Mekong
Lack
Es ist mehr als frustrierend, es ist öde, nervtötend, aufreibend. Ich versuche schon den ganzen Vormittag, ein paar Fotos des Berichtes von gestern aufzuladen, aber es geht nicht. Das Internet funktioniert nicht, oder es bricht bei jeder Gelegenheit zusammen.
Einzig ins Facebook kann ich ein paar aktuelle Fotos aufladen, aber auch das braucht Nerven, denn oft wird die Verbindung unterbrochen.
Also lasse ich es bleiben und widme mich meinen neuen Büchern. Vor allem der Orwell mit seinen Tagen in Burma hat es mir angetan. Ich schleppe ihn überall hin mit, zum Mittagessen, zum Mittagsschläfchen, an den Pool.
Es ist spannend, die Geschichte zu lesen, die in der Gegend spielt, in der ich jetzt bin. Vor genau hundert Jahren. Als die Engländer hier noch das Sagen hatten und sich jeder wie ein kleiner König in seinem Reich benahm.
Es gibt eine eigenartige Spannung, die Beschreibung der glühenden Hitze im Buch zu lesen, diese selber zu fühlen und sich dann genüsslich ins Zimmer mit der Klimaanlage zurückzuziehen. Das gab es damals noch nicht, die Engländer hielten sich Diener, die ihnen unablässig Luft zufächern mussten, so als ob Einheimische die Hitze nicht spüren würden. Einheimische wurden wie Tiere behandelt und Orwell beschreibt die Engländer eindringlich in ihrer ungeheuren Dekadenz.
Es war das erste Buch von George Orwell. Später schrieb er gesellschaftskritische Bücher wie "Die Farm der Tiere" oder "1984".
Beim Mittagessen fragt mich der Kellner, ob ich Seafood mag? Er hat mir gerade meinen Teller mit den Riesencrevetten gebracht, den ich schon am ersten Abend gegessen habe.
Ich liebe es, das bekommt man in der Schweiz kaum oder es kostet sehr viel.
Der Kellner staunt nicht schlecht, als ich ihm erkläre, was ich in einem Restaurant für diesen Teller zahlen müsste. Hier sind es gerade mal 6 Dollar.
Es wird hier mit Dollars gerechnet, der Betrag in der lokalen Währung steht allerdings auch immer auf der Rechnung und es wird fair umgerechnet. Da ich meine Dollars längst gebraucht habe und aus den Automaten hier nur noch die einheimische Währung kommt, zahle ich immer nur mit Kyat. 1000 Kyat sind gerade mal 70 Rappen. Münzen gibt es natürlich längst keine mehr, so wie übrigens in allen Ländern, durch die ich gereist bin.
Dafür treffe ich immer wieder auf Kinder, die mich um eine Note in meiner Währung anbetteln, weil sie Noten aus aller Welt sammeln. Dass unsere kleinste Note ungefähr 15‘000 Kyat Wert ist, ist ihnen dabei kaum bewusst. Stolz hat mir gestern einer seine Sammlung gezeigt mit über 10 Noten aus verschiedenen Ländern. Euros und Franken waren keine dabei.
Am späteren Nachmittag gehe ich doch noch einmal hinaus. Mein Taxifahrer holt mich ab, eigentlich wollten wir noch einmal für den Sonnenuntergang hinaus fahren, aber da der Himmel bereits jetzt bedeckt ist, will er mir eine Lackfabrikation zeigen. Bagan ist bekannt für seine Lackarbeiten. Auch in meinem Hotelzimmer steht auf dem Schreibtisch ein schwarzes Tablett und eine Box mit Taschentüchern, die aus lackiertem Holz gemacht wurden und eingravierte Muster hat.
Ich möchte allerdings zuerst zu einem ATM, einem Geldautomaten. Ich versuche ihm das zu erklären, weil ich kaum mehr Geld habe und der Automat im Hotel defekt ist. Er nickt und fährt weiter.
