TimeOut in Südamerika
Woche 5 10.-16. Mai 2008: Massage
Es gibt Situationen, die glaubt man nicht, wenn man sie nicht selber erlebt hat. Meine jetzige Situation gehört bestimmt dazu. Es ist jetzt acht Uhr abends. Ich bin vor einer Stunde von einem 12-stündigen Tagesausflug zurückgekommen und habe wie gewöhnlich zuerst in der Hotelbar meine Mails gecheckt. Und dann kam ich wie gewöhnlich mit dem netten Kellner ins Gespräch. Er hatte mir gestern empfohlen, mir eine Flasche Rotwein zu öffnen, von der ich dann jeden Abend ein oder zwei Glas trinken könnte. Dadurch hätte ich den besseren Wein, als wenn ich nur den Wein des Hauses trinken würde und das leuchtete mir ein. Er hatte also gewissermassen mein Vertrauen gewonnen. Doch halt, alles der Reihe nach.
Heute Morgen wurde ich also um 7 Uhr abgeholt. Nachdem ich die erste im Frühstücksraum gewesen bin. Die Serviertochter war mindestens so verschlafen wie ich. Aber der Ausflug versprach interessant zu werden: in die hohen Berge.
Gesehen habe ich im Bus noch niemanden, als ich einstieg und der Kontakt mit den anderen blieb auch den ganzen Tag auf ein Minimum reduziert. Ein junges Paar mit Kindern aus Buenos Aires, vier weitere Paare aus Argentinien und ein junger Brasilianer.
Der Tag erwachte langsam und langsam stiegen wir auf der schmalen Naturstrasse immer höher. Mehr als 300 Kurven erklärte uns Erika, die unterdessen auch erwacht war, und ihre Gäste begrüsst hatte. Wir kamen beim alten Hotel Villavicencio vorbei, wo das Mineralwasser der Gegend abgefüllt wird und das in den nächsten Jahren wieder einmal aus einem Dornröschenschlaf erwachen wird, weil es neue Besitzer gefunden hat.
Die Vegetation war sehr spärlich. Etwas dürres Gras und dorniges Gestrüpp, als wir plötzlich auf der anderen Bergseite ein paar Tiere entdeckten. Gemsen? Zu klein. Steinböcke? Haben keine Hörner. Es waren drei Guanacos, wilde Lamas, die da ihrem Lebensunterhalt nachgingen. Später trafen wir auf eine ganze Herde, die sich beim Herannahen unseres Busses langsam entfernte. Immer beobachtet vom Chef, der einsam auf einem nahen Felsvorsprung stand.
Faszinierend, diese Tiere in freier Wildbahn zu erleben. Immer höher schraubte sich die Strasse, bis wir auf gut 3000 m einen Halt einhielten und die ersten Schneeberge sichteten. Allen voran den höchsten Berg Amerika, den Aconcaquas.
Aber nicht nur er, das ganze Panorama war atemberaubend. Auch für jemanden wie mich, der inmitten der Schweizer Berge aufgewachsen ist. Es sind die Farben, die so anders sind, und die Vegetation. Jedenfalls hier in der Gegend gibt es kaum Bäume, weil Bäume nicht zur einheimischen Vegetation gehören. Alle Bäume, die hier wachsen, sind angepflanzt. Egal ob es sich um die Platanen in der Stadt oder die Papeln in den Weingütern handelt. Irgendwann kamen wir wieder auf normale Strassen, wo es Polvaredas einen späten Frühstückshalt gab. Doch schon kurze Zeit später waren wir wieder unterwegs. Wir waren jetzt auf dem wichtigsten Andenübergang. Hier bei Mendoza wird der ganze West-Ost-Verkehr abgehandelt. Alle Güter vom Meer in Chile, die nach Argentinien, Buenos Aires oder Brasilien müssen, werden über diese Verbindung abgewickelt. Es gibt keine Alternative. Im Winter ist die Strasse manchmal wegen zu viel Schnee gesperrt. Tagelang? Wochenlang? Will ich wissen. Wochenlang kommt die lapidare Antwort. Es gibt keinen Tunnel, keinen Zug, es gibt nur diese eine Strasse von Mendoza nach Santiago de Chile. Früher gab es einen kleinen Zug. Die Geleise sind zum Teil noch jetzt sichtbar. Er führt entlang der Strasse und wurde eine Zeitlang als Touristenattraktion geführt. Vor 40 Jahren wurde die Strecke endgültig aufgehoben und die Bahnstationen und kleinen Tunnels verfallen langsam. Dafür ist der Verkehr auf der Strasse sehr intensiv. Lange Lastwagen mit Anhänger kriechen hinauf und ebensolche schiessen auf der Gegenfahrbahn herunter. Es braucht ziemlich Nerven für unseren Chauffeur. Immer wieder hält er an, gibt uns die Möglichkeit, die schönsten Sujets einzufangen. Irgendwo fliegen 3 Cormorane. Ganz hoch oben an Himmel, kaum zu sehen, ziehen sie ihre Bahnen. Ob sie uns wohl sehen mit ihren scharfen Augen.
