Mittelamerika
Panajachel
Leider wollen sich die Vulkane am anderen Ufer des Atitlansees auch heute nicht so richtig zeigen. Sie bleiben hinter Wolken versteckt. Und dabei machen sie doch die Schönheit dieser Gegend, dieses riesigen Kratersees aus.
Ich bin mit David zum Frühstück verabredet, er ist letzte Nacht in Panajachel geblieben, denn die letzten Boote über den See legen gegen 18.00 Uhr ab. Solange es noch hell ist. In der Nacht gibt es keine öffentliche Boote mehr. Oft ist der See am späteren Nachmittag und Abend auch ziemlich unruhig und es gibt Schaumkrönchen auf den Wellen.
Ich bummle dem Boulevard entlang. Hier hat sich einiges verändert, seit ich das letzte Mal vor fünf Jahren mit einer Gruppe hier war. Es gibt noch mehr kleine Imbissstände, die jetzt langsam ihre Küchen öffnen. Ein paar ältere Schulmädchen lassen sich Frühstück servieren
In einer anderen Garküche brutzelt eine Frau Hühnchenteile und Würste. Sie lächelt, als ich sie fotografiere. Früher war das immer sehr schwierig, die Leute zu fotografieren. Zwar drehen sich auch heute noch ein paar Frauen ab, wenn sie die Kamera sehen. Dabei will ich ihre Kleider, und nicht ihre Gesichter. Aber vielleicht ist das genauso despektierlich. Jedenfalls murmle ich dann jeweils ein lo siento und gehe weiter.
Natürlich gibt es auch ganz viele Verkaufsstände mit den typischen Textilien. Tischläufer, Tischdecken, Sets, Schals, Röcke, wie sie die Frauen tragen und ganz viele Huipiles. Sie sind oft gewoben, aber auch genauso oft bunt bestickt. Die weiss gestreiften mit den akribisch genau bestickten Vögeln kommen aus Santiago. Blaue aus Santa Catarina. Jeder Ort, jedes Dort hat seine eigenen Muster.
Noch einmal finde ich in einer schmalen Gasse ein paar Wandgemälde. Es sind wahre Künstler, die hier an der Arbeit waren.
Dann treffe ich mich mit David zu einem typischen Frühstück mit Eiern, Frijoles, Kartoffeln und Früchten.
Nach dem Essen gehen wir hinunter zum Bootssteg. Die Verkaufsstände sind auch hier dabei, zu öffen, die Verkäuferinnen legen ihre Waren aus, Die Tagestouristen sind noch unterwegs. In den Shuttlebusses, die hier in kurzer Zeit ankommen werden. Dann werden auch die Tuctuc-Fahrer da sein und hoffen, dass nicht alle auf ein Boot wollen. Dazu sind dann die Bootsführer hier. Sie verkaufen ihre privaten Fahrten über den See. Bieten Ausflüge in drei verschiedene Dörfer an und warten dann, bis die Touristen wieder zurück kommen, damit sie die nächste Destination anfahren können.
Wir steigen in das Collectivo, das Boot, das schon einige Passagiere hat und nächstens ablegen wird.
Es dauert nicht lange, bis man losfahren kann. Es gibt keinen Fahrplan, die Boote fahren, wenn sie voll sind, wenn der letzte Platz besetzt ist. Man zahlt dem Bootsführer den Preis, steigt ein und wartet.
Lange waren die Boote die einzige Möglichkeit, den See zu überqueren, inzwischen gibt es eine Strasse, die rund um den See führt. So könnte man also auch per Taxi rundum fahren. Aber es dauert gegen eineinhalb Stunden, um ans andere Ufer zu kommen. Die Boote brauchen dazu nur 20 Minuten. Es sind immerhin 18 Kilometer von Pana nach Santiago.
Obwohl es noch Vormittag ist, ist auch die heutige Überfahrt recht stürmisch. das kleine Boot rast über den See und über die Wellen, so dass man in den Poliesterboot das Gefühl hat, über eine ganz besonders holperige Strasse zu fahren.
Ich empfinde es tatsächlich jedesmal wie ein kleines Abenteuer, über den See zu fahren und denke an die Menschen, die das täglich zweimal machen.
