TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 11 21.-27. Juni 2008: Fremde Welt

Eigentlich ist heute kaum etwas passiert. Ausser dass ich in einer völlig fremden Welt eingetroffen bin. Einmal mehr.

Ich bin immer noch im gleichen Land in dem ich mit der Fähre durch die Kanäle gefahren bin, in Puerto Montt auf dem Fischmarkt gestaunt und gestern noch Pinguine und Seelöwen beobachtet habe. Ich bin gestern Abend in den Bus gestiegen und der fuhr mit etwas Verspätung um 22.00 Uhr ab. Draussen war es stockfinster, es gab nichts zu sehen. Aber ich wusste ja, dass wir in den Norden fuhren, wo ich schon gestern gefahren war. Trockene Halbwüste.

Die Nacht verbrachte ich mit stundenweisen Schlafhäppchen. Ich hatte mir die Fahrt wieder einmal in 6-Stunden-Teile eingeteilt und als ich um vier Uhr morgens einmal auf die Uhr sah, hatte ich schon einen Drittel hinter mir.

In diesem Bus gab es einen neuen Service, den ich so noch nie gesehen hatte. Hier wurde mit der Laufschrift nicht die Zeit angegeben, sondern die Geschwindigkeit. Und sobald das Tacho über 100 stieg, ertönte zusätzlich ein feiner Pips-Ton, so dass der Chauffeur seine Geschwindigkeit gleich wieder auf 99 einpegelte. Ausserdem stand da auch, dass man bei Verfehlungen von Zeit und Geschwindigkeit, die Angaben mit Ort und Namen des Chauffeurs melden sollte. Und damit man das auch kann, wurde von Zeit zu Zeit auch der Name des Chauffeurs angezeigt, und wie lange er schon am Steuer sass. Nicht mehr als 5 Stunden war erlaubt, so steht es in jedem Bus von TurBus, der Organisation, mit der ich in Chile vorwiegend unterwegs bin.

Gegen neun gab es Frühstück: einen Schokokeks und einen Ananassaft aus der Tüte. Danach gab es nichts mehr, ausser einem gelegentlichen kurzen Halt in zwei bis drei grösseren Ortschaften.

In der Atacama-Wüste

In der Atacama-Wüste

Draussen war Wüste. Nichts als Wüste. Eine einsame Stromleitung entlang der Strasse und schwarzer Sand. Gelegentlich Industriebauten, Hütten, ein kleines Restaurant, und sonst gar nichts. Schwarzer Sand, manchmal ein paar Steine darauf, wie hingestreut. Absolut flach. Über Stunden.

Es ist die Atacama-Wüste, der trockenste Ort der Welt, durch die wir fuhren. Hier in der Gegend wird Eisenerz abgebaut, einer der Bodenschätze Chiles. Es gibt darum hier auch manchmal Schienen und Transportzüge. Und plötzlich war da eine Stadt. Wie aus dem nichts heraus entstanden. Mit Sportplätzen, Hochhäusern, Appartments und einfachen Behausungen. Es war die Hafenstadt Antofagasta hier wird ein grosser Teil des Eisens verschifft. Wichtigster Handelspartner von Chile ist seit ein paar Jahren China. Das hatte Marcelo gestern erzählt.

Ein eindrückliches Pneulager. Oder sind es Altpneus?

Ein eindrückliches Pneulager. Oder sind es Altpneus?

Schon bald hatten wir aber diese Stadt auch wieder hinter uns gelassen. "Noch fünf Stunden bis San Pedro", meinte der Adjudante, als ich ihn fragte. Auch das werde ich schaffen, dachte ich, es war ja noch nicht einmal Mittag. Weiter ging es durch diese Sand- und Steinwüste. Noch einmal ein kurzer Halt in Calama und dann änderten wir die Richtung. Fuhren nach Osten, Richtung Anden. Und plötzlich veränderte sich die Landschaft. Weite Täler taten sich auf, weit hinten Berge, Felsen ragten aus dem Sand und manchmal gab es gar ein paar Pflanzen. Faszinierende Ausblicke, eine Vielfalt von Farben. Schwarz, blau, rot, grau, weiss und gelb. Alle Tönungen nahm die Gegend plötzlich an. Eine völlig neue Welt tat sich da auf. Wir kamen zu einem Ort und hier hielt der Bus auf einem staubigen Parkplatz an. Vier Uhr Nachmittags. Endstation.

Wir sind in San Pedro de Atacama angekommen. Und jetzt? Wie weiter? Weit und breit kein Taxi. Eine Frau bot ein Hostal an. Ich versuchte mein Glück erst einmal zu Fuss. Auf der staubigen Naturstrasse zog ich tapfer meine Reisetasche hinter mir her. Wo ist das Zentrum? Der einfache Stadtplan, den eine Koreanerin, die mit im Bus war, bei sich hatte, half da nicht weiter. Ich versuchte mein Glück in einem Restaurant. Ob man mir ein Taxi rufen könnte? Nein, keine Lust oder keine Zeit. "Da die Strasse hinunter finden sie ein Taxi".

Also weiter. Und dann holte mich die Frau, die mir schon ihr Hostal angeboten hatte, mit dem Auto ein. Ob ich denn wisse, wohin ich wolle? "Nein", gab ich kleinlaut zu, "ich suche ein Taxi". "Die sind auf der anderen Seite, und die Hotels auch". Ob sie denn ein Zimmer mit Bad anbiete, wollte ich wissen. Ja, hat sie. Also was soll's, ich stieg ein und schon bald war ich in einem gemütlichen Zimmer mit eigenem Bad und Internet gibt es auch. Allerdings im Aufenthaltsraum und so werde ich heute wieder einmal meinen Stick brauchen.

