TimeOut in Südamerika
Woche 4 3.-9. Mai 2008: Bison
Eigenartig, wie schnell man sich an neue Situationen gewöhnt. Einzig die Frage, ob ich die Schritte noch kenne, hindert mich heute Morgen daran, in Euphorie auszubrechen.
Mein kleines Zimmer ist einfach zu winzig für ausholende Schritte. Aber ich glaube, ich habe sie im Kopf. Und die Achter-Übung mit dem Stuhl und der Wand habe ich gemacht. Wird wohl irgendwie gehen. Heute reicht es auch noch für einen Besuch im Internet vor dem Frühstück. Falco hat mir ein Riesenkompliment gemacht. Ist halt doch der treueste männliche Begleiter, den man sich vorstellen kann. Ich möchte allerdings an dieser Stelle betonen, dass ich für seine Äusserungen nicht verantwortlich bin. Er ist im Moment absolut ausserhalb meines Einflussbereiches.
Beim Frühstück brauche ich nicht mehr zu bestellen. "Como siempre?" fragt mich der Kellner. "Si, wie immer". Und dann nehme ich ein Taxi nach San Telmo und bin eine ganze Stunde zu früh da. Elf Uhr, der Platz erwacht. Die Stühle werden herausgestellt, die Händler packen ihre Waren aus, überlegen, wie sich die Stücke am besten präsentieren. Ein grosser goldener Cadillac umrundet den kleinen Park. Er passt ausgezeichnet zu all den Antiquitätenhändlern für die das Quartier bekannt ist.
Nebst ein paar pittoresken Restaurants reiht sich ein Laden an den anderen. Und in den Hinterhöfen gibt es riesige Märkte an die kein Trödelmarkt in der Schweiz in Grösse und Auswahl auch nur heranreicht. Manchmal frage ich mich schon, woher all diese antiken Kerzenständer, Fotorahmen, Autozubehör, Zündholzschachteln, Bügeleisen, Geschirr und andere Kuriositäten kommen. Es gibt nichts, was man hier nicht finden könnte. Sofern man sich für diese alten Dinger interessiert. Ich glaube man hört aus meiner Schilderung, dass mir jeglicher Sinn für diese Sammelleidenschaft abgeht. Hab genug zu tun mit meiner eigenen Leidenschaft. Schmuck. Gestern hab ich mir einen grossen Silberring gekauft.
Auf dem Platz füttert eine Familie die Tauben mit altem Brot und der Jongleur übt sich mit den grünen Keulen warm. Beim alten Ziehbrunnen bereitet sich der Bajazzo auf seinen Auftritt vor.
Inzwischen sind Inés und Fernando angekommen. Es geht los. Zuerst wird wiederholt. Jupiiih, ich kann das jetzt, mit den Füssen kreuzen bei fünf, Gewicht verlegen und weiter. Heute üben wir die Acht vorwärts - und rückwärts. "Die Füsse schleifen lassen, nicht aufheben. Das ist eines der Geheimnisse des Tangos", erklärt Inés, "und die Füsse berühren sich immer, wenn sie sich nahe kommen, Und immer Blickkontakt mit dem Herrn behalten. Der Oberkörper bleibt dem Mann zugewendet. Immer. Er führt, er bestimmt den Schrittwechsel". Ok, verstanden. Ich lasse mich führen, vergesse das Zählen, spüre den Stop, den Wechsel und - verhasple mich. Nochmal von vorn.
Sie geben sich Mühe und sie nehmen die Aufgabe ernst. Ich auch. Am Schluss sind wir alle einigermassen zufrieden mit dem erreichten. Und morgen machen wir weiter.
Draussen tanzen unterdessen zwei Paare für die wenigen Touristen.
Wir setzen uns hinaus an die Sonne. Schauen noch eine Weile zu. Man begrüsst sich mit Küsschen, stellt sich vor und plötzlich sitze ich bei den Tänzern in San Telmo. Es hat sehr wenig Touristen im Moment. Es ist Herbst. Für Inés und Fernando lohnt es sich noch nicht, anzufangen. Zu wenig Leute, zu viel Tanzpaare. Vielleicht am späteren Nachmittag. Seit fünf Jahren tanzen die beiden bereits hier. Jeden Tag ausser Sonntag, dann ist hier Markt. Sie sind kein Paar aber gute Freunde. Und sie können ganz gut davon leben, Fernando hat sogar ein Auto. Aber sie müssen einteilen. Richtig gut läuft es nur im Frühling und Sommer. Herbst und Winter sind schwierig.
