TimeOut in Südamerika
Woche 16 26.Juli-1.Aug. 2008: David
Ich hab ihn vor drei Jahren auf der Strasse kennen gelernt. Er verkaufte farbige Kugelschreiber und ich wollte wissen, ob er in die Schule gehe. David heisst er und er war damals 15 Jahre alt. Hatte ein paar Schuljahre verpasst und es schien, dass er den Schulabschluss nicht schaffen würde, denn seine Grosseltern, bei denen er wohnte hatten zu wenig Geld, um die Schulbücher zu bezahlen. Ausserdem half er mit seinen Verkäufen ein wenig, das Budget aufzubessern. So wie das natürlich sehr viele Kinder machen, die man auf der Strasse trifft.
Ich weiss nicht genau, was mich dazu brachte, ihm zu versprechen, für sein Schulgeld aufzukommen. Irgendwie war da wohl etwas, was mich glauben liess, dass ausgerechnet er meine Hilfe benötigen würde. Inzwischen hat er vor einem halben Jahr seinen Schulabschluss geschafft. Er hat mir seine Zeugnisse per Intenet geschickt und ich fand immer jemanden, der ihm das Schulgeld nach Panajacel bringen konnte. Jetzt macht jetzt eine kaufmännische Ausbildung. Natürlich ist das keine Lehre, sowas gibt es hier nicht, sondern ein 3-jähriges Studium. Immer wenn ich nach Guatemala komme, besuche ich ihn. Das Geld, das ich für die Schule bezahle, verwaltet jetzt Reyna. Das ist einfacher für mich, denn sie kennt die Bedürfnisse und Anforderungen besser und sie hat in seinem Namen ein Bankkonto eingerichtet. Monatlich überweist sie ihm einen Betrag. Ausserdem verkauft er noch immer jeden Morgen und an den Wochenenden seine Kugelschreiber an die Touristen. Nachmittags ist Schule.
Unterdessen wohnt er nicht mehr bei seinen Grosseltern, sondern haust mit seiner Tante, die ebenfalls noch in die Schule geht, in einem winzigen dunklen Zimmer.
Heute sind wir unterwegs, um David zu besuchen. Reyna begleitet mich. Eigentlich wollten wir mit dem bequemen Pullmann-Bus fahren. Für mich wäre es das erste Mal gewesen, dass ich in Guatemala mit einem modernen Bus gefahren wäre. Doch wir stehen am Morgen vergebens auf der Strasse, der Bus erscheint nicht. Reyna ruft im Büro an und erfährt, dass es auf der Strecke ein Problem gegeben hat, die Busse würden heute nicht fahren. Man bietet uns eine Mitfahrgelegenheit in einem der kleinen Touristenshuttles und so sind wir mit zwei Stunden Verspätung doch noch unterwegs.
Die Fahrt führt durch grünes fruchtbares Land. Der Mais steht hoch und überall sieht man Leute auf den Feldern arbeiten. "Für viele Menschen hier ist das Leben noch schwieriger geworden, denn die Preise für Mais und Frijoles haben sich seit dem letzten Jahr fast verdoppelt", erzählt Reyna. Das ist besonders schlimm, weil Mais in jeder Form und die schwarzen Bohnen die Grundnahrungsmittel sind. Frijoles gibt es zu jeder Mahlzeit und aus Mais werden die unentbehrlichen Tortillas gebacken. In vielen ländlichen Gegenden ernähren sich die Leute fast hauptsächlich von diesen beiden Nahrungsmitteln. Dazu kommt manchmal etwas Gemüse, Bananen und Papayas, die hier überall wachsen.
Eines diester typischen farbigen Häuser
Am Mittag kommen wir in Panajachel an. Hier an diesem farbigen Touristenort am Atitlan See wohnt und studiert David. Ich habe ihm vor ein paar Tagen eine grössere Kugelschreiber-Bestellung aufgegeben und jetzt bin ich gespannt, ob er es geschafft hat, alle rechtzeitig fertig zu stellen.
ein Teil der Lieferung
Ja, und da kommt er uns auch schon entgegen. Strahlend, mit einem Lächeln im Gesicht. Trotz seiner 18 Jahre ist er noch immer ein kleiner Junge. Er freut sich riesig, uns zu sehen. Er weiss, dass wir seine Familie besuchen werden, die auf der anderen Seite des Sees wohnt. Doch zuerst übergibt er mir stolz meine Bestellung. Es scheint, dass er die ganze Nacht gearbeitet hat. In der Regel verkauft er seine Kugelschreiber einzeln. Muss für jeden kämpfen, sich bei jedem Touristen anbieten, erklären, handeln, überzeugen.
David
Ich will wissen, was er mit dem vielen Geld macht, das ich ihm für seine Lieferung bezahle. "Etwas werde ich an meine Familie weitergeben, denn sie haben mir in den letzten Tagen mit der Fertigstellung der Kugelschreiber geholfen, den Rest brauche ich für die Zimmermiete und für mein Essen."
Dann will ich seine Noten sehen, denn das erste Halbjahr ist abgeschlossen. Selbstverständlich hat er sie mitgebracht und ich freue mich, denn die meisten Noten haben sich seit dem ersten Quartal verbessert. Er scheint sich in der neuen Schule gut eingelebt zu haben. Einzig, dass es keinen Fussballplatz gibt, bedauert er, aber er geht gern in die Schule. Lernt Buchhaltung, Mathematik, Spanisch, Soziales und Informatik. Für Programmierung scheint er ein besonderes Flair zu haben, denn hier hat sich seine Note am meisten verbessert. Das freut mich natürlich ganz besonders. Selbstverständlich ist da der Wunsch nach einem eigenen Computer gross. Manchmal bekommen wir gebrauchte Computer oder Laptops aus der Schweiz, doch diese werden vor allem für Lehrer und Lehrerinnen eingesetzt. Wir können ihm also nicht versprechen, dass wir ihm damit helfen können, aber vielleicht ergibt sich ja irgendwann doch noch eine Möglichkeit.
Da freut sich der Verkäufer
Nachdem wir diese wichtigen geschäftlichen Dinge besprochen haben, gehen wir auf den Markt. Ich will etwas Lebensmittel für seine Familie einkaufen. Macht mehr Sinn, als wenn ich aus der Schweiz Geschenke mitbringe. Beim Lebensmittelhändler kaufen wir Reis, Frijoles, Salz,Kaffee, Tee, Zucker, Milchpulver, Oel, Spaghetti und Suppen. Dazu Zahnpasta und Seife. Und am Gemüsestand gibt es Tomaten, Kartoffeln, Chili, Zwiebeln und Gurken.
David mit Reyna
Am Schluss sind wir alle drei schwer beladen und David strahlt über das ganze Gesicht. Unten am See bestellen wir in einem der luftigen Restaurants noch ein feines Mittagessen. Fast hätte David vergessen, wie man Messer und Gabel benutzt, denn zu Hause wird ausschliesslich von Hand gegessen. Von unserer Terrasse im Restaurant haben wir den besten Überblick über die kleinen Boote auf dem See. Immer wenn ein Boot voll Passagiere ist, fährt es los. Dann versucht der nächste Bootsführer, sein Boot zu füllen. Eine halbe Stunde dauert die Fahrt hinüber nach Santiago de Atitlan.
der Hafen von Panajachel
Wir verhandeln mit einem Tuctuc den Preis für eine Stunde und fahren zuerst zu den Grosseltern von David. Ich war schon öfters hier und erschrecke daher nicht mehr über die einfachen Verhältnisse, in denen die Familie hier wohnt. Zwei dunkle Schlafzimmer, in denen die ganze Familie wohnt. Mir ist nicht klar, wieviele Leute hier wohnen, aber das Zimmer mit dem einen Bett teilt sich David mit zwei seiner Onkels.
Diese einfachen Wohnverhältnisse sind übrigens nichts besonders. So wohnt die Mehrzahl der Bevölkerung in Guatemala.
Die Grossmutter ist da, und zwei ihrer erwachsenen Kinder. Man ist beim Essen in der winzigen Küche, doch man lädt uns ein, im Zimmer von David Platz zu nehmen. Von irgendwoher werden zwei Plastikstühle organisiert.
Blick in die einfache Küche
Die Kommunikation ist nicht einfach, denn die Grossmutter spricht kein Spanisch. Dafür bedankt sich der Onkel, Esteban im Namen der ganzen Familie für die Hilfe. Leider ist sein jüngerer Bruder Elias noch in der Schule. Vor einem halben Jahr habe ich auch für ihn jemanden gefunden, der das Schulgeld für ein halbes Jahr übernommen hat. Wahrscheinlich wird das auch für das nächste Halbjahr wieder klappen.
Grossmutter Dolores und Onkel Estepan
Jetzt werden die Geschenke übergeben und natürlich freut sich vor allem die Grossmutter über die Lebensmittel. Auch die Fotos, die ich beim letzten Besuch gemacht habe, kommen gut an. Und dann ist es bereits wieder Zeit, weiter zu gehen. Es ist ein herzlicher Abschied und ich verspreche, wieder zu kommen. Inzwischen hat es draussen angefangen zu regnen. Santiago liegt etwas am Hang und darum haben sich vor allem die tiefer gelegenen Strassen innert kürzester Zeit in Bäche verwandelt.
Mama Nicolasa
Stiefvater Andrés
Hermanito (Brüderchen) Diego
Zum Glück wartet das Tuctuc auf uns. Es bringt uns sicher in etwas höhere Gegenden, wo David's Mutter mit ihrem Mann und dem kleinen Diego wohnen. Auch die Tochter des Stiefvaters wohnt bei der Familie. Es gibt nur ein Zimmer, in dem gewohnt, gearbeitet und geschlafen wird. Für uns völlig unvorstellbar, aber die Familie teilt sich ein Bett. Einen Tisch gibt es nicht, nur einen Schrank und ein paar Stühle.
Wenigstens hat das Zimmer ein grosses Fenster, das Licht hereinbringt. Das ist sehr wichtig, denn Mama Nicolasa und Stiefvater Andrés arbeiten als Sticker. Von Hand werden wunderschöne Vögel auf die typischen farbigen Blusen und Hosen gestickt. Reyna und ich bekommen von Andrés ein sehr Handtäschchen mit wunderschönen gestickten Vögeln. Auch hier haben wir willkommene Geschenke mitgebracht.
Leider fährt das letzte Schiff schon sehr früh zurück nach Panajachel. Darum fällt auch dieser Besuch sehr kurz aus. Eine Umarmung, ein Versprechen, wieder zu kommen und schon sitzen wir wieder im Tuctuc, das uns zum Hafen bringt.
am Lago Atitlan
Später gehe ich mit Reyna in ein kleines indisches Restaurant. Es wird spät an diesem Abend, denn hier haben wir Gelegenheit, über vieles zu sprechen, wofür im Haus in Antigua inmitten der Familie manchmal keine Zeit bleibt.
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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