Mittelamerika
San Juan Chamula
Heute bin ich unterwegs nach Chamula, einem kleien Mayadorf in der Nähe, das man mir unbedingt empfohlen hat, zu besuchen. Hier würden noch alt überieferte Maya-Traditionen gelebt.
Ein wenig habe ich mich eingelesen, denn aus Erfahrung weiss ich, dass es schwierig ist, den Ausführungen der Guias zu folgen. Vor allem wenn ich in der spanischen Gruppe bin. Zu spät merke ich, dass ich vielleicht in der englischen besser aufgehoben wäre. Doch die sind längst losgefahren, als Ricardo mit sienen Erklärungen ansetzt. Wie immer viel zu schnell und in diesem Spanisch, das mit vielen neuen Ausdrücken versetzt ist.
Besser würde ich mich mit Alejandro, dem Chauffeur vertehen, manchmal erklärt er mir etwas, wenn er merkt, dass ich den Erklärungen von Ricardo wieder einmal nicht folgen kann.
Auf dem Weg zum Dorf halten wir kurz an dieser kleinen Kapelle an. Es scheint ein spiritueller Ort zu sein. Ein Ort, an dem sich die Dorfbewohner von der Arbeit auf dem Feld ausruhen. Genauso wie bei den drei grossen Kreuzen, bei denen wir als nächstes stehen bleiben. Aussteigen ist nicht erwünscht, die Fotos müssen durch die Fensterscheiben gemacht werden. Wobei ich Glück habe, da ich vorne beim Chauffeur sitze, kann ich die Scheiben senken und brauche nicht durch die getönten Gläser zu fotografieren.
Auf dem Weg zum Dorf fallen die vielen schönen neuen Häuser auf. Viele sind noch im Bau, andere lassen auf grössere Gehöfte schliessen. Irgend jemand scheint da richtig Geld zu verdienen. Viele Neubauten sind in modernem Stil mit grossen Fensterscheiben, was nicht wirklich den alten Traditionen entspricht.
Im Dorf angekommen, bummeln wir zur Kirche, die auf einem grossen Platz steht.
Sie scheint neu gestrichen. in blendendem Weiss mit grünen markanten Dekorationen. Ricardo erklärt, dass hier alles seine Bedeutung hat. Symbole gehören zum Leben der Mayas. So sind die farbifen Ornamente am Portal Sonnen- und Blumensymbole. Der Ort ist eine katholische Kirche, doch hier vermischen sich die Kulturen. Im Inneren werden keine Messen gelesen, hier herrschen die Nahualas, die Chamanen das Sagen.
Bevor wir in die Kirche hinein gehn dürfen, müssen werden wir angewiesen, auf keinen Fall zu fotografieren. Fotos sind innen absolut verboten. Auch der Wächter will das von jedem noch einmal bestätigt hören, dass man diese Anweisung verstanden hat.
Dann treten wir ein. In eine völlig unerwartete Situation. Es ist düster in der Kirche. Licht von aussen dringt kaum durch, doch die Kirche ist mit tausenden von Kerzen beleuchtet. Sie stehen auf den Altaren, am Boden, auf Balustraden, Tischen. Es sind diese dünnen Kerzen, die ich schon von Chichi kenne. Sie werden auf dem Boden festgemacht und angezündet. Menschen hocken auf dem Boden. Auf Knien, in kleinen Gruppen oder zu zweit, dritt. Es wird gemurmelt, gebetet, manchmal hört man ein Huhn. Ja, das sind Hühner, die hier geopfert werden. Menschen suchen Heilung an diesem Ort. Kommen mit ihren Problemen, ihren Krankheiten, ihren Anliegen zum Schamanen. In einer Ecke, gleich hinter dem Eingang erklärt uns Ricardo, was da abläuft. Soweit man das überhaupt erkennen kann.
Der Schaman wird mit seinen Beschwörungen, seinen Gebeten, den leidgeplagten Menschen versuchen zu heilen. Zur Unterstützung rülpst er den Patienten an. Damit das besser geht, trinkt er den Posh, den Schnaps. Neuerdings wird dieser allerdings von Coca Cola abgelöst. Es rülpst sich besser. Darum stehen auch überall Cola-Flaschen auf dem Boden. Dabei geht die Krankheit in das mitgebrachte Huhn über, das in einer verschlossenen Schachtel oder einem Plastiksack mitgebracht wurde. Es werden Kerzen angezündet, Wasser oder Posh verspritzt, Beschwörungen gebetet und irgendwann wird das Huhn getötet, dann ist der Patient geheilt. Es herrscht eine eigenartige Stimmng in der Kirche. Geschwängert vom Duft von Weihrauch, verbranntem Wachs und andere Gerüche mischen sich. Es ist alles in Bewegung und doch ganz ruhig. Menschen kommen und gehen. Sitzen oder knien am Boden, stehen auf, gehen weiter. Auch ich gehe jetzt zwischen den Leuten, niemand hindert einem. Man darf nur kein Handy in die Hand nehmen. Natürlich juckt es mich in der Hand, möchte ich in die Tasche greifen, doch ich lasse es bleiben. Könnte ja einen Einheimischen bitten, mir ein Bild aufzunehmen. Denn diese dürfen das. Ich sehe zwar niemanden beim Fotografieren, aber es wird durchwegs gechattet, einen jungen Mann sehe ich sogar, wie er ein Spiel macht, während seine Mutter neben ihm ihre Gebete murmelt.
