TimeOut in Südamerika
Woche 4 3.-9. Mai 2008: Evita
Ich war nicht im Kino. Es war einfach zu profan, an einem Samstagabend in Buenos Aires ins Kino zu gehen. Auf dem Heimweg von San Telmo sah ich, dass in der Nähe der Av. del Mayo ein Freilichttheater aufgeführt würde. Es schien eine grosse Sache zu sein, denn es gab ein Live-Orchester, das dabei war, die Instrumente zu stimmen, und etwas abseits warteten Pferde und Reiter auf ihren Einsatz. Hätte ich eine wärmere Jacke dabei gehabt und wäre die Schlange der Anstehenden etwas kürzer gewesen, hätte ich mich bestimt angestellt.
Später kam ich an einer weiteren Bühne vorbei. Hier würde irgendwann heute Abend ein Symphoniekonzert aufgeführt, aber niemand konnte mir sagen, wann. Also doch zurück zum Hotel. Jacke holen und dahin, wo das Leben stattfindet, in die Avenida Corrientes.
In dieser Strasse, die niemals schläft, drängten sich die Menschen. Vor den Cafeterias, vor den Varietés und vor den Kinos. Fast alle Läden waren noch geöffnet und in den Steakhäusern herrschte reger Zulauf. Ich suchte etwas, wusste nicht genau was. Und genau da drückte mir jemand einen Zettel in die Hand. Ein Kabarettist im Centro Cultural. Ich bin erst einmal in einem so kleinen Theater gesessen. Im Kellertheater in Winterthur. Und jetzt ausgerechnet in dieser Riesenstadt Buenos Aires sass ich wieder in einem so winzigen Auditorium von gerade mal 50 Leuten.
Die Vorstellung fing um 23.00 Uhr an. Anfangs war es etwas schwierig, alles zu verstehen, denn Kabarett besteht vor allem aus dem Spiel mit Worten. Allerdings meinte der Künstler: "Falls sie nicht alles verstehen, vergessen sie nicht: das ist Kunst". Das nahm ich mir zu Herzen und da er viel mit Mimik und Komik, mit Licht und Bewegung und später mit Kartentricks und Zauber spielte, war es auch für mich nicht mehr schwierig, ihm zu folgen. Auf dem Heimweg, nach Mitternacht kaufte ich noch ein paar CD's. Tango. Muss mich langsam an diesen Rhythmus gewöhnen.
Und so kommt es, dass ich heute morgen zum Tango dusche.
Nach den obligaten Besuchen in Cafeteria und Internet will ich zum Friedhof Cementerio de la Recolecta. Da wo alle wichtigen Familien der Stadt ihre letzte Ruhestätte haben. Das heisst, eigentlich hat jede Familie ihr eigenes Haus, ihre eigene Gruft.
Alle Stile sind hier vertreten. Und es gibt breite Wege und schmale Gässchen. Das Ganze ist wie eine Kopie der ganzen Stadt. Es gibt sogar einen Plan mit all den Namen. Und endlos viele Engel, die die Stätte bewachen. Lauter Häuser, deren Schloss nur aussen angebracht ist, weil nie mehr jemand da herauskommen wird. Bei einigen kann man durch einen Spalt hineinsehen, oder sie haben eine freie Fensterfront mit Sicht auf einen kleinen Altar, auf Fotos, verstaubte Plastikblumen, eine Treppe, die tief hinunter führt, auf abblätternde Stuckaturen. Es ist eine tote Stadt, kaum eine Pflanze hat Chance, ein paar Krümel Erde für ein kümmerliches Dasein zu finden. Irgendwo sitzt eine Katze. Jemand hat ihr ein wenig Katzenfutter hingestreut.
Eigentlich suche ich das Grab von Eva Peron. Es soll das einzige sein auf dem täglich frische Blumen hingestellt werden. Das sollte eigentlich zu finden sein. Nach einer knappen Stunde und unzähligen Engeln und Heldenfiguren, antiken und modernen Tempeln und Skulpturen gebe ich auf. Keine Chance. Ich frage die junge Frau, die beim Eingang den Friedhofsplan verkauft. "Ja genau darum verkaufen wir den Plan" meint sie. "Aber ich will doch nur wissen, wo Evita liegt, kenne doch niemanden sonst hier." "Ja das wollen alle. Immer diese Frau, so wichtig war die doch nicht für uns", meint sie, relativiert aber sogleich "es ist lange her, ich habe sie also gar nicht wirklich gekannt." "Ich auch nicht", bestätige ich und nachdem ich den Plan für ein paar Pesos gekauft habe, zeigt sie mir den kürzesten Weg zum Grabmal der Familie Duarte.
Eva Maria Duarte Peron 1919 - 1952. Ich bin froh, dass ich mich vorher unabhängig von diesem Grab umgesehen hatte, denn dieses Grab gehört nicht zu den grossartigsten.
Familiengrab Duarte (Evita)
Vor dem Friedhof ist unterdessen ein Handwerkermarkt aufgebaut worden. An Hunderten von Ständen wird Handarbeit in allen Variationen angeboten. Lederarbeiten, Holzspielzeug, Textilien und viel Silberschmuck. Lange darf ich mich hier nicht verweilen, denn mein Koffer darf nicht schwerer werden. Also winke ich ein Taxi und fahre zum zoologischen Garten.
Die Idee war nicht schlecht, sie war sogar sehr gut. Nur leider bin ich nicht die einzige, die diese Idee hatte. Die Schlange vor der Kasse scheint endlos. Und dann entdecke ich etwas, womit ich hier niemals gerechnet hatte: Fiaker. Pferdekutschen. Die Verlockung ist gross und so fahre ich schon bald mit einer Pferdestärke über die breite Avenida zum grossen Monument de los espanoles.
Palermo heisst das Quartier und es besteht aus vielen Parks, in denen sich die Leute tummeln und den sonnigen Herbstsonntag geniessen. Es können Fahrräder gemietet werden und auf einem kleinen See in einem Park fahren kleine Boote. Ich bin begeistert. Und als mir der Kutscher auch noch das Evita-Museum zeigt, kenne ich mein nächstes Ziel.
Die zwei Mythen: Evita, für die einen ist sie eine Heilige, der Engel der Armen und für die anderen "diese Frau", ambitiös und skrupellos.
Mit diesem Satz werden die Besucher im Museum empfangen. Selbstverständlich, dass sich das Museum vor allem dem positiven Bild widmet.
Im Evita-Museum
Später sitze ich vor der eleganten Boating Bar auf dem letzten noch freien Sonnenplatz und schlürfe einen Espresso. Dazu wird mir unaufgefordert ein wunderbar feines und noch feuchtes Stückchen Schokoladekuchen serviert. Ist das Leben nicht einfach herrlich? Ich bin jetzt genau in der richtigen Stimmung, die Eindrücke des Tages zu sammeln.
Später werde ich noch etwas Kleines essen und heute etwas früher schlafen gehen. Will morgen schliesslich fit sein: für meine erste Tango-Stunde.
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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