TimeOut in Südamerika
Woche 9 7.-13. Juni 2008: Landgang
Das Nachtessen war fein. Und die Bedienung habe ich so richtig genossen. Sogar das Mineralwasser wurde nachgeschenkt. Wein gab es keinen, Vorschrift Nr. 5: kein Alkohol auf dem Schiff für die Angestellten und absolut keine Drogen. Enzo las es mir vor, denn die Vorschriften hingen an der Wand.
Was danach kam, erinnerte mich an die berühmte Briefmarkensammlung. Ich sollte mit Enzo Fotos in seinem Computer ansehen. Da er am Nachmittag geduldig und interessiert meine Fotos bestaunt hatte, konnte ich mich dem schlecht entziehen. Nun, dadurch bekam ich auch noch eine Vorstellung, wie die Offiziere auf dem Schiff leben. Immerhin sowas ähnliches wie ein Zimmer steht ihnen zur Verfügung. Enzo liess die Kabinentüre offen, nur der Vorhang davor war zu. Wäre wahrscheinlich zu auffällig gewesen, wenn er geschlossen hätte, denn auch die anderen Kabinen waren mehrheitlich offen. Wir sahen uns also Fotos an. Irgendwann hatte ich genug von Schiffsfotos, von Familienfesten und Weihnachtsfeiern in kurzen Hosen und als ich auch noch seine kalten Hände aufwärmen sollte, fand ich das irgendwie zu aufdringlich. Umgekehrt wäre logischer gewesen, aber meine Hände sind nun mal selten kalt. Also verabschiedete ich mich mit der unbestimmten Begründung vom viel Schlaf brauchen.
Ich holte meinen Laptop und ging in die Bar. Nicht zuletzt, weil Marcelo da noch eine angefangene Flasche Wein für mich aufbewahrte. Es gab noch ein paar Verbesserungen an meinen Berichten. Von den Passagieren war niemand zu sehen, aber ein paar junge Matrosen sassen da und sahen sich einen DVD an. Und mitten drin sass Gerard Debardieu. Jedenfalls in einer jüngeren Ausgabe. Er grinste, als ich ihn darauf ansprach. Selbstverständlich war ich nicht die erste die ihm das gesagt hatte.
Samuel, der Mechaniker, alias Gerard Debardieu
Als die Flasche leer war und die Batterien ausgingen, ging ich in die Kabine. Packen war wieder einmal angesagt.
Am Morgen wurde ich statt des Weckers von einem SMS geweckt. Verpasster Anruf von gestern. Wir näherten uns dem Hafen und es gab wieder Natelempfang. Wunderbar. Sofort zu Hause anrufen, dass ich wieder in der Zivilisation angekommen sei. Eigenartig. Eigentlich brauche ich mein Telefon wirklich fast gar nicht, aber wenn man mal ein paar Tage nicht kann, muss man es bei der ersten Möglichkeit gleich benutzen. Auch wenn es gar nichts Wichtiges zu besprechen gibt. Ausser vielleicht die Auskunft, wie denn die Schweizer sich im letzten Spiel geschlagen hätten. Ich war nicht die einzige, die jetzt telefonieren musste.
Überall liefen jetzt Leute herum mit dem Handy am Ohr. Vom jüngsten Matrosen bis zum Kapitän, alle mussten rasch jemanden anrufen. Die Kapitänsbrücke war allerdings jetzt gesperrt. Die zweite Navimag-Fähre hatte gerade den Hafen verlassen und wir steuerten hinein. Volle Konzentration im Steuerhaus.
Eine riesige Boje wurde festgemacht und die Männer rollten dicke Seile und Ketten von den Rollen. Ob mir jemand mit dem Gepäck helfen könne, fragte ich Juan. "Ricardo wird gleich kommen". Wow, das war vielleicht ein Kerl. Gross, stark, meine Tasche schien er mit dem kleinen Finger zu tragen.
