Falltür ins Paradies
New Orleans II, 10.-14.09.2010
Kaum zurück sitzt Jz James schon auf der India House Bühne
Wir erreichen New Orleans am frühen Abend und für uns fühlt es sich an wie nach Hause kommen. Ray begrüßt uns im India House Hostel und wir begegnen Beth und Stephen, die auch schon hier angekommen sind. Und wir treffen Guillaume wieder, einen französischen Musiker, den wir schon vor unserer Abreise kennengelernt haben.
Auch Pausen wollen gepflegt sein...
Natürlich geht es mit den Freunden erst mal wieder in die Frenchman Street zum Nachtvergnügen - wohin auch sonst? An diesem Abend spielt eine 10-köpfige Brassband an einer Straßenkreuzung und bringt die Stimmung zum Kochen. Eine riesige Menschenmenge versammelt sich um die Band, die Leute tanzen ausgelassen mitten auf der Straße, der Autoverkehr kommt zum Erliegen. Immer mehr Menschen strömen zur Kreuzung und verwandeln die Frenchman Street in eine einzige große Party. Guillaume, Beth und Stephen sind genauso begeistert wie wir.
...bevor wir wieder in das nächtliche New Orleans eintauchen.
Für Sonntag haben wir etwas ganz Besonderes geplant: Von einer französischen Freundin von Guillaume, die in New Orleans lebt, haben wir den Termin und Ort einer traditionellen Second Line mitgeteilt bekommen. Ursprünglich ein typisch New Orleanser Beerdigungsritual, ziehen beim Second Line zwei bis fünf Blaskapellen durch das Stadtviertel des veranstaltenden Social Clubs. Die Termine werden nicht an die große Glocke gehängt, sondern meist nur in der Community angekündigt. Eine Second Line dauert normalerweise bis zu vier Stunden, die heutige soll nur zwei Stunden dauern.
Warten auf die Second Line
Mit dem Taxi machen wir uns mit Guillaume am Sonntag Mittag auf in den Central City Historic District, einem sozialen Brennpunkt-Stadtteil im Herzen der Stadt. In der Washington Avenue steigen wir aus und sehen einen Block weiter eine Menschenmenge, die sich um die Mitglieder der "Young Men Olympian Jr. Benevolant Association" scharen. Die "Young Men Olympians" sind einer von noch drei in New Orleans existierenden originalen "Social Aid & Pleasure Clubs".
Wie der Name sagt, spielten diese Clubs seit uralten Zeiten eine gewichtige Rolle in der Organisation des sozialen Lebens innerhalb einer schwarzen Community. Heutzutage sieht man die Clubs bei einigen lokalen und regionalen Festen, beim Mardi Gras - dem New Orleanser Karneval - und eben bei den Second Lines auftreten. Die mächtigen Männer und einige Kinder und Jugendliche tragen ihre Galauniform mit schwarzen Hosen, riesigen weißen Jacketts und fezartigen schwarzen Hüten. Jeder hat ein großes weißes Taschentuch in der Hand. Und bald wird klar weshalb.
Wir treffen Guillaumes Freundin Nathalie und deren gemeinsamen Freund Hassan, ein Komponist, der hier im Viertel lebt, und reihen uns in den Marsch ein. Eine Blaskapelle führt den Marsch an. Es sind die älteren Musiker, die traditionelles New Orleans-Jazz Material spielen. Denen schließen sich die Hälfte der uniformierten Tänzer an, die in geradezu akrobatischer Weise über das Straßenpflaster fegen, gefolgt von einem Teil des tanzenden Publikums. Dahinter die zweite Hälfte der Uniformierten, gefolgt von der zweiten Kapelle. Das sind jüngere Musiker, die moderneres Material - hauptsächlich R&B und Motown-Sachen - spielen. All das natürlich im typisch New Orleanser Brassband-Sound.
