TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 12 28. Juni-4. Juli 2008: Vorsicht

La Paz, der Friede. Eine neue Stadt, eine neues Land, eine neue Herausforderung. Jedesmal, bevor ich die Grenze irgendwo überschritten hatte, hat mich jemand gewarnt. Pass auf! Da war schon Alé, der mich in Iguazu vor Paraguay gewarnt hatte, im Süden von Argentinien hatte man mir erzählt, in Chile seien die Leute ganz anders. Und jetzt wieder, in Arica hat man mich vor Bolivien gewarnt.

Eine gesunde Vorsicht ist bestimmt überall angebracht. Ich passe darum auch immer auf, dass ich das Portemonnaie immer sofort versorge und den Reissverschluss schliesse. Ausserdem trage ich die Tasche immer so, dass das Geld nah beim Körper ist. Und ich trage die Tasche immer gekreuzt über der Schulter, so dass sie mir nicht entrissen werden kann. Worauf ich beim Taxi achten muss, hatte ich gestern abgeklärt. Also war ich besten Mutes als ich um elf heute Morgen das Hotel verliess.

Aussicht von der Hotel-Terrasse

Aussicht von der Hotel-Terrasse

Vorher hatte ich mir von der Dachterrasse des Hotels noch einen Überblick über die Stadt verschafft. La Paz ist an den Berg gebaut, es geht also immer rauf und runter. Die Armenviertel, die Favelas liegen oben über der Stadt. Sie sind unterdessen eine eigene Stadt. Ein Moloch mit über einer Million Einwohnern und täglich werden es mehr. Wahrscheinlich ist es wirklich nicht empfehlenswert, da hinauf zu gehen, vor allem nicht allein, auch wenn von da oben die Aussicht auf die Stadt noch so toll sein soll. Das ist aber auch das Einzige das diese Stadt, El Alto den Einwohnern bietet, der Blick auf die Reichen, auf die Besseren.

Aber auch im unteren Teil, in La Paz gibt es kaum eine ebene Strasse, das merke ich bereits, wie ich aus dem Hotel trete und die Strasse hinaufsteige. Ich will zur Kathedrale. Langsam, immer daran denken, dass ich mich in über 3'500 m Höhe befinde.

in der Kathedrale

in der Kathedrale

Ich trete in die Kathedrale. Sie ist dunkel und leer, aber aus einem Lautsprecher scheint jemand zu predigen. Ich brauche einige Zeit, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen und ich erkenne, dass da in den vordersten Bänken ungefähr zehn Personen sitzen. Für die hält ein Priester eine Predigt. Ich knipse noch ein paar Fotos von den wunderschönen farbigen Kirchenfenstern und gehe wieder hinaus.

Kathedrale

Kathedrale

Ich brauche unbedingt Geld. Bald finde ich einen Bankautomaten und weil ich noch keine Ahnung habe, was diese Bolivianos wert sind, versuche ich den Maximalbetrag zu beziehen. 300 Bolivianos. Ich finde das zwar etwas wenig, aber für den Automaten ist das bereits zu viel, er gibt nur 200 her. Was soll's, es ist ein Anfang.

Kurz darauf spricht mich eine junge Touristin in schlechtem Englisch an. Anscheinend sucht sie ihr Hotel und zufällig hält sie eine Karte vom Hotel in der Hand, in dem ich auch bin. Es braucht ziemlich viel, bis sie versteht, dass ich auch Spanisch mit ihr sprechen kann, vor allem, da sie kaum Englisch kann. Sie sei Chilenin. Ich zeige ihr den Weg und als ich mich an einer Kreuzung über die richtige Richtung vergewissere, sieht sie auf der anderen Strassenseite eine Kirche und will unbedingt, dass ich sie vor dieser Kirche fotografiere.

Fassade von Santo Domingo

Fassade von Santo Domingo

Sie scheint nicht sehr viel vom Fotografieren zu verstehen, denn sie stellt sich in den Schatten und ist auf der Foto kaum zu erkennen. Ich erkläre ihr, dass sie sich in die Sonne stellen soll, aber sie möchte jetzt eine Foto von mir machen. Mit meiner Kamera. Das brauche ich nicht, ich mache ein paar Fotos von der schönen Fassade. Sie will in die Kirche. Wir treten also beide in die Kirche mit gezückten Kameras, und werden prompt von einem Mann abgefangen. "Halt, fotografieren verboten!" Ich packe meine Kamera wieder ein, murmle ein "Perdoname" und will gleich wieder aus der Kirche hinaus.

Doch der Mann will die Pässe sehen. Die Chilenin hat Passkopien dabei, ich habe meinen Pass im Hotel gelassen. Mit einem Ausweis weist sich der Mann als Polizist aus und wird ziemlich ungehalten, weil ich keine Papiere da habe. Ich gebe ihm meine ID, die ich immer dabei habe. Er sieht sie kaum an. "Mitkommen, ich muss das genau überprüfen." Es braucht viel, bis ich reklamiere, aber diesmal empöre ich mich "Das ist unglaublich, sowas ist mir noch nie passiert." Draussen steht ein Auto, da sollen wir einsteigen. "Nicht einsteigen", mahne ich die Chilenin, aber sie sitzt schon drin. "Ich werde da auf keinen Fall einsteigen", sage ich zu dem Mann, "sie haben meine ID, das muss genügen". Wie er merkt, dass es mir ernst ist, gibt er mir die ID zurück, steigt ins Auto und verschwindet so schnell mitsamt Chauffeur und Chilenin, dass ich nicht einmal mehr Zeit habe, das blaue Auto zu fotografieren.

