Hof mit einem typischen Brunnen, der allerdings leer ist.
Das Kirchenschiff ist gross, hell und mit modernen farbigen Fenstern ausgestattet. An den Nischen in den Wänden stehen die Heiligenfiguren, die an Prozessionen durch das Dorf getragen werden. Vor allem am Karfreitag finden in Guatemala die grossen Prozessionen statt.
Ich setze mich für einen Moment in einen der Kirchenbänke, lasse die Atmosphäre auf mich einwirken, als ich merke, dass bei einem der Seitenaltare eine Taufe stattfindet. Eine kleine Gruppe mit dem Pfarrer. Neugierig schaue ich aus einer gewissen Entfernung zu, als mich zwei ältere Frauen mit Handzeichen auffordern, näher zu kommen.
Einer der Männer will wissen, woher ich komme und als es daran geht, die Fotos zu machen, meint er, ich soll gern auch ein Bild mitnehmen. Un recuerdo, eine Erinnerung, meint er lächelnd und das Elternpaar stellt sich noch einmal in Position.
Ich suche jetzt den Markt, der ganz in der Nähe der Kirche stattfindet. Will mir ein paar Früchte kaufen. Kleine süsse Bananen, ein paar Drachenfrüche, Pitayas, eine Mango und ein paar Tomaten.
Ich hoffe, dass mein Magen das erträgt und schlendere danach noch ein wenig den Ständen entlang. Es ist ein typischer Markt, auf dem man alles für den täglichen Bedarf kaufen kann. Von Früchten und Gemüsen zu Bohnen, Getreide, Geschirr, Kleidern.
Bei dem grossen Angebot an frischen Früchten, frage ich mich, warum die Menschen hier sich so einseitig ernähren. David hat mir erzählt, dass er sehr bewusst darauf achtet, dass seine Familie viel Früchte und Gemüse esse und dass er seit er das in der Schweiz kennen gelernt habe, auch darauf besteht, frischen Salat zu essen. Vitamine sind wichtig für meine Kinder, meinte er.
Leider würden sich die meisten Menschen vor allem von Bohnen und Mais ernähren. Eier und Hühner gehörten auch noch in den normalen Speiseplan. Ich weiss nicht, ob frisches Gemüse für viele Menschen zu teuer sind. Das kann natürlich schon sein, für mich ist das bei den Preisen schwierig abzuschätzen.
Nachdem ich mich eingedeckt habe, kehre ich noch einmal bei Rafa ein, wo ich ebenfalls etwas für meinen Vitaminbedarf tun will und einen Liquado, einen Smoothie bestelle. Der stellt sich dann allerdings als richtiger Dessertdrink mit viel Rahm und Eis heraus. Aber er schmeckt wunderbar und ich bin dadurch schon wieder sehr gesättigt.
Grad will ich ein Tuctuc anhalten, als mich ein Mann anspricht. Die üblichen Fragen. Woher, wie lange und überhaupt. Er stellt sich als Guide vor und fragt, ob ich den Maximon sehen wolle. Es sei heute grad ein Festival, er könne ihn mir zeigen.
Den Maximon? Ich kenne die Figur, habe sie schon bei früheren Besuchen gesehen, aber ich hätte nicht erwartet, dass ich schon bei meinem ersten Besuch in Santiago darauf angesprochen würde.
Ja, um den Maximon zu sehen, gebe ich gern ein paar Quetzales aus und Franzisco erklärt mir, dass er ganz in der Nähe sei.
Er führt mich durch schmale verwinkelte Gassen. Bereits kann ich von irgendwoher Musik hören, aber es geht noch ein paarmal um eine Ecke, bis wir vor einem Haus stehen, aus dem vom oberen Stockwerk aus einer - oder sind es mehrere? - Musikbox die Nachbarschaft beschallt wird.
Ein paar farbige Papiere flattern über dem Eingang, eine alte Frau guckt durch ein Fenster in einen dunklen Raum. Hier wohnt also der Maximon.
Wir treten ein, der Lärm der Musik ist inzwischen betäubend und schlägt irgendwo direkt aufs Zwerchfell.
Das ist ein Schamane, schreit mir Francisco ins Ohr und er will mir jetzt erklären, was dieser vor dem Maximon genau mache. Und überhaupt will er jetzt anfangen, mir Erklärungen zu geben, aber ich kann nichts mehr verstehen. Frage ihn nur mit Handzeichen, ob ich fotografieren dürfe, was er mit einem fröhlichen Nicken bestätigt.