Hinter der zweiten Kapelle folgt dann der größte Teil des Publikums, unter dem auch wir uns befinden. Dazwischen Getränkehändler mit ihren eisbepackten Handkarren. Insgesamt bewegen sich so etwa 300 Menschen die Straße entlang. Den Abschluss des Zuges bilden zwei berittene Polizisten. Der infektiöse, gewaltig swingende, etwas stolpernde und dadurch immer vorantreibende Second Line Rhythmus fährt einem sofort ins Tanzbein. Und ALLE tanzen! Ob acht oder achtzig - bei gut 38 Grad Hitze in der sengenden New Orleanser Mittagssonne swingt und groovt sich diese Riesenschlange durch die ärmlichen und angeschlagenen Straßen der Crescent City.
Die Anwohner reihen sich ein oder stehen lachend und winkend, mit wippenden Füßen und kreisenden Hüften auf ihren ramponierten Veranden. Schweißtropfen fliegen um die wie manisch um sich selbst kreiselnden Uniformierten, die sich mit ihren riesigen weißen Taschentüchern immer wieder über Stirn und Nacken fahren. Auch die Musiker leisten Schwerstarbeit. Hier wird nicht einen Moment nachgelassen - jede Trompete, jede Posaune, jede Tuba, jedes Saxophon und natürlich auch die Trommler spielen permanent auf Attacke.
Nach etwa einem Kilometer ist der St. Joseph Cemetery erreicht. Die Musik wandelt sich urplötzlich zu einem dieser herzzerreißend melancholischen mollgestimmten New Orleanser Trauermärschen. Mit Inbrunst gedenkt man der Toten, der Tanzschritt wird verlangsamt, die Spannung zwischen der Klage über die Endlichkeit des Lebens und der kaum zu bändigenden Vitalität dieser Musik, läßt meine Emotionen überfließen. Ich sehe mich um, leicht schwindelig von der Hitze und dem Bier, ich sehe in all die glänzenden, freundlichen Gesichter, ich sehe diese armen und trotzdem so herzlichen und offenen Menschen, die mir zuzwinkern und nette Worte zurufen - und es laufen mir Tränen der Erschütterung, der Dankbarkeit, der Trauer, der Freude übers Gesicht, alles zusammen und durcheinander und ich greife nach Katharinas Hand und sehe ihr in die Augen und sehe, dass es ihr genauso geht wie mir.
Am Friedhof vorbei, wird sofort wieder das alte Tempo aufgenommen. Wir tanzen und tanzen und tanzen, völlig verschwitzt, rot im Gesicht und überglücklich, bis wir nach zwei langen Stunden das Clubhaus der "Young Men Olympians" erreicht haben.
Wir verabschieden uns von Hassan und Nathalie und laufen durch heruntergekommene Straßen Richtung Süden, wo wir im Lafayette Square beim Seafood Festival im Schatten der Bäume erschöpft auf die grüne Wiese sinken und uns mit "Shrimp Po´Boys" (Shrimp-Sandwiches) und überbackenen Austern stärken, während am Kopfende des kleinen Parks wieder einmal eine zehnköpfige Band New Orleanser Rhythm & Blues von der Bühne donnert. Diese Stadt SWINGT!
Am Montag ist die Zeit des Abschieds gekommen. Kaum je auf dieser Reise fiel er uns so schwer wie hier. Am Abend treffen wir uns alle noch einmal bei Smokey´s "Monday Blues Session" auf der Frenchman Street und machen - wie sagt man sich in dieser Stadt wohl sonst "Auf Wiedersehen" - gemeinsam Musik.
Jz James bei Smokey´s Blue Monday Session
Begleitet von Pete Bradish am Schlagzeug, zwei weiteren New Orleansern an Bass und Harmonika, sowie zunächst Guillaume und danach Stephen an den Keyboards, gebe ich noch mal - als Reminiszenz an unseren Ausflug durch das Delta nach Memphis - Albert Kings "Born Under a Bad Sign" und Muddy Waters "I Can´t Be Satisfied" zum Besten. Dann geht es ein letztes Mal mit dem Street Car die Canal Street hinauf nach Mid City ins India House Hostel.
Aufbruch: | 01.10.2009 |
Dauer: | 12 Monate |
Heimkehr: | 01.10.2010 |
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