Inés, meine Tangolehrerin
Ich verabschiede mich. "Hasta mañana".
Mir fehlt noch immer der Zoo. In Asunción war er geschlossen, in Buenos Aires hatte es am Sonntag zu viele Leute. Heute ist es ruhig. Es ist später Nachmittag, die Tiere werden langsam aktiv. Der Eisbär schläft zwar noch, vielleicht ist es ihm zu warm. Der Braunbär erkundet sein Gehege und der Brillenbär spielt mit den Baumstämmen.
Der Schneeleopard ist übermütig. Er springt aus dem Stand einen Meter in die Höhe, lässt sich in einen Purzelbaum fallen, wälzt sich auf dem Rücken, spielt mit einem Riesenball und fängt das ganze wieder von vorn an. Ich vermisse meine Videokamera, denn mit der Fotokamera gibt es nur verschwommene Bilder.
Aber sie füllt sich trotzdem, meine Kamera. Es gibt so viele Tiere, aus allen Kontinenten. Der rote Panda liegt in der Eukalyptusschaukel, Flamingos ruhen sich auf einem Bein aus. Die Kamele dösen im Sand und die Lamas gucken neugierig über den Zaun. Und dann entdecke ich den Oso de hormigas. Den Ameisenbär. Und jetzt sind endgültig alle Zweifel behoben. Hias ist kein Ameisenbär, dazu ist er zu kuschelig. Er mag die Viecher fressen, aber er ist bestimmt eher ein Nasenbär.
Der Ameisenbär hat es eilig
Ich schlendere gemütlich weiter. Schaue einen Moment dem antiken Karussell zu. Es hat zwei Stöcke. Alles dreht sich im Kreis. Rundum. Und wenn man darauf sitzt, hat man das Gefühl, die ganze Welt dreht sich. Und trotzdem bleibt man immer am gleichen Ort und wenn man aussteigt, hat sich auch die Welt nicht gedreht. Man könnte über vieles nachdenken, wenn man dem alten Karussell zuschaut.
Und dann sehe ich ein Tier, das mich brennend interessiert. Drei Bisons sind hier. Stehen in der Pampa und lassen sich bestaunen. In ihrem zotteligen Fell. Mit den dünnen Beinen und dem grossen Kopf. "Komm etwas näher, kennst du mich denn nicht?" Er sieht mich mit seinen kleinen runden Äuglein an. Listig. Und er bleibt unbeirrt stehen. Lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Seine Welt lässt sich nicht so schnell erschüttern. Ich bin fasziniert, fülle meine Kamera mit Bisons.
Kennen wir uns nicht irgendwie?
Und es gibt noch viel mehr, was in meine Kamera passt. Die Nashörner mit ihrem grauen Panzer, die riesigen Flusspferde, die gerade mal Augen und Ohren aus dem Wasser strecken. Die Giraffe, die sich verwundert herunterbeugt. Ob es da etwas zum Fressen gibt?
Auf dem Rückweg treffe ich die Elefanten. Sie stehen vor ihrem Haus und wollen hinein. Auf den Wegen laufen Enten und Gänse frei herum und verschiedene kleine Felltiere. Verwandte von Hasen und Ratten. Und plötzlich sehe ich mich Auge in Auge mit dem grossen Adler.
Er ist wirklich faszinierend, dieser Zoo in Buenos Aires. Und er liegt in einem Park mit uralten Bäumen und fantasievollen Tierhäusern. Ich verabschiede mich noch kurz von den Bisons. "Hasta luego".
Für den Heimweg nehme ich ein Taxi. "In die Avenida Corrientes. Ich möchte irgendwo gut essen gehen."
Irgendetwas muss ich falsch gemacht haben, vielleicht eine seiner Fragen falsch beantwortet, jedenfalls lädt mich der Taxifahrer so weit weg vom Zentrum aus, das ich noch froh sein kann, dass er nicht gleich an den Stadtrand gefahren ist. Es ist zwar die Avenida Corrientes, aber ich brauche einige Zeit, bis ich merke, wie weit weg ich noch bin. Mag nicht mehr Taxifahren und laufe zu Fuss in die Richtung, die ich aus dem Stadtplan gelesen habe. Irgendwann finde ich eine Pizzeria. Und da sitze ich jetzt, hundemüde und hungrig. Werde mir nachher doch noch einmal ein Taxi nehmen. Will noch vor Mitternacht ins Internet.
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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