TimeOut in Südamerika
Woche 3 26. April.-2. Mai 2008: Notizbuch
Buenos Aires. Eine Weltstadt. Es könnte jede Stadt sein: Paris, London, Rom, Madrid, aus jeder gibt es Inspirationen, aber es ist Buenos Aires. Ein Name wie eine Melodie. Alles ist gewaltig. Die alten Gebäude mit riesigen Säulen, klassischen Fassaden in allen Stilrichtungen oder die neuen verspiegelten Bürohochhäuser. Und die übergrossen Reklameschilder. Die Avenidas, wo der Verkehr unaufhörlich fliesst.
Beidseitig 7-spurig. Auf der breitesten Strasse der Welt. 140 m breit ist sie und sie hat einen breiten Grünstreifen in der Mitte und zwei schmalere neben den sieben Fahrspuren und dann noch einmal zwei Fahrstreifen auf beiden Seiten. Die Avenida 9 de Julio.
Mit dem riesigen Obelisken. 67 m hoch steht er unübersehbar auf der Plaza de la República. Immer wieder begegnet er mir im Laufe des Tages. Ich schlendere durch die Strassen. Durch Häuserschluchten und breite Avenidas. Dieser Mix aus allen Stilen. Hier ein Türmchen im Jugendstil, eingebettet in ein modernes verglastes Gebäude.
Gleich daneben der Justizpalast. Er ist offen. Drinnen warten die Leute geduldig vor Büros mit altertümlichen provisorischen Beschriftungen, die aussehen, als ob morgen die ganzen Zuständigkeiten neu geordnet würden, vor dem antiken Fahrstuhl mit Liftboy, am Infoschalter. Es gibt keine Kontrolle, niemand fragt, was ich da zu suchen hätte. Da ich aber wirklich nichts brauche, trete ich weder hinaus in die Sonne, schlendere weiter. Beobachte den Verkehr. Fussgänger scheinen sich nicht um Ampeln zu kümmern. Sie richten sich nach den Autos. Wenn diese fahren, bleiben sie an den Strassenrändern stehen und wenn die Autos stehen, überqueren die Fussgänger die Strasse.
Bei den Autos ist es genau umgekehrt. Die kümmern sich nur um die Ampeln, und überhaupt nicht um die Fussgänger. Sollte doch einmal einer auf der Strasse sein, wenn die Ampel auf Grün wechselt, wird nicht die Bremse eingesetzt, sondern die Hupe.
Eigentlich wollte ich die Führung des Teatro Colon nicht verpassen, die um elf angesagt war. Aber das Haus ist geschlossen. Umbau. Wird bestimmt ein paar Jahre dauern. Nur ein ganz kleines Kabinett ist zugänglich. Hier werden ein paar Bühnenbilder und Kostüme gezeigt.
Ich bin etwas enttäuscht und will gerade wieder hinaus, das sehe ich es: mein neues Notizbuch. Hatte schon geglaubt, ich müsste anfangen, auf lose Blätter zu schreiben, denn mein altes Buch mit dem Einband aus handgeschöpftem Papier aus Guatemala ist bald voll geschrieben. Gerade rechtzeitig finde ich das neue Notizbuch. Eingebunden in weiches rotes Leder mit einem Lederbändel zum binden und mit goldgeprägtem Emblem des Teatros Colon auf der ersten Seite. Ein sehr feines Souvenir aus dieser Stadt, das mich in den nächsten Wochen begleiten wird. Vielleicht gibt es wirklich keine Zufälle.
Weiter gehe ich durch die Avenida Corrientes. Die Strasse mit den Kinos und Theatern. Ich will heute Abend ins Theater, soviel steht fest. Die Türen sind allerdings noch geschlossen aber ich werde später wieder kommen. Und dann kommen die Buchläden und Buchhandlungen. Ich könnte mich stundenlang darin verweilen, in Fotobänden schmökern, Romantitel übersetzen, Kinderbücher durchblättern. Nur gut, dass mein Spanisch nicht so gut ist, sonst würde ich hier wohl einiges einkaufen. Ausserdem habe ich noch einen Vorrat an deutschen Büchern in der Reisetasche. Wenn diese gelesen sind, werde ich mich trotzdem mit spanischen Büchern eindecken müssen. Vorläufig kaufe ich einen Reiseführer von Buenos Aires in Spanisch und Englisch.
Im Café La Paz kehre ich auf einen Cappuccino ein. Das ist eines der traditionellen Kaffeehäuser, wo sich früher bekannte Literaten getroffen haben. Also genau der richtige Ort, um die ersten Einträge in mein neues Notizbuch zu machen, den Reiseführer zu studieren und den Passanten auf der Strasse zuzusehen.
Später komme ich durch die Fussgängerzone Florida. Hier gibt es Gaukler und Musikanten. Die beiden Panflötenspieler kommen aus Peru und bringen eine sehnsüchtige Stimmung in die elegante Ladenstrasse. Und der Gaukler zeigt wie er sich mit Scherben das Gesicht wäscht. Dann springt er barfuss aus einem halben Meter Höhe in den Scherbenhaufen. Als er noch mehr abgeschlagene Flaschenhälse aufrecht in den Scherbenhaufen steckt und sich bäuchlings darauf legen will, muss ich weiter. Ich kann da nicht mehr zusehen
.
Weiter vorn komme ich zur Casa de Gobierno, zur Casa Rosada, da wo vom Balkon Evita (oder war es Madonna?) die Huldigungen ihres Volkes entgegennahm. Der Platz davor heisst Plaza de Mayo und im Moment wird er von unzähligen Polizisten überwacht. Morgen ist erster Mai. Durch die Avenida de Mayo, wo bis vor ein paar Jahren die Mütter jede Woche gegen das Verschwinden ihrer Söhne protestiert haben, bummle ich zurück zum Hotel.
"Was wird morgen los sein, in der Stadt?" Will ich von Massimo wissen, der wieder an der Rezeption steht. "Oh, es ist der Tag der Arbeit, niemand arbeitet und es wird viele Leute haben," meint er. Ob es Demonstrationen geben wird, ich habe viele Polizisten gesehen. "Nein, es sollte eigentlich alles ganz ruhig bleiben" beschwichtigt er mich. Nie würde er irgendetwas zugeben, was einen Schatten auf seine geliebte Stadt werfen könnte. Ausserdem will er wissen, wo ich gestern gegessen hätte, ob ich seinen Rat befolgt hatte? Ja, ich war im Palacio de los papas fritas (im Palast der frittierten Kartoffeln) und habe ein feines Rindsfilet mit Pommes gegessen. Das war so gross, dass es davon bei uns mindestens zwei gegeben hätte. Aber trotz der Dicke war es zart und genau auf den Punkt gebraten.
Dass ich mich auf dem Heimweg verlaufen hatte, habe ich ihm nicht verraten. Und wo die Obdachlosen ihre Nahrung suchen, erzähle ich vielleicht ein anderes mal.
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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