TimeOut in Südamerika
Woche 9 7.-13. Juni 2008: Windstärke 6
Eigentlich wollte ich am morgen aufstehen und zusehen, wie wir in Puerto Eden anlegen. Irgendwann spüre ich, dass das Schiff steht. Es ist sechs Uhr. Ich schaue kurz aus dem Fenster. Dunkelheit und dichter Nebel liegt über dem Wasser. Am Ufer ein paar Positionslichter. Ich muss das nicht unbedingt weiter untersuchen und schlüpfe zurück unter die warme Decke. Schlafe weiter. Schlafe auch noch, als es Frühstück gibt.
Gegen zehn Uhr gehe ich mit meinen Buch in den Aufenthaltsraum und um elf bestelle ich einen Campari. Ich habe kurz hinunter zu den Rindern gesehen. Sie stehen immer noch ruhig in ihren Wagen. Und sie bekommen Futter. Ein Angestellter wirft Strohballen in die Wagen. Wenigstens etwas. Einer der Angestellten ist für die Tiere verantwortlich und gibt ihnen Wasser und Futter, hat mir Juan gestern Abend noch erzählt.
Fütterung
Und jetzt ist Juan auch wieder da und macht mich auf ein Schiffswrack aufmerksam, dass da mitten in der Fahrrinne liegt. Es liegt schon ein paar Jahre da und ist völlig verrostet. Es ist auf einen Felsen aufgelaufen. Musste wohl. Der griechische Kapitän hatte Zucker geladen, der im Meer versickert ist. Später kam aus, dass er den Zucker bereits in Uruguay verkauft hatte. Er kam 3 Jahre hinter Gitter.
Zum Mittagessen finden sich die wenigen Passagiere ein, die geblieben sind. Ich komme mit Carlos ins Gespräch. Auch er ist immer wieder draussen, versucht Fotos zu machen, Stimmungen einzufangen. Er ist gar kein Amerikaner, wie ich gestern angenommen hatte. Er kommt aus Sao Paolo Brasilien und er hat den Winter hier im Süden genossen. Peter hat er auf der Reise getroffen und die beiden sind seit zwei Wochen zusammen unterwegs. Peter kommt aus San Francisco.
Nach dem Mittagessen mache ich noch meinen obligaten Rundgang draussen. Wir fahren zwischen Festland und vorgelagerten Inseln. Rechts ist das Festland mit schneebedeckten Bergen und links Inseln. Komplett bewaldet, meistens steile Küste. Unbewohnbar. Es gibt keine Ortschaften, keine Siedlungen auf beiden Seiten. Ja, es gibt nicht einmal eine Strassenverbindung von Puerto Natales nach Puerto Montt. Die Alternative zum Schiff wäre das Flugzeug gewesen oder die Busfahrt über Argentinien: El Calafate, Bariloche. Das wusste ich aber nicht, als ich mich spontan für die Schifffahrt entschieden hatte. Ich hatte auch keine Ahnung, durch welche abgeschiedene Gegenden ich fahren würde. Kein Natelsignal, kein Fernsehempfang auf dem Schiff und selbstverständlich kein Internet.
der 3. Offizier
Juan hat gesagt, dass ich jederzeit ins Steuerhaus gehen könne. Im Moment sind der 2. und der 3. Offizier am Ruder. Das Meer ist ruhig, hier zwischen Inseln und Festland. Der 3. Offizier beantwortet mir gern ein paar Fragen. 26 Stundenkilometer ist die Geschwindigkeit.
Selbstverständlich hat er mir die Frage in Knoten oder Meilen beantwortet, aber da mir das nichts sagte, rechnete er für mich um. Wir haben Gegenwind von 28 km. Die Strecke von Puerto Natales bis Puerto Montt beträgt gut 1'500 km. Am Nachmittag werden wir den Kanal verlassen und hinaus in den Golf, auf den Pazifik steuern. "Wann wird das sein?" will ich wissen. Mit einem Blick auf die verschiedenen Monitore meint er: "So gegen drei Uhr".
Ich verabschiede mich, gehe zurück in die Kabine und werde mir ein Mittagsschläfchen gönnen. Aber ich stelle den Wecker auf drei Uhr. Möchte es nicht verpassen, wenn wir hinaus auf das offene Meer kommen. Das hätte ich nicht zu tun brauchen. Um fünf vor drei spüre ich die erste Welle. Und zwar zünftig. Ich liege auf dem Bett, bin soeben erwacht und lasse mich schaukeln. Das ist gar nicht so unangenehm. Jedenfalls solange man liegt. Aufstehen und aufrecht gehen ist schon etwas schwieriger. Ich schaue aus dem Fenster. Nur noch Wasser und grauer Himmel. Lohnt sich nicht, raus zu gehen. Lieber lege ich mich wieder hin, lasse mich weiter schaukeln. Wie in einer Wiege. Hin und her. Und auf und ab. Unregelmässig.
