TimeOut in Südamerika
Woche 1 12.-18. April 2008: Durchatmen
Die Erkenntnis traf mich in der Abflughalle wie ein Schlag. Ich konnte durchatmen. Ganz tief einatmen ohne Probleme. All die Mühen, all die Ängste, die mich in den vergangenen Monaten geplagt hatten, nicht genug Luft zu kriegen: wie weggeblasen. Ich gab dem Lächeln, das sich in den letzten Tagen bei mir breit gemacht hatte, noch etwas mehr Raum. Ja, sie hatten es in sich, diese letzten Tage. Abschied von Falco. Intensive Gespräche mit vielen Freunden. Immer im Wissen, dass es für längere Zeit das letzte direkte Gespräch sein würde. Die Abschiedsparty am Freitag, bei der so viele Freunde und Freundinnen kamen, um mit mir den Aufbruch in die Freiheit zu feiern. Obwohl die Reisetasche bereits gepackt war, fanden noch ein paar Dinge einen Platz darin. Glückskäfer und Schutzengelchen krochen in die letzten Winkel, der Skizenblock samt Farbstiften machte sich beim Notizbuch ganz schmal und ein paar Erstehilfe-Sets für spezielle Notfälle liessen sich bereitwillig zwischen Unterwäsche und Kosmetika quetschen. Und dann waren da noch ganz ganz viele gute Wünsche, die ich in Rucksack und Reisetasche packte.
Meinem Aufbruch stand nichts mehr im Wege und am Samstagmittag packte ich alles ins Auto. Muss ziemlich bescheuert ausgesehen haben, wie ich da mit Reisetasche, Rucksack, Computertasche und Handtasche beladen, zum Auto schwankte. Ruedi, mein Nachbar riet mir, den Koffer nochmal neu zu packen, da er anscheinend viel zu schwer sei. "Ach was, nicht der Koffer ist zu schwer, sondern die Frau zu schwach" fand ich und hievte alles ins Auto. Bis zum Ende meiner Reise werde ich mich mit meinen sieben Sachen arrangiert haben. Wenn alles nach Plan läuft, wird der Koffer dabei leichter und die Frau stärker.
Sepp brachte mich zum Flughafen und da sass ich nun, wartete darauf, dass mich das Flugzeug in die neue Freiheit brachte. Wie meistens in dieser Situation verbrachte ich die Zeit im Kiosk, stöberte durch die verschiedenen Zeitschriften und fand das Titelbild vom Stern. Sabbatical, was Sie und Ihr Chef dabei gewinnen. Da ich gleichzeitig Chef wie auch Angestellte bin, kaufte ich das Heft. Mal sehen, was andere mit ihrer freien Zeit machten.
Danach setzte ich mich in die Abflughalle, freute mich am neu gefundenen Atem und vertiefte mich in den Krimi von Falcos Tierarzt. Abkürzung ins Paradies. Spielt in Luzern und auf den Kapverdischen Inseln. Wie es der Zufall will, war ich letzten Samstag in einem Konzert der kapverdischen Sängerin Cesaria Evora. Mit ihren wehmütigen Liedern die vom portugiesischen Fado und afrikanischen Weisen inspiriert sind, aber auch mit rhytmischen Karibikklängen brachte sie mich in die richtige Aufbruchstimmung. Und jetzt war ich schon wieder in dieser Inselwelt.
Im Flugzeug muss ich gleich eingeschlafen sein. Den Start hatte ich verpasst und als ich wieder aufwachte und aus dem Fenster schaute, war ich über den Wolken. Ich dachte an Reinhard May und spürte die Freiheit, die er in seinem Lied besang. Ausserdem hätte ich jetzt mit Stefan Eicher einen Campari Soda genommen. Ich hatte ihn vor ein paar Monaten im KKL live erlebt. Ein Bild von einem Mann. Aber im Moment gab es keins von beiden. Weder den Mann, noch den Campari. Nicht einmal Sodawasser gab es. Stattdessen zog die Flight-Attendant den Wagen mit den Duty-Free-Artikeln durch den Gang. Neben mir pfiff jemand eine kleine Melodie. Es konnte ja wohl nicht sein, dass das der Typ neben mir war. Ich wagte einen vorsichtigen Blick nach links. Doch, wirklich er war es. Zwar sah er sehr nach Business man aus, aber er spitzte gerade seine Lippen und wiederholte schon wieder seine fröhliche Melodie. Er schien gute Geschäfte gemacht zu haben in Zürich. Seine Augen allerdings versteckte er hinter dunklen Brillengläsern, so dass ich seinen Ausdruck nicht erkennen konnte. Egal, mein Lächeln blieb ja auch auf den Stockzähnen kleben und war daher nicht für jedermann erkennbar.
