TimeOut in Südamerika
Woche 15 19. - 25. Juli 2008: Vertraute Exotik
Wahrscheinlich bin ich einfach noch nicht richtig angekommen. Bin in Gedanken noch immer in den grünen Wäldern des Amazonas. Höre die Vögel und die Insekten und träume von einer stillen Kanufahrt.
Irgendwie verplempere ich so den ganzen Vormittag. Packe die Koffer aus und sortiere Wäsche. Alles was im Dschungel war, fühlt sich etwas feucht an. Werde mich um eine Wäscherei kümmern müssen, wenn ich in den nächsten Tagen einigermassen zivilisiert auftreten will.
Frühstück auf der Terrasse
Frühstück gibt es auf der Terrasse. Reyna freut sich, jemanden gefunden zu haben, der das auch schätzt. Frische Ananas und Joghurt. Dazu Apfelsaft von den Äpfeln, die Rigoberto gestern Abend nach Hause gebracht hat. Einen ganzen Korb voll hat er in einer Schule bekommen, nachdem er die Bibliothek mit neuen Büchern aufgefrischt und den Bildschirm des Computers ausgewechselt hatte. Er war den ganzen Tag unterwegs. Hat Schulbibliotheken besucht und kontrolliert, ob überall alles noch funktioniert.
Rigoberto ist der Direktor der Schule in der ich vor acht Jahren zum ersten Mal spanisch gelernt hatte. Ausserdem ist er der Direktor von Probigua, dem Projekt, das sich um Schulbibliotheken in Guatemala kümmert. Ich durfte ihn schon öfters bei seinen Besuchen begleiten. Diesmal fürchte ich, dass meine Tage mit eigenen Plänen ausgefüllt sind, so dass es wohl kaum zu einem Schulbesuch reichen wird.
Heute ist ein wunderbarer Tag. Die Sonne scheint von einem strahlend blauen Himmel. Irgendwann gegen Mittag breche ich auf. Gehe zum Bankautomaten in Jocotenango und überlege, wann ich mit meiner Freundin Rebeca Kontakt aufnehmen soll. Ich weiss nicht wo sie wohnt, weil sie seit meinem letzten Besuch wieder umgezogen ist. Wie ich noch so den Gedanken nachhänge, kommt Rebeca auf mich zu. Unglaublich, sie hatte keine Ahnung, dass ich bereits eingetroffen bin und ich wusste nicht, wo ich sie suchen müsste, aber hier steht sie. Wir sind beide ziemlich perplex und sprachlos. Nachdem wir uns wieder aus den Armen lösen können, vereinbaren wir ein Treffen für nächste Woche.
Dann warte ich auf der Hauptstrasse auf ein TucTuc, das mich in die Stadt Antigua bringen wird. Rigoberto wohnt in der Vorstadt Jogotenango, aber ich will jetzt unbedingt in die Stadt, wo ich schon so viele Stunden verbracht habe. Sobald das TucTuc das Kopfsteinpflaster erreicht, habe ich irgendwie das Gefühl, richtig anzukommen. In Antigua, der alten Kolonialstadt, erster Hauptstadt von Zentralamerika. Ich fahre zum Kunsthandwerk-Markt. Will Ricardo besuchen. In seinem Stand finde ich aber nur seinen älteren Bruder. "Ricardo hat jetzt einen neuen Laden an einem andern Ort. Ich führe dich zu ihm," bietet er mir an.
Ricardo kenne ich seit ich das erste mal hier war. Jedesmal habe ich ihn besucht, meistens ein paar Ledergurte bei ihm gekauft, manchmal auch nur geplaudert. Er war 12 als ich im Jahr 2000 das erste mal mit ihm sprach. Damals noch in einem holperigen Spanisch, bei dem ich jedes Wort zusammensuchen musste.
Er stammt aus einer Familie mit fünf Buben und musste schon früh anfangen zu arbeiten. Nein, in die Schule ging er nicht, jedenfalls nicht, als ich ihn kennenlernte. Ich hatte ihm immer wieder gesagt, dass es für seine Zukunft wichtig sei, einen Schulabschluss zu machen und vor zwei Jahren hat er mir versprochen, dass er seine Ausbildung nachholen würde. Das letzte mal war er bereits in der Schule und jetzt möchte ich wissen, wie es weiter geht.
