Mekong

Reisezeit: Juni - September 2017  |  von Beatrice Feldbauer

Höhepunkt

Völlig verwirrt schrecke ich aus dem Schlaf auf. Mitten aus einem Albtraum. Draussen wird es Tag. Am Handy ist eine Meldung eingegangen. Hat mich das geweckt? Oder musste ich aus meinem Albtraum entfliegen? Wohl eher das, denn die Situation schien ausweglos. Die Meldung kommt von einer besorgten Freundin.

Geht es dir gut? Besser?
Ich weiss es noch nicht, muss mich erst ordnen, finde die Tasten nicht.
Es tut gut, grad jetzt jemanden zu haben, der da ist.
Es braucht nur zehn Minuten, dann bin ich bereit, den neuen Tag zu begrüssen und sie geht schlafen. Ist ja auch längst Mitternacht in der Schweiz.

Ich sehe nach meiner Kamera. Hatte sie auf den Sonnenaufgang ausgerichtet und den hat sie dann eine Stunde lang abgelichtet. Scheint ziemlich schwierig gewesen sein für die Sonne. War der Himmel noch dunkelblau und wolkenlos bevor sie sich mit den ersten Strahlen zeigen konnte, so zogen genau in diesem Moment dicke Nebelschwaden auf und verdeckten die Sicht auf Berge und Sonne. Die letzte der 200 Fotos zeigt eine graue Nebelwand. Aber jetzt, zwei Stunden später sind es nur noch einzelne Wolken, die am Himmel ziehen. Die Sonne hat sich also doch durchgesetzt. So wie in meinem Inneren.

Ganz traue ich mir noch nicht, bin noch etwas unsicher, wie ich den Tag beginnen soll. Am besten mit dem Frühstück. Die anderen Gäste sind schon weg, auf dem Trecking, am Wandern.

Ich sehe ein Paar, dem ich gestern schon begegnet bin. Ildi aus Ungarn und Bux aus Spanien. Sie wohnen in Madrid und wollten eigentlich auch nicht wandern. Trotzdem liessen sie sich gestern überreden.

Wie war es?
Uff, wir sind eben nicht so berggängig, es war nicht unsere Welt.
Ildi tönt gar nicht begeistert, es war mehr als ein kleiner Spaziergang. Im Gegenteil, ein Teil der Gruppe kam mit dem Taxi zurück.

Was habt ihr heute vor?
Sie wissen es noch nicht, ein Besuch in der Stadt, ein wenig bummeln. Mal sehen.
Ich habe ein Taxi organisiert, kommt doch mit.

So sind wir also bald zu dritt unterwegs. Der Taxifahrer spricht englisch und kann uns einiges erklären. Wir fahren zu einem der umliegenden Dörfer. Hier in der Gegend wohnen verschiedene Etnien. Menschen von verschiedenen Stämmen. Sie haben ganz verschiedene Kulturen und kleiden sich in den Dörfern auch unterschiedlich. Auch die Sprachen sind ganz verschieden.

Wir halten schon bald zu einem Fotostop an. Reisfelder auf Terrassen angelegt. Soweit das Auge reicht. Und dazwischen wird Mais angebaut. Genau das war es, was ich sehen wollte. Diese wunderschönen Reisfelder, die der Landschaft angepasst in runden Bahnen an den Hängen kleben.

Auch Hung, unser Taxifahrer baut seinen Reis an. Nur für den Eigenbedarf, meint er, manchmal reicht es nicht, dann müssen wir Reis dazu kaufen. Der Mais ist für die Hühner und die Maisstauden werden den Wasserbüffeln verfüttert. Nein, einen Wasserbüffel hat er nicht, aber Hühner und einen Garten. Da wachsen Wassermelonen, Gurken, Kürbisse, Tomaten und anderes Gemüse. Kartoffeln werden im Winter angebaut.

Jedes Gemüse hat seine Zeit. Jetzt ist Hauptsaison für Wassermelonen. Für Reis gibt es eine Ernte im Jahr. Im Winter kann es kalt werden. Es gibt manchmal Schnee, aber der bleibt nicht lange liegen. Er kann sich an zehn Zentimeter Schnee erinnern, aber der lag nur am Morgen, am Mittag war alles wieder weg.

Hung hat früher als Treckingführer gearbeitet und hat mit Touristen die umliegenden Berge bestiegen. Sie gehören zu den höchsten des Landes.

