Mekong
They got nothing
Ich habe mir lange überlegt, ob ich diesen heutigen Ausflug überhaupt machen soll. Besuch der Tunnels des Vietcong. Will ich diese Zeit nochmals aufleben lassen? Ist das nicht ein absolutes Trauma?
Werden da Touristen durch die dunkelsten Stunden des Landes durchgeschleust, einfach weil es dazu gehört?
Ja, es gehört dazu. Der Krieg ist zwar nirgends mehr zu spüren, wird kaum je angesprochen, es sei denn als Geschichte, aber er gehört dazu. Und er gehört vor allem auch zu meiner eigenen Wahrnehmung dieses Landes. Tägliches Ritual mittags um halb eins: Nachrichten im Radio. Ruhe, Papa will die Nachrichten hören. Und um 20.00 Uhr Abends in der Tagesschau. Und immer zuerst Nachrichten aus Vietnam. Ein Horror. Und ich habe überhaupt nicht verstanden, worum es ging. Nur dass man in diesem Land nicht überleben kann vor lauter Kanonenschüssen, Bomben, Maschinengewehrsalven, Rauch und Gift. Das unvorstellbare Chaos pur. Und dahin soll ich jetzt zurück kehren?
Unser Guide heisst Nan und wir sind eine kleine Gruppe aus Spanien, Australien, Holland und ich als einzige Schweizerin.
Nan verteilt Wasser, reisst ein paar Witze und erzählt was wir heute vorhaben. Die Fahrt ins ca 70 km entfernte Cu Chi dauert knapp zwei Stunden. Auf halber Strecke halten wir bei einem Laden an, wo Überlebende und Opfer der Giftangriffe mit Agent Orange in einem grossen Verkaufslokal ihre Kunsthandwerke anbieten.
Eine junge Vietnamesin zeigt und erklärt, wie die Einlegearbeiten entstehen. Die Zeichnungen werden ins Holz graviert, dann mit Muschelstücken oder anderen Materialien, wie Eierschalen ausgefüllt, koloriert, lackiert, gewaschen und poliert. Es entstehen wunderschöne Arbeiten. Alles in Handarbeit.
Leider darf man im Ausstellungsraum nicht fotografieren.
Das fertige Werk
Nach dem Halt erzählt Nan wie es zum amerikanischen Krieg kam. Er nennt ihn den amerikanischen Krieg. Vietnam hat eine lange Kriegsgeschichte gegen China, gegen Japan, gegen uns selbst und eben gegen Amerika.
Amerika wollte ein Vordringen des Kommunismus verhindern, wollte seinen Power zeigen, brauchte ein Übungsfeld für seine Waffen. Und sie haben Billionen von Dollars in unserem Land vernichtet, viele Menschenleben verloren, viele traumatisierte Soldaten die aus dem Dschungel zurück kamen und at the end they got nothing.
Dieser Satz, der so genau zeigt, wie sinnlos die ganze Sache war, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. They got nothing. Sie haben nichts bekommen. Vietnam ist kommunistisch, Vietnam hat gesiegt. Und dieser Sieg macht die Menschen hier stolz. Verhindert bei allen Verlusten, dass sie traumatisiert sind. Wir waren die ersten, die sich gegen die Amerikaner wirklich verteidigt haben.
Aber, lacht Nan, falls sie Amerikaner sind, schämen sie sich nicht, heute ist eine andere Zeit, wir haben Frieden, wir sind Freude.
Letztes Jahr war Obama hier. Er hat mit Einheimischen gesprochen, hat Streetfood gegessen, lokales Bier getrunken. Es ist vorbei.
So wie Nan davon erzählt, verstehe ich, wie wichtig solche symbolischen Zeichen sind. Nicht nur davon reden. Herkommen, sich zeigen und wenn es nur der simple Akt einer Foto bei einem einfachen Essen ist. Für die Menschen war das wichtig. Es ist vorbei.
Und dann kann sich Nan einen Seitenhieb doch nicht ganz verkneifen: Früher sagten die Amerikaner OMG (Oh my God) heute rufen sie OMT.
Nan erzählt jetzt, wie die Tunnels entstanden. Von Hand wurden sie gegraben. Nur mit einfachsten Instrumenten, mit Kübeln die Erde aus den Löchern rausgeschafft, irgendwo weit weg deponiert. Ihr werdet das alles sehen. Das ganze System hier war 240 km lang und verband 16 Dörfer unterirdisch. Der Bau dauerte 20 Jahre, das heisst, es wurde laufend ausgebaut. Die Leute haben tagsüber unter der Erde gelebt. Nachts gingen sie hinauf und bestellten ihre Felder und Gärten. Gewohnt haben sie unten. In rauchlosen Küchen gekocht, in dunklen Verliessen geschlafen.
Hier war die Basis des Vietcong. Die Guerilla-Kämpfer wurden in den Dörfern versteckt, sie wurden mit Nahrung versorgt, verarztet und unterstützt. Niemand kannte die ganze unterirdische Anlage. Jeder kannte nur seine eigene Umgebung, es wäre viel zu gefährlich gewesen, wenn jemand mehr gewusst hätte. Nicht vorzustellen, was passiert wäre, wenn ein Wissender in die Hände des Gegners geraten wäre...
Dann schaltet er das Video ein. Es ist ein Propaganda-Film, betont er, bevor die alten schlechten schwarzweiss-Aufnahmen über den Bildschirm flimmern. Sie erzählen vom Widerstand der Einheimischen. Vom Leben während des Krieges. Von Festen und Musikveranstaltungen, von Tänzen und fröhlichen Momenten. Von der Kraft des Widerstands.
Es ist Propaganda, sagt Nan noch einmal, nachdem der Film fertig ist. Wahrscheinlich muss der Film allen Besuchern gezeigt werden und Nan enthält sich jeglichen Kommentars.
Clusterbomben - Streubomben, die ihren Inhalt von einzelnen kleinen Bomben über das Land verstreuten.
Wir sind angekommen. Im kleinen Museum sind Waffen ausgestellt. Streubomben und Gewehre. Kalaschnikovs. Mit denen konnte man auch noch schiessen, wenn sie nass waren. Ihr kennt die Filme mit den Amis, die ihre Waffen mit hoch erhobenen Händen durch den Fluss tragen? Ihre Gewehre waren nutzlos, wenn sie nass wurden.
Durch einen Tunnel erreichen wir das Gelände, das für Touristen und Einheimische präpariert wurde. Es ist ein Freilichtmuseum, aber auch ein Schnell-Lehrgang in Guerillakampf.
Ein Brett im Boden, kaum sichtbar unter Laub versteckt. Durch ein solches Loch konnten Kämpfer jederzeit auftauchen und wieder verschwinden. Ein Termitenhügel, nichts besonderes. Das war ein Lüftungssystem. Man hat Bambusrohre in die Erde gelegt, die Termiten haben die Rohre gefressen, die Löcher blieben. Völlig unsichtbar.
Überall im Gelände sind Fallen eingebaut. Abgesperrt, damit Touristen nicht versehentlich darauf treten, obwohl sie mit Kunstrasen gut sichtbar sind. Es gab verschiedene Fallen, die Technik wurde im Laufe der Jahre immer mehr verbessert. Fallen in der Erde, aus deren spitzen Eisennägeln mit Widerhaken es kein Entrinnen gab. Fallen hinter Türen, die Gesicht und Unterkörper eines Gegners zerfetzten.
Während wir durch den Dschungel spazieren, immer wieder stehen bleiben und stauend die vielen Eingänge am Boden sehen, ertönt irgendwo laufend Gewehrfeuer. Bedrückendes Szenario.
Ja, es gibt Besucher, die das Gelände heulend verlassen haben, ehemalige Kämpfer, die geglaubt hatten, sie hätten die Zeit verarbeitet. Wenn sie hier sind, ist alles wieder da. Die ganze Hölle des Dschungels. Die Amis hatten keine Ahnung und keine Chance gegen den Gegner, der jederzeit und überall auftauchen, zuschlagen und gleich wieder abtauchen konnte. Die Vietcong waren oft nur zu zweit unterwegs, mehr hätten in den engen Gängen auch gar nicht agieren können.
Sie wollten uns ausrotten, sie haben Napalm abgeworfen und die ganze Gegend, wo früher viele Gummibäume standen, von denen die Menschen gelebt haben, wurde verbrannt. Die Erde wurde hart wie Beton, da war nur noch Asche und Staub. Hier konnte man die Spuren der Guerillakämpfer verfolgen.
Doch diese hatten auch dagegen einen Trick. Sie trugen Sandalen mit verkehrten Sohlen. So hinterliessen sie Spuren, die in die falsche Richtung zeigten. Ho-Chi-Minh-Sandalen nannte man sie. Die Sandalen der Kämpfer. In einer kleinen Werkstatt können wir sehen, wie sie aus Autoreifen und Schläuchen hergestellt werden.
Auch die Amerikaner wurden findiger. Sie setzten Hunde ein, die die Unterschlüpfe des Vietcong ausfindig machen sollten. Doch dagegen wurde Chilli ausgestreut, was die Hunde abhielt, an gewissen Stellen weiter zu suchen.
Als das auch nicht mehr half, musste man sich einen neuen Trick ausdenken. Bekämpfe den Feind mit seinen eigenen Waffen. Man versteckte Uniformen und Gegenstände von gefangenen Amis in den Unterschlüpfen. Die Hunde waren auf die Ausdünstungen der Vietnamesen abgerichtet. Uniformen der Amis interessierten sie nicht.
Ich komme mir vor wie in einem Lehrgang für Untergrundkampf. Fasziniert und angewidert. Inzwischen sind wir beim Schiesstand angekommen. Hier kann man für ein paar Dollar eine Kalaschnikov oder andere Waffen ausprobieren. Oder sich am Grillstand verpflegen.
Unsere Australier versuchen sich am Schiessstand, wo sich schon eine ganze Schlange von Interessierten anstellt. So wird gewährleistet, dass der authentische Geräuschpegel gewahrt bleibt.
Ich bleibe beim Grill. Die Maiskolben schmecken köstlich.
Es ist heiss. Da wo vor 30 jahren verwüstete Erde war, ist der Dschungel wieder nachgewachsen. Zugegeben, es sind alles junge schmale Bäume, aber sie sind dabei, den harten Boden wieder aufzuweichen, die Erde wird wieder fruchtbar. Rubber-Trees gibt es keine mehr, die wachsen ausserhalb des Geländes auf kleinen Plantagen.
Uns steht jetzt noch die letzte Prüfung bevor. Hinabsteigen in das System. Es ist eng, sehr eng, und man kommt nur gebückt vorwärts. Zwar wurden die Gänge extra für die Touristen breiter gemacht, aber das ist definitiv nichts für Leute mit Klaustrophobie. Die habe ich zwar nicht, aber ich verzichte trotzdem auf diese Erfahrung. Nur schon die Vorstellung, in dieser feuchten Hitze unter der Erde zu sein, widerstrebt mir komplett.
Die anderen steigen ein - und kommen beim nächsten Notausgang nach zwanzig Metern wieder heraus. Nur die beiden Spanier, die sich lange überlegt haben, ob sie überhaupt einsteigen sollen, halten bis zum Schluss durch. 100 Meter unter der Erde und die Gänge wurden immer schmaler.
Als die Amis die Gänge entdeckt hatten und einsahen, dass sie mit ihrer Grösse keine Chance hatten, setzten sie feingliedrigere Soldaten ein. Sie wurden Tunnelratten genannt und hatten gegen den Gegner, der sie in den Gängen erwartete keine Chance. Auch das Fluten der Systeme, deren unterste Ausgänge sich bei Flüssen befangen, nutzte nichts, denn die oberen Ausgänge befanden sich auf Hügeln.
Zum Abschluss setzen wir uns alle zusammen an einen Tisch. Es gibt heissen Tee und gekochten Maniok zum Probieren. Nan zeigt uns eine Pflanze. eigentlich ist es ein kleiner dünner Baum. Gegessen werden die Knollen, die ähnlich wie Kartoffeln schmecken und auch so gekocht werden.
Habs leider verpasst, eine zu fotografieren, weil ich die ja aus dem Regenwald von Peru schon so gut kenne und sie für mich nicht mehr exotisch ist.
Beim Ausgang kommen wir bei Ho-Chi-Minh vorbei. Der grosse Held von Vietnam.
Ich bin sehr froh, dass ich diesen Ausflug heute gebucht habe. Er hat mir meine Sicht des Krieges und des kriegsgeschüttelten Vietnam relativiert. Es ist immer gut, auch die andere Seite zu sehen.
Wir fahren zurück und erreichen knapp zwei Stunden später die Stadt.
Ho-Chi-Minh-City.
Noch immer wird sie von vielen Menschen Saigon genannt. Auch auf Schildern liest man sehr oft, Saigon und der Fluss heisst ebenfalls Saigon River. Es ist eben schwierig, den Namen einer grossen Stadt wirklich zu ändern. Sie war bis 1975 die Hauptstadt von Südvietnam und auch heute noch die grösste Stadt des Landes.
Im Hotel komme ich grad recht zur Teatime. Was für ein Kontrast zum heutigen Tag.
Später versuche ich, meine Weiterreise zu organisieren. Das was ich im Sinn habe, kann man mir im Hotel nicht organisieren. Ich mache daher einen kleinen Spaziergang ins Backpacker-Quartier. Da wo die vielen kleinen Speiserestaurant sind und die Reiseagenturen.
Dort werde ich sehr schnell fündig und jetzt weiss ich also, wie es weiter geht. Übermorgen früh werde ich um halb Acht abgeholt. Dann wird es wieder spannend.
Zum Sonnenuntergang gehe ich auf die Hotelterrasse. Ein kühles Bad, den Blick auf die untergehende Sonne. Zugegeben, mit den tollen Sonnenuntergängen wurde ich auf meiner Reise bisher nicht wirklich verwöhnt. Da gäbe es schönere an verschiedenen Schweizer Seen. Dazu hätte ich also nicht so weit reisen müssen. Es liegt wohl an der Jahreszeit, dass der Himmel immer mit Wolken bedeckt ist.
Später treffe ich die beiden Neuseeländerinnen. Sie haben heute einen Ausflug ins Mekongdelta gemacht und sind sehr beeindruckt, wie einfach die Leute da noch heute leben. Bald philosophieren wir übers Reisen und über Kriege und was wir darüber wissen und überhaupt, was wichtig ist im Leben. Dazu geniessen wir ein paar feine Cocktails und sind uns alle sehr bewusst, dass es uns wirklich gut geht.
Aufbruch: | 16.06.2017 |
Dauer: | 3 Monate |
Heimkehr: | 21.09.2017 |
Laos
Vietnam
Kambodscha
Myanmar