Mekong
Krise
Sie fragt nicht, obs grad passt, ob ich damit umgehen könnte, ob ich Zeit hätte, sie ist einfach da. Und ich weiss auch nicht woher sie kam oder was ich tun könnte, um sie wieder loszuwerden.
Die Krise. Was ist das eigentllich, wie spüre ich sie? Es passt einfach plötzlich nichts mehr, nichts gefällt, nichts heitert auf.
Wetter? Na ja, schön wäre anders. Aber Wetter kann in der Regel meine Stimmung nicht so stark beeinflussen. Regen hat ja auch sein Gutes. Obwohl es hier nicht einmal abkühlt bei Regen.
Vielleicht ist der Grund auch, weil die letzten Tage so voll waren. Voller Emotionen. Vielleicht sogar - und das gestehe ich mir sehr ungern ein -vielleicht sogar, weil ich solche Momente tatsächlich nicht allein erleben möchte. Aber ich war ja nicht allein, ich habe tolle Menschen kennen gelernt, wir hatten viel Spass zusammen.
Egal, sie ist da, sie hat sich eingeschlichen, und ich werde sehen, dass ich sie wieder loswerde.
Doch lassen wir zuerst den heutigen Tag Revue passieren, denn am Morgen war ja alles noch in Ordnung.
Es war dieses Bild, dieses Plakat, das ich irgendwo auf der Strasse in Hanoi gesehen hatte und das mich sofort faszinierte. Reisterrassen soweit das Auge reicht. Muss in den Bergen liegen. Aber wo.
Winter von der Rezeption weiss Bescheid: Sapa im Norden Vietnams, nahe der chinesischen Grenze. Es gibt einen Nachtzug und einen Bus dahin. Ich nehme den Bus. 3-Tages-Tour organisiert mit Ausflügen. Ich sehe mir die Programme an und erkläre ihm, dass ich keine Wanderungen unternehmen möchte. Keine 3-4 stündigen Treckings. OK, hat er verstanden und er verspricht, mir ein schönes Hotel zu buchen.
Und so kommt es, dass ich am frühen Morgen auf den Shuttlebus warte, der mich zur Busstation bringen soll. In der Hotellobby wird übrigens seit gestern gearbeitet. Alle Lampen wurden heruntergeholt, Verputz von den Wänden geschlagen. Bin gespannt, wie das aussieht, wenn ich in drei Tagen zurück komme.
Der grosse Bus ist eine Überraschung. Zugeteilte Sitze, viel Platz, bequeme Sessel, Klima, Licht, Liegeposition - und WiFi. Leider ist in der Schweiz jetzt noch tiefe Nacht, da ist niemand online zum chatten. Aber in Peru ist jetzt Abend. Gestern Abend. Elf Stunden Zeitunterschied. Keyla teilt mir mit, dass mein Neffe und seine Frau heute von der Lodge zurück gekommen und jetzt im Hotel seien und dass alles gut gegangen ist. Auch wenn ich für die Lodge nicht mehr zuständig bin, wir sind noch oft in Kontakt und heute interessiert es mich natürlich ganz besonders. Immer wenn ich die Gäste selber kenne, will ich genau Bescheid wissen.
Und kurz darauf erreiche ich Remo und Shari. Sie sind begeistert. Vier Tage Dschungellodge und vorher die Fahrt auf dem Amazonas mit dem Frachtschiff. Remo erzählt dass er seinen Guide sogar geschlagen hat beim Piranas fischen. Und er überbringt mir Grüsse aus Iquitos. Das tut gut.
Spannend, in einem Bus zu sitzen, der durch Vietnam fährt und mit dem anderen Ende der Welt zu chatten. Bekomme fast ein wenig Heimweh.
Wir fahren auf einer gut ausgebauten Strasse Richtung Norden. Manchmal ist sie vierspurig wie eine Autobahn, dann wieder zweispurig mit einer doppelten Sicherheitslinie. Doch diese Sicherheitslinie scheint nicht die gleiche Bedeutung zu haben wie bei uns. Jedenfalls überholt der Bus ohne weiteres Lastwagen, die langsamer unterwegs sind. Einmal kommt ihm aber doch etwas entgegen und er muss sein Manöver abbrechen. Dabei drängt er einen PW, den er bereits überholt hat, nach rechts ab. Dieser muss leicht bremsen und sich nach hinten fallen lassen, doch das scheint ihm gar nichts auszumachen.
Ich stelle mir vor, wie ein Schweizer Fahrer jetzt Hände verwerfen und mindestens ein Fluchwort ausstossen würde, doch der Fahrer, ich kann ihn von meinen Sitz genau beobachten, konzentriert sich auf die Strasse und verzieht keine Miene. Lässt uns vorfahren. Diese Gelassenheit ist unvorstellbar. Es sind keine Machtkämpfe, es schaut einfach jeder, dass er vorwärts kommt. Kurz darauf überholen wir den Lastwagen dann doch noch - trotz Sicherheitslinie.
Nach zwei Stunden gibt es einen halbstündigen Halt. Das ist bei Busfahrten generell sehr gut geregelt. Egal ob im kleinen Minivan oder im grossen Luxusbus. Nach spätestens zwei Stunden gibt es einen Halt für Toillette und Kaffee.
Und dann geht es noch einmal zwei Stunden bis zum nächsten kurzen Stopp.
Danach kommt der Guide, der den Bus begleitet zu jedem Passagier und überprüft noch einmal, ob man ein Hotel hat, ob man Hilfe braucht und ob die Reservation für die Rückfahrt in Ordnung sei. Abfahrt um 16.00 Uhr übermorgen. Wenn du zu spät kommst, musst du einen anderen Bus nehmen.