Wie wir da so hinunter auf die noch immer stehenden Rinder sahen und ich wieder einmal staunte, wie die das ertragen hatten, merkte ich, dass auch ihm der Anblick nicht gleichgültig war. Ob alle den Transport überstanden hätten, wollte ich wissen. Nein, zwei Rinder hatten die Fahrt nicht überlebt und im Pferdeanhänger lagen 6 tote Pferde. Und dann sagte er etwas, was ich von diesem Kerl nicht erwartet hätte. "Es gibt eine Organisation, die sich um Tiere kümmert, aber ich frage mich immer, wo die eigentlich sei. Hier in Chile sind die nie da, wo sie gebraucht würden." Und dabei sah er überhaupt nicht glücklich aus. Das sei der schwierigste Teil seiner Arbeit, immer diese Tiertransporte zu sehen. Im Unterdeck, wohin wir jetzt mit dem grossen Lift fuhren, waren weitere Anhänger, mit zweistöckigen Ladungen in denen Kälber standen.
nach vier Tagen auf dem Schiff. Wie lange sie vorher schon darin unterwegs waren, weiss ich nicht.
Das einzige, was mich bei der ganzen Situation tröstete, war das Wissen, dass die Tiere vorher wenigstens in absoluter Freiheit gelebt hatten. Jetzt waren sie auf dem Weg zum Metzger.
Ein letzter Abschied von Juan und Enzo und ich war wieder an Land. Der Taxifahrer führte mich zu einem Hotel und obwohl es ziemlich luxuriös aussah, entschied ich, dass ich genau das jetzt brauchen würde.
Ich musste dann zwar noch zwei Stunden in der Lobby warten, bis mein Zimmer bereit war, aber das gab mir die Zeit, die angesammelten Berichte online zu stellen. Und dann zog ich in mein tolles grosses Zimmer ein. Das war nach der engen Kabine der reine Luxus. Ich zappte ein wenig durch die Fernsehprogramme und erwischte grad noch den Schluss des Italienspiels. Und in einer Stunde sollte Holland-Frankreich anfangen. Im Moment waren Regional-Nachrichten. Der Vulkan schien wieder aktiver zu sein, jedenfalls mussten ein paar Familien evakuiert werden. Ausserdem war ganz in der Nähe ein Helikopter abgestürzt und der Pilot konnte wegen den misslichen Wetterverhältnissen nicht geborgen werden. Ja, draussen schüttete es, das konnte ich durch mein Dachfenster deutlich hören und sehen.
Also das richtige Wetter, um Fussball zu sehen. Richtig tolles Spiel mit vielen Gooooooaaaaaals. Sowas ist auch für einen Fussballbanausen wie mich verständlich. Witzig fand ich die beiden Kommentatoren, die einander immer wieder bestätigten mit "Si Señor". Und dass sie Stade de Suisse en Berna mindestens alle 10 Minuten einmal erwähnten, machte sie mir ganz speziell sympathisch.
Nach dem Spiel sah ich aus dem Dachfenster. Entweder waren die Wolken jetzt blau, oder das Wetter hatte sich verbessert. Ja es war wirklich der blaue Himmel über den noch ein paar weisse Wolkenfetzen zogen.
Also raus, einen ersten Eindruck einholen. Bei der Ankunft hatte ich das Gefühl gehabt, die Stadt wäre wieder so ein herunter gekommener Ort, der nichts bieten würde, aber beim zweiten Spaziergang merkte ich, dass es eine quirlige Stadt ist, in der es von Läden und Verkaufsständen nur so wimmelt. Ich glaube ich werde doch noch eine Nacht mehr bleiben. Vor allem weil mir auch das Hotel gefällt und weil das Essen im eleganten Restaurant im 8. Stock mit Blick aufs Meer wirklich hervorragend ist. Mal sehen, wie es weiter geht.
Die Aussicht vom 8. Stock
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala