Mekong
Zugfahrt
Man muss schon ziemlich verrückt sein, wenn man 12 Stunden durch die Gegend ruckelt, nur um fünf Minuten über ein spektakuläres Viadukt, das seine besten Zeiten hinter sich hat, zu fahren.
Doch genau das macht spontanes Reisen aus. Etwas lesen, etwas hören, etwas verfolgen und dann einfach der Spur folgen. Und am Schluss gibt es eine Überraschung.
Ich hatte davon gelesen, dass diese Eisenbahnstrecke in den Nordosten ab Mandalay etwas Spezielles sei. Und dann hatte ich das Buch von Inge Seidel, der österreichischen Shan-Prinzessin gelesen, die genau in dieser Gegend gut zehn Jahre gelebt hatte, dann kam noch Ian, der Australier dazu, den ich auf dem Inle Lake getroffen hatte und der mir von der Gegend geschwärmt hatte. Da war mein Entschluss also gefasst, ich werde ins Shan-Gebiet fahren und über diesen speziellen Viadukt.
Da konnte es mich auch nicht mehr abschrecken, dass der Zug ab Mandalay um vier Uhr in der Früh losfährt. Also zur Abwechslung keine Nachtfahrt, aber eine Fahrt, die in der Nacht beginnt.
Mein Wecker hat mich um drei Uhr geweckt, eine Viertelstunde später bin ich geduscht, wach und bereit zum nächsten Abenteuer. Die Rezeption ist verwaist, kein Mensch da. Ich will meinen Koffer zum Aufbewahren aufgeben, soll ich ihn jetzt einfach beim Desk stehen lassen?
Eigentlich sollten zwei junge Männer hier sein, gestern Abend hatten sie mir eine gute Nacht gewünscht und ich ihnen auch, da sie die ganze Nacht durcharbeiten würden.
Ja und dann sehe ich: Sie schlafen tief, am Boden hinter dem Desk. Ich huste ein wenig. Hmmmm. Und tatsächlich einer hat mich gehört, ist sofort hellwach. Nimmt mein Gepäck entgegen, meinen Zimmerschlüssel und versichert mir noch einmal, dass ich den Bahnhof ganz einfach finden werde, da vorne an der Kreuzung rechts und dann gerade aus.
Die Strassen sind komplett leer. Kein Auto, kein Motorrad, kein Fahrrad und kein einziger Fussgänger ist unterwegs. Einzig ein paar Hunde liegen herum und bellen ein wenig, wenn ich an ihnen vorbei komme. Stehen einen Moment auf, legen sich aber ein paar Meter weiter wieder hin. Ich scheine nicht interessant zu sein. Oben hängt die Mondsichel, ein paar Strassenlampen leuchten.
Das ist eine sehr eigenartige Stimmung. Das habe ich überhaupt noch nie erlebt. Ich laufe mitten auf der Strasse. Eine ganze Stadt für mich allein.
In der Nähe des Bahnhofes liegen plötzlich Leute auf der Strasse, das heisst auf der Überführung die zum Bahnhof führt. Zum Glück hat mich Ian darauf aufmerksam gemacht, dass Leute ohne Haus irgendwo einen geschützten Platz zum Übernachten suchen, das ist sehr gern der Bahnhof, denn der ist überdacht, falls es des Nachts anfängt zu regnen.
Auch auf dem Bahnsteig liegen ein paar Menschen. Zum Teil unter Moskitonetzen, zum Teil nur auf einer dünnen Unterlage. Es ist warm, vielleicht hätte ich mein langärmeliges Shirt doch dort lassen sollen, wo ich es beim Umpacken des Koffers zufällig gefunden hatte, nämlich ganz unten, bei den Dingen, die zu Hause hätten bleiben können. Da wo auch ein Frotteetuch und die Windjacke und sonst noch ein paar Kleinigkeiten ein vergessenes Dasein fristen. Hinterher weiss man ja immer, was es alles nicht gebraucht hat.