Auf gar keinen Fall hätte der Mann mit dem Hut, diesen während der Fahrt abgenommen. Er musste ihn die ganze Zeit festhalten, denn die Fahrt war sehr stürmisch. Die Dächlikappe hingegen hielt gegen alle Windböen stand.
Zwanzig Minuten später sind wir in Santiago, wir nehmen ein Tuctuc und fahren zu Davids Restaurant. Es steht da, wo er vor Jahren sein erstes kleines Haus gebaut hat. Es war nur ein kleines einstöckiges Häuschen mit zwei Räumen. Er hatte schon damals versucht, ein kleines Restaurant darin zu führen, aber es hat nicht geklappt, darum hat er es später vermietet. Und sich ein zweites Grundstück in der Nähe gekauft. Mithilfe seines Schwiegervaters. Und vor allem aus dem Erlös von vielen farbigen Kugelschreibern. Kugelschreiber mit dem individuellen Namen, das war lange Zeit sein wichtigstes Geschäft. So hatte ich ihn kennen gelernt. Er hat sie auf der Strasse verkauft. Irgendwann fing er an, grössere Geschäfte zu machen. Grössere Bestellungen auch ins Ausland. Diese hat er verschickt, oder er fand jemanden, der die Sachen mitnahm. Kugelschreiber und Armbänder. Er stellte Leute an. Familie und Freunde, bezahlte gut und konnte gute Erlöse machen. Meine Preise sind nicht billig, meint er auch heute. Was soll das für ein Geschäft sein, wenn man immer nur das billigste anbietet. Mein Haus habe ich mit den Kugelschreibern finanziert. Das funktioniert auch heute noch. Im Moment hat er einen grossen Auftrag von 1000 Armbändern, der in einer Woche fertig sein muss. Seine Leute sind am Arbeiten.
Die Mieter des ersten Hauses sind während der Pandemie ausgezogen. David kam aus Panajachel zurück und eröffnete zum zweiten Mal ein Restaurant. Dieses Mal war er besser vorbereitet, wusste genauer, was er wollte und heute scheint es auch tatsächlich zu funktionieren.
Raquel, seine Frau und die beiden Buben, der 12-jährige Miguel Angel und der 9-jährige Alex erwarten uns. Ich glaube, sie waren ganz nervös, mich wieder zu sehen. Vor fünf Jahren waren die beiden noch klein, und vor allem sehr schüchtern. Auch Raquel sprach damals nicht viel, heute spricht sie nicht nur sehr gut spanisch, sie ist auch zu einer Frau geworden, die weiss was sie will, wer sie ist.
Natürlich will mir David jetzt alles zeigen, was er erreicht hat. Sein kleines Restaurant 3B - Bueno, Bonito y Barato (gut, hübsch und günstig) hat 20 Sitzplätze. Die Hälfte davon ist mit einem Dach bedeckt. David wäre nicht er, wenn er nicht schon wieder neue Pläne hätte. Irgendwann wird er oben eine Terrasse machen, wo weitere Tische aufgestellt werden können. Im Moment ist im Aufbau das gemeinsame Schlafzimmer und ein Bad. Hier lebt die Familie. Sehr einfach und auf kleinstem Raum wie es hier allgemein üblich ist.
Unten ist die Küche und das Buffet. Es gibt ein grosses Fenster, wo Leute etwas zum Mitnehmen abholen können. Das Restaurant läuft und es rentiert. Es ist wie eine Maschine, meint David. Und dabei mache ich da gar nichts, ich kann nicht kochen, helfe nur manchmal im Service. Aber wir haben vier Angestellte, für Küche und Service. Unter der Woche arbeitet Raquel in der Küche, am Wochenende haben wir frei, dann überlassen wir das Geschäft den Angestellten. Man muss den Leute Vertrauen schenken, mit denen man arbeitet
David ist voller Energie, voller neuer Ideen. Sein Besuch in der Schweiz vor ein paar Jahren gab ihm neuen Auftrieb, neue Inspiration.
