TimeOut in Südamerika
Woche 9 7.-13. Juni 2008: Gooooooooaaaaaaaal
Leider auf der falschen Seite. Aber der Kommentator konnte gar nicht mehr aufhören zu schreien. Gooooooooaaaaaaal. Ich sass ganz allein in der kühlen Hostallobby, Jacke über der Schulter und Schweizer-Dächlikappe auf dem Kopf und sah mir das Spiel im TV an. Und manchmal schrie ich auf, wenn Frei das Tor wieder nicht getroffen hatte. Und dann heulte ich mit ihm, als er zur Halbzeit aus dem Stadion humpelte. Sogar die beiden spanischen Kommentatoren waren sich einig, dass die Schweizer besser als die Tschechen gespielt hätten. Aber was nutzt das schon, wenn sie keine Goals schiessen können.
Draussen hatte es am Morgen geregnet und so war ich noch gar nicht aus dem Haus gegangen. Aber ich hatte gepackt und das Gepäck hatte Alejandro bereits in die Lobby getragen. Er rief mir jetzt ein Taxi und ich fuhr zum Hafen, wollte an Bord gehen. Aber da war kein Schiff, niemand im Büro. "Die können nicht fahren, wegen dem Streik, der bis gestern gedauert hat. Die fahren erst nächste Woche." "NÄCHSTE WOCHE?" Ich traue meinen Ohren nicht. Aber der Taxifahrer ist überzeugt, dass es so ist. Sonst ist niemand da, der etwas dazu sagen könnte.
Was jetzt? Ich bin leicht frustriert, hatte doch bereits zwei Tage in Punta Arenas verbracht, weil das Schiff in dieser Woche die wöchentliche Abfahrt von Donnerstag auf Sonntag gewechselt hatte. Aber was soll's. Mit meinem Frust ändert sich die Situation nicht. Alternativen sind gefragt.
Puerto Natales ist im Sommer Ausgangspunkt zu ausgedehnten Bergwanderungen. Hier kann man Zelte und Bergsteigerausrüstung mieten. Und im Winter? Da gibt es die Tour in den Nationalpark Torres del Paine. Ich hatte beim Frühstück mit Sandra, Alejandros Frau darüber gesprochen und dass es schade wäre, dass ich diese Tour verpasse, weil ich keine Zeit hätte. Jetzt habe ich Zeit. Also erst mal zurück zum Hotel.
Sandra und Alejandro sind ziemlich erstaunt, mich so schnell wieder zu sehen. Die Tour für morgen kann ich gleich hier buchen und Alejandro schleppt mein Gepäck wieder in den ersten Stock, wo Sandra soeben mein Zimmer bereit gemacht hat. Wenigstens die Unterkunft ist gut. Das Hotel Alcazar hat sich zwar als Hostal Alcazar entpuppt, aber das zeigt nur die Unterschiede, die es in dieser Kategorie gibt. Ich habe ein kleines Zimmer mit TV, mit Internet-Anschluss und vor allem mit eigenem Bad und einer einwandfrei funktionierenden Dusche. Und ausserdem wird ein sehr gutes Frühstück serviert. Was will ich noch mehr?
Ein Mittagessen. Ich lasse mir von Alejandro einen Ortsplan geben und er zeigt mir die Hauptstrasse. "Gibt es da auch Restaurants?" frage ich zweifelnd, denn ich habe vorhin aus dem Taxi nichts Ähnliches gesehen. "Ja, massenhaft", meint er. Ich spaziere also die drei Blocks hinunter, vorbei an nichtssagenden niedrigen Häusern und komme in die sogenannte Hauptstrasse. Ich weiss nicht, ob der Nebel schuld ist, der heute so dicht ist, dass man die nächste Kreuzung kaum erkennen kann, aber ich sehe keines dieser vielen Restaurants. Aber jede Menge kleiner Läden, die alles Mögliche anbieten.
Hemden, Sportartikel, Fischerei und Jagdzubehör steht da auf dem Schild... und im Schaufenster sind Pneus
Wann habe ich zum letzten Mal solche Läden gesehen? Vielleicht in irgend einem Provinzkaff in Guatemala. Punta Arenas konnte wenigstens noch mit richtigen Gebäuden und prachtvollen Fassaden aufwarten. Aber in Puerto Natales habe ich bisher nichts dergleichen gesehen. Lauter einfache Häuser, Läden mit verstaubten Schaufenstern, hinter denen sich ebensolche Artikel stapeln. Dass die meisten Scheiben angelaufen sind, trägt bestimmt das seinige zur Stimmung bei. Wären da nicht die vielen Internetanbieter, man könnte glauben, das Städtchen sei vor vielen Jahren eingeschlafen. Die Kirchenuhr jedenfalls war stehen geblieben. Irgendwann an einem nebligen Tag um zehn vor zwei Uhr hat sie ihren Geist aufgegeben.
Und dann entdecke ich auf der anderen Strassenseite doch noch ein nettes Restaurant. Zwei Tische sind besetzt und so trete ich ein. Spezialitäten sind Meerfrüchte und Fisch. Ich bestelle eine Fischsuppe und einen gegrillten Meeraal. Beides schmeckt sehr gut und dazu ein Glas chilenischen Chardonnay. Ich komme mit Anita, der Serviertochter ins Gespräch. "Ja", sagt sie, "im Winter ist es hier sehr ruhig, da machen wir all die Reparaturen, die wichtig sind". Wahrscheinlich sagt sie das, weil gerade der Elektriker in voller Montur und mit seinem Werkzeugkasten durchs Restaurant gegangen ist und wissen wollte, wo denn nun das Problem mit dem Strom sei. "Aber im Sommer ist das Lokal voll und die Leute stehen draussen Schlage".
Es sind diese Dinge, die man sich kaum vorstellen kann, wenn man nur zufällig an einem kalten Wintertag in einem kleinen Ort angekommen ist. Geht einem übrigens auch in den kleinen Badeorten am Mittelmeer so, wenn man zufällig im November da mal Halt macht.
Nach einem feinen Expresso zieht es mich wieder hinaus. Ich will noch einmal in den Hafen. Vielleicht ist jetzt jemand im Büro. Vielleicht waren sie nur beim Mittagessen. Ich schlendere also weiter durch die Hauptstrasse. Werfe hier und dort einen Blick in ein Schaufenster und muss nun immerhin eingestehen, dass es auch sehr moderne Kleider zu kaufen gibt. Vor allem Winterkleidung der ganz grossen Marken.
Im Hafen hat sich nichts verändert. Kein grosses Schiff in Sicht, die Büros geschlossen ohne Hinweis. Übrigens ist auch keine Telefonnummer auf meinem Ticket, obwohl darauf steht, dass man sich innerhalb von 48 Stunden vor der Abfahrt über den Termin vergewissern sollte.
Inzwischen wird es bereits dunkel. Und es ist kalt geworden. Bevor meine Finger sich wie Eiszapfen anfühlen und abfallen, gehe ich zurück in mein Zimmer. Seit gestern habe ich ein neues Buch. Das ist zwar Englisch, aber sehr spannend. Werde mich also darin vertiefen und ausserdem versuchen, diesen etwas missglückten Tag in Worte zu fassen.
Die Schweizer Fahne werde ich vorläufig wieder etwas weiter unten in die Reisetasche packen.
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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