Ab jetzt geht die Strasse bergauf. Es ist eine richtige Bergstrasse entlang dem Hang mit Aussichten hinunter ins Tal. Leider ist der Himmel verhangen, viel gibt es nicht zu sehen. Der Fahrer fährt sicher und wenn er auch hier manchmal noch einen langsamen LKW überholt, so habe ich doch nie ein unsicheres Gefühl. Es fährt auch niemand wirklich schnell. Rasen scheint nicht angesagt zu sein. Auch nicht auf der Autobahn.
Nach einer weiteren Stunde sind wir angekommen. In Sapa, einem grösseren Ort auf 1650 m. Auch hier ist es mit 24 Grad noch immer sehr warm und feucht. Ich werde erwartet und in ein Hotel gefahren. Das sei noch nicht meine Unterkunft, es gibt hier erst einmal Mittagessen und dann werden die Passagiere in die verschiedenen Hotels verteilt. Touristenabfertigung in einem lieblosen Raum im Untergeschoss.
Doch dann fährt mich ein Taxi zum Hotel Freesia. Das sieht sehr schön aus und das Zimmer ist wunderbar mit Aussicht auf die Stadt und die Baustelle vor dem Hotel. Der Platz wird neu gemacht.
Doch kurz danach ruft mich die Rezeption an, mein Guide sei jetzt hier, die Wanderung könne beginnen.
Eine hübsche junge Einheimische ist es, die mich einlädt, mich der Gruppe anzuschliessen. Sie würden einen Spaziergang machen und in vier Stunden zurück sein. Ich möchte aber nicht wandern, das habe ich ausdrücklich erklärt. Ob es denn aufwärts gehe. Nein, meint sie, es geht vor allem abwärts... doch am Schluss muss das natürlich auch wieder hinauf gegangen werden. Ich mag nicht. Ganz genau kann ich es nicht erklären, aber ich weiss, wieviel Mühe ich habe, wenn es aufwärts geht. Nein, ich will das jetzt nicht. Ich habe Probleme mit dem Rücken, erkläre ich.
Sie bedauert, verabschiedet sich. Und ich gehe zurück ins Zimmer.
Und jetzt?
Es gibt ein Schwimmbad. Keine Lust.
Ich könnte meinen Reisebericht schreiben. Keine Lust
Lesen, schreiben, schlafen. Keine Lust
Ich raffe mich auf, einen Termin in der Massage zu machen.
Kurze Behandlung der neuralgischen Punkte und dann eine sanfte Oelmassage. So habe ich es im Prospekt gelesen. Sie bleibt bei den Punkten. Sie bearbeitet mich mit Händen, Fingern, mit den Handballen, den Knöcheln und den Ellenbogen. Meinen Rücken fährt sie rauf und runter, als ob sie ein Mähdrescher wäre.
To hard, fragt sie, als ich zusammenzucke. Yes, antworte ich kleinlaut, was sie aber irgendwie falsch interpretiert und gleich noch fester zupackt. Ich komme ins philosophieren, wie lange eine Stunde dauert. Wenn man mit der Rikscha durch die Stadt gefahren wird, wenn man im Bus fährt, wenn man an der Sonne liegt, wenn man unter den Händen einer Masseurin nicht weiss, wie lange sie einen noch malträtiert. Sie macht das bestimmt gut, aber für mich ist es im Moment definitiv die falsche Behandlung. Ich fühle mich unverstanden, am falschen Ort.
Später gehe ich zum Nachtessen. Nett kann man das Restaurant nicht nennen, aber die Serviertochter ist freundlich. Frühlingsrollen und süss-saure Scampi. Dazu ein Glas Rotwein. Das Essen ist fein, aber der Rotwein kommt direkt aus dem Kühlschrank. Aus einem sehr kalten Kühlschrank. Das Glas bleibt sogar eine ganze Weile beschlagen. Soll ich es wärmen? fragt mich die Serviertochter, doch ich traue ihr nicht. Am Ende kocht sie den Wein noch. Ich erkläre ihr vom Glühwein, dass wir zu Weihnachten gekochten Wein trinken. Sie lacht, aber ob sie verstanden hat, wage ich zu bezweifeln.
Ja das ist es, ich fühle mich nicht verstanden. Egal was ich sage oder erkläre, man erwidert mit einem Lächeln, aber man hat mich überhaupt nicht verstanden. Weder beim Wandern, noch bei der Massage und auch nicht beim Wein. Meistens kann ich das mit einem grosszügigen Schmunzeln übergehen, doch heute mag ich nicht. Nichts passt mir, nichts kann man mir recht machen. Was soll ich jetzt hier. Wenn diese tolle Aussicht, die ich doch unbedingt sehen wollte, nur zu Fuss zu sehen ist. Wenn ich dazu rumkraxeln muss.
Der junge Mann von der Rezeption kommt zu mir, fragt wie es mir gehe. Gut. danke.
Wir haben verstanden, dass sie nicht wandern möchten. Wir könnten ihnen morgen ein Taxi zur Verfügung stellen, das sie rumfährt. Wann würde es ihnen passen? halb neun oder neun Uhr?
Man hat mich verstanden. Ich sitze gleich viel aufrechter am Tisch. Das ist wunderbar. Ich freue mich. Die Extrakosten von 15 Dollar könnt ihr gern auf meine Rechnung schreiben.
Ja und jetzt bin ich also gespannt auf morgen.
Die Krise ist noch nicht ganz geschafft, aber sie hat die richtige Wendung genommen und ist auf dem besten Weg dahin zu gehen, wo sie hergekommen ist.
Übrigens tut mir der Rücken inzwischen tatsächlich weh, jedenfalls wenn ich mich darauf achte. Man kann sich Probleme also auch herreden. Werde sie nächstens wieder wegreden.
Aufbruch: | 16.06.2017 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 21.09.2017 |
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