Falltür ins Paradies

Reisezeit: Oktober 2009 - Oktober 2010  |  von Katharina L.

Santiago de Chile - Buenos Aires, 27.04.2010

Das dritte Mal verstummt der Motor. Erneut bleiben wir am Strassenrand stehen. Diskussionen zwischen Fahrer und Co-Fahrer, dann wendet der Bus und wir schlagen wieder die Richtung ein, aus der wir gekommen sind - Santiago de Chile. Bevor es ueberhaupt zu ersten lauten Beschwerden kommen kann, werden die Fahrgaeste mit Sandwiches und Mirinda beschwichtigt. Wir stoppen in Los Andes, dem naechstgelegenen Ort, wo der Bus in einer Blitzaktion innerhalb von dreissig Minuten wieder repariert wird. Dann kann die Reise weitergehen. Ob wir allerdings unseren Anschlussbus in Mendoza erreichen, steht noch in den Sternen.

Gegen die andischen Bergriesen wirken unser Bus sowie die Autos und LKWs, die unseren Weg kreutzen, wie Miniaturausgaben ihrer selbst. Wir scheinen geradezu von den Schluchten verschluckt zu werden. Muehsam kaempft sich der Bus den Anstieg aus den Tiefen empor. Die gut asphaltierte Strasse scheint nach unzaehligen Kehren irgendwo hinter den Wolken im Himmel zu enden. Dann setzt ein weiteres Mal der Motor aus. Es herrscht absolute Stille. Niemand hat den Mut, zu atmen. Es kracht und der Motor laeuft wieder.

Kurze Zeit darauf erreichen wir den Grenzuebergang nach Argentinien. Der rasante Schritt des Co-Fahrers, ein ansonsten gemuetlicher Zeitgenosse, laesst seine Absicht vermuten, uns hier schnell durchschleusen zu wollen. Als wir eine halbe Stunde spaeter unsere Paesse einer nach dem anderen am Zollhaeuschen vorzeigen muessen und uns dann entlang eines Holztresen mit unserem Handgepaeck in Reih und Glied aufstellen muessen, damit die Zollbeamten jede Tasche einzeln begutachten koennen, wird klar, dass dieser Plan wohl fehlgeschlagen ist. Die Beamten druecken an jener Tasche herum, leuchten in diesen Rucksack und auch das Hauptgepaeck bleibt nicht verschont.

Alles wird gut durchleuchtet, dann wird Juergens Gitarre herausgezogen. "Wem gehoert die?" "Aeh, das ist meine..." Juergen wird zu den Beamten und seiner Gitarre zitiert. Vor ihnen liegt die nackte Gitarre. Natuerlich stellt eine unbesaitete Gitarre fuer die Beamten einen verdaechtigen Schmuggelkoerper dar. Juergen versucht ihnen zuerst auf englisch, dann mit spanischen Wortfetzen zu erklaeren, dass er die Saiten der Gitarre abgenommen habe, damit der hohe Druck waehrend des Fluges das Instrument nicht beschaedige. Und waehrend ich Juergen beim fuenften Erklaerungsversuch nur noch "avion" wiederholen hoere, unterstuetzt von seinen zwei ausgebreiteten Armen, die sich auf und ab bewegen, haelt der Co-Fahrer dem Mann neben mir einen Styroporbecher unter die Nase. Was er sagt, kann ich nicht uebersetzen. Hat er Durst? Aber es gibt doch Getraenke im Bus? Ein Geldschein fliegt in den Becher. Dann streckt er mir laechelnd den Becher entgegen. Die junge Frau neben mir kreischt:" Pah! Wofuer sollen wir Geld bezahlen? Das ist deren verdammter Job!" Dann schaut sich mich an, wartet auf Verbuendung. Der Co-Fahrer antwortet etwas, was ich nicht verstehe. Im Hintergrund erklingt wieder Juergens Stimme: "avion, avion...", vor mir das schmierige Laecheln des Co-Fahrers, der meiner rebellierenden Nachbarin zwischendurch vernichtende Blicke zuwirft, und der wackelnde Styroporbecher. Ohne laenger zu ueberlegen krame ich einen kleinen Schnein aus dem Geldbeutel, beteilige mich an der Kollekte, die die Grenzbeamten fuer ihre Unannehmlichkeiten entschaedigt und stammle mit dem Finger auf Juergen zeigend:" Por me y lui...".

Juergen wird Glauben geschenkt, dann folgen noch ein paar Komplikationen mit einer etwa sechzigjaehrigen, argentinischen Mitreisenden, doch danach duerfen alle wieder brav einsteigen. Nun ist klar, den 18-Uhr-Bus nach Mendoza werden wir auf jeden Fall verpassen.

