TimeOut in Südamerika
Woche 4 3.-9. Mai 2008: Verrückt
Es geht mir nicht gut heute Morgen. Da ist ein leichtes Seitenstechen und ausserdem habe ich Muskelkater. Bin gestern viel zu viel gelaufen. Und wahrscheinlich habe ich mich im Park auch noch erkältet, oder warum beisst jetzt meine Nase schon wieder? Wahrscheinlich sollte ich einfach noch etwas liegen bleiben, ausschlafen. Bin sowieso wieder zu spät nach Hause gekommen. Warum musste ich dieses Experimental-Theater der jungen Studenten unbedingt sehen, wäre besser schlafen gegangen...
Mit einem Wort: ich bin nervös. Und wie! Um 11.00 Uhr fängt die erste Tango-Stunde an. In San Telmo. Privatunterricht mit echten Showtänzern. Wie konnte ich mich nur darauf einlassen? Bin ich denn von allen guten Geistern verlassen? Warum hält mich niemand zurück, wenn ich wieder was Verrücktes anstelle? Mit meinen beiden linken Füssen. Ich war noch nie in einer Tanzstunde, hab sowieso immer ein Durcheinander mit meinen Beinen und ausserdem tanze ich eher nach Gefühl, wenn überhaupt. Und jetzt dies. Am Samstag, als ich Inés kennenlernte und sie mich mit ihren beiden Tanzpartnern bekannt machte, schien alles noch ein Spass zu sein, aber heute?
Doch da hilft nichts. Tango zum Duschen und Anziehen und angewöhnen. Was ziehe ich an? Rock und T-Shirt. Und die Stilettos werden eingepackt. Noch etwas Lippenstift und los. Wenn es eine Pille gäbe, die Mut macht, heute nähme ich sie.
Ich bin schon müde, als ich ankomme. Bin natürlich wieder zu Fuss unterwegs. Etwas Bewegung vorher kann wohl nicht schaden. Inés ist schon da. Mit Fernando. Und wo bitteschön ist die Toilette?
Sie haben viel Geduld, die zwei. Erklären die Schritte: 1 - 2 - 3 - 4 und 5, 6 - 7 stop. Es braucht volle Konzentration. Ich zähle und verhasple mich. "Und immer schön den Kontakt mit dem Boden nicht verlieren. Elegant bleiben, nicht die Beine verwerfen. Die Füsse müssen sich immer berühren, wenn sie sich nahe kommen. Und dann einen ganz langen Schritt... Und nochmal von vorn." Ich muss mich nicht nur auf die Schritte, sondern auch auf die Worte konzentrieren. Das ist ganz schön anspruchsvoll.
Inés erklärt, macht vor, Fernando führt. Der Mann führt immer, er bestimmt die Richtung, den Schrittwechsel. Es sieht alles so einfach aus, wenn die beiden mir zeigen, wie das funktioniert. Klar, kann ich das. Also los. Schon wieder die Beine falsch gekreuzt, zu hohe Schritte genommen. Die Füsse zu hoch angehoben, statt am Boden schleifen gelassen. Und rückwärts. Mit den Fussspitzen ertasten und abstellen. Ja, geht doch schon ganz passabel. Jedenfalls fürs erste mal.
Ich bin fix und fertig. Bestelle mir ein Taxi, brauche heute unbedingt eine Siesta. Aber morgen machen wir weiter, es macht irgendwie Spass und es kann ja nur besser werden. Unterdessen werde ich im Hotelzimmer ein wenig üben. Hoffentlich stört das meine Zimmernachbarn nicht.
Lange hat die Siesta nicht gedauert. Bin schliesslich in Buenos Aires, muss die Zeit nutzen und ausserdem habe ich Hunger. Also wieder hinaus. Auf die Plaza Congresso. Hier fühle ich mich unterdessen schon ziemlich zuhause. Hunderte von Tauben bevölkern den Platz, lassen sich von den Kindern füttern, die nicht müde werden, das Futter, das ihre Eltern soeben beim kleinen Kiosk gekauft haben, auszustreuen. Oder von Männern und Frauen, die hier ihre Brotresten entsorgen. Auf dem Boden liegt eine schöne grosse Feder. Grau. Von einer Taube. Ich stecke sie ein, als Souvenir von Buenos Aires. Ich gehe in eine Cafeterie in der Avenida Mayo. Bestelle einen Cappuccino und ein Stück Schokoladentorte. Der Cappuccino wird überall wieder ein wenig anders gemacht. Dieser enthält soviele Schokoladestücklein, dass ich mir die Torte hätte sparen können.
Manchmal sehe ich in Reiseführern Orte und Plätze, bei denen ich denke, das kann in Wirklichkeit gar nicht so aussehen und dann übertrifft die Wirklichkeit die Foto. La Boco ist so ein Ort. Hier im alten Hafen wurden die Wellblechhäuser von den Bewohnern bunt bemalt, um ihre Schäbigkeit zu überdecken. Jetzt bin ich da und alles ist noch viel schöner als auf den Fotos. Farbiger, kitschiger und viel lebhafter. Die Häuser leuchten in allen Farben. Maler haben ihre Bilder ausgestellt, Souvenirhändler warten auf die letzten Kunden. Die Tangotänzer machen gerade eine Pause und über alles legt die tief stehende Sonne ihre letzten Strahlen.
Die nächste Gasse liegt schon komplett im Schatten. Von den Balkonen an den Blechwänden grinsen übergrosse Pappmache-Figuren auf die wenigen Touristen, die noch geblieben sind.
Vor jedem Restaurant spielt eine Zwei-Mann-Band, tanzt ein Tänzer mit einer Touristin, macht sich ein Tourist beim Tango mit der hübschen Tänzerin lächerlich und wird genüsslich von seinen Begleitern fotografiert.
das sind echte Tangotänzer (ohne Touristenzusatz)
Obwohl es draussen schon kühler wird, decken die Kellner hoffnungsvoll nochmals zum Essen auf. Ich schlendere durch die Souvenirläden und dann überkommt mich schon wieder diese Verrücktheit. Und schon wieder hält mich niemand zurück. Im Gegenteil, der Verkäufer ist entzückt, und überlässt mir den feschen Cowboyhut zum Spezialpreis.
Dass ich auf der Rückfahrt wieder einmal eine Einladung von einem Taxifahrer erhalte, liegt allerdings nicht am Hut, sondern am Umstand, dass ich allein unterwegs bin. Und dass ich die Einladung nicht annehme, liegt am Taxifahrer...
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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