Ich bleibe erst einmal stehen, versuche die Szene zu überblicken.
Das ist also der Maximon, dieser Heilige, der seit ewigen Zeiten hier in Santiago Atitlan verehrt wird. Er ist eine Mischung aus Maya und Spanier. Stammt aus der Zeit der Eroberung. Bekleidet ist er mit einem grossen Hut, gewobenen Gürteln und vielen verschiedenen Krawatten. Wobei der Anteil an Krawatten auch schon höher war. Im Moment scheinen die guatemaltekischen Schleifen zu überwiegen. Vor ihm stehen viele Blumenarrangements, liegen ein paar Puros, Zigarren, von denen eine in seinem Mund steckt und soeben giesst der Schamane etwas Wasser vor ihm aus, bespritzt den Boden damit. Es wird wohl Alkohol sein, auch wenn es aus einer Plastikflasche kommt, denn der Maximon nimmt gern Zigarren und Zigaretten und Alkohol entgegen. Und selbstverständlich Geld. Francisco habe ich bereits bezahlt, aber ich sollte wohl auch einen kleinen Obolus an Maximon direkt abgeben. Die beiden Scheine, die ich dem Mann, der an seiner Seite sitzt, in die Hand drücke, flicht dieser in die Kravatten ein, wo sie wohl eine Weile stecken bleiben.
Im hinteren Teil des Raumes tanzen ein paar Frauen, während die Männer auf den Plastikstühlen hocken und zusehen. Ich habe das überhaupt noch nie gesehen und versuche, mir einen Platz in der Nähe des Maximon zu ergattern. Der Mann neben mir nickt freundlich, als ich mich setze. Seine Frage nach dem Woher kann ich grad noch beantworten, bin aber nicht sicher, ob er meine Antwort überhaupt verstanden hat, denn die Musik ist ohrenbetäubend und ich befürchte schon, einen Schaden davon zu tragen.
Der Mann mit dem Gesicht wie ein Maya schenkt Bier in Plastikbechern aus und bietet auch mir einen Becher an. Ich lehne mit einem bedauernden Lächeln ab. Bin nicht sicher, was das mit meinem strapazierten Magen anstellen würde.
Hinter den Frauen stehen ein paar nicht definierbare Heiligenfiguren und auf der anderen Seite des Raumes steht ein Sarg mit einer lebensgrossen in Tücher verpackten Figur. Bin nicht sicher, ob das Jesus sein könnte.
Der ganze Raum hat diese morbide, geheimnisvolle Atmosphäre und die Luft ist geschwängert von Weihrauch und Zigarren.
Zehn Minuten mögen vergangen sein, zehn Minuten, die ich meinem Trommelfell und was auch immer anfängt, im Inneren meines Körpers zu fibrieren, zumute, dann verlasse ich den Raum. Bedanke mich mit einem Nicken bei den Menschen.
Die Musik verfolgt mich noch eine ganze Weile, bis ich endlich aus dem Gewirr der kleinen Gassen zurück auf der Hauptstrasse bin.
Ich bedanke mich bei Francisco und nehme mir nun endgültig ein Tuctuc. Es ist Zeit, in meine kleine Enklave zurück zu kehren.
Der Maximon wird von vielen Menschen hier im Ort hoch verehrt und zwar soweit ich das verstehe und erfragt habe, von beiden Konfessionen. Von Katholiken, wie von Evangelisten. Er wird von einer Gemeinschaft gepflegt und bleibt jeweils ein Jahr bei einer Familie im Haus. Es ist eine Ehre, den Maximon zu beherbergen, darum wird ihm auch extra ein Raum im Haus zugeteilt. Wo er im Moment ist, muss man erfragen, denn das nächste Jahr ist er an einem anderen Ort. Ein Besuch beim Maximon umweht immer etwas Geheimnisvolles, die überlaute Musik und die Tänzerinnen allerdings waren diesmal schon sehr speziell. Aber wie hat Francisco erklärt, heute ist Festival.
Vielleicht werde ich ihn später noch einmal besuchen, denn ich habe mir in meinem Handy vermerkt, wo der Maximon genau ist. Vielleicht ist es bei einem späteren Besuch ruhiger.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko