TimeOut in Südamerika

Reisezeit: April - August 2008  |  von Beatrice Feldbauer

Woche 2 19.-25. April 2008: Stella

Sie kam mit dem Auto. Und sie gefiel mir auf Anhieb. Stella. Gross stark, blond, sehr blond, was ihr in diesem Land vielleicht einiges einfacher macht. Sie hatte ein Taxi organisiert und da war sie also. Mit einer guten Stunde Verspätung war ich am Montag-Abend angekommen. Aber das war eigentlich gar nicht schlimm. Hier in Paraguay gehen die Uhren eh anders. Dass stimmt sogar wörtlich. Am morgen war ich nämlich eine Stunde zu früh und dabei kam dann auch aus, dass ich gestern über die Zeitzone gefahren war und eine Stunde hätte zurückstellen sollen.

Die Stunde konnte ich dann aber gleich nutzen, um den gestrigen Reisebericht ins Netz zu stellen, so dass er am Dienstag-Nachmittag irgendwann aktiviert werden konnte. Ich glaube ich habe noch nicht erklärt, wie ich das mache. Den Bericht schreibe ich jeweils abends auf meinem Laptop und wenn es geht, wie im Pueblo Suizo oder im Bourbon Hotel wo ich direkt im Zimmer Internet-Anschluss hatte, lade ich ihn auch gleich ins Netz. Martin, der Betreiber der Seite www.umdiewelt.de liest aber jeden Bericht durch, bevor er ihn veröffentlicht. Könnte ja etwas drin stehen, das er nicht auf seiner Seite sehen möchte. Es braucht deshalb immer etwas Zeit, bis der Bericht für Euch abrufbar wird. Hier bei Stella darf ich ihren persönlichen Computer benutzen, was natürlich nicht unbedingt mitten in der Nacht möglich ist. Ich werde also hier weiterhin meine Berichte schreiben, und am Morgen aufladen. Dann ist bei Euch allerdings bereits früher Nachmittag. Je nachdem, wann ich aufstehe.

Ich bin also bereits wieder in einem neuen Land. Paraguay. Ich gestehe, dieses Land war mir nur von den 'Los Paraguayos' bekannt, einer Gruppe Musiker, die vor Jahren jeden Abend im Restaurant gespielt hatten, wo ich serviert hatte. Es war spanische Woche angesagt mit spanischen Spezialitäten und südamerikanischer Musik. Mit ihren harmonischen Klängen, die sie den Gitarren und der Harfe entlockten und den schönen Stimmen hätten sie mich im Nu erobert. Das ging bei mir zum Glück nicht, denn ich hatte gerade Dietmar kennengelernt, doch die andere Serviertochter brannte mit dem charmanten Sänger durch. Wie weit sie mit ihm kam, weiss ich nicht mehr, aber ich habe den Kosenamen Mutschatscha in dieser Zeit von Dietmar erhalten und lange behalten. Erst viel später merkte ich, dass das 'Mädchen' heisst, und so die billigen Haushalthilfen genannt werden. Wir haben das beide nicht gewusst und so war das ein sehr liebevoller Ausdruck.

Und jetzt bin ich also hier. Bei Stella und ihren beiden Angestellten Simon und Hugo. Wir sassen gestern noch ein wenig zusammen, tranken Bier und quatschten auf Deutsch und Spanisch. Wobei ich bei beiden Sprachen sehr genau hinhören muss. Stella ist Österreicherin und spricht sehr schnell und bei Simon muss ich mich erst wieder auf den neuen Ton, die neue Stimme einstimmen. Hugo spricht überhaupt nicht spanisch. Auch wenn er weniger schüchtern wäre. Er spricht nur Guarani. Diese Sprache wird von den Einheimischen überall gesprochen, Spanisch ist für alle die Zweitsprache. Zeitungen sind allerdings spanisch und das Parlament tagt ebenfalls spanisch, aber untereinander spricht man Guarani, eine indianische Sprache. Wir sassen also zusammen, und liessen das Bierglas kreisen. Das sei so üblich hier, meinte Stella und ich habe mich heimlich vergewissert, dass sie genügend Gläser hätte, um jedem eines zu geben.

Dann bezog ich mein neues Heim. Einen Bungalow, mit Aufenthaltsraum, funktionierendem Badezimmer und Schlafzimmer. Ich schlief gut in der ersten Nacht, so wie ich jede Nacht bisher gut geschlafen hatte. Draussen auf der Strasse hörte man zwar noch eine Zeitlang feiernde Menschen. Sie feierten den Sieg ihres Präsidenten mit Autokarawanen, aufgedrehter Musik und lautem Gehupe. Am Sonntag waren Wahlen gewesen und es wurde ein neuer Präsident gewählt. Scheint, dass er in diesem Gebiet gute Unterstützung findet.

Früh am Morgen hörte ich einen Hahn krähen. Das heisst, eigentlich hörte ich die ganze Zeit irgendwo einen Hahn krähen und ich kann mir nicht vorstellen, dass es immer der gleiche war, sonst hätte er längst heiser sein müssen. Und als ich am Morgen um halb Acht bei Stella klopfte, war sie ganz erstaunt: "So früh schon?" Und das war dann der Moment, an dem ich meine Uhr wieder richtig stellte.

Reiten stand auf dem Programm. Simon und Hugo hatten die Pferde bereits gesattelt und ich war gespannt, wie ich es schaffen würde, auf das hohe Pferd zu steigen. Dank Helene und ihrer Fiona, bei der ich drei Tage vor Abflug einen ersten Ritt machen durfte, war ich ziemlich zuversichtlich, dass es klappen würde. Mit Hilfe von Simon schaffte ich es nicht nur aufs Pferd, nein ich blieb auch oben. Geduldig erklärte mir Stella, wie ein Pferd hier geritten wird, wie ich die Zügel halten muss und dass ich zum stoppen zurücklehnen und zum 'anfahren' vorlehnen und mit der Zunge schnalzen müsse. Nach ein paar Übungen auf dem Hof, ritten wir schon bald aus dem Tor. Voraus Simon der Gaucho und hinterher wir Mädels. Mit der Foto meiner Reitkünste will ich euch im Moment noch verschonen. Nur mal soviel, ich bin oben geblieben und ich fühlte mich pudel wohl, als wir zwei Stunden später wieder zurück kamen. Frika heisst meine Stute und ich glaube, wir werden uns ganz gut verstehen. Nachdem die Pferde abgeduscht und auf der Weide noch etwas grasten, setzten wir uns noch ein wenig zusammen und der Becher mit dem Terere machte die Runde. Ein ganz eigenartiges Gebräu. In einen Becher mit viel Kräutern wird kaltes Wasser eingegossen. Daraus trinkt man dann durch ein Röhrchen, das unten ein Sieb hat, bis keine Flüssigkeit mehr da ist. Dann gibt man den Becher zurück, es wird wieder kaltes Wasser nachgeschenkt und der Becher wird weiter gegeben. Sehr gewöhnungsbedürftig, aber Stella versicherte mir, dass man davon sogar süchtig werden könnte. Glaube nicht, dass mir das passieren wird.

Und jetzt sitze ich im Schatten vor meinem Häuschen und mache Siesta. Das Buch liegt bereits neben mir, aber so wie es aussieht, werde ich jetzt erst mal eine Weile dösen. Die Eindrücke sammeln. Von strahlendem Himmel, freundlichen Menschen, sanften Pferden. Von weiten Feldern und kreischenden Vögeln. Für eine genaue Beschreibung der Umgebung ist es noch zu früh, muss mich erst akklimatisieren. Jedenfalls werde ich bis Ende Woche hier bleiben.

Heute ist der Tag der neuen Erfahrungen. Wir sind bei Freunden von Stella eingeladen und weil das Auto noch immer beim Mechaniker ist, fahren wir mit dem Motorrad hin. Ist schon eine halbe Ewigkeit her, seit ich mal mit knapp 20 auf einem Motorrad hinten mitgefahren bin. Also, Helm auf und aufgesessen. Wir fahren nach Caacupé, das sind knapp 10 km. Es geht auf der Hauptstrasse rauf und runter. Wir überholen langsame Lastwagen und kommen schon bald bei Dieter und Nora an. Die beiden sind Thüringer und führen ein Restaurant. Haben vor 12 Jahren mit einer Kuh angefangen. Ein paar Jahre haben sie sich mit Milchwirtschaft rumgeschlagen, aber als die Preise für die Futtermittel höher waren, als der Ertrag der Milch ergab, haben sie ein Restaurant eröffnet. Dieter ist Fleischermeister und macht echte Thüringer Bratwürste. Doch heute gibt es keine Bratwürste, heute ist das Restaurant geschlossen und wir steigen in den Pickup um.

Mit einem Knall erwacht der Motor und ich überlege grad noch, ob man jetzt schon wieder den Mechaniker rufen müsste, als Dieter losfährt. Niemand scheint den Krach des Wagens mehr zu hören. Man kann sich sogar ganz normal unterhalten. Sofern man dieses 'sich ins Ohr schreien' Unterhaltung nennen kann. Nach einer kurzen Strecke auf der Hauptstrasse schwenken wir auf einen Feldweg ein. Eine Zeitlang folgen wir dieser Strasse, die eher wie ein ausgewaschenes Bachbett aussieht und dann glaubt Stella die richtige Hauszufahrt gefunden zu haben. 'Ich bin zu 90 % sicher, dass es da ist." Sieht zwar nicht einmal mehr wie ein Weg aus, eher wie ein Trampelpfad und die Zuversicht von Stella sinkt zeitweise auf 80 %. Doch bald erreichen wir unser Ziel.

Das Haus von Olivier und Alejandra. Die beiden wohnen seit ein paar Monaten in einem modernen Haus mit sehr gepflegten Garten und vielen Obstbäumen. Die Mandarinen reifen hier, es gibt einen Mangobaum, einen Nispero, einen Avocado und sogar einen Carmbole-Baum. Mit fast reifen Früchten. Ich staune, denn so einen Baum habe ich noch nie gesehen. Es gibt eisgekühlten (!) Rotwein, ebensolche Cola und Cidre. Olivier steht am Grill und serviert riesige Rindskoteletts und Würstchen. Dazu gibt es eine Art Polenta, die aber gebacken ist und von Hand gegessen wird. Wir diskutieren über das Leben in Paraguay und über die Chancen die sich hier ergeben. Über die Definition von Glück und wie man es erreichen kann. Es wird ein langer Abend. Olivier ist Franzose und flirtet fliessend in 10 Sprachen. Seine Frau Alejandra kommt aus Equador. Wir sind also eine ziemlich internationale Gesellschaft.

Für die Heimfahrt wählt Dieter eine andere Strecke. "Die ist kürzer", behauptet er. Und wenn auch wir Frauen je länger die Fahrt dauert, desto weniger davon überzeugt sind, dass das stimmt, bleibt er natürlich bei seiner Meinung. Die Strasse ist inzwischen wie das ausgewaschene Bachbett eines Bergbachs und eine Buckelpiste ist dagegen schon fast eine Autobahn. Von Fahrer und Auto wird also einiges abverlangt. Ist aber nicht halb so schlimm, denn Dieter war früher mal Rallyefahrer. So fühlt es sich auch an. Es schüttelt und rumpelt und ich glaube bei jeder Bodenwelle, jetzt würde der Wagen gleich anstehen. Aber nein, irgendwann kommen wir wieder auf der Hauptstrasse an. Und dann geht es auch gleich wieder weiter mit dem Motorrad.

Es war ein spannender und interessanter Abend. Wir haben philosophiert und gelacht und ich habe neue Einblicke in andere Lebensmöglichkeiten bekommen. Dafür bin ich meinen neuen Freunden sehr dankbar. Doch jetzt geht es gegen Mitternacht und ich sollte langsam ans schlafen denken. Habe morgen früh ein neues Rendez-vous mit Frika.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Nicht Nichtstun steht im Mittelpunkt. Sondern etwas tun, wofür im normalen Alltag zu wenig Zeit bleibt. Meine beiden Leidenschaften Reisen und Schreiben möchte ich miteinander verbinden. Und wenn mich dabei jemand begleitet, umso schöner. Es sind vor allem Geschichten, die ich erzähle und erst in zweiter Linie Beschreibungen von Orten und Gebäuden. Ich möchte versuchen, Stimmungen herüberzubringen. Feelings, sentimientos. Wenn mir das manchmal gelingt, ist mein Ziel erreicht.
Details:
Aufbruch: 12.04.2008
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: 03.08.2008
Reiseziele: Uruguay
Brasilien
Paraguay
Argentinien
Chile
Bolivien
Peru
Guatemala
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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