TimeOut in Südamerika
Woche 5 10.-16. Mai 2008: Muskeln
Er kam pünktlich um halb elf. Und er blieb genau eine Stunde. Er fand den Muskel auf Anhieb. "Nein, das war keine falsche Bewegung. Du hast diesen Rücken massiv überbelastet. Hast du zu viel Gepäck geschleppt?" Und ob ich das hatte. Letzten Samstag, auf dem Flugplatz, in der Warteschlange, als ich glaubte, alles in den Rucksack packen zu müssen, weil ich im Koffer nicht so viele Kilos haben durfte, wie bei den vorherigen Flügen. Es war dann zwar doch zu viel drin und ich habe das Übergewicht mit ein paar Pesos bezahlt. Und ausserdem mit einem lädierten Rücken.
Ja und genau an dem arbeitet Marcelo jetzt "Tut es weh?" will er wissen. "Nein nicht direkt, aber ich spüre es. Ich spüre es bis in die Fingerspitzen." "Ja das sind die Nerven."
Ich sitze in meinem Zimmer auf dem Stuhl ohne Lehne und Marcelo behandelt meine linke Schulter, als ob das kurz vor Mitternacht völlig normal wäre. Ich hatte noch nie eine Physiotherapie, habe also keine Vergleichsmöglichkeit, aber ich glaube, ich hätte keinen besseren Therapeuten finden können. Marcelo arbeitet professionell, sicher und er findet es nicht aussergewöhnlich, dass er um diese Zeit noch gekommen ist. "Wir leben hier in der Wüste, da verschiebt sich alles ein wenig. Wir machen eine lange Siesta und arbeiten am Abend länger. Wir essen selten vor 22.00 Uhr."
Alles ist also nur eine Ansichtssache. Er will wissen, woher ich komme, was ich schon gesehen habe. Er hat eine eigene Praxis und arbeitet als Instruktor im Fitnesscenter. Oh, das sind doch die Orte, bei denen ich schon geistig einen grossen Bogen mache, weil die mich bestimmt nicht einmal hereinlassen und herablassend von oben bis unten mustern würden. Es gilt wieder einmal, ein paar Vorurteile zu begraben. Marcelo ist sehr nett und am Schluss zeigt er mir ein paar Übungen, die ich zur Entlastung regelmässig machen kann. "Und vielleicht gehst du einmal in ein Fitnesscenter und lässt dir gezielt ein paar Sachen zeigen". Ich fühle mich schon sehr viel besser und kann mir im Moment sogar das vorstellen. Der akute Schmerz ist weg. Marcelo will mir morgen ein paar Tabletten abgeben lassen, die meinen Muskeln helfen, schneller zu heilen und er würde auch morgen noch einmal kommen, ich müsse mich nur bei seinem Vater melden.
Ich habe sehr gut geschlafen, diese Nacht. Keine Schmerzen, kein Aufwachen vor dem Morgen. Das war ja mal wieder typisch gewesen mit dieser Schulter. Alles hatte Schuld sein müssen: zu wenig geschlafen, zu viel gelaufen, zu viele Eindrücke. Und dann war es einfach nur dieser blöde Stolz, immer alles zu schaffen. Selbstverständlich hätte ich am Samstag einen Gepäckwagen nehmen und mein Gepäck aufladen können, es standen genug herum. Aber nein, ich glaubte, ich könnte den Computer und die schwere Handtasche umhängen, den Rucksack auf den Rücken nehmen und den schweren Koffer als Wagen ziehen. Das mit dem Wagen ziehen ging ja, aber das ganze Gewicht hing an mir und ich konnte nach all den Stunden in der Warteschlange kaum mehr die Finger der linken Hand bewegen. Und dann war ich den ganzen Sonntag halb tot. Meinte das hätte mit meiner Psyche etwas zu tun. Dabei war es nur der Körper, der rebelliert hatte.
Heute ging ich alles leichter an. Holte zuerst meine Wäsche aus der Wäscherei. Im Quartier wo ich wohne hat es sehr viele Mercerien. Hier gibt es Faden zu kaufen, und Knöpfe. Reissverschlüsse und all das kleine Zubehör, das man beim Nähen braucht. Um zur Wäscherei zu kommen, musste ich ausserdem durch das Quartier der Möbelhändler. In ihren kleinen Werkstätten, die bis hinaus auf die Strasse gehen, stellen sie Tische, Stühle, Bettgestelle und ganze Schränke her. Da wird auf der Strasse gesägt, gebohrt und geschliffen. Auf der Strasse stehen auch die fertigen Polsterstühle, die Schränke stehen drin. Dicht an Dicht. Da gibt es keine Möglichkeit, sich das neue Möbelstück aus einem Meter Distanz in Ruhe anzusehen, um sich vorzustellen, wie es am neuen Ort aussehen würde.
