Falltür ins Paradies
Inti Wara Yassi, 14.06. - 29.06.
Der Blick aus unserer Unterkunft "Valle grande" - vor uns Villa Tunari und die Landstrasse, hinter uns der Dschungel.
[f]0. Tag[/f]
"Vorsicht! Hier sind zwei Touristen!" "Was machen die denn hier - montags?" "Ich hab keine Ahnung!"
"Nein, nein! Wir sind neue Voluntaere und sehen uns den Park an..." "Ok! Dann geht bitte dort auf den Mirador und stellt Euch soweit wie moeglich in die Ecke...", raunt die junge Frau mit barscher Stimme.
Wir gehorchen und gehen in die aeusserste Ecke der Aussichtsplattform. Dann tritt auch sie zur Seite und zieht entschlossen an einer Leine, an deren anderen Ende ein Puma angebunden ist. Nun ist der kleine Dschungelpfad frei und zwei junge Typen mit langen Haaren und einer weiteren Wildkatze an der Leine koennen passieren.
Danach legt sich der erste Puma direkt auf den Pfad, um sein taegliches Nickerchen zu halten. Seine "Care-Takerin", die 24jaehrige Esti aus Israel beginnt nun ausgesprochen freundlich und entspannt zu erzaehlen. Der Puma heisse Gato und sei die aelteste Wildkatze im Park. Der Park sei montags fuer Touristen geschlossen und deshalb gingen die "Catpeople" montags auch die Touristenpfade entlang. Wir sollten uns absolut gluecklich schaetzen, dass wir gleich zwei Pumas an einem Tag gesehen haben, denn die meisten Freiwilligen wuerden waehrend ihrer Zeit im Park die Pumas kein einziges Mal zu Gesicht bekommen, sofern sie nicht mit ihnen arbeiteten.
Und in der Tat schaetzen wir unser Glueck sehr und beobachten - beeindruckt von soviel Anmut und Eleganz - den alten Puma, der sich auf der Lichtung raekelt. "Wenn Ihr wollt, koennt Ihr leise vorbeigehen. Ich halte Gato! Denn hier ist sein Lieblingsplatz und seine Pause kann durchaus zwei Stunden dauern."
Also nehmen wir unseren Mut zusammen und schleichen in etwa fuenfzig Zentimetern Entfernung an dem Puma vorbei. Dieser laesst sich nicht aus der Ruhe bringen, gaehnt nur und bleibt entspannt liegen.
"Und fuer Dich habe ich etwas ganz Besonderes", sagt Keith, der Koordinator fuer die Freiwilligen im "Refugio Inti Wara Yassi" zu mir, "Du wirst mit einem Baeren arbeiten, ok?" - "Ach ja, klar", sage ich, ohne in diesem Moment zu erfassen, was da auf mich zukommt. So schnell also kann man vom Reisenden zum "Baerenbaendiger auf Zeit" werden. Da der Baerenjob nicht den ganzen Tag ausfuellen wird, werde ich darueberhinaus zum Bauarbeiter, Reperateur und ein wenig zum Maedchen fuer alles im Park werden. Beste Voraussetzungen fuer 15 abwechslungsreiche Tage Freiwilligenarbeit im bolivianischen Dschungel.
Ich freue mich fuer Juergen. Dass es einen Baeren im Park gibt, haben wir nicht gewusst und somit diesen Job auch gar nicht in unsere Spekulationen mit einbezogen. Alex, der links neben mir sitzt, wird mit einem Puma arbeiten - Mindestdauer vier Wochen. Juergen wird sich um einen Baeren kuemmern. Nun steigt auch meine Anspannung immer mehr. Bitte, bitte! Lass es einen Affen sein! Bitte!
"Biiiiiiiiiiiirds!" verzehrt sich das Wort in meinem Kopf bis ins Laecherliche. Meine Enttaeuschung kann ich nicht verbergen, doch es gelingt mir, die Traenen zurueckzuhalten. Ich darf jetzt nur nicht Juergen ansehen, sonst laufen sie...
Ich bitte Keith um einen anderen Job - Small Animals, Affenquarantaene... -irgendeinen anderen Job, nur nicht die Voegel. Keith bittet mich eindringlich, es zu probieren, da in diesem Bereich dringend Leute benoetigt wuerden. Erstmal einen Tag und wenn es gar nicht ginge, saehen wir weiter.
[f]1. Tag[/f]
Der Tag beginnt mit einer Enttaeuschung. Ich werde Balou, den Baeren, noch nicht kennenlernen. Die Gruende bleiben vorerst im Dunkeln. Na ja, es gibt genug zu tun und ich lerne verschiedene Bereiche (Affen, Voegel, Tejons) des Parks kennen, helfe beim Bau eines Daches und eines Klettergeruestes in der Affenquarantaene. Die Kapuzineraeffchen sitzen uns bei der Arbeit gerne auf den Schultern, versuchen uns zu reinigen oder "helfen" mit.
Um sieben Uhr schluepfe ich in meine Gummistiefel und stapfe zum Cafe, wo ich die "Birdspeople" treffe. Dort ist Sam, ein 21jaehriger Kanadier, der mit zehn Tagen Erfahrung der "Vogelexperte" ist und mich einlernen wird. Ausserdem sind Rachel aus Irland und Soelie aus Frankreich mit von der Partie. Beide teilen das selbe Schicksal mit mir. Rachel weinte sogar, als sie den Vogeljob zugeteilt bekam, ist allerdings mittlerweile voellig begeistert. Soelies Herz schlaegt noch immer mehr fuer die Affen. "Du kannst in jeder Lunchpause und nach der Arbeit in den Monkey Park gehen...", laechelt sie mich verstaendnisvoll mit leicht wehmuetigen Augen an. Ihr Freund Maxime arbeite im Spidermonkey Park (der beste Job, den man hier als Affenliebhaber bekommen kann) und schwaerme jeden Abend, was er wieder erlebt habe. Ich bin also nicht allein! Tief atme ich durch und nehme mir vor, den Voegeln eine Chance zu geben.
Es gibt zwei Bereich, in denen die Voegel untergebracht sind: Touristbirds, wobei dieser Bereich fuer Touristen zur Zeit gesperrt ist, und Quarantinebirds. Da heute mein erster Tag ist, werde ich mich zusammen mit Sam um die Touristbirds, den kleineren und dadurch noch entspannteren der beiden Bereiche kuemmern. Erste Aufgaben sind das Oeffnen der Vorhaenge und das Fuettern der Voegel. Im Bereich Touristbirds gibt es zehn etwa zweieinhalb mal drei Meter grosse, drei Meter hohe, zusammenhaengende Kaefige, wobei einer der Kaefige leer steht und ein anderer als Kueche benutzt wird. Bei den Voegeln handelt es sich um zwoelf bunte, majestaetisch wirkende McCoys und einen Truthahn. Das Fuettern macht richtig Spass. Danach gehen wir zu den anderen beiden in die Quarantaene und ich darf die "spannenden" Voegel kennenlernen.
[f]2. Tag[/f]
Heute geht es erstmals zum Baerenstall, einem etwa fuenf auf fuenf Meter grossen, im Wald versteckten Betonhaeuschen mit zwei vergitterten Fenstern und einer Gittertuer. Und ich sammle erste Informationen ueber meinen neuen "Schuetzling". Einige der Langzeitfreiwilligen und "Flash", der fuer Balou zustaendige bolivianische Tierarzt, mit dem ich die naechsten zwei Wochen zusammenarbeiten werde, klaeren mich auf:
Balou ist ein vier Jahre junger, 115 Kilogramm schwerer Andenbaer. Im Alter von zwei Monaten wurde er in den Park gebracht. Er war von einer Familie in den Bergen als Haustier gehalten und auf einem Markt entdeckt worden. Edwin, ein Junge aus dem Waisenhaus in La Paz, das dieses Refugio begruendete, wurde fuer Balou zur fast ausschliesslichen Bezugsperson. Fast vier Jahre lang spielten und rauften die beiden, Edwin fuetterte seinen "Kleinen", fuehrte ihn spazieren, kletterte mit ihm auf Baeume, ging mit ihm schwimmen und - ein wenig folgenschwerer - gewoehnte ihn an den Genuss von Kokablaettern.
So haette es immer lustig weitergehen koennen, eine Dschungelbuchgeschichte, eine Kindergeschichte: Balou und Edwin, die Unzertrennlichen. Doch das Leben laeuft anders, gerade auch hier in Bolivien. Edwin, nun Anfang zwanzig, hat eine Frau (auch sie arbeitet im Park) und moechte mit ihr eine Familie gruenden. Er braucht mehr Geld, fragt die Parkleitung. Die wollen oder koennen ihm nicht mehr bezahlen. Edwin sagt, dann muesse er gehen und andere Arbeit suchen. Niemand glaubt, dass Edwin Balou verlassen koennte. Bis vor etwa einer Woche.
Edwin geht, hat einen besser bezahlten Job in Villa Tunari, dem an den Park angrenzenden Ort gefunden. Darauf ist niemand vorbereitet.
Flash springt ein, fuehrt Balou, assistiert von einem Volontaer, spazieren. Edwin benutzte fuer die Spaziergaenge zwar auch eine Leine, lenkte Balou jedoch eher mit der Autoritaet des "Vaters" oder "grossen Bruders". Fuer Flash, nicht mit dieser Autoritaet ausgestattet, werden die Spaziergaenge zum Balanceakt zwischen Kampf und riskanter Mutprobe, zwischen Leinenziehen und Wegrennen. So zerreisst Balou beim zweiten Spaziergang "nach Edwin" sein Geschirr. Ein neues Geschirr, massgeschneidert, muss in La Paz bestellt werden. Heute ist es da.
Und so mache ich mich mit Flash, den drei anderen Tieraerzten Johnny, Nelson und Manuel auf zum Baerenstall. Das neue Geschirr soll angelegt werden. Wie das funktionieren soll, wissen die Veterinarios auch nicht so recht. Mit einer Tuete Kokablaetter soll Balou milde gestimmt werden. Flash wagt sich in den Stall, seine Annaeherungsversuche werden von Balou nicht geduldet. Flash gelingt die Flucht nach draussen. Es hat keinen Sinn. Der einzige, der Balou das Geschirr anlegen koennte, ist Edwin. Die Tieraerzte telefonieren, sprechen mit Edwins Frau. Dann heisst es warten. Ich wandere mit Flash in den Dschungel um dem alten Puma Gato in seinem Stall eine Trittleiter zu bauen.
Shannon empfiehlt mir, mich auf den Boden zu setzen und zu entspannen. Es dauert keine zwei Minuten, dann kommt eine Spidermonkey-Mutter mitsamt ihres Babys und mustert mich neugierig. Sie spitzt die Lippen, macht ein hohes fiependes Geraeusch und signalisiert mir damit ihre friedliche Absicht. Ihr dichtes, schwarzes Fell glaenzt in der Sonne und ihre Augen blicken mich freundlich an. Ich blicke freundlich mir gespitzten Lippen zurueck und schon klettert sie auf meinen Schoss. Ihr Fell fuehlt sich weich und gut an. Sie dreht sich hin und her, benoetigt einen Moment, bis sie die gemuetlichste Position auf meinem Schoss gefunden hat. Ihr Baby ist fest an ihren Oberkoerper geklammert. Die Mama liegt bequem und geniesst meine Naehe und Krauleinheiten sehr. Nun wird auch das Baby aktiv und neugierig.
Es blickt mich mit seinen riesigen Augen an, erinnert fast an eine kleine Fledermaus. Dann wagt es sich vor, beruehrt mich, saugt an meinem Finger - allerdings nie ohne seine Mutter loszulassen. Besonders faszinieren mich die Haende der Affen. Die Innenflaechen sind tiefschwarz, wirken ledrig, sind jedoch ganz weich. Ich halte den Atem an, tauche ganz und gar in das Gleuck dieses Augenblicks ein. Und wenn ich zwei Wochen mit den Voegeln arbeite, alleine fuer diesen Moment, hat sich der Aufenthalt im Park gelohnt.
[f]3. Tag[/f]
Von Edwin keine Spur. Ich bringe Balou das Fruehstueck, drei Broetchen, und fuettere ihn durch das Tuergitter. Ich erfahre: ein Baer bleibt in freier Wildbahn etwa eineinhalb Jahre bei seiner Mutter und macht sich nach dieser Lehrzeit selbstaendig. Balou ist vier und wurde eben erst von seinem "Vater" verlassen, hat aber fuer die Selbstaendigkeit wenig gelernt. Mit dem Gitter zwischen uns, verhaelt er sich wie ein kleines Kind. Er steckt seine Schnauze durch die Staebe, moechte schmusen, ganz vorsichtig beisst er Brotstueckchen ab, schnaubt, wenn man ihm die harte Rinde hinhaelt, schmatzt wohlig, wenn er den weichen Brotteig bekommt. Er stellt sich auf die Hinterbeine und laesst sich durchs Gitter den Bauch kraulen.
Beim Mittagessen zeigt Balou seine andere, gefaehrliche Seite. Ich versuche ihn mit Erdnuessen am Fenster abzulenken, waehrend Flash sich wieder mal in die "Hoehle des Baeren" wagt um sauberzumachen. Sobald Balou Flash in seinem Ruecken spuert, wird es brenzlig. Ohne Gitter zwischen sich und den Menschen, akzeptiert er eben nur Edwin in seiner Naehe. Es war sicher keine gute Idee, das Tier vier Jahre lang so sehr auf einen einzigen Menschen zu fixieren.
Am Nachmittag gehe ich mit der Machete in den Dschungel Baeume faellen. Die kleinen Tejons brauchen Klettergerueste in ihren Kaefigen.
"Ola, ola...lorito real..." Dann beginnt Pea zu lachen und wir alle stimmen ein, denn ihr Lachen ist so ansteckend, dass wir nicht anders koennen.
Pea ist ein gruener Amazon mit einem gelben Fleck auf der Stirn, blaurotem Untergefieder und einem starken Beduerfnis nach menschlicher Naehe. Ihr wurden von der Familie, bei der sie vorher lebte, die Daumenkrallen und Teile der Fluegel kopiert, so dass sie nicht fluechten konnte. Sie kann nicht fliegen, hat aber, wie alle Voegel hier, die nicht mehr fliegen koennen, eine ausgezeichnete Technik entwickelt, mit Hilfe ihres Schnabels und ihrer Krallen zu klettern und sich fortzubewegen. Sie ist eine wahre Freude und es vergehen keine zwei Minuten, in denen man auf der Bank sitzt, ohne dass sie angewackelt kommt und sich mit dem Schnabel erst an der Hose, dann am T-Shirt auf den Schoss oder die Schulter hochzieht. Sie liebt es, im Nacken gekrault zu werden und sie liebt es, mit uns zu singen und zu plaudern. Je laenger ich hier bin, um so mehr muss ich feststellen, dass die Voegel doch liebenswuerdig sind und alle ihre eigenen kleinen charakteristischen Zuege und Macken haben. Hier einige von ihnen.
Mick: Einzelgaenger; mag keine Frauen; verfressen; wird er allerdings von einer Frau handgefuettert, nimmt er das Essen in den Schnabel, um es dann wegzufeuern: plustert sich auf, wenn eine weibliche Stimme seinen Namen spricht; liebt Regen; liebt es, die Nahrung zu essen, die fuer andere Voegel bestimmt ist (Tellerdieb); wenn er verschwindet, sollte man als erstes in der Komposttonne suche - ich taufe ihn deshalb "Mick - the Pig"
Carolina: Ist faehig, eine ganze spanisch sprechende Familie zu imitieren (Mutter am Telefon, Babygebrabbel, -geschrei und -gelaechter. Taeuschend echt); kann sich mit Pea unglaubliche Lachgefechte liefern; hat gebrochenen (leider nie mehr heilenden) linken Fluegel; liebt es, auf die hoechsten Baeume zu klettern (muss allerdings oft mit der Leiter runtergeholt werden, da sie nicht mehr ohne Hilfe zurueckkommr); ist mutig und klettert selbst auf den Raubvogelkaefig; sie ist staendig auf Entdeckungstour und muss staendig gesucht werden; breitet ihre Fluegel aus, wenn man "how big?" ruft
Pablo: Blaugelber McCoy mit stressbedingtem Federverlust; sieht aus wie ein gerupftes Huhn; liebt es, wenn man fuer ihn singt; nickt schnell mit dem Kopf, wenn er gleucklich ist
Sunshine: Hat einen gelben Federring um den Hals; liebt es, von hinten auf unsere Schultern zu fliegen; beisst gerne in unsere Haelse (Zuneigungsbiss - tut trotzdem weh); ist eigentlich freigelassen, kommt allerdings jeden Tag wieder; liebt Erdnuesse ueber alles
Twitch: Einaeugiger rotblauer McCoy; liebt es, von einem Fuss auf den anderen zu schunkeln; alter Pirat
[f]4. Tag[/f]
Von Edwin immer noch keine Spur. Auf Nachfrage zuckt seine Frau nur mit den Schultern. Die Veterinaere ueberlegen, Balou zum Anlegen des Geschirrs zu betaeuben, verwerfen den Plan jedoch. Die Gefahr einer lebensbedrohlichen Atemdepression bei der benoetigten hohen Dosis ist einfach zu gross. Wir fuettern Balou, der von Tag zu Tag weniger isst. Trauer? Mangelnde Bewegung?
Ich schleppe Baeume vom Fluss in die Affenquarantaene, ziehe mir eine Platzwunde an der Stirn zu, bin am Abend voellig fertig.
Heute ist ein trauriger Tag - wir haben einen Todesfall zu vermelden. Als ich morgens die Vorhaenge von Romeo und Julias Kaefig aufziehe, liegt Julia tot auf dem Boden des Kaefigs. Die Tuer des Kaefigs ist an einer Seite aufgebogen. Wir tragen den leblosen Koerper zu den Tieraerzten und sie bestaetigen, was wir bereits vermutet haben: Affenangriff. Der Schnabel des Vogels ist voellig zerstoert. Er hatte offenbar versucht, sich zu wehren. Nun ist Romeo allein. Wir haben die Aufgabe, ihn besonders gut zu beobachten, koennen jedoch keinerlei Anzeichen von Kummer bemerken. Er isst und trinkt normal. Nachmittags werden hier und dort Kaefige geflickt, um den Zugang fuer die Affen in der Nacht zu erschweren.
Voellig erschoepft muessen wir taeglich die viel befahrene Autobruecke ueberqueren, um bei "Reds" essen zu gehen oder auf dem Markt Lebensmittel einzukaufen.
[f]5. Tag[/f]
Endlich. Edwin, der, wie sich jetzt herausstellt, jeden Morgen mit dem Motorrad am Park vorfaehrt um seine Frau abzusetzen, erklaert sich bereit, vor seinem Arbeitsbeginn das neue Geschirr anzulegen. Es wird eine atemberaubende Demonstration des innigen Verhaeltnisses zwischen den beiden. Edwin oeffnet die Stalltuere, springt auf Balou zu, dererhebt sich auf seine Hinterbeine und die beiden fallen sich um den Hals, tanzen gemeinsam durch den Stall, Balou laesst sich auf den Ruecken fallen, Edwin auf ihn drauf. Die beiden rangeln, knuffen und boxen sich, Balou scheint den Koerperkontakt sehr zu geniessen. Im Spiel legt Edwin dem Baeren das neue Geschirr an. Balou verlaesst an der Leine seinen Stall!
Durch das Schauspiel etwas uebermuetig, komme ich Balou etwas zu nahe und buesse es gluecklicherweise nur mit einem Bissloch im Shirt. Das soll mir fuer die weitere Zeit eine Lehre sein.
Edwin geht zur Arbeit, Flash, Balou und ich machen uns auf zu unserem ersten Spaziergang. Flash fuenf Meter voran,dann Balou, der den Weg schon kennt, ich mit der Leine vier Meter hinterher. Wir sind die Attraktion im Park, die Ausloeser der Touristenfotoapparate klicken um die Wette.
Durch eine steile Schlucht gelangen wir dann ans menschenleere Ufer des Rio Espiritu Santo. Dort froent Balou einer seiner Hauptleidenschaften: dem Schwimmen. Immer an der 4,50 m-Leine schwimmt er, schneller als er laeuft, im Fluss eine Stunde lang auf und ab. Dann geht es weiter am Fluss entlang.
Die Regel ist einfach: Laeuft man vor Balou, sollte man immer mindestens fuenf Meter Abstand halten, hinter ihm oder seitlich von ihm genuegen auch drei Meter. Bewegt sich Balou auf einen zu, heisst es rennen. Balou kann auch rennen, ein erwachsener Mensch ist jedoch schneller. Balou schafft im warmen Dschungelklima gerade mal fuenfzehn Meter Sprint, dann geraet er ins Keuchen.
Wir versuchen, Balou mit Rufen, maximal mit leichtem Leinenzug zu lenken. Das klappt bei diesem ersten Spaziergang erstaunlich gut. Zurueck im Stall wird abgeleint (Flash - ganz vorsichtig). Der eigentlich vorgesehene zweite Spaziergang am Nachmittag wird von Balou verweigert. Nach nur fuenf Metern dreht er um, ruettelt von aussen an seiner Stalltuere. Nach dem Oeffnen laesster sich ruecklings in sein Heubett fallen und steht an diesem Tag nicht mehr auf.
Ich schleppe stattdessen mit Flash Baeume vom Fluss in die Affenquarantaene und bringe ein Laufseil fuer eine kleine Wildkatze im Dschungel an.
Weiterhin verbringe ich viel Zeit im Monkey Park bei den Affen und geniesse jede Begegnung mit ihnen. Im Vogelbereich aendern sich meine Gefuehle ihnen - vor allem den Cappuchins - gegenueber allerdings. Die ausgewilderten Affen kommen jeden Morgen zur Fuetterungszeit und stehlen unsere Fruechte. Sie terrorisieren uns geradezu. Wir schmeissen mit Steinen, bruellen "Fuera" und bauen ein Gitter fuer den Obstkasten, doch immer wieder finden sie Wege, zumindest einige der Fruechte zu stehlen und vor unseren Augen, in den Baumkronen sitzend, zu futtern. Ich kann die Affen verstehen. Warum sollten sie sich aufwendig Futter suchen, wenn sie es so einfach haben koennen? Doch ist das im Sinne der Auswilderung?
Spaeter erfahre ich im Cafe, dass Michal, eine israelische Voluntaerin, die in der Affenquarantaene arbeitet, an ihrem letzten Tag bei einem Besuch im Monkey Park vom Alpha-Affen in den Arm gebissen wurde. Genaeht mit drei Stichen. Mir ist erwas mulmig zumute.
[f]6. Tag[/f]
Waisenkinder eines Heimes in LaPaz gruendeten mit ihren Betreuern vor 15 Jahren das Refugio Inti Wara Yassi. Sie pflegten wilde Tiere, die als Haus-, Arbeits- und Zirkustiere,grausam ihrer Natur entfremdet, gehalten worden waren, zunaechst in einem Hinterhof in La Paz,ehe das heutige Dschungelgelaende des Parque Machia angemietet wurde.
Die Idee besteht darin, die wilden Tiere wieder an ihr Wildsein zu gewoehnen und sie nach einer Uebergangszeit wieder in Freiheit zu entlassen. Eine schoene Idee,die in ihrer praktischen Umsetzung jedoch bald in Schieflage geraet. Viel guter Wille, aber wenig Expertise, was das Verhalten wilder Tiere betrifft,reichen nicht aus, die Entdomestizierung voranzubringen. Hinzu kommen zahlreiche behoerdliche Hindernisse.
So verzoegert sich die Auswilderung bei den meisten Tieren um Jahre oder sie bleibt ganz aus. Bei den sieben Wildkatzen des Parks wurde das Auswilderungsvorhaben schon aufgegeben, der Plan, die Domestizierung mit Hilfe ebenso domestizierender Massnahmen (Gewoehnung an Menschen als Bezugspersonen, Fuetterung, Stallhaltung) wieder rueckgaengig zu machen, ging nicht auf.
Stattdessen werden die halbwilden Katzen nun von mutigen Freiwilligen taeglich an Leinen durch den Dschungel gefuehrt. Am Abend kommen die meist maennlichen Freiwilligen aus dem Dschungel zurueck, die Backentaschen voll mit schmerzlindernden Kokablaettern, tragen tiefe Kratz- und Bisswunden am nackten Oberkoerper heroisch zur Schau, werden von den Tieraerzten genaeht und desinfiziert. Das erinnert ein wenig an manche Verbindungsstudenten,die sich, mit dem Saebel bloede blutige Mensuren schlagend,ihre beginnende Maennlichkeit beweisen wollen. Hier wird Freiwilligenarbeit mit Tieren zum schraegen Initiationsritus von zivilisationsweichen Jungtravellern auf dem Weg zum wilden Dschungelmann.
Mit Balou kann dieses Spiel nicht gespielt werden. Er wird noch groesser und staerker werden in den naechsten Jahren. Schon jetzt zeigt sich, dass er durch Menschenhand kaum mehr zu kontrollieren ist (ausser man sperrt ihn im Stall ein). In zwei Jahren koennte wahrscheinlich nicht einmal Edwin mehr den dann ausgewachsenen Baeren im Zaum halten. Bis dahin muss er, irgendwo in den Bergen, ausgewildert sein, sagt Flash. Er wird sonst eine zu grosse Gefahr fuer den Park.
Die Spaziergaenge sollten also vor allem Lehrzeit fuer das Leben in der Wildnis sein. Futter suchen und sammeln, Gewoehnung an die natuerliche Umgebung. Nur - Balou sucht sich kein Futter, er bekommt es ja drei Mal taeglich. Und die Natur interessiert ihn auf den Spaziergaengen weitaus weniger als Plastikflaschen, Muellsaecke, Baumaschinen oder Fischerboote. Das einzige Naturprodukt, das Balou interessiert, sind Kokablaetter. Die Sucht hat den Baeren in festem Griff. Das soll sich am naechsten Tag in drastischer Weise zeigen.
Ein kleiner Pfad schlaengelt sich tief in den Dschungel hinein. Ueber uns schliessen sich die gruenen Baumkronen zu einem dichten Geflecht. Die Blaetter rascheln im Wind. Vogelgezwitscher, Affengebruell, das Surren und Brummen unzaehliger Insekten. Vor uns plaetschert ein kleiner Bach, den wir durchqueren muessen, bevor wir dem ansteigenden Pfad tiefer ins Dickicht folgen. Es herrscht eine drueckende Hitze. Traege versuche ich mit einer Hand die Insekten zu vertreiben, die sich unablaessig auf mir niederlassen, gebe jedoch nach kurzer Zeit wieder auf. In der anderen Hand trage ich Papaya und Bananen. Fruechte, die wir opfern werden, um uns morgen frueh von dem Terror der ausgewilderten Affen frei zu kaufen.
Es hat etwas Feierliches, Zeremonielles, als wir das Seil vom Baum wickeln, die "monkeybowl" herunterlassen, die Opfergaben hineinlegen und die Schuessel wieder hinauf in die Baumkrone ziehen. Ich muss an einen der alten Filme wie King Kong denken. Dumpfe Trommelschlaege mischen sich in meiner Vorstellung zu den Geraeuschen des Dschungels. "Oh Goetter, nehmt diese Opfer, aber lasst uns leben!"
[f]7.Tag[/f]
Wir klettern mit Balou den steilen Weg hinauf zum "Mirador", dem hoch oben im Dschungel gelegenen Aussichtspunkt des Parks. Zweieinhalb Stunden dauert der Aufstieg. Balou zeigt sich erstaunlich fit, benoetigt nur wenige kurze Pausen. Oben angekommen, wittert der Baer etwas. Er zieht Flash und mich an der Leine durch das Dickicht, auf dem Schmalen Dschungelpfad koennen wir ihm kaum Widerstand leisten. Sollen wir ja auch nicht - moeglichst wenig Menschenhand, moeglichst wenig Gewalt.
Wir folgen Balou auf eine kleine Lichtung, auf der einige Kokapflanzen stehen - Balous Paradiesgarten. Wir befestigen die Leine an einem starken Baumstamm und warten ab. Hat Koka auf den Baeren in geringer Dosis eine eher beruhigende Wirkung - ganz wie bei einem Suechtigen, dessen Verlangen kurzfristig gestillt wird - so zeigt die Riesenmenge frischer Blaetter, die der Baer jetzt zu sich nimmt, die typisch aufputschende Wirkung. Nachdem er zwei, drei ganze Pflanzen vertilgt hat, beginnt er auf der Lichtung zu toben, bricht Zweige und Aeste ab, ja reisst ganze Baeume um. Flashs Versuche, ihn nach etwa einer Stunde mit der Leine wieder auf den Pfad zu dirigieren, werden von Balou mit einer wuetenden Attacke quittiert. Flash fluechtet.
Drei Stunden muessen wir warten, ehe der Baer wieder ruhiger wird. Aeusserst vorsichtig schleiche ich mich durchs Dickicht um die Leine, die sich heillos verheddert hat, vom Baumstamm zu loesen, waehrend Flash Balou mit Rufen auf den Pfad zuruecklockt.
Voellig fertig und entkraeftet von seinem Rausch, schleicht Balou auf dem Rueckweg zwischen uns den schmalen Pfad entlang, setzt sich alle zehn Meter um zu verschnaufen. Wir brauchen fuer den Rueckweg doppelt so lange wie fuer den Hinweg, obwohl es ausschliesslich bergab geht. Zurueck im Tal zerrt uns Balou mit letztem Kraftaufwand zur Touristentoilette und stuetzt sich mit den Vorderpfoten aufs Waschbecken. Wir sind gnaedig, ich drehe den Wasserhahn vorsichtig auf und Balou versucht seinen Kater mit gut zehn Litern Wasser in den Griff zu bekommen.
Kampf um das Futter und Bedrohung durch die Alpha-Affen hin oder her, ich gehe nach wie vor in den Monkey Park. Solange Vladi, einer der Tierpfleger, der schon als Waisenkind mit den Affen im Park zusammen aufgewachsen ist und von allen Affen als Alpha-Alpha-Monkey respektiert wird, im Park ist, fuehle ich mich sicher. Heute bekomme ich gleich von zwei der Kapuzineraffen Besuch. Sie klettern auf mir herum, lausen sich gegenseitig, lausen mich, kauen an meiner Kamera herum. Ich bin voellig fasziniert von diesen kleinen, schlauen Wesen, ihrer schnellen Auffassungsgabe und ihrer Faehigkeit, Handlungen anderer zu kopieren.
Wendy, ein Kapuzineraffenweibchen, schnappt sich ein Blatt und huepft auf meinen Schoss. Sie nimmt meine Hand, legt das Blatt hinein und blickt mich auffordernd an. Dann faengt sie ungeduldig an, das Blatt an meiner Handinnenflaeche zu reiben, so als wolle sie mir demonstrieren, was ich zu tun habe. Dann holt sie ein weiteres Blatt, beginnt damit die Spitze meiner Gummistiefel zu putzen. Als dann noch ein anderer Affe von oben neben uns auf die Bank pinkelt, hat sich auch noch Reinigungsfluessigkeit gefunden. Das Blatt wird eingetaucht und die Stiefel weitergeputzt. Das Reinigungsritual ist perfekt.
Romero, ein anderer Kapuzineraffe, ist ein wahrer Meister des Versteckens. Versteckt er sich nicht selbst, indem er einem unters T-Shirt kriecht, liebt er es, einem Steine oder vorher zu Tode gequaelte Schmetterlinge in die Stiefel zu stopfen, um seine Schaetze dort vor den anderen Affen zu verstecken. Leider, gerade wenn es sich um spitze Steine oder tote Schmetterlinge handelt, nicht gerade eine angenehme Situation.
[f]8. Tag[/f]
Ein regnerischer Tag. Balou verlaesst bei solchem Wetter nie seinen Stall. Er schnapptseine Fruehstuecksbrote und legt sich mit ihnen ins Heubett, das er heute nur noch fuer Mittag- und Abendessen verlassen wird.
Zeit fuer mich, mal wieder Klettergerueste fuer und mithilfe von Affen zu bauen. Ausserdem helfe ich putzend in der Klinik aus.
Die Angriffe der Alpha-Affen haeufen sich. Nachdem Michal vor einigen Tagen in den Arm gebissen wurde, hat es heute Esti erwischt. Sie kommt von ihrem Puma und muss, wie jeden Tag, den Affenpark durchqueren. Der Alpha-Affe springt ihr auf die Schulter, sie stellt die leeren Futterschalen des Pumas auf den Boden, doch der Alpha-Affe zeigt dafuer kein Interesse. Veraengstigt von dem Vorfall mit Michal, legt Esti schuetzend ihre Haende ueber Nacken und Hals. "Hauptschlagader waere uebel, alles andere ist zu retten" sind die Gedanken, die ihr in diesem Moment durch den Kopf schiessen, wie sie spaeter berichtet. Sie geht langsam weiter, niemand ist in der Naehe, den sie um Hilfe bitten kann, dann beisst der Affe blitzschnell zu und verschwindet. Sie spuert einen unertraeglichen Schmerz im Ohr. Alles ist voller Blut. Sie laeuft so schnell sie kann zu den Tieraerzten. Das Ohr ist in der Haelfte zerbissen und der untere Teil ist zu zwei Dritteln abgetrennt. Es folgt ein zweistuendiger Eingriff: das Ohr muss mit 12 Stichen genaeht werden.
Verstaerkt durch die anderen Unfaelle, die sich taeglich im Park ereignen (Pumakratzer und -bisse, Tejonbisse, andere Affenverletzungen) bekommt die Arbeit im Park einen immer bittereren Beigeschmack. Jeden Abend danke ich dafuer, dass Juergen heile in meine Arme zurueckgekehrt ist.
[f]9. Tag[/f]
Am Vormittag wieder dichte Wolken. Erst amNachmittag laesst sich Balou zu einem kurzen Spaziergang entlang des Espiritu Santo aus dem Stall locken. Sein runder Po wiegt im langsamen Takt vor mir hin und her.
Wird sich der Baer wirklich jemals in der Wildnis zurechtfinden? Wird er nicht immer versuchen, Menschen zu finden, da er dort sein Essen vermutet? Doch einmal ausgewildert waere das Aufsuchen von Menschensiedlungen ein sicheres Todesurteil. Hatte diese ganze "Baerenrettungsgeschichte" wirklich einen Sinn?
Ich gehe mit Machete und Schubkarre in den Dschungel, um neue Aeste fuer die Begruenung der Vogelkaefige zu sammeln. Das Schwingen der Machete macht Spass und die Schlaege gelingen mir immer sicherer.
Das Licht bricht sich in den hohen Baeumen, wirft weiche Schatten auf den Boden, die sich wie ein riesiges Mosaik zusammenfuegen. Ich geniesse die "menschliche" Stille und lausche den Geraeuschen des Dschungels. Handtellergrosse Falter und Schmetterlinge flattern umher. Eine maechtige, uralte Schildkroete schleicht durchs Gebuesch. Ich fuehle mich wohl in meinen ausgelatschten Gummistiefeln und den dreckigen Arbeitsklamotten.
[f]10. Tag[/f]
Balou ist bei sonnigem Wetter in guter Form. Einer Drei-Stunden-Wanderung Richtung Mirador folgt am Nachmittag noch ein einstuendiger Spaziergang im Dschungel nahe der Vogelquarantaene.
Auf dem Rueckweg zum Stall treffen wir eine grosse Schildkroete, die den Weg kreuzt. Balou schnueffelt, hebt das Tier hoch, schuettelt es, lugt in den Panzer hinein und wirft die arme Schildkroete schwungvoll ins naechste Gebuesch.
Noni, die irische Voluntaerin, die mit mir zusammenarbeitet, seit Sam abgereist ist, ist heute krank. Das heisst, ich muss alleine den Touristbirds-Bereich uebernehmen. Vom Arbeitsaufwand keine grosse Sachen.
Morgens klappt die Arbeit gut, dann gehe ich zu den anderen und helfe ihnen bei der Essensausgabe. Spaeter beginne ich, das Gruenzeug, das ich am Vortag gesammelt habe, in die Kaefige zu verteilen. Als ich mich bei Sid und Nancy im Kaefig befinde und gerade gebueckt nach einem geeigneten Ort fuer den grossen Ast suche, fliegt Sid auf meine Schulter und beisst sich in meinem Hals fest. Ich schreie und schlage ihn von meiner Schulter, dann lasse ich die Wunde desinfizieren, denn jeder Riss kann sich bei diesem Klima schnell entzuenden. Spaeter erfahre ich, dass Sid und Nancy schon morgens im Kaefig miteinander gekaempft haben. Was ist nur los?
Zum Abendessen heisst es fuer mich wieder alleine zu den Touristbirds zu gehen, um diese zu fuettern. Als ich beim sechsten von zehn Kaefigen angekommen bin, ueberfallen mich zwei Kapuzineraffen. Ich kann mich mitsamt des Maistabletts in den sechsten Vogelkaefig verschanzen. Traumatisiert von den Affenangriffen der letzten Tage bin ich voellig veraengstigt und lasse meinen Blick, nach dem Alpha-Maennchen suchend, panisch umherkreisen. Er ist zum Glueck nicht in der Naehe. Trotzdem bleibe ich im Kaefig verschanzt, denn auch die anderen Affen koennen agressiv werden, wenn man ihnen Nahrung verwehrt. Die beiden warten vor dem Kaefig, mampfen den ergatterten Mais, ruetteln an der Tuer. Genau dieser verfluchte Kaefig hat keine Verschlussmoeglichkeit von innen. Also muss ich die Tuer zuhalten, gleichzeitig darauf achtend, dass weder die Affen meine Haende zu fassen bekommen, noch einer der im Kaefig sitzenden McCoys sich bedroht fuehlt und versucht nach mir zu picken. Zehn Minuten verharre ich so, dann ertoent der erloesende Ruf:" Neeeeegroooos!"
Fuetterungszeit fuer die Spidermonkeys. Die Kapuzineraffen wissen genau: "da gibt es mehr zu holen" und verschwinden. Ich bin wieder frei und kann die Fuetterung in Frieden beenden.
