TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 2 19.-25. April 2008: Wasser

Um 10.000 Uhr wurde ich von Alé abgeholt. Er heisst Alejandro, aber Freunde nennen ihn Alé. Wir haben uns auf Anhieb verstanden, als er mich gestern spät am Flughafen abgeholt hatte. Er empfahl sich, mich heute zum Wasserfall zu fahren. Zurück auf die andere Seite, auf der argentinischen Seite sei die Aussicht viel schöner.

Also zurück über die Grenze. Es sind 30 km bis zum Parque National de las Cataratas. Nach dem Eintritt will er wissen, was ich zuerst ansehen möchte, wo ich beginnen will. "Keine Ahnung, ich war noch nie hier." Ich verschaffe mir einen Überblick über das Gelände auf einer Informationstafel. Man kann mit dem Boot ganz nahe an die Fälle fahren, entdecke ich. Ja, und da gibt es auch die 'grosse Abenteuer Tour'. Das ist genau das, was ich suche: das grosse Abenteuer. Ich buche den Trip und versichere Alé, dass ich ganz gut allein zurecht komme, dass ich aber froh bin, wenn er am späteren Nachmittag beim Ausgang auf mich wartet.

Das Abenteuer beginnt mit einem Truck, der eine ganze Gruppe junger Leute durch den Urwald chauffiert. Der Führer erzählt von der überwältigenden Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen. Von hunderten Arten von Schlangen, Vögeln und Schmetterlingen. Es ist kein Wunder, dass sich keines von all diesen Tieren zeigt, wir machen einen zu grossen Krach, wie wir da mit unserem Vierradantrieb durch den Dschungel dringen. Eindrücklich sind sie aber schon, die hohen Bäume mit ihren Bromelien und Orchideen, mit Philodendron und Lianen. Leider ist nicht Blütezeit. Die Orchideen blühen vorwiegend im Frühling und wie bereits bemerkt, hier ist jetzt Herbst. Nach acht Kilometern (ich weiss das so genau, weil das im Prospekt stand) steigen wir aus: Über viele Stufen kommen wir hinunter zum Fluss wo ein Motorboot auf uns wartet.

Wer will, kann einen Plastikmantel überziehen. Alle erhalten eine Schwimmweste und einen wasserdichten Sack für ihre Sachen und so steigen wir ins Motorboot ein und fahren gemütlich den Fluss hinauf. Und dann hören wir ein Rauschen, und sehen die ersten Wasserfälle. Von hoch oben fällt das Wasser in breiten Kaskaden in den Fluss. Fototermin. Wer will mal mit dem Wasserfall im Hintergrund fotografiert werden? Der Guia erfüllt alle Wünsche und knipst jeden einzeln oder zu zweit. Ich mache derweil meine eigenen Fotos und auch den Video hab ich erstmals ausgepackt. Und dann: "Kameras einpacken, es geht weiter".

Ich mochte es noch nie, wenn man mir sagt, was ich tun soll und so knipse ich weiter. Ein paar Spritzer haben meiner Kamera noch nie geschadet. Und dann erscheinen hinter dem nächsten Felsen weitere Wasserfälle. Als ob da oben unaufhörlich eine Riesenbadewanne ausgeleert würde, donnert das Wasser in die Tiefe. Die Luft scheint aus Wasser zu bestehen. Wir bleiben mit grossem Abstand, aber man spürt das Wasser in der Luft. Jetzt macht mich auch meine Banknachbarin darauf aufmerksam, meine Kamera zu wegzustecken, und für einmal gehorche ich. Das ist auch gut so, denn wir nähern uns einem kleinen Wasserfall und von dem tropft es ziemlich stark in unser Boot.

Inzwischen hat auch der Bootsführer wasserdichte Kleidung angezogen. Wir drehen noch eine Kurve und fahren geradewegs auf einen stiebenden Wasserfall zu. Ich denke noch: das kann doch gar nicht wahr sein, die warten nur, bis die Mädchen richtig schreien, dann kehren sie bestimmt um... und dann verschlägt es mir den Atem. Wir sind unter dem Wasserfall. Augen, Ohren und Mund voll Wasser. Es ist als ob alle Duschen der Welt sich gerade jetzt über mir vereinigt hätten. Ich spüre nur noch Wasser. Erst als das Boot wieder etwas weiter weg ist, komme ich wieder zu Atem. Noch einmal macht der Kapitän die Höllenfahrt, dann geht's zurück ans Ufer. Ich bin klatschnass und überwältigt. Nass bis auf den letzten Faden.

Zum Glück habe ich den Sack richtig verschlossen. Kamera, Jacke und Tasche sind trocken geblieben. Aber ich brauche jetzt erst einmal einen Sonnenplatz, um etwas zu verschnaufen und wenigstens ein wenig zu trocknen, denn selbstverständlich hatte ich mir keinen Plastikmantel übergezogen. Wegen den paar Tropfen...

Irgendwann steige ich die Stufen hinauf, zurück zum oberen Niveau. Beim Aufstieg kann ich nicht genug bekommen von der überwältigenden Aussicht. Alle paar Schritte eine neue atemberaubende Sicht. Und jetzt zeigt sich auch noch ein wunderschöner Regenbogen in der Gicht. Ich kann es kaum glauben, hab vorher ein paar Fotos gesehen und jetzt bin ich da. Und alles ist um Dekaden verrückter, überwältigender. Fast hätte ich vor lauter Wasserfällen den kleinen Vogel verpasst. Vergnügt hüpft er genau über mir auf einem Ast hin und her und pickt irgendwelche Leckerbissen auf. Smaragdgrün und Azurblau schimmern seine Federn und wie ich genauer hinsehe, entdecke ich, dass auch seine Familie in der Nähe ist. Wunderschön, diesen Vögeln in der freien Natur zuzusehen.

