Mekong
Mount Popa
Die Vision, dass mich am Morgen zwitschernde Vögel auf dem Balkon wecken würden, ist ganz schnell verblasst, respektive hat sich im Nebel aufgelöst. Der schleicht nämlich über den Bäumen und hat die ganze Landschaft verschluckt.
Es muss in der Nacht stark geregnet haben, jedenfalls ist der ganze Balkon mitsamt den schweren Stühlen nass. Und die Luft ist angenehm kühl. Kühl, ja fast schon ein wenig kalt. Kein Backofen mehr, ich kann die Schiebetüre getrost offen lassen, die Klimaanlage habe ich gestern schon ausgeschalten.
Noch vor dem Frühstück beende ich die ‚Tage in Burma‘ und bummle dann über die regenfeuchten Wege hinunter zum Restaurant, wo das Frühstücksbuffet aufgebaut ist. Es überrascht mit unerwarteter Auswahl. Es gibt Käse und in einem Topf dampft Porridge. Den Käse versuche ich, er schmeckt wie ganz milder Tilsiter, das Porridge lasse ich weiter dampfen. Ausserdem gibt es dunkle und helle Brote und dänischen Plunder, französischen Toast und Pfannkuchen mit Honig. Und natürlich die ganze Palette von Nudelsuppe, gebratenem Reis und Nudel, Fleischgerichten und Gemüse.
Das Kloster auf dem Felsen ist wie durch Zauberhand weggewischt, die ganze Aussicht reicht nur noch bis zum Balkongeländer.
Nach dem Frühstück bummle ich zum Aussichtspunkt. Es ist ganz ruhig. Die Zikaden schlafen noch, oder warten auf die ersten Sonnenstrahlen und der Vorbeter drüben im unsichtbaren Kloster ist entweder verstummt oder dringt nicht durch den dichten Vorhang. Feucht und kühl ist die Luft. So richtig zum tief durchatmen. Niemand ist jetzt hier und richtet Kameras, keine Selfies und Fotoshootings mehr.
Und dann lichtet sich der Nebel ganz wenig, gibt den Blick wieder frei und da hebt auch bereits die Stimme des Vorbeters wieder an. Vielleicht habe ich das gestern mit dem rund um die Uhr doch falsch verstanden, vielleicht fängt er tatsächlich erst um halb zehn wieder an. Mir scheint, dass er nicht mehr die gleiche Intensität hat, wie gestern.
Der Nebel und der Regen haben in mir einen Entschluss gefestigt: ich verzichte auf die 800 Stufen hinauf zum Kloster und schenke mir einen geruhsamen Tag im Hotel. Schliesslich habe ich hier so etwas wie ein kleines Appartement mit Schreibpult, Korbsesseln und einem Kaffeekocher. Ausserdem einen Balkon, auf dem man sogar eine Walking Meditation machen könnte.
Im Laufe des Tages dringen ein paar Sonnenstrahlen durch das dichte Wolkendach und lassen den Dschungel vor meinem Balkon dampfen. Und wecken die Zikaden. Noch erreichen sie nicht die Lautstärke von gestern Abend und verstummen immer wieder. Vielleicht, werden sie erst am späteren Nachmittag richtig aktiv und vielleicht ist es ihnen heute zu kühl oder die Sonne scheint noch zu wenig. Ich verbringe den Nachmittag mit meinem englischen Kambodscha-Buch auf dem Balkon. Es ist ruhig.
Ich leide mit der kleinen Loung Ung. Sie war fünf, als die Roten Khmer die Stadt Phnom Pengh einnahmen und die Menschen innert Stunden aus der Stadt vertrieben. Hinaus aufs Land in eine ungewisse Zukunft. Sie mussten auf den Reisfeldern arbeiten, bekamen kaum zu Essen und waren nie sicher, ob sie irgendwann aufgedeckt oder verraten wurden. Schliesslich war der Vater als höherer Beamter beim Staat angestellt gewesen und diese Leute waren ein erstes Ziel für die Roten Khmer, die an ein Volk der Bauern glaubten.
Monate der Qualen, gefüllt mit strengster Arbeit, und immer kleineren Essensrationen folgten. Irgendwann wurde der Vater abgeholt und kam nie mehr zurück. Und irgendwann mussten die Kinder auch die Mutter verlassen, um nicht entdeckt zu werden. Die kleine Loung wurde mit acht Jahren zur Kindersoldatin ausgebildet, musste lernen mit dem Gewehr umzugehen und den eindringenden Feind zu töten.