Als nächstes geht es durch die Strasse der Stoffhändler. Oh, da könnte ich schwelgen. Würde mir gleich neue Vorhänge nähen. Und den Couch überziehen. All die wunderschönen Dekostoffe, die da angeboten werden. Und erst die Kleiderstoffe! Da bekomme ich gleich wieder einmal Lust zum Nähen. Und dann noch um die Ecke bei der Metzgerei, wo die halben Kühe im Schaufenster hängen, schon bin ich bei der Wäscherei. Die riesige Waschmaschine, von der ich geträumt hatte, steht hier gleich neben dem Eingang. Mindestens zwei böse Buben hätten darin schon Platz. Ob saubere Wäsche leichter ist, als schmutzige? Kaum, so schmutzig war sie ja auch nicht. Aber sie lässt sich besser einpacken.
auf der Plaza España
Dann schlendere ich durch die Fussgängerzone zur Plaza de España. Dort setze ich mich auf eine dieser gekachelten Bänke und beobachte die Leute. Die Kinder, die sich an den Bänken freuen, weil sie auf beiden Seiten so gut rauf und runter klettern können. Die Jugendlichen, die hier ihre Mittagspause verbringen. Und die Jungs, die eine Partie Fussball spielen. Die Schultaschen markieren die Tore. Ob da wohl ein junger Maradona dabei ist? Irgendwo hat ja auch der seine ersten Tore gekickt.
Und dann ging ich ins Kunstmuseum. Fotos zum Thema "Die Territorien unserer Haut". Interessante Einblicke in unsere nächste Umgebung. Und ein paar Installationen zum Thema Leben und Erde. Vor allem gefiel mir die filigrane Installation mit der Erde und ihrem Schatten in der Hand der Menschen.
Zum Mittagessen setzte ich mich in eines der Strassencafés in der Fussgängerzone und bestellte eine Lasagne. Es war eine gewaltige Masse Essen was da vor mich hin gestellt wurde. Gemeinsam mit einer Lasagne hatte sie das Überbacken sein und vielleicht noch die Fleischsosse, die obenauf lag. Sonst aber war es ein aufgeschichtetes Etwas aus Gemüse, Fleisch, Käse und Ei. Was da wohl Pasta hätte sein sollen, war eine luftige Omelettenmasse. Nicht, dass es nicht geschmeckt hätte, aber manchmal hat man einfach ein Bild im Kopf, und wenn nicht das auf den Tisch kommt, verliert man den Appetit. So erging es mir jedenfalls und der grösste Teil der Portion musste zurück genommen werden. Dann spazierte ich zum Busterminal. Plötzlich hatte ich wieder genug Energie und es war keine Rede mehr davon, ein Taxi zu nehmen. Im Gegenteil, ich genoss den Spaziergang durch die verschiedenen Quartiere.
Auffallend auf den Strassen Mendozas sind übrigens nebst den unzähligen grossen und kleinen Kiosken die vielen Blumengeschäft. Und sie sind auch spät nachts noch offen. Hier kann wohl niemand einen Geburtstag mit der Ausrede vergessen: "Die Blumengeschäfte waren schon geschlossen..."
Die Handtasche hatte ich heute im Hotel gelassen. Ich war mit kleinstem Gewicht unterwegs. Nur etwas Geld und den Fotoapparat. Mehr wollte ich meiner Schulter heute nicht zumuten, denn langsam kamen die Schmerzen zurück. Darum machte ich es am Nachmittag wie die Einheimischen und legte eine lange Siesta ein. Und heute Abend werde ich Pol (kommt von Leopol) bitten, seinen Sohn noch einmal anzurufen. Ausserdem werde ich den Rest meines Rotweins trinken, der in der Bar auf mich wartet.
Und jetzt mache ich noch einen nächtlichen Spaziergang durch die Stadt. Unterdessen sind all die vielen zusätzlichen Verkaufsstände wieder aufgegangen. Hier werden die schicksten Sonnenbrillen verkauft. Und Socken in allen Farben, Parfüms und Reinigungsmittel, goldener Schmuck und schillernde Uhren. Und auf dem Plaza de la Independenzia haben die Handwerkerstände ihre Waren wieder ausgestellt. Wie jeden Abend ab 18.00 Uhr. Vielleicht leuchtet jetzt auch der grosse Escuda in allen Farben.
Der Escudo bei Tag
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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