Die Kordillieren. Da war doch mal was mit Karl May. Mit 14 habe ich seine Bücher verschlungen. Dass ich irgendwann einmal selber in dieser Gegend sein würde, hätte ich nie erwartet. In einem kleinen Ort ein paar Kreuze. Ein kleiner Friedhof. Der ist für die verunglückten Andististas. Ein neues Wort. Andinisten? Klar, hier können die nicht Alpinisten heissen. Wir kehren erst ganz oben beim Zoll um. Kurz vor dem internationalen Tunnel, der Chile und Argentinien verbindet. Wir sind auf 3200 Meter angekommen und es liegt noch ein wenig Schnee. Ich setze mich hinter dem verlotterten Bahnhof auf eine sonnige Stufe und lasse mich ein wenig weggleiten. Muss irgendwann kurz eingedöst sein. Später merke ich, dass ich dabei wahrscheinlich eine falsche Bewegung, oder eine falsche Stellung eingenommen haben muss, jedenfalls schmerzt mich auf dem ganzen Rückweg meine linke Schulter dermassen, dass ich glaube, es kaum mehr auszuhalten.
Heute Morgen war Schuhwechsel angesagt...
Vorläufig kann dagegen allerdings nichts gemacht werden und ich denke etwas angespannt an die 190 km Rückfahrt nach Mendoza. Es gibt nochmals einen Halt. Bei der Puente del Inca. Der Brücke des Inkas.
Es ist eine Thermalquelle, die die Steine hier mit Kupfer und anderen Materielien überzieht. Seit Jahrtausende. Früher wurde die Quelle von einem Hotel genutzt, aber dieses wurde vor vielen Jahren von einer Lawine mitgenommen und heute stehen nur noch die Ruinen. Und die alten Badehäuser unter der Brücke. Ganz in der Nähe gibt es einen Markt auf dem Handarbeiten verkauft werden. Pullover, Schals und Ponchos aus Lamawolle. Wunderschön weich. Ich kaufe ein paar Energiesteine. Die brauchen weniger Platz und ich könnte im Moment etwas davon brauchen, wenn ich an die lange Rückfahrt denke.
Ich hab's überlebt, hab versucht, mich zu entspannen, an etwas anderes zu denken. Den schönen Stausee zu bewundern, an dem wir auf der Rückfahrt noch kurz Halt machen. "Dieser See ist sehr wichtig für Mendoza", meint der Chauffeur. "Ohne diesen Rückhalt und ohne den Winter, der den See wieder auffüllt, wäre Mendoza eine Wüste".
Es ist nach sieben Uhr abends, als ich im Hotel eintreffe. Ich mag jetzt nicht mehr ausgehen. Mein Glas Rotwein in der Bar, Mails checken. Der Kellner macht mir noch einen kleinen Toast und ich frage ihn, ob er vielleicht wüsste, wo in der Nähe ein Physiotherapeut wäre. Er überlegt einen Moment, und meint dann, sein Sohn würde das machen, ob er ihn anrufen soll. Ja gern, selbstverständlich. Fünf Minuten später: "Ja er kann kommen, er kommt um 22.30 Uhr, ist ihnen das recht?" "Ähm... klar ist mir das Recht, etwas ungewöhnlich vielleicht, aber wenn es etwas gibt, das mich noch heute etwas von den Schmerzen befreit, soll es mir recht sein".
Ja eben und in dieser Situation bin ich jetzt, warte auf den Physiotherapeuten, der kurz vor Mitternacht vorbei kommt und weiss wieder einmal nicht, worauf ich mich da eingelassen habe...
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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