Später treffe ich auf einen weiteren Vogel. Gelb - schwarz ist sein Gefieder, gleicht einem Pirol und es scheint ihm nichts auszumachen, dass ich ihn mit der Kamera beobachte wie er durchs Gebüsch flattert. Und dann mache ich Bekanntschaft mit Familie Nasenbär, die keine Angst vor Menschen kennt und sich von all den Kameras auf der Suche nach etwas Essbarem nicht einschüchtern lässt. Ich schlendere durch den Park, auf den ausgeschilderten Wegen und über die Stege, die eigens in den Urwald gebaut wurden.

Überall flattern Schmetterlinge. Ich hab überhaupt noch nie so viele Schmetterlinge gesehen. In allen Farben in allen Formen und Grössen zeigen sie sich. Einzeln oder in Schwären treten sie auf. Und sie lassen sich sogar fotografieren. Solche Aufnahmen sind mir noch nie gelungen.

Mit der kleinen Bahn fahre ich zu den ganz grossen Wasserfällen. Es folgt ein kleiner Spaziergang ganz oben, dort wo das Wasser in die Tiefe stürzt und plötzlich bin ich da. Wie in einem Hexenkessel dampft das Wasser. Gerade noch floss der Fluss ruhig dahin und plötzlich kippt er über die Kante. Es brodelt und stiebt. Tief unten ist der Fluss, auf dem wir noch heute Vormittag gefahren sind, kaum mehr zu erkennen. Das verschlägt dir die Stimme, nimmt dir die Worte. Wasser, Luft, Natur. Nichts anderes ist mehr wichtig.

Irgendwann habe ich genug von wildem Wasser. Ich möchte nur noch Ruhe. Zeit zum Umkehren. Sogar Schmetterlinge können lästig werden, wenn sie in Massen auftreten. Das hätte ich nie gedacht, aber als mich ständig Schmetterlinge umschwirren, fange ich an, sie abzuwehren. Gerade bin ich bei der Bahnstation angekommen und warte auf den nächsten Zug, da fragt mich ein Typ, ob ich nicht Lust hätte mit dem Boot zurück zu fahren. Da letzte Boot würde in 10 Minuten fahren, und es hätte noch einen Platz frei.

Und ob ich Lust hätte. Das Boot erweist sich als Schlauchboot und Luis, so stellt sich der Fahrer vor, steuert es mit dem Ruder. Wir sind jetzt auf dem Oberlauf des Flusses. Ruhig gleitet er dahin und so lassen wir uns treiben. Luis steuert ganz diskret und macht uns derweil auf alles aufmerksam, was er am Ufer und in den Bäumen erkennen kann. Eine kleine Echse im Wasser, ein Vogelnest, das an einem Baum hängt, den hohen Bambus und ein Krokodil. Für mich erscheint es jedenfalls mit seiner Länge von einem guten Meter wie ein Krokodil, aber Luis versichert uns, dass diese Echse völlig harmlos sei, wenn man nicht gerade versehentlich ihren Weg kreuzt.

Für Schmetterlinge ist sie auf jeden Fall ungefährlich, jedenfalls lässt sie sich von ihnen gerade die Augen putzen. Wir verweilen einen Moment bei dem idyllischen Bild und lassen uns dann weitertreiben. Ruhig fliesst der Fluss dahin und es ist kaum vorstellbar, dass er einen knappen Kilometer später als tosender Wasserfall in die Tiefe fallen wird. Nach dem Tag voller überquellender Eindrücke ist die ruhige Fahrt der genau richtige Abschluss. Es ist unterdessen fünf Uhr und ich bin seit elf unterwegs. Irgendwann gab's ein kleines Sandwich und ein Wasser und ich spüre langsam etwas Hunger.

Alé wartet vor dem Eingang und bringt mich nach einem kleinen Abstecher zum Busterminal ins Hotel zurück. Nachdem ich mich etwas ausgeruht habe, mache ich mich auf die Suche nach dem Pool. Er ist hinter dem Hotel und sehr eindrücklich beleuchtet. Ich steige ein und... wo ist eigentlich des warme Hallenbad von Hans geblieben? Schon will ich einen Rückzieher machen, teste mit der kleinen Zeh, dem ganzen Fuss, als ich mich frage: "wer wollte jetzt eigentlich baden gehen. Jetzt geh schon rein, oder lass es bleiben". Und schon drehe ich meine Runden. Gar nicht schlecht, wenn mir mal jemand gut zuredet, und wenn es nur ich selber bin.

Nach dem kühlen Bad suche ich den warmen Whirlpool. Und schon wieder vermisse ich Pueblo Suizo. Hier ist der Jaccuzzi vor allem ein Kinderbad. Es wird gejubelt und geschrien und in allen Sprachen gelacht. Ich lasse mich etwas aufwärmen, bevor ich mich in mein Zimmer verziehe, um mich schick zu machen. Zum ersten Mal bin ich froh, dass ich die schönen Schuhe mitgenommen habe, denn in den Turnschuhen möchte ich jetzt nicht im Restaurant auftreten. Vor allem weil sie ja heute pflotschnass waren und auch jetzt noch nicht ganz trocken sind.

Und dann ist es Zeit zum schlafen. Habe auch morgen wieder ein Rendezvous mit meinem privaten Chauffeur. Um zehn kommt Alé.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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