Einen Moment noch befürchte ich das schlimmste für das Mädchen, bis mir aufgeht, dass sie auf mich angesetzt war. Sie musste mich in die Kirche bringen. Wahrscheinlich haben die mich gesehen, wie ich am Bankautomaten war. Hätte sich nicht einmal gelohnt, denn die 200 Bolivianos sind gerade mal 28 Franken, wie ich kurz darauf in einem Internet abkläre. Muss unbedingt sehen, wie ich zu Geld komme. Vorerst aber gehe ich noch einmal in die Kirche und knipse die Foto, von der der Typ mich abgehalten hatte. Die Kirche heisst Santo Domingo.

Heiliger Bimbam!!!

Das Innere von Santo Domingo

Das Innere von Santo Domingo

Dann gehe ich zurück auf den Platz vor der Kathedrale und schaue dem bunten Treiben zu. Den kleinen Schuhputzern, die auf Kundschaft warten und jeden mit geschlossenen Schuhen fragen, ob er seine Schuhe polieren dürfe. Den bunt gekleideten Frauen, die fertig dekorierte Desserts verkaufen. Ich nehme an, diese Verkäufe müssen ziemlich schnell abgehandelt werden, sonst zerfliesst die ganze Herrlichkeit.

Dessert gefällig?

Dessert gefällig?

Kinder streuen Maiskörner aus und freuen sich an den Tauben, die diese wieder aufpicken. Alle Bänke sind besetzt, so dass ich bald weiter gehe. Das Kunstmuseum ganz in der Nähe öffnet erst um drei Uhr Nachmittags. Also gehe ich zur Kirche San Francisco, da wo ein Markt sein soll. Es ist noch ziemlich ruhig hier, die Kirche ist geschlossen. In den vielen Blumenständen werden wunderschöne Arrangements mit echten Blumen hergestellt und angeboten. Gleich neben der Kirche entdecke ich ein kleines ruhiges Cafe in einem schönen Hof. Es ist der Hof, der zum Museum der Kirche gehört. Hier genehmige ich mir einen Cappuccino mit einer Schokoladenkugel. Die habe ich mir jetzt verdient.

Im Moment habe ich genug von der Strasse. Das Museum der Kirche ist geöffnet, darum kaufe ich ein Eintrittsbillet und bekomme eine junge Museumsführerin, die mir die Räume erklären soll. Sie fragt mich zuerst, ob ich eine Stunde Zeit hätte, solange würde die Führung nämlich dauern. Was wenn nicht? Selbstverständlich habe ich Zeit. Also zeigt sie mir die Kirche. All die goldenen Altäre sind in Wirklichkeit golden bemaltes Holz. Ich darf keine Fotos machen. Das darf man erst, wenn die Kirche um drei Uhr aufgeht. "Ja", gibt sie zu, "das ist eine eigenartige Regel, aber Regeln sind halt manchmal so."

Der Klosterhof der Kirche San Francisco

Der Klosterhof der Kirche San Francisco

Wir gehen hinunter in die Krypta, wo die Helden des Landes begraben sind, oder wenigstens ein paar Erinnerungen an sie aufbewahrt werden. Zum Beispiel an die Gefallenen des Pazifikkrieges, deren chilenische Helden ich vorgestern in Arica gesehen hatte. Auch die Zellen des Franziskanerklosters und die Weinbodega zeigt sie mir. Die Säulengänge draussen darf ich übrigens fotografieren, aber die Gemäldesammlungen selbstverständlich nicht.

Kirche San Francisco

Kirche San Francisco

Dann geht es hinauf zum Chor. Hier stehle ich mir eine Foto, denn diese kann ich später nicht mehr machen, wenn die Kirche offen ist. Hier oben gibt es antike Messgewänder zu bewundern, aber was mich viel mehr interessiert, ist der Aufstieg zum Glockenturm und zum Dach der Kirche. Hier hat man einen wunderbaren Blick hinunter auf den Kirchenplatz und die nächsten Strassen.

Wieder unten auf der Strasse schlendere ich noch durch den Markt, wo fast alles angeboten wird, was man sich vorstellen kann. Von Küchenmaschinen bis Farbstiften. Brot, offene Getränke, sowas wie Berliner mit Honigfüllung, die die Verkäuferin nach Bedarf in das Gebäck hineinspritzt. In einem kleinen Souvenirladen kaufe ich eine Kissenhülle aus Alpacafell und bei einem Strassenmaler ein kleines Bild mit meinen Lieblingsblumen, den Callas. Irgendwann habe ich auch einen Bankautomaten gefunden, der mir einen grösseren Betrag ausspuckte. Diesmal habe ich mich aber vor und nachher sorgfältig umgesehen, ob mich jemand beobachtet. Das ist zwar in diesem Menschengewimmel ziemlich schwierig.

Bevor es dunkel wird, gehe ich zurück zum Hotel, um mich etwas auszuruhen und den Tag noch einmal vorbeiziehen zu lassen. Es war wieder ein Tag voller Eindrücke, voller Leben und Menschen. Mit vielen Begegnungen und auch wenn nicht alle so erfreulich waren, so waren es letztendlich eben doch Erfahrungen.

Zum Nachtessen werde ich mir ein Taxi bestellen.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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