Aber wenn man sich am Morgen so früh im klimatisierten Zimmer bereit macht, kann man sich einfach nicht vorstellen, dass es draussen noch immer über 25 Grad warm ist, also gut Kurzarm vertragen würde.
Am Ticketschalter stehen schon drei Frauen. Offensichtlich Touristinnen. Da muss ich wenigstens nicht lange nachfragen, wo anstehen, wo lösen, die Französin löst das souverän. Sie will die gleiche Tour machen wie ich, mit einem Unterbruch, während die Deutsche und die Australierin heute wieder zurück nach Mandalay fahren werden.
Wir zahlen den Fahrpreis von knapp 3 Franken und bekommen einen reservierten Sitzplatz im Wagen ‚Upper Class‘. Das ist der mit den weiss bezogenen Sitzen. Alle haben wir Sitze auf der linken Seite, denn da wird man den Viadukt besser sehen.
Man glaubt es kaum, aber punkt vier Uhr ertönt ein langgezogenes Signal von der Lokomotive und der Zug setzt sich in Bewegung. Langsam fahren wir aus dem Bahnhof, hinaus in die schlafende Stadt. Vorbei an Häusern, die immer einfacher werden, je weiter wir kommen. Manchmal brennt irgendwo eine einzelne Glühbirne, Menschen sind noch keine unterwegs.
Es gibt ein paar Bahnhöfe, bei denen wir anhalten. Auch hier sind Menschen am Schlafen. Manchmal halten wir etwas länger, manchmal nur ein paar Minuten. Wir verlassen die Stadt und der Zug nimmt eine Steigung in Angriff, wird noch langsamer. Kriecht förmlich über die Geleise. Ruckelt und quitscht auf den Schienen.
Es wird langsam hell. Wir erkennen Berge in der Ferne. Dahinter erwacht ein rosa Schimmer. Er dauert nur ein paar Minuten, dieser magische Moment zwischen Nacht und Tag und dann ist es richtig hell.
Die Fenster haben wir alle geöffnet, das ergibt allerdings kaum frische Luft, denn erstens ist es draussen auch bereits recht warm und zweitens fahren wir so langsam, dass die Luft im Wagen trotzdem stehen bleiben kann. Wenn da nicht die völlig verstaubten Ventilatoren wären, die der ganzen Hitze zum Trotz kreisend ohne Unterbruch arbeiten würden.
Im Wagen 'Upper Class' sitzen ausser uns vier noch zwei andere Frauen, eine Holländerin und eine Engländerin. Jede ist allein unterwegs. Und wo sind die allein reisenden Männer?
Frauen sind halt taffer, meint die Holländerin.
Männer gibt es in unserem Wagen aber trotzdem. Die drei Zugsbegleiter haben es sich in den Zweiersesseln bequem gemacht. Sie sind nicht sehr beschäftigt. An den Bahnhöfen müssen sie die Tickets kontrollieren und sicherstellen, dass jeder auf dem richtigen Sitz ist, dann können sie sich wieder hinlegen.
So lümmeln sie den ganzen Tag ein wenig herum. Sie sind aber sofort zur Stelle, wenn wir etwas brauchen, zum Beispiel wenn der Sitz nicht mehr zurück geklappt werden kann. Damit ist ihre Arbeit aber auch schon wieder erledigt.
Es ist tatsächlich eine sehr spezielle Zugstrecke. Wir fahren Zick-Zack durch dichte Vegetation. Immer an den Gleisenden halten wir an. Ein Schienenwärter stellt dann die Weiche um und 5 -10 Minuten später fahren wir mit einem lauten Tuuuut wieder lost. Die Sirene ertönt auch immer wenn wir uns einem Bahnübergang nähern. Und zwar schon in der Dunkelheit, als wir noch durch die Stadt fuhren. Das Zugsignal muss ertönen.