Ricardo
Er erkennt mich sofort, lacht und zieht sein Portemonnaie aus der Tasche. Hier hat er noch immer meine Visitenkarte, die ich ihm das letzte Mal gab. Und ich zeige ihm das kleine Lederetui, das seit langer Zeit an meiner Handtasche hängt und mich immer ein wenig an ihn erinnert. Ja, er will sich jetzt eine eigene Internet-Adresse einrichten. Im laufe des letzten Jahres hatten wir ein paarmal Mails ausgetauscht, aber er benutzte immer die Adresse seines jüngeren Bruders.
Ricardo arbeitet die ganze Woche in seinem Laden, aber am Samstag geht er zur Schule. "Es ist nicht viel Zeit, die ich in die Schule investiere, aber nächstes Jahr werde ich mehr Zeit haben" erklärt er. Und dann sagt er noch: "Nur deinetwegen gehe ich in die Schule. Weil du immer wieder kamst, und mir sagtest, wie wichtig das sei. Heute verstehe ich das und ich möchte noch mehr lernen."
Ich gebe zu, ich bin riesig stolz, als ich seinen Laden wieder verlasse. Habe vier wunderschöne Gürtel gekauft und er hat mir dafür einen Bilderrahmen geschenkt. Eigenartig, er hat mir in all den Jahren jedesmal ein kleines Geschenk mitgegeben, obwohl ich immer um den Preis gefeilscht hatte. Manchmal funktioniert etwas zwischen Menschen, das man nicht beschreiben kann. Mir hat dieser kleine Junge, der allein und sehr konsequent seinen Laden führt von Anfang an gefallen.
Ich bummle noch ein wenig über den Markt. Plaudere da und dort mit einer Verkäuferin, einem Händler und finde wie immer ein paar Kleinigkeiten. Und wie jedesmal bin ich fasziniert von den Farben und der Vielfalt der Auslagen. Ich merke zum ersten mal, wie sicher ich mir hier fühle und wie stark dieses vertraute Gefühl inzwischen ist. Für viele Leute mag hier alles exotisch sein, für mich ist alles sehr normal.
Die junge Marimaba-Band
Vor dem Supermarkt spielt eine Marimbaband. Es sind Kinder, die das grosse Zylophon spielen und fasziniert höre ich eine Weile zu. Es ist selten, dass in dieser Stadt so lockere Töne erklingen, aber heute ist Feria und die Stadt erscheint mir offener und lockerer als andere male.
Auch vor der Kathedrale spielt eine Band. Und sie spielt so lüpfige Melodien, dass sogar ein paar Leute dazu tanzen.
Der Parque Central ist voller Menschen. Es ist Kilbi. Tag des heiligen Santiago, des Jakobus. Touristen und Indigenas in bunten Trachten schlendern durch den Park, sitzen auf den Bänken oder am Rand der Blumenbeete. Es wird gegessen und geplaudert.
Da spricht mich ein kleiner Junge an: "Foto?" Ich staune. Habe ich das jetzt richtig verstanden, will der Kleine wirklich fotografiert werden? Normalerweise wenden sich die Leute ab, wenn ich abdrücken will, sie fühlen sich dann wie in einem Zoo. Nur weil sie farbig angezogen sind, möchten sie trotzdem nicht Fotosujet für Touristen sein. Doch der kleine Junge will wirklich eine Foto. "Wozu?" frage ich ihn. "ich werde dir kein Geld dafür geben." "Nein, ich möchte nur die Foto sehen" strahlt er mich erwartungsvoll an.
Selbstverständlich kann ich da nicht widerstehen, zu selten sind solche Angebote. Er ist mit seiner Mutter und seinen Schwestern da und freudig drücke ich ab. Danach setze ich mich auf den Randstein, will wissen, woher die Familie kommt.
