Falltür ins Paradies
Potosi, 05.06.-07.06.2010
Potosi, 05.06.-07.06.2010
Von Uyuni aus klettert der Bus nochmals hinauf. Um die hoechstgelegene Stadt der Welt zu erreichen, muss man schon noch ein paar Hoehenmeter bewaeltigen. Auf 4100 Metern erreichen wir endlich Potosi, die einstmals so reiche "Silberstadt", deren Haeuser sich an die steilen Haenge um den "Cerro Rico", dem Silberberg, einst die Schatzkammer Suedamerikas, klammern.
Viel Silber gibt es nicht mehr im Berg. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hat man begonnen, Zinn zu foerdern. Als in den 80ern die Zinnpreise ins Bodenlose fielen, war es ganz vorbei mit dem Wohlstand der Stadt. Der Tourismus hat Potosi wohl gerettet. Die gefaehrlichen Touristentouren durch schlecht gesicherte Bergstollen als "Adrenalin Events" bringen wesentlich mehr ein als das bisschen Silber, das - bei immer noch widrigsten und gesundheitsruinierenden Arbeitsbedingungen - herausgeklopft wird.
Und so pulsiert das Leben wieder, bei waermenden Sonnenschein und angenehmen um-die-20-Grad-Temperaturen tagsueber, aber auch nach dem fruehen Einbruch der Dunkelheit, wenn das Quecksilber auf Frostniveau absinkt.
Steile Anstiege in duennster Luft und frostige Naechte in unbeheizten Hostelzimmern lassen den Potosi-Aufenthalt durchaus zum Haertetest werden. Die Naechte sind, vor allem fuer mich, bei durch extreme Hoehe verursachtes Herzrasen und Atemnot alles andere als erholsam.
Beim Anstieg zum "Mirador", einem noch ueber Potosi gelegenen Aussichtsturm, bleibt uns nicht nur einmal fast die Luft weg. Das Restaurant im Aussichtsturm war einstmals als drehbares Gourmetlokal geplant. Die Drehscheibe hat nie funktioniert, dann ging auch noch der Aufzug kaputt.
Deshalb muss man das Restaurant heute ueber die Treppe und die letzten vier Meter ueber eine Eisenleiter erklimmen.
Dafuer bekommt man dann bei (wahrlich) atemberaubendem Ausblick das einfache Vier-Gaenge-Menue fuer gerade mal zwei Euro.
Die Strassen und Gaesschen Potosis verspruehen immer noch den Charme frueherer (und damit besserer) Zeiten. Die alten Kolonialgebaeude setzen bezaubernde Patina an. Wie manche ihrer Bewohner: Auf dem alten Plattenspieler des Professore N., Schneidermeister und ehemaliger Dozent an der Textilakademie der Stadt, dreht sich eine Scheibe mit Boleros von Guiller, einem bekannten 50er-Jahre-Saenger des Landes.
Das Studio und der Schneider selbst scheinen tatsaechlich aus den 50er Jahren uebriggeblieben zu sein, die wunderschoenen Anzuege, Kleider und Heute werden immer noch im Stil dieser Zeit gefertigt.
Am Sonntag wird mit schwungvoll-fetziger Blasmusik Erstkommunion gefeiert. Katholizismus scheint in Bolivien heutzutage eine sehr alltagsnahe und legere Angelegenheit zu sein.
Kaum mehr vorstellbar, welch ueble Rolle die katholische Kirche hier bei der millionenfachen Abschlachtung der indigenen Bevoelkerung in den Bergstollen rund um die Stadt und noch in den 80er Jahren, als Kollaborateurin des faschistoiden Diktators Banzer, spielte.
Unsere Abreise aus Potosi konfrontiert uns dann erstmals direkt mit den politischen Problemen des heutigen Boliviens. Minenarbeiter blockieren die Strasse nach Sucre. Es fahren keine Busse. Die Besitzerin unseres Hostels versucht telefonisch Informationen fuer uns einzuholen. Wir folgen ihrem Vorschlag und fahren mit einem Taxi zehn Kilometer bis zur Blockade. Dort machen wir uns als einzige Touristen unter vielen Einheimischen mit unserem schweren Gepaeck auf den drei km langen Fussmarsch durch die Blockade. An deren Ende koennen wir dann einen dort wartenden Bus besteigen, der uns nach Sucre bringt.
Die Minenarbeiter wollen mehr Geld. sie protestieren gegen die Regierung Evo Morales. Das waere vor fuenf Jahren noch unvorstellbar gewesen. Denn Evo Morales, das war ihr Mann. Der erste indigene Praesident Suedamerikas, Sozialist und ehemaliger Chef der Gewerkschaft der Coca-Bauern. Er, der "Unbestechliche", begann aufzuraeumen mit der allgegenwaertigen Korruption im Lande, er zerschlug den Grossgrundbesitz, verteilte das Land an die Kleinbauern und er sozialisierte die Gewinne aus den Bodenschaetzen des Landes.
Frueh zog er sich natuerlich den Hass der alten Eliten und der Reichen zu, vor allem in den Ostprovinzen ("medialuna") des Landes. Die wollten die Gewinne aus "ihren" Bodenschaetzen privat halten, wollten nicht die armen, "faulen Indios" aus dem Westen "durchfuettern" (ohne natuerlich zu erwaehnen, dass die Bergwerksgewinne des "armen Westens" jahrzehntelang den damals noch viel aermeren Osten subventioniert hatten).
Morales blieb standhaft, versuchte gerecht zu verteilen, unter dem Beifall des Grossteils der Bevoelkerung. Bis die Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahres die eh schwache Wirtschaft des Landes schwer beschaedigte. Nun wurde mit Evo Morales ironischerweise ausgerechnet der
zum Suendenbock fuer die verschlechterte wirtschaftliche Situation gemacht, der eben jenen neoliberalen Verursachern der Wirtschaftskrise den Kampf angesagt hatte.
Die Rufe nach Reprivatisierung der Bodenschaetze und einer allgemein liberaleren Wirtschaftspolitik werden lauter in Bolivien. Wie in vielen anderen Gegenden dieser Welt, scheint der Hang, den Bock zum Gaertner machen zu wollen (den Verursacher einer Krise zum Retter aus dieser Krise zu erklaeren) auch in diesem Land unausrottbar. Morales Mehrheit beginnt zu schrumpfen. Ja, selbst "seine" Bergleute begehren auf.
Dennoch stehen die Chancen fuer Morales´ Wiederwahl in diesem Jahr noch nicht allzu schlecht. Immer noch hat der grosse Bewunderer Che Guevaras einen weitaus groesseren Rueckhalt in der bolivianischen Bevoelkerung als seinerzeit sein Idol.
Aufbruch: | 01.10.2009 |
Dauer: | 12 Monate |
Heimkehr: | 01.10.2010 |
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