Die Sträucher am Schienenrand werden durch den Zug täglich zurück geschnitten und die abgeschnittenen Blätter gleich mitgenommen. Jedenfalls ist es besser genau zu aufzupassen, was kommt, bevor man seine Kamera hinaus hält, es könnte sie ein etwas stärker Ast aus der Hand reissen.
Die Stunden ziehen sich dahin. Frauen kommen durch den Zug und verkaufen Snacks und Getränke. Am Mittag bringt eine Verkäuferin gebratene Nudeln und Reis in ihrer breiten Schale, die sie auf dem Kopf trägt.
Wir fahren jetzt auf einer Hochebene. Weit hinten sind etwas höhere Berge sichtbar. Weite wunderbar hellgrüne Reisfelder breiten sich aus. Braune Maisstangen stehen in den Feldern, die Maiskolben sind abgeerntet und liegen vor den Häusern zum Trocknen. Zum Teil als ganze Kolben, zum Teil liegen auf grossen Tüchern gelbe Maiskörner. Es gibt grosse Zuckerrohrpflanzungen und kleine Gärten bei den Häusern in denen verschiedene Gemüse gezogen werden.
Auf den Feldern arbeiten Menschen unter breiten Hüten zum Schutz gegen die jetzt hoch am Himmel stehende Sonne. Manchmal erkennt man einen Wasserbüffel. Wie Tiere aus einer anderen Welt muten sie an mit ihrem grauen Fell und den grossen runden Hörnern. Es gibt auch Kühe, die angebunden an einen Pflock ihr Futter suchen.
Und immer wieder stehen da Kinder vor den Häusern oder in den Gärten und winken dem vorbei fahrenden Zug zu. Und wenn dann jemand vom Zug her zurück winkt, freuen sie sich. Wir fahren so langsam vorbei, dass auch die Menschen auf dem Feld beim Aufsehen einen winkenden Touristen im Zug sehen und gleich winken alle zurück. Das ist ungemein berührend und fast nicht zu glauben.
eine manuelle Schranke. In den Ortschaften gibt es die, auf dem Land muss man selber aufpassen. Ausserdem tutet die Lokomotive ja auch immer, wenn sich einen Weg kreuzt.
Wir verbringen die Stunden mit Staunen, Plaudern, Lesen, Dösen und immer wieder von neuem staunend. Über dieses Land, die einfache Lebensweise und über diese Menschen, die sich tatsächlich einfach nur freuen, Fremde in ihrem Land zu begrüssen. Hier ist das Welcome, das bei jedem Lokal und jedem Hotel am Eingang steht nicht nur ein leeres Wort.
Um Elf Uhr werden wir gemäss Fahrplan beim Viadukt eintreffen. Also machen wir die Kameras bereit, denn bereits jetzt können wir es sehen, wie es das Tal überquert. Es wurde 1903 innert neun Monaten von Amerikanern gebaut.
Das Verfalldatum dieser Brücke sei schon längst abgelaufen, steht in meinem Reiseführer, aber sie steht noch und wird täglich befahren. Vor der Brücke wird nochmals ein Halt eingelegt, ein Uniformierter steigt ein. Er sieht zwar sehr militärisch aus, ist aber für die Sicherheit zuständig und geht erst einmal durch den ganzen Zug.
Und dann erklingt das Signalhorn wieder und der Zug kriecht langsam Richtung Brücke. Andächtige Stille, wenn das Quietschen und Schlagen der Räder nicht wäre. Tief unten fliesst ein Fluss durch grünen Dschungel. Wir sind auf der Brücke. Kameras werden hinaus gestreckt, Selfiesticks sollen helfen, das Stahlgerüst aufs Bild zu bekommen.
Nach fünf Minuten sind wir auf der anderen Seite und fahren in einen Tunnel.
Dann geht es noch einmal eine gute Stunde bis wir unser Umsteigeziel Nawnghkio erreicht haben. Es ist die halbe Strecke der ganzen Eisenbahnlinie, die bis fast an die chinesische Grenze führt. Hier trifft auch der Zug aus der Gegenrichtung ein. Wir müssen aber, bevor wir wieder einsteigen, ein neues Ticket lösen. Denn am Hauptbahnhof konnte man uns kein Ticket für die Hin- und Rückfahrt verkaufen.
Das ist ein ziemlich aufwändiger Vorgang. Das bestehende Ticket abgeben, darauf war die Passnummer notiert und der Name. Es muss ein neues Ticket ausgestellt und von Hand die Daten wieder eingetragen werden.
Es sind nicht nur wir Frauen, plötzlich sind da noch ein Schweizer Paar und ein Chinese aufgetaucht. Auch die brauchen neue Tickets und der Beamte gibt sich alle Mühe, den Überblick zu behalten.
Die Abfahrt wird so lange verzögert, bis wir alle unsere Tickets haben und auf unseren Sitzen Platz genommen haben. Die Rückfahrt kostet nur noch einen guten Franken, weil ich heute nicht mehr zurück nach Mandalay fahren will, sondern in Piyn Oo Lwe übernachten werde. Das ist der Ort, wohin sich die Engländer zur Kolonialzeit in der Sommerhitze zurückzogen und ihre Landsitze bauten. Es soll ein pittoresker Ort sein, ich bin gespannt.
Umsteigen auf halber Strecke auf den Zug, der zurück fährt.
Es fährt täglich nur ein Zug in jede Richtung
Wir fahren noch einmal über den Viadukt und diesmal ist die Sicht sogar noch besser. Durch die Kurve und die Neigung sind die schrägen Streben von dieser Seite her besser zu sehen. Doch eigentlich müssen wir zugeben, dass wir in unseren Ländern fantastischere Brücken zu bieten haben. Diese hier ist eigentlich nur wegen ihrem Alter und weil sie da in dieser fantastischen Umgebung steht, eine Attraktion.
Wir haben jedenfalls für diese Brücke ziemlich viel auf uns genommen. Meine Fahrt endet genau 12 Stunden, nachdem wir am Morgen in Mandalay gestartet sind. Die anderen haben noch einmal ein paar Stunden vor sich und werden nach Einbruch der Dunkelheit zurück in der Stadt sein. Die ganze Strecke ist übrigens knapp 300 km lang und wir sind nur die Hälfte gefahren.
Auf dem Bahnsteig werden die Ankömmlinge von den Taxifahrern bestürmt. Jeder will mich ins Hotel bringen. Der ältere Mann, der sich meinen Rucksack geschnappt hat, offeriert mir einen guten Preis und ich folge ihm hinaus aus dem Bahnhof. Und bin wieder einmal komplett überrascht.
Da stehen nicht nur normale Taxis und Motorräder, da stehen auch Kutschen. Alte, winzige Kutschen. Und in genau in so eine steige ich jetzt ein. Ich bin völlig überwältigt. Die Kutsche sei von 1885, als noch die Engländer hier ihre Kolonie hatten und der Vater von meinem Kutscher bereits mit dieser Kutsche gefahren ist.
Das Hotel ist dann erstaunlich modern. Mit Klimaanlage und Wifi, mit einem neuen Badezimmer und einer wunderschön romantischen Dekoration auf dem Bett.
Und genau da liege ich jetzt, döse und sinne über diesen speziellen Tag nach. Ein Tag der entschleunigt hat, ein Tag der ganz viele Einblicke in das ländliche Leben von Myanmar gebracht hat und ein Tag der wieder einmal eine Reise in die Vergangenheit ist.
Zur Begrüssung hat mir die Rezeptionistin jetzt noch einen Früchteteller gebracht. Genau das richtige nach all den Snacks des Tages im Zug.
Einfach herzlich.
Aufbruch: | 16.06.2017 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 21.09.2017 |
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