Unsägliche Qualen und unsäglichen Hunger hat sie durchlitten, ungeheuren Hass gegen Pol Pot und die Roten Khmer entwickelt und dabei hatte sie als kleines Kind ja eigentlich gar keine Ahnung, worum es bei der ganzen Politik überhaupt ging. Warum sie aus ihrer behüteten Kindheit so jäh herausgerissen worden ist.
Ich leide mit der Kleinen und muss zwischendurch immer wieder eine Pause machen. Gehe hinaus und suche Schmetterlinge. Doch die fliegen heute nicht, also sammle ich Blumen und Pflanzen in meine Kamera. Einfach etwas Schönes. Und ausserdem bleiben ein paar Spinnennetze darin hängen.
Und dann zieht es mich wieder zurück zu meinem Buch, zurück auf den Balkon, wo die Luft einfach angenehm ist. Kühle 25 Grad.
Zur Zeit des Sonnenuntergangs gehe ich ins Restaurant. Im Moment macht der Regen eine Pause und die Zikaden haben wieder in voller Lautstärke übernommen. Ich versuche ein Video aufzunehmen, um den Ton einzufangen, muss aber erkennen, dass das völlig unmöglich ist, diese schrillen Töne kann mein Gerät überhaupt nicht aufnehmen.
Bei der Lobby gehe ich kurz ins Internet, checke ob es Reaktionen gab auf meine Abmeldung von gestern. Alles in Ordnung, ich glaube man ist ganz froh, einmal nicht mit neuen Abenteuern bombardiert zu werden.
Nehmen sie einen Schirm mit, sagt mir die Rezeptionistin, denn beim Restaurant regnet es bereits. Tatsächlich hat der Regen schon wieder eingesetzt mit dicken Tropfen. Und die Zikaden sind verstummt.
Ich habe richtig Hunger und lasse mich auf der gedeckten Terrasse des Restaurants verwöhnen mit Aperitiv, Rotwein, einer Suppe und einem Nasi Goreng.
Der Sonnenuntergang fällt heute Abend also komplett ins Wasser. Von weitem sehe ich eine Gruppe junge Leute die dem Regen trotzen und mitsamt den Sonnenschirmen ein lustiges Selfie-Happening machen.
Später setzen sie sich an den Nebentisch, trinken einen Tee und ich zeige ihnen die Foto, die ich von weitem als Schattenbild von ihnen gemacht habe. Sie freuen und bedanken sich, dass ich sie fotografiert habe. Sie sind aus Myanmar und haben sich ein Taxi gemietet um einmal die Aussicht auf das Kloster vom Resort her zu geniessen.
Zum Glück ist es jetzt doch wieder ein wenig sichtbar. Der Nebel vom Morgen hat sich im Laufe des Tages verzogen und bleibt als dicke Wolken am Himmel hängen.
Es ist ruhig, es hat kaum mehr Gäste. Hinter mir sitzt eine Gruppe Motorradfahrer, sie sind vor dem Regen angekommen, haben ein paar Fotos auf dem Aussichtspunkt gemacht und warten jetzt bei einem Getränk das Ende des Regens ab.
Nach dem Regen noch bevor die komplette Dunkelheit über das Land kriecht, entdecke ich an einem Baumstamm bei der Terrasse ein Insekt.
Tatsächlich, es ist eine Zikade. Ruhig sitzt sie da, scheint Pause zu machen. Jedenfalls kann ich nichts erkennen was sich an ihr bewegt. Ich meine zu wissen, dass sie dieses Zirren mit den Hinterbeinen machen, diese scheint mit allen sechs Beinen auf dem Stamm zu stehen. Und doch ertönt grad von diesem Baum ein intensives hohes Zirren. Offensichtlich ist sie nicht die einzige an diesem dünnen Baum.
Nach dem Essen gehe ich zurück in mein Häuschen. Ich will noch erleben, wie die kleine Loung gerettet wird. Denn dass sie überlebt hat, ist sicher, sonst hätte sie das Buch nicht schreiben können.
Aufbruch: | 16.06.2017 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 21.09.2017 |
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