Maria heisst die Mutter. Sie hat sechs Kinder, die älteren gehen in die Schule. Und die jüngeren? "Sie sind noch zu klein und ich weiss auch nicht, ob wir uns das leisten können" erzählt sie. Sie wohnt in St. Maria, einem kleinen Dorf in der Nähe des Vulkans. Vor ein paar Jahren war ich einmal in dem Dorf.
Ihr Mann ist Angestellter auf einer kleinen Plantage. "Es ist nicht viel, was er verdient, aber wir können irgendwie davon leben". Da ich speziell neugierig bin, will ich jetzt natürlich wissen, was denn dieses 'nicht viel' eigentlich bedeutet. "30 Quetzales bekommt er pro Tag." Schnell rechne ich um. Das sind 4 Franken. Damit kann man auch in Guatemala keine grossen Sprünge machen.
Die älteste Tochter hat unterdessen die Adresse der Familie in mein Notizbuch geschrieben. Aber eine richtige Adresse, an die ich einen Brief schicken könnte, gibt es nicht. Werde also versuchen, beim nächsten Besuch ins Dorf zu fahren, um die Fotos abzugeben.
Ich höre eines dieser kleinen Eiswägelchen an denen eine Glocke hängt, die beim Stossen über das Kopfsteinpflaster mit ihrem unverwechselbaren Ton auf sich aufmerksam machen und mir kommt spontan eine Idee. "Hat jemand Lust auf ein Eis?" Und ob!
Sechs kleine Hände ergattern ein Eis und auch die Mutter und die Schwägerin, die zufällig des Weges kommt, bekommen eines ab. Die Freude ist auf allen Seiten riesig. Als ich weitergehe, merke ich, dass ich soeben zwei Tagesverdienste in Eis investiert habe. Sicher wird sich die Familie noch lange an dieses Fest in Antigua erinnern.
Ich brauche jetzt einen Kaffee und steuere die Kaffeebar an. Hier kann man in Ruhe einen Kaffee trinken und das Geschehen in den Arkaden beim Plaza Central beobachten.
Dabei komme ich mit einem Mann ins Gespräch. Er ist Guatemalteke, wohnt aber in Kanada. Und er erzählt mir von Sonnenkristallen, die in den letzten Jahren in Bewegung gekommen sind, von Galaxien und deren Einfluss auf die Menschen und davon, dass sich die Rotation der Erde verändern wird. Er scheint so eine Art Medizinmann zu sein und schon bald sind wir in ein sehr utopisches Gespräch vertieft. Schade nur, dass ich nicht alles verstehe, was er erzählt. Aber spannend ist es sowieso, auch wenn ich auf meiner Meinung beharre, dass positive Gedanken das wichtigste für das Wohlbefinden des Menschen wären.
Der Arco, Wahrzeichen von Antigua
Die Merced
Auf dem Heimweg komme ich bei Arco vorbei. Der erstrahlt heute besonders schön, denn die Sonne scheint von einem strahlenden Himmel. Auch die Fassade der Merced strahlt in den langen Strahlen der tief stehenden Sonne wunderbar.
Den Abend verbringe ich mit René und seiner Familie. Wieder einmal schweizerdeutsch sprechen. Ich geniesse es, ohne besondere Anstrengung jedes Wort zu verstehen. Nächstes Jahr will ich wieder eine Reise nach Guatemala mit einer kleinen Gruppe organisieren. René wird uns dabei als Reiseleiter begleiten.
Kugelschreiber gefällig?
Ja und jetzt bin ich wieder zu Hause in meinem Zimmer. Werde noch eine Kugelschreiber-Bestellung an David abschicken. David ist der Junge, den ich bei seiner kaufmännischen Ausbildung unterstütze. Er verkauft in den Strassen von Panajachel Kugelschreiber. Falls jemand von Euch auch so einen Kugelschreiber (oder mehrere) möchte, kann man diese in den nächsten Tagen bei mir bestellen. Sie kosten Fr. 1.50/Stück.
Einfach den Namen und die Anzahl angeben, Lieferung erfolgt im August...
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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