Wir trinken Kaffee, plaudern, lachen, erzählen. Magst du lieber englisch sprechen?, fragt mich Alex, als ich grad etwas Mühe habe, ein spanisches Wort zu finden. Und er wechselt spielend ins Englische. Es macht ihm überhaupt keine Mühe. Letztes Mal noch hatte David den beiden englisch beigebracht. Schon als die beiden klein waren, war es ihm wichtig, dass die Buben englisch lernen und heute hat er es geschafft. Sie gehen dank einem Stipendium einer amerikanischen Familie in eine internationale Schule in Panajachel. Schulsprache ist Englisch. Zuhause wird Tzutuhil gesprochen, die Maya-Sprache von Santiago. Leider sprechen es die Buben kaum, aber natürlich verstehen sie alles.
David will mir alles zeigen, auch sein zweites Haus, das er für sich gebaut hatte und von dem er immer glaubte, dass er mit seiner Familie einmal darin leben würde. Es hat einen sehr schönen zweiten Stock mit grossen Fenstern und einer Holzdecke. Alles sehr gediegen ausgearbeitet. Er hatte es zuerst an ein amerikanisches Ärztepaar vermietet, das im Spital gleich nebenan arbeitet. Heute ist darin eine Tierarztpraxis eingerichtet. Dass er selber darin wohnen wird, ist kein Thema mehr, Davids Visionen gehen bereits weiter. Ein Haus direkt am See, das wäre sein Traum. Oder ein zweites Restaurant, ja gar ein Hotel. Die Pläne werden ihm nie ausgehen.
Ich bin Unternehmer, ich denke immer an Möglichkeiten, denn es gibt ganz viele davon, man muss sie nur sehen.
Nach seiner offiziellen Schulzeit war die Frage, was er für eine Ausbildung möchte. Architektur stand im Raum, Sprachen, aber am Schluss war es eine Kaufmännische Schule, die er besuchte und die ich ihm ermöglichen konnte. Es war genau das richtige, meint er noch heute. Das ist es, was in mir steckt, schon immer.
Ich möchte einen Monat in Santiago bleiben, möchte diesen Aufenthalt nutzen, um nicht nur zu reisen, sondern um zu leben. Einfach an einem Ort bleiben und sehen, wie sich das anfühlt. Vielleicht schreiben, vielleicht auch nur lesen oder nichtstun. Kein Zwang, keine Vorgaben. Dazu brauche ich eine Unterkunft. Sei es ein günstiges Hotel oder einen Bungalow. David hat etwas gefunden, aber ich will es mir zuerst ansehen, bevor ich mich dafür entscheide.
Es ist ein kleines Appartment in einem grossen Garten, das wir uns ansehen. Das Zimmer ist schlicht, drei Betten, ein Bad mit Dusche, eine Küche, die aber gar nichts enthält, kein Geschirr, keine Pfannen, gar nichts. Aber der Garten ist schön mit vielen exotischen Pflanzen und verschiedenen Gartensitzplätzen. alles etwas verwildert und vernachlässigt. Das Internet ist vorhanden, wobei es im Garten besser ist, als in der Unterkunft selber. Aber der Preis ist sensationell niedrig. Ich sage zu. Ein Monat im Hotel Marcelo. Hotelservice gibt es selbstverstänlich keinen und ausserdem werde ich in zwei Wochen für fünf Tage ausziehen müssen, denn es gibt eine Reservation, die schon lange besteht.
Zum Restaurant von David sind es 10 Minuten zu Fuss und ausserdem ist ein Hotel am See ebenfalls in Fussnähe. Dort gibt es einen grossen Pool. Falls ich eine Abkühlung brauche. David erzählt, dass er manchmal am Sonntag mit der Familie hierher komme und den Nachmittag am Pool verbringen.
Schon bald ist es Zeit, sich zu verabschieden, Ich fahre zurück nach Panajachel. Am Himmel brauen sich Regenwolken zusammen und tatsächlich, das Boot wird mit einer blauen Plastikfolie überspannt, der Bootsführer hüllt sich in einen roten Plastikmantel, das Boot ist startklar. Und es wird ein zweites Abenteuer. Über den See bei schlechter Sicht, die Wellen werden durch die Geschwindkikeit überflogen und die Schläge werden stärker. Als ob der See eine Strasse voller Schlalöcher wäre.
Am Abend gehe ich in eines der Restaurants am Wasser zum Nachtessen und dann zurück ins Hotel.
Morgen werde ich mit meinem Gepäck nach Santiago umziehen.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko