Falltür ins Paradies

Reisezeit: Oktober 2009 - Oktober 2010  |  von Katharina L.

Jaisalmer II, 15.-19.10.2009

Jaisalmer, 15./16.10.2009

Radju, stattliche 2,50m, blickt mich glutaeugig an, waehrend er unbeirrt weiterkaut. Seine Zaehne sind braun, er stinkt erbaermlich aus dem Mund. Ich wende mich leicht ab, um seinem Atem auszuweichen. Vorsichtig streichle ich seinen Kopf, damit wir uns langsam aneinander gewoehnen. Mit seinen 10 Jahren gehoert Radju zu den Oldtimern unter den Kamelen und hat schon einiges an Wuestenerfahrung auf dem Hoecker.
Nach einstuendiger Jeepfahrt und kurzem Besuch eines Wuestendorfes, sind wir nun also bei den Kamelen und unseren Guides angekommen. Unsere Gruppe besteht aus sieben Personen: Eddie und Tom (Jersey), Sarah und Harry (Neuseeland), Jasmin (Schweiz), Juergen und mir.

Meister Radju

Meister Radju

Anfangs ist das Aufsteigen etwas ungewohnt und wackelig, doch man gewoehnt sich schnell daran, und auch die respekteinfloessende Groesse der Kamele wird einem bald zur Selbstverstaendlichkeit.
Etwa eine Stunde reiten wir im schwankenden Schritt durch eine Wuestenlandschaft, die ich mir viel karger vorgestellt hatte. Es gibt zwar nur wenige Pflanzen, aber unter ihnen einige zartrosa-bluehende Dornenstraeucher und gruene Baueme.

desert jz and his guitar

desert jz and his guitar

Die krasse Hitze und die nach einstuendigem Ritt einsetzende Po- und Beinschmerzen, lassen uns die nun folgende lange Mittagspause im Schatten eines dieser grossen Baeume geniessen. Ausser unseren Gespraechen herrscht absolute Stille. Hier ist keine Menschenseele - nur ein einsamer Schaefer passiert unseren Baum. Die Guides kochen uns ein ausgezeichnetes Essen in der Wueste: Dhal, Chapati, Reis und Gemuese-Curry. Auch fuer etwas frischen Obst haben sie gesorgt.
Als wir wieder auf die Kamele steigen, bitte ich einen Guide um Steigbuegel.
Das ist viel besser, auch wenn nach zwei Stunden dennoch die Po- und Beinschmerzen wieder einsetzen. Mein Kamel Radju reitet die meiste Zeit einen ganzes Stueck vorraus. Juergen hat leider das Pack-Kamel erwischt, das das Essen und auch seine Gitarre traegt, und wird die ganze Zeit von einem kleinen dickkoepfigen Jungen gefuehrt, der noch nicht viele Kamelsafaris mitgemacht hat und beweisen moechte, wie tough er ist. Ich reite eigenstaendig. Radju reagiert sofort, wenn ich die Zuegel nach links oder rechts ziehe, um ihn zu lenken - auch wenn er oft versucht hier und da an einem Busch oder Baum zu knabbern. Ab und zu goenne ich ihm einen Bissen - zum Missfallen Ramtous, eines der Guides, der gelegentlich an meiner Seite reitet, um mir den Weg zu weisen, was wiederum Juergen missfaellt.
Reite ich alleine vorweg, die anderen einschliesslich der Guides hunderte von Metern hinter mir, habe ich das Geuehl alleine in der Wueste zu sein. Die Gedanken schwirren frei umher, man schaltet das Gefuehl von Hitze und Schmerzen total aus, atmet im Rhytmus des schwankenden Kamelschrittes und ist vollkommen entspannt.

Nach drei- bis vierstuendigem Ritt tritt dennoch die total Erschoepfung ein. Ich fuehle mich an der Grenze koerperlicher Anstrengung. Dann erscheint unser Ziel - eine riesige Sandduene - in meinem Blickfeld. Es ist ein ueberwaeltigender Anblick, der mich die letzte Strecke berrauscht und mich durchhalten laesst.

Durst!!!

Durst!!!

Und auch hier in der Wueste gibt es niemanden ohne Mobiltelefon und so hat einer der Guides schon fuer eiskaltes Bier bei unserer Ankunft gesorgt. Wenige Minuten spaeter sitzen wir voellig erschoepft zu siebt auf der Duene und geniesssen unser eiskaltes Kingfisher Beer, waehernd die Sonne orangerot in den Sand taucht. In der Daemmerung essen wir am Fusse der Duene zu Abend.

Es wird dunkel. Kein Licht - nur in weiter Ferne sehen wir die pakistansichen Grenzfeuer begleitet von Trommelschlaegen. Noch einmal kommt der Bier-Lieferservice natuerlich per Kamel. Zwanzig Minuten braucht der Reiter zu unserem Camp. Den Weg finden sein Kamel und er blind. Danach betrachten wir bei kaltem Bier den ueberwaeltigenden Sternenhimmel, der in der Wueste klar und unendlich gross erscheint, waehrend Juergen fuer uns auf der Gitarre spielt und singt. Alle sind begeistert.
Um 22/23 Uhr klettern wir wieder auf unsere Duene und machen es uns in dicken Decken gemuetlich. Einmal in der Nacht erwache ich. Verschlafen blicke ich mich um, Sterne ueber Sterne, dann weiss ich wieder, wo ich bin und schlafe beruhigt wieder ein.

Erwachen in der Wueste

Erwachen in der Wueste

Am naechsten Morgen weckt uns die Sonne um 5:30 Uhr. Um unsere Schlafstelle befinden sich rundherum kleine Fussabdruecke (etwa 3 cm gross). Wir koennen nicht herausfinden, was es war. Ist vielleicht auch besser so. Katzenwaesche, Fruehstueck, dann Aufbruch. Man spuert die Muskeln vom gestrigen Ausritt. Auch heute reite ich oft vorraus, Ramtou, der Guide, oft an meiner Seite. Vorsichtig frage ich, ob mein Kamel zu alt zum Gallopieren sei. "Not at all. Why? Would you like to?" "Of course!" Die Fersen einmal in die Kamelhuefte gekickt, los gehts. Da ich noch nie in meinem Leben geritten bin (noch nicht einmal auf einem Pferd und ein Kamel ist noch ein ganzes Stueck groesser), bin ich voellig berauscht, als wir durch die Wueste schnellen. Unbeschreiblich!

Jaisalmer, 17.-19.10.2009

Nach unserer Rueckkehr verbringen wir noch einige schoene Tage in den Mauern des Forts von Jaisalmer, uebernachten auch dort in einem kleinen Guesthouse namens "temple view". Wenn wir durch die kleinen Gassen des Forts schlendern, ist es, als seien wir in eine andere Welt abgetaucht - visuell zumindest. Ruhe findet man hier keine, denn das Diwali-Fest steht ins Haus und das bedeutet drei Tage lang Feuerwerk und Knaller.

DIE GEHILFEN

Um 13.30 Uhr treten wir aus der Mittagshitze ins durch Ventilatoren gut klimatisierte Hauptpostamt von Jaisalmer. Die grosse Halle wird in der Mitte durch eine Glasscheibe in zwei Raeume geteilt. in die Glasscheibe sind drei Schalterfenster und daneben eine Tuer eingelassen. Nachdem wir am Schalter 1 unser Anliegen, einen Kunsthandwerksgegenstand nach Deutschland verschicken zu wollen, geaeussert haben, werden wir durch die Tuer in den zweiten Raum gebeten. Ein grosser, stoppelbaertiger Mann mit schiefen Zaehnen und einer dicken, geflickten Hornbrille auf der Nasenspitze tritt uns majestaetisch entgegen. Er erklaert uns, dass unser Gegenstand hier an Ort und Stelle sowohl verpackt als auch versendet wuerde. Den Preis fuer das Verpacken koenne er uns sofort nennen, den Preis fuer den Versand werde er sogleich von einem Gehilfen erfragen, der das Passwort fuer den Computer besitze.

Er lehnt sich schwer auf einen Tisch.
Einen Augenblick spaeter erscheint ein junger Mann und setzt sich an den Computer.
Fast gleichzeitig erscheinen zwei weitere Gehilfen, kleine duenne Maenner mit freundlichen Gesichtern. Einer traegt einen Schnurrbart. Sie kreisen um uns und um den grossen Mann, einer setzt sich auf den Tisch, der andere beginnt sich mit dem grossen Mann zu unterhalten. Offenbar geht es um den Gegenstand, den wir versenden wollen.
Nachdem der Mann am Computer den Preis fuer den Versand genannt hat, wendet sich der grosse Mann uns zu und erklaert feierlich, dass unser Gegenstand nun verpackt werde.
Er gibt den kleinen Maennern ein Handzeichen.
Die beginnen sofort, unter lebhaften Diskussionen, den Gegenstand naeher in Augenschein zu nehmen. Sie beraten sich. Zwischendurch stellen sie uns Fragen nach unserer Herkunft und ob es uns in Jaisalmer gefalle.
Nach weiteren Gespraechen entfernt sich der Schnurrbaertige, um kurze Zeit spaeter mit einer Schere in der Hand wieder zu erscheinen. Der andere Mann schlaegt nun den Gegenstand sorgfaeltig aber umstaendlich in ein von uns mitgebrachtes Stueck Zeitungspapier ein und umschnuert es mit einem Band, dessen Ende er mit der Schere abtrennt.
Wieder setzen Diskussionen ein, immer wieder unterbrochen durch kurze, freundliche Bemerkungen in unsere Richtung.
Der grosse MAnn kehrt zurueck, macht ebenfalls eine Bemerkung. Wir geben zu verstehen, dass wir glauben, der Gegenstand muesse besser gepolstert werden um beim Versand keinen Schaden zu erleiden.
Die beiden lachen, schuetteln die Koepfe, nesteln weiter an der Verpackung herum. Das Paeckchen wird nun in gemeinsamer Arbeit in eine von uns ebenfalls mitgebrachte Plastiktuete gehoben und erneut verschnuert.

Es liegt auf dem Tisch, die Maenner sehen zufrieden drein, nehmen ihr Gespraech wieder auf.
Ein weiterer Mann, offenbar in hoeherer Stellung, erscheint und spricht zu den beiden.
Das Paeckchen wird nun durch die Tuer, auf einen Tisch in einer in die Wand eingelassenen Nische in den vorderen Postraum gebracht. Der Mann, der eben gesprochen hat, erklaert uns, dass wir entweder an Ort und Stelle Platz nehmen, oder uns zu den beiden Maennern und unserem Paeckchen in den Vorraum begeben koennten.
Wir gehen nach vorne.
Dort sind die beiden Gehilfen neben unserem Paeckchen bereits in weitere Gespraeche vertieft.
Sie begruessen uns gut gelaunt, ganz so, als haetten wir uns seit langem nicht mehr gesehen. Der Schnurrbaertige entfernt sich und holt aus einem Nebenraum einen loechrigen Karton, der etwa die Groesse unseres Paeckchens besitzt. In diesen Karton wird das Paeckchen nun unter gut gelauntem Geplaudere eingelassen.
Dann wird ein weisser Leinensack herbeigeholt. Der Karton wird in den Leinensack gesteckt. Ein Beamter eilt herbei. Er besteht darauf, dass das etwa 50 Zentimeter ueberstehende Ende des Leinensacks abgeschnitten wird. Materialverschwendung kann man sich hier offenbar nicht leisten. Die Gehilfen befolgen den Befehl milde laechelnd, ganz als ob sie es verzeihen muessten, dass ein Unwissender sich in die Geheimnisse ihrer Packkunst hineinmischt.
Doch die wahre Kunst soll nun erst beginnen. Weitere Utensilien werden herbeigetragen: Bindfaden und Nadel, Kerze, Siegelwachs und -stempel.
Der Schnurrbaertige setzt sich auf den Tisch, das Paket auf dem Schoss, und beginnt, die Oeffnung des Leinensacks zu vernaehen, waehrend sein Kollege ihm weiterhin unaufhoerlich Neuigkeiten ins Ohr fluestert.

Einige Minuten spaeter betrachtet der Schnurrbaertige stolz sein Werk.
Nun ist sein Freund an der Reihe: sorgfaeltig tropft er das ueber der Kerze geschmolzene Siegelwachs auf die frischen Naehte des Leinentuches, waehrend der Schnurrbaertige den Siegelstempel ins weiche Wachs drueckt. Wenig spaeter ist das weisse Leinenpaket mit mindestens zwanzig roten Siegeln verziert.
Auf die Frage, ob wir das Werk fotografieren duerfen, laecheln die beiden, der Schnurrbaertige wackelt bejahend mit dem Kopf, der andere sagt nein.
Wir fotografieren dennoch, der Schnurrbaertige zueckt nun auch eine Handykamera und wir fotografieren uns alle gegenseitig.
Nachdem das erledigt ist, geht es an die Beschriftung des Paketes.
Wir machen uns alle zusammen wieder auf den Weg in den Raum hinter der Glasscheibe. Feierlich ueberreicht mir der Schnurrbaertige einen Filzstift. Er schreibt nicht. Ich gebe ihn zurueck. Der Schnurrbaertige geht zum grossen Mann, der untaetig irgendwo im Raum steht und legt ihm das Problem dar. Der grosse Mann sucht seine Aktentasche, findet darin einen Schluessel, mit dem er sich zum Safe begibt. Er oeffnet den Safe und haendigt dem Schnurrbaertigen einen dort deponierten Filzstift aus.
Freudig kehrt der Schnurrbaertige mit dem Stift zu uns zurueck.
Nach den ersten zwei Worten versagt auch der neue Stift den Dienst.
Ein weiterer Mann, der interessiert zugesehen hat, zueckt nun einen roten Filzstift. Unter grossem Gelaechter vollende ich die Beschriftung des Paketes in roter Farbe.
Das Paket wird nun dem Mann am Computer ueberreicht.
Der haendigt mit ein Durchschlagformular aus und fordert mich auf, es auszufuellen. Der Schnurrbaertige reicht mir zu diesem Zweck einen Kugelschreiber.
Das ausgefuellte Formular wird vom Mann am Computer gestempelt, dann drueckt er einen Aufkleber auf das Paket, das nun unter dem Tisch verschwindet.
Wir zahlen das Geld und verabschieden uns ausgiebig und unter Austausch freundlicher Wuensche von allen Beteiligten.
Es waere gelogen, wuerde man sagen, die Sonne ging bereits unter, als wir das Postamt verliessen. Die Uhr ueber der Tuer zeigte tatsaechlich erst 14.45 Uhr an.

© Katharina L., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
1 Jahr: Indien – Thailand – Laos – Vietnam – Neuseeland – Chile – Argentinien – Peru – USA
Details:
Aufbruch: 01.10.2009
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 01.10.2010
Reiseziele: Indien
Thailand
Vietnam
Laos
Neuseeland
Chile
Argentinien
Bolivien
Peru
Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Katharina L. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.