Es ist ein Familienbetrieb zu dem er mich führt und eine junge Frau, die gut Englisch spricht, zeigt mir die verschiedenen Schritte, die es braucht, bis aus einer gedrechselten Holzschale ein lackiertes Kunstwerk wird.
Es sind nicht nur Holzschalen, es gibt auch ganz leichte Bambusgefässe oder gar flexible geflochtene Körbchen, die lackiert werden.
Die schwarze Lack-Masse, die auf die Gegenstände gestrichen wird, riecht sehr streng und ich wundere mich, dass die Burschen das mit blossen Händen auftragen. Das ist ein reines Naturprodukt, das wie Kautschuk von den Bäumen gewonnen wird, erklärt mir die Frau. Da ist gar keine Chemie dabei, darum kann man das ohne weiteres mit den Fingern anfassen, es schadet der Haut nicht. Ja, man muss es mit den Fingern auftragen, denn nur dadurch kann man die Unebenheiten herausspüren und den Lack richtig auftragen.
Nach der ersten Lackschicht wird das Gefäss in einem Raum unter der Erde aufbewahrt und sieben Wochen getrocknet. Es braucht bis zu fünf Lackschichten, die immer wieder getrocknet werden müssen, bis die Artikel so richtig schön schwarz glänzen.
Dann kommen sie in die Hände der Künstler. Zeichnungen werden vorskiziert, Ornamente direkt mit einem spitzen Instrument eingraviert. Das sind meine Brüder, erklärt mir die Frau, die Ornamente und Muster werden seit Generationen weitergegeben. In unserer Familie können das alle, denn alle arbeiten hier. Ausserdem sind da noch Cousinen und Cousins. Ein grosser Familienbetrieb mit vierzig Mitarbeitern.
Für die Farben sind die Frauen zuständig. Es gibt drei traditionelle Grundfarben: gelb, rot und grün. Aus diesen können durch Mischen verschiedene Nuancen entstehen.
Die Werkstatt ist gross und luftig. Die Arbeiter sitzen auf ihren Werkbänken und Podesten und arbeiten ruhig und konzentriert. Dazwischen stehen ein paar Ventilatoren und kämpfen gegen die Hitze, die sich auch hier drin staut.
Überall sind halb fertige Gefässe, Holzrohlinge und Bambusgefässe gestapelt. Interessant sind die leichten runden Bambustöpfchen, die ich auch in Restaurants oft auf den Tischen sehe. Als Serviettenhalter oder Schalen für Erdnüsse.
Sie werden aus dünnen Streifen, die vom Bambusrohr der Länge nach abgeschält werden, aufgebaut. Dabei wird Streifen für Streifen satt angebracht, bis ein Gefäss entsteht. Ähnlich, wie ich früher Fasnachtsbändel aufgerollt und zu Formen gestülpt hatte. Hier werden die Streifen von aussen her aufgebaut. Zuerst wird ein geschlossener Ring erstellt und dann wird innen bis in die Mitte immer wieder ein neuer Streifen eingebaut. Ganz ohne Leim, die Streifen halten allein durch die eigene Spannung.
Am Schluss entstehen Kunstwerke, Schalen, Schatullen, Teebecher, Schmuckkästlein. Das kann alles auch ganz problemlos mit heissem Wasser ausgewaschen werden, erklärt mir die Frau, nur die Abwaschmaschine überstehen sie nicht. Bis zur Fertigstellung mit allen Trocknungszeiten dauert der Prozess vom Rohling bis zum fertigen lackierten Objekt sechs Monate. Eine lange Zeit und ein grosser Aufwand, kein Wunder, werden in den Läden und auf den Märkten billige Kopien angeboten, die mit Chemikalien hergestellt wurden. Sie zeigt mir, worauf ich achten muss, um ein echtes einheimisches Handwerk zu erkennen.