Heute fährt er Taxi, bewirtschaftet seinen Hof und bietet eine Unterkunft für Touristen an. Viele Familien bieten hier Home-Stay an. Einfache Unterkünfte mit Essen in der Familie. Hung hat eine Tochter. Doch viele Familien hier haben noch immer viele Kinder. Und diese Kinder belagern sofort das Auto, wenn wir anhalten. Where do you come from, ist die erste Frage, mit der wir bombardiert werden. Und dann Buy one from me. Sie verkaufen Armbändelchen aus buntem Garn.

Doch Kinder sollen in die Schule gehen, und nicht Dinge an Touristen verkaufen. Bei dieser Meinung bleibe ich. Dafür komme ich fast in Versuchung, der alten Frau etwas Geld in die Hand zu legen, um sie zu fotografieren. Dabei will sie mir doch eine ihrer farbigen kleinen Handarbeiten verkaufen. Ein Handtäschchen. Im letzten Moment merke ich, wie blöd das ist, Geld gegen Foto, aber ihre Arbeit zu verschmähen.

Lili heisst sie und sie lacht mich freundlich an, zeigt mir all ihre Schätze und ich wähle ein blaues Täschchen aus. Sie freut sich und jetzt darf ich sie gern fotografieren. Sie zeigt mir ihr schönstes Lächeln und mich wird das Täschchen an Lili erinnern, die Frau im Norden Vietnams, dort wo die höchsten Berge des Landes sind.

Und wo das Matriarchat herrscht. Das lese ich zwar erst später im Internet nach. In diesen Bergdörfern haben noch die Frauen das sagen. Hung hat uns davon nichts gesagt. Dafür erzählt er, dass auf einen der Berge eine Seilbahn fährt. Das wollen wir sehen und so vereinbaren wir, dass er uns nach dem Mittagessen beim Hotel wieder abholt und zur Station fährt.

Lili die freundliche Verkäuferin

Lili die freundliche Verkäuferin

Vorher besuchen wir noch das kleine Museum in einem der Dörfer. Hier werden die verschiedenen Trachten ausgestellt, die die Menschen hier tragen. Dabei finde ich auch den kleinen Seidenschirm, der vor der Sonne schützt und der heute genau zu meinem T-Shirt passt. Zufall.

Hinter dem Museum führt eine Hängebrücke über den Bach. Heute gibt es natürlich eine neue Eisenbrücke, aber die Hängebrücke war lange Zeit die einzige Verbindung zur anderen Seite. Etwas wackelig ist das schon, auf dieser Brücke zu stehen. Vor allem weil ziemlich viele Bretter ausgespart sind.

Es kostet Eintritt, in die Dörfer zu gehen. Das Geld wird für den Unterhalt der Schulen und für andere Einrichtungen der Gemeinde benutzt. So steht es jedenfalls auf dem Ticket. Vielleicht könnte man auch einmal etwas in den Unterhalt der Strasse investieren. Hier sind es tatsächlich ganze Löcher, die herausgeschwemmt wurden, oder mit groben Steinen ausgefüllt wurden.

anhalten kann man überall

anhalten kann man überall

ein neues Quartier entsteht beim Wasserfall

ein neues Quartier entsteht beim Wasserfall

Motorrad-Waschplatz Wasserfall

Motorrad-Waschplatz Wasserfall

Das ist noch harmlos. Hung hat geglaubt, ich wolle den Motorradfahrer fotografieren, auf die Idee, dass die Strasse sehr speziell ist, kam er gar nicht.

Das ist noch harmlos. Hung hat geglaubt, ich wolle den Motorradfahrer fotografieren, auf die Idee, dass die Strasse sehr speziell ist, kam er gar nicht.

Unser Mitsubishi quält sich auf der Strasse hin und her, kreuzt mit Motorrädern und anderen Fahrzeugen. Es ist schllimmer als eine Schotterpiste. Und dann ist da noch der Wasserfall, der sein Wasser über die Strasse ergiesst. Er kommt von oben, wird mit Leitungen zum Teil gefasst und durch eines der am Hang gebauten Häuser geführt, wo er unten durch ein Rohr wieder abfliesst. Es ist kein Abwasser, das da unten aus dem Haus fliesst, es ist tatschlich der Bach. Wie man auf die Idee kommen konnte, genau hier Häuser hinzubauen, ist mir schleierhaft.

Gekocht wird mit Holz und der Holzherd ist auch gleich die Heizung im kalten Winter. Vielerorts wird jetzt allerdings das Holz mit Gas ersetzt. Das sei günstiger, erklärt Hung.

Er hält sein Taxi überall an, wo wir eine Foto machen möchten. Es ist tatsächlich mehr ein anhalten, kein Parkieren am Strassenrand. Andere Verkehrsteilnehmer müssen dann jeweils sehen, wie sie an dem stehenden Auto vorbei kommen. Auch beim Wasserbüffel, den ich unbedingt noch fotografisch mitnehmen möchte steht er still.

Die Büffel werden als Arbeitstiere gehalten, helfen beim Pflügen. Und als Fleischlieferant. Bei Hochzeiten oder Beerdigungen wird oft ein Büffel geschlachtet. Milch gibt es kaum von ihnen.

Zum Mittagessen gehen wir zurück zum Hotel.

Nach dem Mittagessen steht Hung mit dem Taxi vor dem Hotel. Es sind nur wenige Kilometer bis zur Seilbahnstation.

Vielleicht hätte ich mich doch etwas besser vorbereiten sollen. Ob es wohl kalt ist auf dem Berg? Ich komme mir vor wie die Inderinnen, die in ihren Saris und den Pantöffelchen auf dem Titlis stehen und sich über den Schnee freuen. Oder die kichernden Chinesinnen in ihren FlipFlops, die kaum wissen, wie sie auf den Gletscher gekommen sind. Ich werde in Zukunft mehr Verständnis haben für sie, denn genau so stehe ich heute unten an der Seilbahnstation zum Fansipan.

Ich bin völlig unvorbereitet, auf das was mich hier erwartet. Weit ausladende Gebäude, Parkplätze für über 1000 Fahrzeuge, imposante riesige Hallen, Marmorböden, breite Treppen - und alles leer. Der Preis ist mit 700'000 Dong hoch und kaum für Einheimische gerechnet.

Ein paar Verkaufsstände vor dem Eingan

Ein paar Verkaufsstände vor dem Eingan

bin ich tatsächlich noch in Vietnam?

bin ich tatsächlich noch in Vietnam?

neuer Tempel neben der Seilbahnstation

neuer Tempel neben der Seilbahnstation

Und die Bahn ist gewaltig. Grosse Gondeln mit Platz für mindestens 30 Personen, bequeme Sitze, fahren in die Station ein und schwenken dann direkt hinaus und schweben über das Tal. Wir sind in der Gondel Nummer 26, da müssen also mindestens so viele im Verkehr sein.

Nach dem Verlassen der Station geht es erst einmal hinunter, wir überqueren das ganze Tal. Ein Wahnsinns-Ausblick. Da unten liegen sie, die Reisterrassen. Hier sieht man die Reisfelder in ihrer ganzen Schönheit und Eleganz.

Und dann geht es wieder hinauf, auf der anderen Talseite zur ersten Stütze.

Das ist gewaltig, ich komme vor lauter Staunen kaum mehr zum Fotografieren. Weit oben, immer wieder von Wolkenfetzen verdeckt, kann man den Gipfel erkennen.

Unter uns Dschungel. Bambuswälder und ganz viele verschiedene Bäume. Ein undurchdringlicher Bergwald. Das heisst, es werden hier anspruchsvolle Touren angeboten. Drei Tage dauert eine solche Tour auf den höchsten Berg Vietnams und ganz Indochinas. Die Bahn ist erst seit 2016 in Betrieb, vielleicht verschiebt sich das Interesse der Berggänger in Zukunft auf andere Berge, die nicht so einfach zu erreichen sind.

Oben empfängt uns der gleiche Prunk wie unten in der Talstation. Eine grosse Ankunftshalle, ein weitläufiges Restaurant und draussen neue Betonbauten. Ein Tempel, der den Anschein macht, als ob hier schon immer ein Kloster war. Treppen und eine Standseilbahn bis zum Gipfel. Wir schenken uns die über 600 Stufen und nehmen noch einmal die Bahn und dann sind wir oben. Auf 3143 Meter.

Die Luft ist dünn da oben, es ist frisch. Aber immer noch sehr erträglich. Jedenfalls für mich kein Grund, mir einen langärmeligen Pullover - den ich natürlich nicht dabei hätte - herzuwünschen. Die Berge unter uns erinnern mich in Form und Bepflanzung sehr an Machu Picchu. Und doch wieder ganz anders. Wolken fahren hin und her, lassen den Ausblick offen nach Sapa, um in der nächsten Sekunde eine dicke Schicht davor zu legen.