Die Hauptstrasse

Die Hauptstrasse

Zuerst mache ich aber einen Rundgang durch den Ort. Ich komme mir vor, als ob ich auf einem anderen Stern gelandet wäre. Fast alle Häuser sind einstöckig. Und sie sind aus diesem rötlichen Sand und Stein gebaut, aus dem die ganze Gegend besteht. Ich finde die Hauptstrasse. Sie heisst Caracoles, was Schnecken heisst. Hier gibt es jede Menge Boutiquen mit Souvenirs und Handarbeiten. Ein paar Restaurants und vor allem Agenturen, die Ausflüge organisieren.

Die Kirche

Die Kirche

Ich buche also einen Ausflug für morgen früh. Werde um vier Uhr abgeholt. "Und bitte warm anziehen, wir fahren in die Höhe, es wird minus 15 Grad haben". Das sind ja wunderbare Aussichten, ich werde also wieder einmal alles anziehen müssen, was meine Reisetasche hergibt. Auch jetzt, wo die Sonne langsam untergeht, wird es empfindlich kalt. Ich gehe besser zurück ins Hostal und ziehe mich etwas wärmer an, bevor ich zum Essen noch einmal raus gehe.

18.30 Uhr, letztes Licht

18.30 Uhr, letztes Licht

Ja und eigentlich glaubte ich, der Tag sei damit gelaufen. Aber weit gefehlt. Es war schon richtig dunkel, als ich mit um sieben auf den Weg machte zum Nachtessen. Zwar bin ich nicht besonders gut in der Orientierung, aber den Weg zur Caracoles traute ich mir zu. Die war ja bestimmt beleuchtet.

Kaum hatte ich allerdings den Lichtkreis des Hostals verlassen, stand ich in völliger Dunkelheit. Die Strsse konnte ich eher erahnen, denn sehen. Weiter oben der Spielplatz war beleuchtet, also hielt ich darauf zu. Und dann, wie weiter? Rechts hinauf. Da war ich am Nachmittag schon mal gegangen. Es ist kaum zu beschreiben, aber ich sah wirklich absolut nichts. Manchmal kam mir ein Auto entgegen oder es kam von hinten. Dadurch wurde die Strasse kurzfristig beleuchtet und es tauchten neben mir auch noch andere Getalten auf, die in irgend eine Richtung strebten. Irgendwann kam ich an einer Bäckerei vorbei, die noch offen hatte. Als ich längst vorbei war, kam mir in den Sinn, dass ich hier wenigstens etwas hätte kaufen können, denn ich hatte wirklich Hunger. Das war auch der Grund, dass ich überhaupt bei diesen Verhältnissen noch hinaus gegangen war. Ich wollte unbedingt noch etwas essen. Ich tappte also weiter. Mit blindem Vertrauen. Manchmal glaubte ich, irgendwo eine Strassenlampe zu sehen, abe wenn ich näher kam, war es nur ein Auto, das parkiert war. Was ich aber dafür sah, war der Sternenhimmel. Wunderbar, wie der sich da über mir ausbreitete. Hätte ich nicht so Hunger gehabt, hätte ich ihn bestimmt mehr bewundert. Irgendwann kamen mir die Mauern etwas bekannter vor und nicht lange darauf stand ich wieder vor meinem Hostal.

Ich fand, dass ich einen zweiten Versuch zugute hätte und fing gleich noch einmal an. Als ich wieder bei der Bäckerei vorbei kam, kaufte ich ein Erdbeertörtchen, Brot war keines mehr zu haben, und fragte nach dem Weg. Nur immer geradeaus, der Strasse nach, sagte der freundliche Bäcker. Das tat ich dann auch, das heisst ich ging der Strasse entlang, auch als diese eine starke Rechtsbiegung machte und siehe da, ich kam in die Caracoles und fand eine Pizzeria. Die Pizza war wunderbar und nach der Rechnung fragte ich, ob man mir ein Taxi rufen könnte. Das war ein sehr interessantes Stichwort. Der Kellner kratzte sich verlegen und fragte dann eine junge Frau, worauf diese anfing, im Restaurant die Gäste zu fragen, ob jemand eine Camioneta dabei hätte. Das schien nicht der Fall zu sein, worauf sie sich ans Handy hing. Ich wartete eine gute Viertelstunde, ohne dass sich etwas tat und fragte dann den Kellner, ob die Suche noch im Gange sei. Ja, meinte er, worauf ich ihn bat, die Aktion abzubrechen. Hatte ich das Restaurant gefunden, würde ich auch den Heimweg wieder finden.

Plötzlich waren die Strassen beleuchtet. Und jetzt, wo ich es sehen konnte, gab es keine Strassenschilder. Und die Karte, die ich vom Hostal bekommen hatte, gab auch nicht viel her. Aber auf jeden Fall war ich wieder falsch, soviel erkannte ich, denn ich konnte mich an gar nichts erinnern und die Bäckerei war auch nicht mehr am Weg. Also, den beleuchteten Strassen nach zurück zum Restaurant und von da auf den dunklen Strassen weiter. Unterdessen war der Mond aufgegangen und die letzten 300 m, als ich die Beleuchtung meines Hostals schon erkannte, leuchtete er mir den Weg.

Ja, und jetzt werde ich das Erdbeertörtchen geniessen, bevor ich einschlafe. Und den Wecker stellen.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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