Ich liebe diese spezielle Atmosphäre im Transferraum eines Flughafens. Hier treffen sich Menschen aus allen Kontinenten. Trinken einen Kaffee, ein Glas Wein, essen eine Kleinigkeit und gehen wieder, fliegen in alle Himmelsrichtungen davon. Manchmal bringt ein traditionelles Kostüm einen Farbtupfer in die globalisierte Welt des Transfers. Ein golddurchwirkter Sari aus Indien, eine Toga aus Afrika, ein bunter Poncho aus Südamerika. Nicht immer sieht man den Menschen an, woher sie kommen. Meine Tischnachbarin in Madrid war Argentinierin. Sie hiess Lucia und wir kamen rasch ins Gespräch. Redeten über Reisen, über Wein, gutes Essen und über Männer. Wir lieben beide das Reisen, erzählten von Erlebnissen und bald hatte ich eine neue Destination. Sie ist mit einem Schweizer verheiratet und führt ein Restaurant in Mendoza. Ich werde sie da besuchen. Mendoza ist die Weingegend von Argentinien, ein paar Autostunden entfernt von Santiago de Chile.
Lucia musste gehen und ich vertiefte mich noch eine Weile in meinen Krimi, bis auch mein Flieger los flog. 12 Stunden nach Montevideo.
Nach dem Nachtessen bin ich lang nach Mitternacht eingeschlafen. Habe versucht, eine bequeme Stellung zu finden und entliess mich in sanfte Träume. Doch der Schlaf war nicht sehr tief und immer wieder versuchte ich, meine Beine und Arme neu zu ordnen, eine noch bessere Stellung zu finden. Irgendwann musste es doch morgen werden. Ganz in der Nähe schnarchte jemand. Ich schaute auf die Uhr. 6 Stunden vorbei, gerade mal die Hälfte. Und draussen war immer noch Finsternis. Also zurück zur ersten Stellung. Aufrecht sitzen, Beine geschlossen auf den Boden, Arme aufgelegt. Ähnlich wie beim Meditieren - und einschlafen. So einfach ging das allerdings nicht, aber irgendwie musste ich diese lange Nacht hinter mich bringen.
10.00 Uhr morgens. Draussen herrschte noch immer stockdunkle Nacht. Soll doch endlich mal einer Licht machen, wollte ich schreien. Doch ich bin nicht Gott. "Es werde Licht" funktionierte bei mir nicht. Ich versuchte einmal mehr, meine Glieder zu sortieren. Das Buch hatte ich irgendwann in der Nacht beendet. Der Mörder ist entkommen. Nicht einmal Krimis halten sich noch an die Regeln.
Langsam wurde es unruhig in der Kabine. Die Menschen erwachten. Auch der Schnarcher. Draussen wich die finstere Schwärze langsam einem trüben Grau, und später einem milchigen Weiss. Langsam, ganz langsam zeigte sich ein rosa Schimmer am Horizont.
Eine Stunde später. Der Himmel präsentierte sich in Pastelltönen: Hellblau, rosa, leichtes Orange und ganz helles gelb. Weit unten sah ich einen breiten Fluss durch die Landschaft ziehen. Eine riesige Wasserlandschaft lag da unter einer dünnen Wolkendecke. Und sofort war Stefan Eicher wieder da. Mit seinem Campari-Song. Doch jetzt gab es Frühstück. Ich stellte meine Uhr zurück. Fünf Stunden. Es war sechs Uhr Morgens. Meine Sitznachbarin schälte sich aus der Decke und schenkte mir ein breites Lächeln. Ich lächelte zurück. Der erste Tag meiner grossen Reise hatte angefangen und ich atmete tief ein. In zwei Stunden würde ich in Montevideo landen.
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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