Falltür ins Paradies
Hanoi, 24.-26.12.2009
Wir kommen am Morgen des heiligen Abends in Hanoi an. Der Bus haelt am noerdlichen Ende der Altstadt und so schultern wir unsere Rucksaecke und machen uns auf den etwa zwei Kilometer langen Fussweg ins Herz von Hanos Altstadt. Schon auf den ersten Blick zeigen sich ansatzweise die Unterschiede zum ewigen suedvietnamesischen Konkurrenten Saigon. Und diese Unterschiede werden in den kommenden Tagen noch deutlicher werden: Hanoi ist keine glitzernde und protzende Boomtown, Hanoi hat sich, trotz aller grossstaedtischer Hektik, etwas Ruhiges, Verstaubt-Idyllisches bewahrt, wie es sich so um den zentralen Houang-Kiem-See schmiegt. Vor allem in der Altstadt, aber auch im franzoesischen Viertel und weiter im Westen, Richtung Zitadelle, glaubt man regelrecht zu spueren, wie die unterschiedlichsten Einfluesse der letzten Jahrhunderte zu einem charakterstarken Amalgam eingeschmolzen sind, deutlich erkennbar zwar, aber eben nur als Teil des grossen Ganzen namens Hanoi.
Die Entdeckung der Langsamkeit
So gibt es in Hanoi beispielsweise keine Chinatown wie in Saigon, denn Hanoi ist zum Teil Chinatown, so wie es zu anderen Teilen traditionelles Vietnam, das Frankreich der 50er Jahre, die Stadt der Vietcong der 60er Jahre, der russische Einfluss der 70er und 80er Jahre, der amerikanisch-westlich gepraegte Aufbruch des neuen Jahrhunderts ist.
Anders als in Saigon wirken die Kontraste zwischen Ho Chi Minh und MTV, zwischen Baguette und Pagode, zwischen Strassensuppenkueche und Kentucky Fried Chicken, zwischen Blackberry und Spitzhut nicht so krass, stehen nicht so gegeneinander. Nichts dominiert wirklich, nichts sticht heraus. Alles scheint unter einer matt schimmernden hanoischen Patina Eins zu werden, vielleicht ein Stueck beispielloser Assimilierung.
Deshalb sieht es in Hanoi auch nicht so sehr wie in Saigon nach dem Siegeszug des westlich-anerikanischen Konsumkapitalismus aus. Se scheint fast so als muessten auch Microsoft, McDonalds, Levi's oder CNN den Platz einnehmen, den Hanoi ihnen in seinem Organismus zuweist.
Ein Organismus uebrigens, durch dessen Arterien, wie in jeder anderen vietnamesischen Stadt, zu 90% Mopeds gepumpt werden.
Auf unserem ersten Streifzug umrunden wir den See, gelangen uebers stark Traveller-verseuchte Kathedralen- ins franzoesische Viertel und entdecken auf dem Rueckweg in der Altstadt den Ort, an dem wir unseren Heilig Abend verbringen werden.
confetti for christmas
Das Restaurant "Malraux" atmet wirklich noch die Atmosphaere der franzoesischen Besatzung der 50er Jahre. Wir sitzen im ersten Stock, nahe des Balkons, der ueber einer belebten Strasse liegt. Ich fuehle mich fast hineinversetzt in Graham Greenes "The Quiet American", das ich gerade lese (und das ich jedem, nicht nur Vietnam-Reisenden, denen aber ganz besonders, dringend ans Herz legen moechte) und das im Vietnam der fruehen 50er Jahre spielt. Fast kann man das Klappern der Wuerfel hoeren, mit denen die franzoesischen Offiziere ihr "Quadrecent vingt et un" spielen, waehrend sie ihren Vermouth Cassis schluerfen.
Die Bescherung
Zur Feier des Heilig Abend bestellen wir uns Coq au vin und Coq a l'orange mit frites und goennen uns einen Rotwein, ehe wir im Schein unserer mitgebrachten Kerzen und unter den wohlwollenden Blicken des Kellners unsere Bescherung zelebrieren. Danach gehts noch in eine Bar auf einen Drink und ein Bier, ehe wir muede in unsere Betten sinken.
Am naechsten Tag drehen wir eine richtig grosse Runde durch die Stadt, zunaechst nach Westen, zum sogenannten "Literaturtempel", einer alten Universitaet, in de res zu meiner Enttaeuschung kein einziges Buch gibt (man sollte doch manchmal den Reisefuehrer genauer lesen).
Dafuer duerfen wir einem Steinmetz beim anbringen chinesischer Schriftzeichen an einen Torbogen beobachten.
Danach nehmen wir Kaffee und Kuchen im "Smile Café", einem Projekt zur Unterstuetzung sozial benachteiligter Jugendlicher (ja, auch die gibt es im sozialistischen Vietnam). Hier lessen wir in einem Szenemagazin einen Artikel ueber die Trien Viet Vuong, die sogenannte "Coffee Street", die nicht im Reisefuehrer steht.
...und was steht da vorm Goethe-Institut?
Wir stellen fest, dass sie sich gleich in der Naehe befinden muss und machen uns auf den Weg. Nach dann doch zweistuendiger Suche finden wir sie: eine wunderschoene von unzaehligen Cafes gesaeumte, dunkle Seitenstrasse. Wir kehren auf ein Bier in ein kleines Gallerie-Café ein und besichtigen in dem alten Backsteinhaus eine inspirierende Fotoausstellung. Erschoepft kehren wir ins Hotel zurueck.
Am naechsten Tag begeben wir uns auf die Spuren der zeitgenoessischen Kunstszene Hanois. Wir beginnen in dr kleinen Suffusive Gallery im franzoesischen Viertel, besuchen das franzoesische Centre de Culture ein paar Strassen weiter und durchqueren anschliessend die ganze Stadt um zur Art Vietnam Gallery zu gelangen. Kunst en masse und keine schlechte.
Einerseits scheint es in Vietnam zwar einen starken Hang zur streng akademischen Aufarbeitung europaeischer Kunstgeschichte, vom Impressionismus ueber Symbolismus, Kubismus, Expressionismus bis zur neuen Sachlichkeit zu geben.
Ungewollte Kunst im Spielzeugladen
Andererseits sieht man in den von uns besuchten Galerien durchaus eigenwillige und eigenstaendige Wege, Themen der Jetztzeit mit angemessenen Mitteln zum Ausdruck zu bringen. Kunst ist hier auch kritische Auseinandersetzung mit den politisch-gesellschaftlichen Verhaeltnissen Vietnams, mit der augenblicklichen Umbruchzeit und mit den Problemen der offenbar so allgegenwaertigen Korruption.
Noch einmal durchqueren wir die halbe Stadt, sind aber zu erschoepft, noch eine weitere Gallerie in der Ma May aufzusuchen. Stattdessen kehren wir nach dem Abendessen ins Hotel zurueck.
Aufbruch: | 01.10.2009 |
Dauer: | 12 Monate |
Heimkehr: | 01.10.2010 |
Thailand
Vietnam
Laos
Neuseeland
Chile
Argentinien
Bolivien
Peru
Vereinigte Staaten