Ich sehe mich im Laden um. Es sind wunderschöne Sachen, die hier gemacht werden und sie haben auch ihren Preis. Leider, oder vielleicht zum Glück habe ich kein Geld bei mir, denn ich will ja noch immer zum Geldautomaten. Darum fotografiere ich ein paar Sachen, bis es die Verkäuferin sieht und mich mahnt, dass hier im Laden fotografieren verboten sei.
Ich verabschiede mich entschuldigend und kehre zum wartenden Taxi zurück. Bestimmt hätte mein Fahrer jetzt seine Provision abgeholt, schliesslich wollte er mir die Fabrikation unbedingt zeigen, aber ich hatte ihm vorher mehrmals erklärt, dass ich einen ATM-Automaten brauche.
Dafür fahren wir noch einmal zu einer Pagode. Es ist ein hoher enger Bau und als ich hinein gehe, weiss ich zuerst gar nicht, was sich mir da in der Mitte präsentiert. Hinter den Geldkästen im Halbdunkeln schimmert etwas Goldenes. Es ist kein Buddha, oder doch?
Beim Näherkommen geht mein Blick hinauf und tatsächlich, es ist ein mehrere Meter hoher Buddha, dessen Kopf in der Kuppel thront, von woher er auf mich herunterschaut. Nicht wirklich Buddha-würdig, so zugemauert zu sein. Vielleicht ist das der Grund, dass die Geldboxen hier ziemlich gut gefüllt sind.
Draussen spricht mich eine junge Frau an. Sie spricht sehr gutes Englisch und erzählt mir, dass diese Pagode nicht nur aus Backsteinen, sondern aus einer Kombination mit Sandstein gebaut ist. Sie würde mir noch viel erzählen, aber ich habe im Moment genug von Geld sammelnden Buddhas.
Lieber will ich wissen, woher sie so gut englisch spricht. Sie hat es in der Schule gelernt und schon damals Freude an der Sprache gefunden. Später hat sie Stunden genommen, denn sie möchte gern mit Gästen aus aller Welt in Kontakt kommen. Ihr Traum wäre es, einmal als Reiseleiterin zu arbeiten, doch dazu braucht sie eine Prüfung und ihr Englisch reicht noch nicht so weit. Darum arbeitet sie noch für ihre Familie im Laden gleich neben der Pagode. Ich soll mir ihre Sachen ansehen.
Auch sie verkauft Lacksachen, die die Familie selber herstellt. Es sind echte Sachen, das kann ich inzwischen beurteilen. Kauf mir etwas ab, bettelt sie, es ist schwierig im Moment für unsere Familie. Es wäre der erste Kauf heute.
Weil sie wirklich schöne und vor allem kleine Sachen hat, kontrolliere ich doch noch einmal mein Geld. Für eine kleine Aperoschale reicht es und sie ist überglücklich und bedankt sich mit einem Händedruck. Dann drückt sie das Geld auf ein paar Sachen, es ist tatsächlich ihrer erster Verkauf heute und es ist bereits Abend.
Bevor ich mich verabschiede, bitte ich sie, meinem Fahrer zu erklären, dass ich tatsächlich einen Geldautomaten brauche.
Ja, sagt der, er hätte das schon verstanden, er würde auch gleich dahin fahren. Ist eben schwierig zuzugeben, dass man seinen Passagier nicht verstanden hat und dann von einer einfachen Verkäuferin aufgeklärt werden muss.
Nachdem ich jetzt endlich wieder etwas Geld habe, fahren wir zurück zum Hotel, denn an einen Sonnenuntergang ist heute nicht zu denken, es wird gleich anfangen zu regnen.
Zum Nachtessen gibt es bei mir heute Spaghetti Bolognese mit einem eiskalten Glas Weisswein. Weil der Rotwein auch eisgekühlt wäre, spielt das eigentlich keine grosse Rolle.
Aufbruch: | 16.06.2017 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 21.09.2017 |
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