Als vor meiner Kabine etwas durch den Gang fliegt und die Treppe hinunter poltert, will ich doch nachsehen wie es da draussen aussieht. Etwas mühsam ist es schon, die Schuhe anzuziehen. Zum Glück ist die Kabine eng, da kann ich mich überall festhalten. Bevor ich die Kabine verlasse, schaue ich mich um, ob da etwas ist, das herunterfallen könnte. Den Computer stecke ich unter die Bettdecke, da kann ihm am wenigsten passieren. Das Necessaire wird geschlossen und ins Lavabo gestellt. Und jetzt hinaus, auf die Brücke. Ganz oben begegnet mir Philippe, der Lastwagenchauffeur aus Frankreich. Eingemummelt in seine Wollmütze und die dicke Jacke. Wir lachen uns an. "Que tal? Wie geht es dir?" "Más o menos. Mehr oder weniger". Während er zurück geht, genug hat vom, Wind, der uns fast von der Brücke weht, sehe ich mich noch ein wenig um. Versuche ein paar Grau in Grau-Fotos zu machen.
die vorgelagerten Inseln
Auf dem Wasser hat es Schaumkrönchen. Ich gehe ins Steuerhaus. Juan ist da und stellt mich dem Kapitän vor. Auch der erste Offizier ist da. Der Kapitän ist konzentriert oder hat keine Lust, sich mit einer Touristin zu unterhalten, aber José, der erste Offizier lädt mich zum Tee ein.
Nachdem die normalen Fragen nach woher und wohin, und das Staunen, dass ich wirklich allein unterwegs bin, gelöst sind, möchte ich wissen, wie hoch die Wellen da draussen sind. Zwischen 3-4 Metern, manchmal auch höher. Was ist das für eine Windstärke? José zeigt mir die Grafik an der Wand, die die Windstärken beschreibt und gemeinsam entscheiden wir auf Windstärke sechs. Das ist ganz schön stark. Ich kann zwar nicht erkennen, dass die Wellen wirklich vier Meter hoch sind, denn sie überschlagen sich ja da draussen im Meer nicht, aber ich kann es spüren. Rollend und stampfend kämpft sich das Schiff durch die Wellen und es ist schwierig stehen zu bleiben.
Ich lehne mich lässig in eine Ecke und José hängt über dem Kartentisch. Wir betrachten schweigend das Meer. Der Tee tut gut. Ich muss zwar ständig aufpassen, dass ich ihn nicht verschütte. Aber das Schiff ist stabil. 113 Meter lang und 19 Meter breit. Ob ich nicht seekrank werde, will José wissen. "Nein, ich habe schon stürmischeres Meer erlebt", erkläre ich tapfer, und hoffe, dass ich diese Antwort nicht zu voreilig gegeben habe.
Der Aufenthaltsraum
Später setze ich mich in den Aufenthaltsraum. Ich will zwar nichts essen, aber ich möchte jetzt nicht schon wieder allein in der Kabine liegen. Ausserdem beobachte ich gern. Plötzlich ein Schlag und alles was nicht festgemacht ist, fliegt durch den Raum. Interessanterweise ist das doch einiges. Der Abfalleimer fällt um und rauscht in die Ecke. Zum Glück wurde er vorher geleert. Der Behälter mit Löffeln und Zucker, der auf der Bar stand, segelt ihm nach. Und der kleine Tisch auf der anderen Seite des Raumes schlittert quer durch den Raum und wird erst an der anderen Wand aufgefangen. Auch in der Pantry hinter den jetzt heruntergelassenen Jalousien ist einiges durcheinander geraten Geschirr scheppert und die Gläser in der Bar klirren.
Einer um den anderen kommen die Passagiere. Philippe läuft kurz durch den Raum, sieht dass die Küche noch geschlossen ist und geht wieder. Carlos schwankt herein. "Que tal?" "Más o menos". Peter hält sich an jeder Wand, jeder Stange fest und setzt sich tapfer an einen Tisch. "Verrückt da draussen", meint er. In solchen Situationen ist jeder auf sich selber angewiesen. Und alle haben die gleiche Strategie. Nur nicht zugeben, wie man sich fühlt. Es geht besser, wenn man nicht anfängt zu klagen.
Es gibt Nachtessen. Wahrscheinlich mussten sie da hinter den Jalousien zuerst ein wenig Ordnung schaffen, darum ist es heute später als sonst. Es gibt Spaghetti. Juan hat gesagt, ich solle wenigstens ein wenig essen und so lasse ich mir eine winzige Portion geben. Sie schmecken gut und sie helfen. Richtig Appetit hat heute niemand, ausser den drei jungen Chilenen, die in Puerto Eden zugestiegen sind. Ihnen scheint der Seegang nicht so viel auszumachen.
Ich habe meinen Computer in den Aufenthaltsraum mitgenommen, will heute noch meinen Bericht schreiben. Ich weiss, er wird besser, echter, wenn ich ihn sofort schreibe, auch wenn es mir heute etwas schwer fällt, mich zu konzentrieren. Muss immer wieder vom Monitor aufsehen, damit es mir nicht schwindelig wird. Wenn ich ihn morgen bei ruhiger See schreibe, fehlt ihm die Authentizität. Die anderen Passagiere sind unterdessen wieder verschwunden. Philippe hat noch einen dieser weissen Plastiksäcke eingesteckt, die plötzlich überall herumliegen. Man weiss ja nie.
Jetzt hocken nur noch ein paar Navimag-Angestellte da. Diejenigen, die in der Essensausgabe arbeiten und Marcelo, der Barmann. Auch ich werde mich jetzt wohl in die Horizontale begeben. In dieser Lage lässt sich der Wellengang definitiv am besten überstehen. Bleibt nur die Frage, ob ich den Weg dahin mit meinem Laptop unter dem Arm unbeschadet überstehen werde.
Aufbruch: | 12.04.2008 |
Dauer: | 4 Monate |
Heimkehr: | 03.08.2008 |
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