Abends wird Nancy in die Klinik gebracht - Sid hat ihr im Kampf eine ueble Verletzung zugefuegt. Was fuer ein Tag!
[f]11. Tag[/f]
Der heutige Spaziergang flussaufwaerts entlang des Espiritu Santo artet zu einem einzigen Kampf zwischen zwei Menschen und einem Tier aus. Tauziehen zwischen dem wieder einmal Koka witternden Balou und Flash und mir, die nicht noch einmal einen aehnlichen Rausch wie vor drei Tagen erleben wollen. Hier am Strand haben Flash und ich bessere Karten als auf dem Dschungelpfad. Wir koennen Balou so muede ziehen, dass er nach etwa zwei Stunden seinen Kokaplan aufgeben muss. Langsam schleppen wir uns, alle drei voellig fertig, zurueck zum Stall.
Endlich duerfen wir wieder einmal einen erholsamen Tag geniessen. Die Sonne scheint, es gibt keinerlei Affenvorfaelle und die Voegel sind ruhig. Selbst Nancy scheint sich in ihrem seperaten Kaefig langsam von ihrem Schock und ihrer Verletzung zu erholen.
Wir malen Namensschilder fuer die "neuen" Voegel und spielen mit den "freilaufenden" Voegeln. Ausserdem haben wir mit Bennoir, einem franzoesischen Freiwilligen, einen neuen Mitarbeiter, den wir einlernen muessen.
Spaeter kommt Bennoir mit einem "Vogeljakob" zu mir und bittet mich, die deutsche Gebrauchsanweisung des von ihm in Muenchen erworbenen Schatzes zu uebersetzen. Da er zwei von den "Instrumenten" hat, ueberlaesst er mir eines und wir verbringen einige Zeit mit dem Versuch, Toene herauszulocken. Tatsaechlich gelingt es mir irgendwann und wir haben grosse Freude, die Voegel damit zu becircen. Vor allem Carolina ist wie hypnotisiert und laeuft minutenlang rueckwaerst im Kreis um mich herum - zwitschernd antwortend.
[f]12. Tag[/f]
Bei Regen am Vormittag bleibt Balou wieder einmal im Stall. Ich sammle mit der Machete am Fluss Bambus fuer die Quarantaeneaffen und fuelle Loecher mit Sand.
Am Nachmittag, bei besserem Wetter, ist Balou bereit fuer einen Ausgang Richtung Vogelquarantaene. Doch das Tauziehen vom Vortag hatte Auswirkungen auf Balous Geschirr, das sich offenbar zu sehr ausgedehnt hat. An einer Wegkreuzung, nahe der Freiwilligenunterkuenfte, schluepft Balou mit dem Kopf aus dem Geschirr, das nun nur noch um die Brust befestigt ist. Damit ist der Baer nicht mehr zu kontrollieren. Denn bei Leinenzug waere es fuer Balou ein Leichtes, auch noch aus dem Brustgurt zu schluepfen. Eine Katastrophe!
Der Baer steuert auf den Garten der Hausmeisterfamilie der Freiwilligenunterkunft zu. Flash und ich folgen mit der nun so "schwachen" Leine. Flash versucht mit dem Handy Hilfe herbeizurufen. Doch er hat keinen Netzempfang. Ich spurte los, warne noch Katharina und die anderen Freiwilligen in der Vogelquarantaene, renne dann zur Klinik, alarmiere Nelson und Manuel, schnappe mir eine Riesentuete mit Kokablaettern und renne mit den beiden Tieraerzten zurueck zum Baeren. Die akute Gefahr hat sich momentan gelegt, Balou hat sich im Garten niedergelassen und spielt mit einem kleinen Gummiball. Er macht Gott sei Dank keine Anstalten,in die Menschenunterkuenfte einzudringen.
Mit viel gutem Zureden und mit dem Kokasack als Lockmittel, gelingt es uns vieren, Balou nach einer guten Stunde wieder in seinen Stall zurueckzulotsen. Gefaehrliches Spiel ...
Am Morgen hat es mal wieder ein Affe auf mich abgesehen. Wir gehen zu dritt Richtung Touristbirds und ich trage nnoch nicht einmal das Futter. Dennoch springt der Affe auf meine Schultern. Ich habe ein mulmiges Gefuehl, da ich nicht sehen kann, ob es einer der drei hoeher-rangigen Affen ist - vielleicht sogar das Alpha-Maennchen. Ich frage die anderen beiden, doch die wissen nicht, wie diese aussehen. Der Affe beginnt meinen Rucksack zu oeffnen. Langsam und vorsichtig setze ich ihn ab und lasse ihn auf den Boden gleiten. Dann beginnt er, alles aus der Tasche herauszuzupfen, bis er bei der Nikon angelangt ist. Er puhlt am Ausloeseknopf, kaut an der Linse. Wir versuchen uns zu naehern, er faucht uns an und bleckt seine Zaehne. Als wir ihn anschreien und andeuten, mit Steinen zu schmeissen, verschwindet er in die Baumkronen.
Bei den Touristbirds stellen wir fest, dass wir kein Wasser haben. Ich nehme den Kanister und gehe zurueck, um welches zu holen. Kaum biege ich um die Ecke auf den Hauptpfad, springt mir derselbe Affe wieder auf die Schultern, als haette er mir aufgelauert. Nach einem kurzen Schockmoment, schuettele ich ihn ab.
Spaeter spazieren Juergen, Flash und Balou bei uns vorbei. Ein schoenes Bild geben sie ab - der Baer und die beiden Maenner. Als ich spaeter noch einmal um die Ecke luke, sehe ich nur noch Flash, der mit dem Handy telefoniert. Ich frage mich, wo Juergen ist und denke, dass er den Baeren doch alleine gar nicht halten koenne, beruhige mich allerdings mit dem Gedanken, dass Flash mir sicherlich panisch zuwinken wuerde, wenn Juergen etwas zugestossen waere. Zwei Minuten spaeter kommt Juergen atemlos angerannt: "Der Baer ist ausgebrochen! Seid vorsichitg, verhaltet Euch ruhig und wenn er hier auftaucht, rennt weg! Und sagt der Hausmeisterfamilie bescheid. Ich hole Hilfe..." Dann rennt er weiter. Aufgeregt bruelle ich:" Der Baer ist ausgebrochen! Bleibt alle ganz ruhig!" Als die anderen kichern, muss auch ich ueber mich lachen. Dennoch laufen wir schnell zur Hausmeisterfamilie und schlagen Alarm, dass Balou in ihrem Garten ist. Die Mutter rennt los, schaut nach ihren Kindern, schliesst Fenster und Tueren.
Immer wieder schleiche ich mich ins Badezimmer und schaue aus dem Fenster in den Garten, wo mittlerweile alle Tieraerzte zur Hilfe geeilt sind. Natuerlich muss die Arbeit weitergehen, schliesslich wollen die Voegel auch heute gefuettert werden. Doch bin ich nicht wirklich bei der Sache. Entspannen kann ich mich erst wieder, als der Baer im Kaefig ist und ich mit Juergen und den anderen Freiwilligen ein wohlverdientes Feierabendbier zische.
[f]13. Tag[/f]
Ohne Geschirr ist an Ausgang nicht zu denken. Noch einmal versucht Flash den Helden zu spielen, das nun etwas knapper genaehte Geschirr im Stall anzulegen. Balou draengt den Veterinario in die Stallecke. Es gelingt mir gerade noch, den Baeren mit lauten Rufen und einem Bueschel Kokablaetter ans Fenster zu locken, so dass Flash fliehen kann.
Heute feiere ich einen Tag krank. Ich bleibe im Bett, lese und entspanne. Bei den anderen ereignet sich ein absoluter Katastrophentag. Sie arbeiten zu viert, da wir eine Neue im Team haben. Bennoir, der eigentlich von uns schon gut eingearbeitet ist, probiert auf eigene Faust ein neues System aus. Da Soelie waehrend der Arbeitszeit mit der Hausmeisterfamilie in den Affenpark gegangen ist, wo zu allem Ueberfluss auch noch eines der Kinder vom Alpha-Affen gebissen wird, kann sie ihm keines besseren belehren. Dass die Voegel einen strikten, routinierten Ablauf brauchen, muss Bennoir dann leider am eigenen Leibe erfahren. Der Amazon Nancy sowie zwei der McCoys verschwinden. Einer der grossen McCoys kann noch am selben Abend gefunden werden, die anderen beiden Voegel bleiben verschollen.
[f]14. Tag[/f]
Mein letzter Tag. Mein Nachfolger Efi, ein 48-jaehriger Israeli, soll eingelernt werden. Und der bekommt an seinem ersten Tag eine beeindruckende Show geboten.
Edwin ist gekommen um Balou wieder das Geschirr anzulegen. Aber natuerlich auch zum Spielen. Edwin muss heute erst spaeter arbeiten. Zeit also fuer einen Kurzen Ausgang mit seinem "Kleinen". Die beiden rollen und kugeln auf dem Rasen vor dem Stall. Dann klettert Edwin auf einen grossen Baum. Balou folgt ihm. Edwin springt von einem Ast aus etwa 2,50 m Hoehe. Balou balanciert auf diesem bedenklich nachgebenden Ast vorsichtig auf und ab, ehe er sich am Baumstamm wieder hinabgleiten laesst. Eine zirkusreife Vorstellung.
Nach Kuesschen und Umarmungen gehts wieder zurueck in den Stall. Efi ist ganz aus dem Haeuschen. Flash und ich warnen ihn davor, Balous Gefaehrlichkeit zu unterschaetzen.
Die Geschehnisse des gestrigen Abends sind nicht gerade die beste Voraussetzung fuer einen entspannten und schoenen letzten Arbeitstag. Den Vormittag verbringen wir damit, die Voegel zu suchen. Carolina benimmt sich seltsam, klettert nicht so hoch hinaus in ihren Lieblingsbaum wie gewoehnlich. Irgendwann entdecken wir die Ursache dafuer - kopfueber haengt der gruene Amazon Nancy, wie getarnt, zwischen den gruenen Blaettern des Baumes. Sie wurde von einem Affen gerissen. Ein fuerchterlicher Anblick. Ich bin geschockt und fuehle mich schlecht. Der zweite Vogel, der in meiner Anwesenheit gestorben ist. Und auch wenn es beide Male ganz und gar nicht meine Schuld war, fuehlte ich mich fuer die Voegel verantwortlich und frage mich, wie ich es haette verhindern koennen.
Zum Glueck kann der zweite McCoy ebenfalls gefunden und unverletzt in seinen Kaefig zurueckgebracht werden.
[f]15. Tag[/f]
Unseren ersten freien Tag gehen wir entspannt an: wir schlafen aus, fruehstuecken im Cafe und gehen entlang des Flusses spazieren. Goennen uns viel Zeit, um von allem Abschied zu nehmen.
Dann heisst es, eine Endscheidung zu treffen: gehen wir noch einmal in den Affenpark und riskieren den obligatorischen letzten-Tag-Biss? Gerade in den Tagen zuvor hatte das Alpha-Maennchen nochmal an Angriffen zugelegt. Immer wieder kamen Meldungen von Kindern, die gebissen wurden. Die Park-Leitung sagt, die Kinder waeren zu laut gewesen, haetten zu schrill gekreischt, die Affen verbotenerweise beruehrt. Was die Wahrheit ist, weiss nur, wer dabei gewesen ist.
Juergen sagt, er haette ausreichend Affenkontakt gehabt in den letzten zwei Wochen. Ich kann nicht genug davon haben, moechte diesen Ort nicht verlassen, ohne noch einmal richtig Abschied von den Affen zu nehmen. Also gehen wir in den Affenpark und nicht nur die Kapuzineraffen sind dort - nein, selbst die Affenmama mitsamt ihres Babys kommt ein letztes Mal auf meinen Arm, um Abschied zu nehmen.
Dieser Film wird mich immer an die wunderschoenen Momente mit den Affen erinnern.
An unserem Abreisetag erzaehlt mir Soelie, die schon einige Wochen laenger im Park arbeitet, dass mein Vorgaenger mit einer tiefen Baerenbisswunde am Bein nach Europa zurueckreisen musste. Soelie wollte es mir nicht frueher erzaehlen um mich nicht nervoes zu machen. War wohl auch besser so.
Ich verabschiede mich vom Baeren und dem Park mit einem Kopf voller Fragen und wenigen Antworten. Ich wuensche Flash und Efi viel Glueck. Balou wuensche ich das Beste fuer sein weiteres Leben. Was das sein koennte? - Ich habe nicht die leiseste Ahnung.
Aufbruch: | 01.10.2009 |
Dauer: | 12 Monate |
Heimkehr: | 01.10.2010 |
Thailand
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Laos
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Peru
Vereinigte Staaten