Jemand mit einem Kessel und einm Spachtel räumt die verlassenen Orte auf, wo vorhin eine Zeremonie stattgefunden hat. So ist immer wieder Platz, um neue Kerzen aufzustellen, neue Zeremonienplätze zu schaffen.
Wieder draussen ist es wie ein Gefühl, aus einer anderen Welt aufzutauchen. Jetzt sehe ich allerdings auch die Männer, die vor der Kirche torkeln. Ob es Schamanen sind, ob sie doch besser Coke getrunken hätten.
Als wir kamen, wurde im Pavillon auf dem Platz Musik gemacht. Jetzt stehen die Musikanten in der Sonne, in ihren dicken Kleidern aus weissen Fellen. Ob die Frauen mit ihren schwarzen Fellröcken, die in San Cristobal ihre Handarbeiten anbieten auch von hier kommen?
Ich versuche mit den Musikanten ins Gespräch zu kommen, was allerdings sehr schwierig ist. Dabei ist mir nicht klar, ob es vielleicht daran liegt, dass hier im Dorf ausschliesslich die alte Maya-Sprache Tzotzil. Im Pavillion sitzt nur noch einer der Musiker und lässt sich von einem Buben die Schuhe umfärben. Von Naturbraun in Rosa. Nein, heute sei keine Schule, erklärt er mir, heute ist Fiesta. 15. August, Maria Himmelfahrt. Darum ist auch die Musik hier.
Und überhaupt, erklärt mir der Junge. Er hätte die Schule verlassen. Er ist zwölf, hat die Primarschule abgeschlossen, das reicht. Und dann wirdmet er sich wieder den Sandalen, die rein säuberlich rosa gestrichen werden.
Ich schlendere weiter. Komme über den grossen Platz vor der Kirchenmauer, wo Frauen Gemüse und Früchte anbieten und dann auf die Hauptstrasse. Kurz habe ich noch meine Gruppe vor mir gesehen, doch irgendwann habe ich sie verloren. Doch ich mache mir keine Sorgen, der Ort ist klein, irgendwie werde ich bestimmt wieder gefunden werden. Alejandro wird bestimmt nicht ohne mich losfahren, denn irgendwie scheint er ein Auge auf mich geworfen zu haben.
So ist es denn auch, noch bevor die anderen beim Parkplatz eintreffen, hat mich Alejandro gesehen und ist mir ein Stück entgegen gefahren.
Jetzt sind alle wieder da, wir können weiter fahren.
Auch unser nächster Besuch gilt einem Maya-Dorf. Auffällig sind hier die vielen Gewächshäuser. Es werden Blumen angebaut und auf dem Markt verkauft, von wo sie auf die umliegenden Orte verteilt werden. Doch unser Ziel ist weder der Markt, noch die Kirche, wir besuchen eine Familie, damit sie uns zeigt, wie sie lebt. Oder was sie herstellen.
Zuerst erklärt uns Riccardo den Hausaltar, der voller Symbolik sei. Leider verstehe ich auch hier nicht, worum es sich im einzelnen handelt, aber es scheint, dass jede Figur, jedes Tier und auch die verschiedenen Blumen eine spezielle Bedeutung haben.
Dann erklärt er die Kleider der Frauen, die einen gewickelten Jupe und reich bestickte Blusen mit einem Schultertuch, das ebenfalls mit Blumen bestickt ist, tragen.
Als sich das ganze zu einer Verkaufsveranstaltung entwickelt gehe ich hinaus. Auf der Strasse liegt ein Holzhaufen. Nicht zum Heizen, aber zum Kochen, wird das Holz gebraucht.
Auf der anderen Strassenseite habe ich einen Blumenhändler entdeckt. Grosse Bündel mit Rosen, Lilien, Strelizien und andere Blumen werden gerade in ein Tuctuc geladen. Sie werden auf den Blumenmarkt hier im Ort gefahren, von wo sie weiter verteilt werden.