Gipfelfoto - das muss schon sein

Gipfelfoto - das muss schon sein

Blick nach Sapa, 1400 m tiefer

Blick nach Sapa, 1400 m tiefer

im Tempel wird eine Zeremonie abgehalten. Viele offensichtlich elegant und teuer gekleidete Zuschauer, viele Geschenke, die vor dem Tempel aufgebaut sind. Ein junger Mann, kostbar in gelbe Gewänder gekleidet ist der Mittelpunkt. Beleuchtet von zwei Scheinwerfern und festgehalten von einem sehr professionell auftretenden Fotografen verrichtet er Gebete vor dem Altar. Worum geht es? Es kann kein neuer Mönch sein, dazu ist er zu teuer bekleidet.

Später, als wir vom Gipfel zurück kommen, versuche ich jemanden zu finden, der mir das erklären kann. Spricht jemand englisch? frage ich die Männer, die die letzten Dinge zusammen packen, die Geschenke zusammenbinden. Ich, ein Junge, vielleicht 14, traut sich.

Was war das für eine Zeremonie? will ich wissen.
Er denkt eine Weile nach. Das ist schwierig zu erklären.
Ist es ein neuer Mönch?
Nein
Sind die Geschenke für das Kloster?
Nein
Wohnst du hier?
Nein
Wir sind von Hanoi, erklärt er, doch dann geht ihm der Mut und die Worte aus. Zu schwierig zu erklären, was hier gefeiert wurde. So bleibt meine Neugier unbefriedigt.

Es wird noch viel gebaut da oben

Es wird noch viel gebaut da oben

ein riesiger Buddha entsteht

ein riesiger Buddha entsteht

Wir machen uns auf den Abstieg. Schweben hinunter, überqueren noch einmal das Tal, bewundern die Reisterrassen.

Es war ein eindrückliches, völlig unerwartetes Erlebnis.

Natürlich habe ich später gegoogelt und unser Eindruck (oder Hoffnung) hat sich bestätigt. Die Bahn ist ein Werk aus der Partnerschaft Doppelmayr/Garaventa. Also ein Österreich/Schweizerisches Gemeinschaftswerk und es ist zur Zeit die längste Drahtseilbahn mit dem höchsten Höhenunterschied weltweit.

Fansipan-Legend die technischen Daten]

Ildi und Bux, meine heutigen Begleiter auf dem Weg zum Top of Vietnam - und zur guten Laune.

Ildi und Bux, meine heutigen Begleiter auf dem Weg zum Top of Vietnam - und zur guten Laune.

Vor dem Nachtessen treffen wir uns noch kurz im Hallenbad. Ein paar Züge schwimmen, das tut gut. Abkühlung bringt es zwar keine, denn das Wasser ist lauwarm.

Vom Nachtessen gibt es keine Fotos, zu intensiv und spannend war die Unterhaltung. Es war ein grandioser Tag und die beiden waren tolle Reisebegleiter.

Krise?

Sie ist weg, hat sich irgendwann im Laufe des Vormittags in den hintersten Schmollwinkel verzogen, wartet jetzt auf die nächste Gelegenheit.

Die wird sie auch finden, davon bin ich überzeugt. Denn sie gehört zu mir, genauso wie die gute Laune, das Lachen. Sie kommt nur nicht so oft zum Zug. Dafür bin ich dann auch jedes Mal wieder so überrumpelt, wenn sie das Kommando übernimmt und vor allem wie rigoros sie das schafft.

Ich habe mir gut überlegt, ob ich sie überhaupt thematisieren soll. Doch ich fand, dass das eben genauso in einen Reisebericht gehört, wie all die positiven Erlebnisse. Und ausserdem will sie, wenn sie da ist, ihren Raum haben, bemerkt werden. Wenn ich sie unterdrücke, sie ignoriere, treibt sie es nur noch bunter, drückt noch mehr auf die Stimmung und frisst alle Energie weg.

Meine Reise und das Schreiben ist ein Experiment. Darin muss vieles Platz haben und meinen Lesern darf ich bestimmt auch mal etwas Schwierigeres zumuten.

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Die Reise
 
Worum geht's?:
Es ist Zeit für etwas Neues. Für eine neue, mir völlig unbekannte Weltgegend. Spontan, ohne Planung, nur mit einer Idee: den Mekong sehen. Abflug am 16. Juni nach Bangkok. Ab dann wird es spannend. Freue mich, wenn auch diesmal wieder Freunde, Kunden und Bekannte virtuell mitreisen. Man kann den Reisebericht übrigens auch abonnieren, dann erhält man immer ein Mail, wenn ich etwas neues geschrieben habe.
Details:
Aufbruch: 16.06.2017
Dauer: 3 Monate
Heimkehr: 21.09.2017
Reiseziele: Thailand
Laos
Vietnam
Kambodscha
Myanmar
Der Autor
 
Beatrice Feldbauer berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
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