Die Fahrt fuehrt weiterhin durch eine beeindruckende Andenlandschaft, doch unsere Blicke werden oft abgelenkt von dem Film, den der Co-Fahrer nun eingelegt hat. Es ist ein brasilianisches Familiendrama mit spanischen Untertiteln, das die Geschichte zweier Brueder erzaehlt, die aus aermsten Verhaeltnissen stammen und erfolgreich ins Musikgeschaeft einsteigen. Um es mit knappen Worten zu sagen: Streit, Vereinigung, erste Erfolge, Tod eines der Brueder, Niedergang, Erfolg, Liebe, Niedergang, Happy End.

Als wir um 18:25 Uhr den Busbahnhof von Mendoza erreichen, teilt uns der Co-Fahrer mit, dass wir eine neue Fahrkarte fuer den Bus um 20:30 Uhr bekommen. Gut. Zwei Stunden Zeit totschlagen ist kein Problem. Immerhin kommen wir nach wie vor morgen frueh in Buenos Aires an.

Wir gehen ins Internetcafe, sitzen rum, beobachten Leute. Die Zeit vergeht zaeh, aber sie vergeht und dann ist es endlich 20 Uhr. Wir gehen an den genannten Bussteig. Eigentlich muesste der Bus schon da sein. Nichts. Wir warten. Nichts. Um 20:20 Uhr sind wir richtig nervoes. Wir fragen einen Mann in Uniform, der uns verwirrt anschaut: "Der Bus ist abgefahren - vor einer Stunde!" Was! Er zeigt immer wieder auf die Uhrzeit auf unserem Ticket. Dann verstehen wir. In Argentinien ist es aufgrund der Zeitverschiebung bereits eine Stunde spaeter. Warum hat uns das niemand gesagt! Der Bus ist weg. Auch nach endlosen Diskussionen mit der Busgesellschaft bekommen wir keinen Peso zurueck erstattet. Es fahre auch heute kein direkter Bus nach Buenos Aires mehr. Aber wir koennten einen Nachtbus nach Cordoba nehmen und dann morgen frueh von dort aus weiter nach Buenos Aires fahren, was aber einen absoluten Umweg bedeuten wuerde. Oder wir blieben eine Nacht in Mendoza und fuehren morgen frueh direkt nach Buenos Aires.

Wir verstehen es als Wink des Schicksals. Aus irgendeinem Grund sollen wir scheinbar nicht auf direktem Wege nach Buenos Aires fahren. Wir beschliessen uns kein Hostelzimmer zu suchen, sondern nach Cordoba zu fahren, uns dort die Stadt anzuschauen und dann in Rosario zu stoppen. Rosario liegt eh auf der Strecke nach Buenos Aires und es scheint eine schoene Stadt zu sein.

Aber vorher kommen wir noch in den Genuss einer Nachtbusfahrt in der ersten Klasse. Kaum sitzen wir in unseren weich gepolsterten sechzig Zentimeter Sesseln, da kommt auch schon unser "mozzo" mit einem Tablett erlesener Mintschokoladenbonbons. Es folgen Rotwein, Sandwiches mit Kaese und Schinken, Schokoladenkuchen. Juergen und ich sind vollauf entschaedigt, zufrieden und fast schon satt. Dann erscheint der Kellner mit der Hauptspeise: gefuellter Rinderrolle mit Gemuese und Kartoffelbrei und noch meht Rotwein. Waehrend wir speisen, laeuft ein aktueller Hollywoodstreifen. Die Teller werden abgeraeumt, Tische hochgeklappt. Die Sessel kann man wahlweise nur etwas oder auch zu einer kompletten Liegeflaeche zurueckklappen. Wir machen es uns in der "Halbliegeposition" bequem, dann erscheint der Kellner mit Champagner. Wir goennen uns ein, zwei Glaesschen, geniessen leicht beduselt den Film und die ruhige, angenehme Nachtfahrt.

Am naechsten Tag spazieren wir einige Stunden durch Cordoba, bevor wir nach Rosario weiterreisen. Und in der Tat hat es das Schicksal gut mit uns gemeint und uns, wie sich herrausstellen wird, auf einen wunderschoenen Umweg gelenkt.

© Katharina L., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
1 Jahr: Indien – Thailand – Laos – Vietnam – Neuseeland – Chile – Argentinien – Peru – USA
Details:
Aufbruch: 01.10.2009
Dauer: 12 Monate
Heimkehr: 01.10.2010
Reiseziele: Indien
Thailand
Vietnam
Laos
Neuseeland
Chile
Argentinien
Bolivien
Peru
Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Katharina L. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.