Und was passiert mit den schönen Blumenarrangements? will ich wissen. Die werden in den Kirchen und für die Hausaltare gebraucht. Ich bin immer wieder erstaunt, was alles für die Verehrung von Gott aufgewendet wird. Mir würde so ein Blumengebinde auf dem gedeckten Tisch gefallen, aber hier kommt Gott an erster Stelle.
Ich sehe mir noch kurz das Angebot des kleinen Supermarktes auf der anderen Strassenseite an, als mich Alejandro holt. Du solltest kommen, es wird gekocht, es gibt Tortillas.
Also gehe ich zurück zur Familie und zu der Gruppe. Tatsächlich jetzt sitzen alle um den Herd in der Küche des Hauses. Die Frauen backen Tortillas und in Schalen liegen gehackte Zwiebeln, Frijoles und kleingeschnittene Tomaten zum Füllen bereits. Ausserdem gibt es einen Becher Kaffee. Das ist die Küche, in der die Familie lebt. Über dem Feuer hängen ein paar dünn geschnittene Fleischteile zum Räuchern. Hinter dem Haus kann ich ein Gewächshaus sehen, in dem violette Blumen blühen und daneben eine Milpa, ein Maisfeld. Es ist das autentische Leben der Familie, die aus vielen Mitgliedern besteht. Man lebt gemeinsam, die Frauen in Küche und mit ihren Handarbeiten, die Männer auf dem Feld. Ein sehr einfaches Leben, in dem auch die älteren Familienmitglieder Platz haben.
Einen Monat Arbeit braucht Maria für einen Wandbehang mit Weben und besticken. Verkauft wird er für 1500 bis 2000 Pesos.
Bevor wir losfahren komme ich noch mit Anita ins Gespräch. Sie verkauft Schmuck, vor allem Bernstein. Mich fasziniert dieses eigenartige Material schon lange, Anita zeigt mir einen neuen Aspekt. Mit einer infrarot-Lampe beleuchtet, verändert er seine Farbe und wird milchig grün. Das ist der Beweis, dass es sich tatsächlich um Bernstein handelt. Plastik würde sich nicht verfärben.
Ich kaufe ihr ein Armband ab. Ein kleines Souvenir an diesen speziellen Tag.
Wir fahren zurück nach San Cristobal und Alejandro möchte wissen, in welchem Hotel ich wohne. Er will mich wohl hinfahren, doch ich steige in der Nähe des Bernstein-Museums aus, das ich soeben entdeckt habe. Beim Abschied zwinkert er mir zu..., er hat sich tatsächlich etwas verguckt.
Das Bernstein-Museum ist in den Klostermauern der Merced-Kirche untergebracht, also besichtige ich diese zuerst noch kurz.
Das Museum bietet viele Informtionen zu diesem goldenen Material, das schon die Inkas kannten.
Ich komme mit dem Direktor ins Gespräch, der mir erzählt, dass er und seine Frau eigentlich Zahnärzte seien. Das Museum führen sie aus Liebe zum Material und zum Gebäude seit vielen Jahren unentgeltlich. Aus den Einnahmen wird nach und nach das Gebäude saniert. Noch fehlt ein Teil, aber die Fortschritte sind eindrücklich.
In den Vitrinen lagern spezielle Stücke. Grosse Bernsteinschnitzereien.
Ich erfahre hier auch, wie man echten Bernstein von Plastik-Fälschungen erkennen kann. Die Infrarot-Lampe ist der ultimative Beweis. Daneben ist es die Temperatur. Bernstein fühlt sich immer warm und sanft an. Einschlüsse von Insekten, die sich genau in der mitte eines Schmuckstückes befinden sind ebenfalls eher verdächtig,
Bernstein sinkt zwar in einem Glas Wasser, wenn man aber einen Löffel Salz dazu gibt, steigt es, weil sich dann das Gewicht verändert.
Wir plaudern lange, der Director will wissen, was für Pläne ich auf meiner Reise noch hätte, gibt mir Tipps und warnt mich vor gewissen Gegenden. Ein sehr schöner Besuch dieses kleinen Museums, das als eines der wichtigsten zum Thema Bernstein gilt.
Den Abend verbringe ich in einem kleinen Lokal in der Nähe des Hotels. Es war wieder ein sehr ausgefüllter Tag mit unglaublich vielen Informationen und dem Besuch der ungewöhnlichsten Kirche, die ich je gesehen habe.
Aufbruch: | 09.06.2023 |
Dauer: | 7 Monate |
Heimkehr: | Januar 2024 |
Mexiko